Startseite> consilium> Podcast> Podcast - Pädiatrie> consilium - der Pädiatrie-Podcast - Folge 11

consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #11 - 27.05.2022

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Husten mit Reprise: Pertussis

 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit PROF. ULRICH HEININGER.

 


 

DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Gast heute ist Professor Dr. Ulrich Heininger. Er ist leitender Arzt für pädiatrische Infektiologie und Vakzinologie am Universitäts-Kinderspital beider Basel. Herzlich willkommen, Herr Heininger.

Ulrich Heininger: Hallo, Herr Enninger.

Axel Enninger: Wir wollen uns heute über Pertussis unterhalten, und der eine oder andere wird wahrscheinlich denken: ‚Hä, wieso Pertussis?‘ Alle Welt redet momentan über SARS-CoV2, über RS-Viren, über Meta-Pneumoviren. Warum sollten wir beide uns jetzt über Pertussis unterhalten?

Ulrich Heininger: Weil es die spannendste Infektionskrankheit der Welt ist, Herr Enninger. Natürlich, jeder Vater liebt sein Kind und ich finde es die spannendste Infektionskrankheit. Sie bietet unglaublich viele Herausforderungen und das macht es interessant.

Axel Enninger: Wie sind Sie zu dem „Kind“ denn gekommen?

Ulrich Heininger: Ja, das weiß ich noch haargenau. Das war ein Samstagvormittag 1990 auf der Intensivstation der Uniklinik für Kinder und Jugendliche in Erlangen, wo ich damals meine Assistenzarzt-Rotation hatte. Da kam mein damaliger Chef Professor Stehr vorbei, hat einen Patienten besucht, und dann hat er mich so in einem Nebensatz gefragt: ‚Herr Heininger, könnten Sie sich vorstellen, auch mal ein halbes Jahr etwas anderes zu machen?‘ Dann habe ich gefragt, was. Na ja, da gäbe es so eine Pertussis-Impfstudie und ich dachte, da wären Sie der Richtige dafür. Und da habe ich eine Nacht drüber geschlafen, mit meinem damaligen Oberarzt auf der Intensivstation gesprochen. Der hat gesagt: ‚Das wirst Du nur einmal gefragt, ich würde es machen!‘, und dann habe ich es gemacht. Für Infektiologie oder Infektionskrankheiten hatte ich schon ein Faible, habe mich damals schon als Assistent ein bisschen mit der Borreliose beschäftigt, die da gerade aufkam. Und so schwuppsdiwupps war ich im Gebiet der Pertussis gelandet.

Axel Enninger: Und das ist jetzt zwei, drei Jahre her?

Ulrich Heininger: Eben 1990. Also ja, 20 Jahre, 30 Jahre alt, mal zehn. [Lachen]

Axel Enninger: Klingt nach 32, oder?

Ulrich Heininger: Ja, genau.

Axel Enninger: Okay. Und warum ist es denn nach 32 Jahren immer noch spannend, über Pertussis zu reden?

Ulrich Heininger: Na ja, wie es halt so ist. Das kennen Sie auch. Wenn man sich mal in ein Thema eingearbeitet hat und glaubt, eine Frage beantwortet zu haben, gibt es zwei neue Fragen. Die Welt der Pertussis-Experten ist klein. Man kennt sich untereinander, man beschäftigt sich damit und es gibt immer wieder neue Erkenntnisse. Und trotzdem ist noch so vieles unklar. Das macht es spannend. Und wenn man selbst mal Kinder mit Pertussis, vor allem junge Säuglinge, schwer krank auf der Intensivstation gesehen hat oder gar ein Kind hat sterben sehen müssen, dann nimmt man sie auch ernst und versucht alles zu tun, um das zu verhindern. Und ja, das ist meine persönliche Leidenschaft neben einer Reihe von anderen impfpräventablen Krankheiten.

 

Die Geburt der azellulären Pertussis-Imfstoffe

Axel Enninger: Die meisten Zuhörerinnen und Zuhörer von uns werden ja die Zeit vor der Impfung gar nicht mehr erinnern. Wenn man mal zurückblickt, was, würden Sie denn sagen, hat sich verändert? Alles, die gesamte Pertussis-Welt mit Impfung und Nicht-Impfung, vorher und nachher?

Ulrich Heininger: Na ja, also als ich Einstieg ins Thema, war gerade die Pertussis-Impfenzephalopathie noch en vogue. Man ist davon ausgegangen, dass viele Kinder durch die Pertussis-, damals Ganzkeim-Impfung mit abgetöteten kompletten Keuchhustenbakterien, Kindern einen Hirnschaden machen kann. Und das war dann der Beginn der Suche nach besser verträglichen Impfstoffen. Das sind die, mit denen wir heute arbeiten, die azellulären Pertussis-Impfstoffe. Das hat sich also komplett gewandelt. Damals, 1990, als wir dann in Deutschland nicht nur die Studie, die wir in Erlangen gemacht haben, sondern noch eine Reihe anderer durchführten, war ja die Impfung nicht allgemein empfohlen in Deutschland, und es war so ein bisschen ein Exotendasein. Nur ein ganz kleiner Anteil der Kinder wurde geimpft und deswegen war das Krankheitsbild natürlich auch sehr prominent vertreten. Jeder kannte es, obwohl man, wie wir heute wissen, nur die Spitze des Eisbergs gesehen hat, nämlich die typischen Verläufe. Heute ist die Pertussis-Impfung in unserem Impfplan unter den Standardimpfungen im Kindesalter immer noch diejenige mit der vergleichsweise geringsten Wirksamkeit. Deswegen gibt es Pertussis nach wie vor in ähnlicher Häufigkeit wie vor 20 Jahren, wenn auch fluktuierend.

Axel Enninger: Ich kann das vielleicht persönlich noch ergänzen. Mein ältester Sohn ist 1990 geboren und ich hatte damals gesagt: ‚Jetzt hier, lassen wir ihn doch gegen Pertussis impfen.‘ Meine Frau ist dann zum Kinderarzt gegangen und wurde fast beschimpft, was sie denn für eine schlechte Mutter wäre, dass sie nicht ihr pertussiskrankes Kind pflegen wolle und vielleicht zu faul sei und dieses Kind jetzt dem Risiko dieser schlimmen Impfung aussetzen wollte. Das war 1990. Es ist schon eine Weile her, aber auch noch nicht so ewig lange.

Ulrich Heininger: Da gab es ja auch so ein Nord-Süd-Gefälle. In Norddeutschland war Professor Ehrengut damals an dem Impfinstitut in Hamburg, und er war ein ganz, ganz starker Pertussis-Impfgegner, während im Süden Deutschlands Professor Stehr eben einer der ganz starken Befürworter war. Deswegen war in Norddeutschland die Durchimpfungsrate damals bei den Säuglingen unter 5 % und in Bayern bei etwa 30 %. Also sieht man auch den Einfluss von – wie sagt man heute? – Opinion-Leaders oder Meinungsbildnern auf solche Impfakzeptanz, ja.

 

Effizientes Andocken am zilientragenden Epithel und Schädigung der Mukosa

Axel Enninger: Was ist Bordetella pertussis denn für ein Erreger, was ist da besonders und wie macht er uns denn eigentlich krank?

Ulrich Heininger: Ja, also Bordet und Gengou haben den Erreger erkannt und erstbeschrieben. Vor allem Bordet, deswegen Bordetella. Es ist ein gramnegatives Stäbchenbakterium. Es stammt ursprünglich von Bordetella bronchiseptica ab, dem Erreger, der nicht nur beim Menschen, sondern auch im Tierreich weit verbreitet ist: Hunde, Katzen, Pferde etc. Bordetella pertussis ist eine phylogenetisch gesehen relativ junge Abzweigung und ausschließlich humanpathogen. Was wir wissen ist, dass der Erreger eben von Mensch zu Mensch über Tröpfchen übertragen wird, dass er sehr potente Adhärenzfaktoren auf seiner Oberfläche trägt, mit denen er dann am zilientragenden Epithel, also nicht im Nasenvorderbereich, sondern im Nasen-Rachenraum und in den unteren Atemwegen ganz gut andocken kann an unsere Epithelzellen und sich dort etabliert, vermehrt Toxine freisetzt, die dann das klassische Krankheitsbild des Keuchhustens auslösen, das unterschiedlich lange persistiert und dann irgendwann mal vom menschlichen Immunsystem eliminiert wird. Innerhalb von zwei, drei Wochen wird der Erreger eliminiert. Er wird erkannt und beseitigt und trotzdem bleiben die Symptome oftmals noch viele, viele Wochen über die Elimination des Erregers hinaus bestehen. Dieser hartnäckige Husten, das Erbrechen im Anschluss an den Hustenanfall. Warum das dann noch persistiert, obwohl der Erreger längst eliminiert ist, dafür gibt es wahrscheinlich zwei Gründe. Der eine ist, dass die Mukosa nachhaltig geschädigt wird. Das weiß man aus Autopsie-Untersuchungen von Menschen, die an Pertussis gestorben sind, vor allem junge Säuglinge. Also der Schaden ist gesetzt und bis sich die Mukosa erholt hat, besteht auch dieser anfallsartige Husten. Dann gibt es natürlich auch Personen, die sich diesen Husten Tic-artig über einige Wochen bis Monate angewöhnt haben und dann weiterhin präsentieren, auch wenn andere Infektionserreger dazukommen. Das berichten einem dann Eltern öfter, dass das Kind plötzlich wieder wie damals im Keuchhusten anfängt zu husten. Also eine lästige Angelegenheit.

Axel Enninger: Ja, jetzt haben Sie vorhin schon gesagt: ‚… die Symptomatik, so wie wir sie alle kennen…‘. Sie ist aber ja, wenn man unterschiedliche Altersgruppen anguckt, nicht immer ganz so typisch. Der junge Säugling hustet häufig gar nicht so typisch, oder?

 

Bei jungen Säuglingen nicht nur Stickhusten, auch Apnoen mit Bradykardien

Ulrich Heininger: Ja, das ist richtig und auch in anderen Altersgruppen gültig. Das, was wir als klassischen Keuchhusten aus dem Lehrbuch kennen oder was die meisten von uns natürlich auch schon gesehen haben, ist nur die Spitze des Eisbergs. Wenn man systematisch vorgeht, ist es tatsächlich so: In den ersten Lebenswochen bis -monaten, wenn man mit Bordetella pertussis infiziert ist und erkrankt, dann kann das zunächst rein katarrhalisch sein und statt der klassischen Hustenanfälle kann es zu Apnoen kommen mit Bradykardien. Es kann aber auch sein, dass der Säugling sich am Husten quält und, ja, diesen „Stickhusten“, wie er auch bezeichnet wird, ausbildet. Also da gibt es alle Varianten und je älter das Kind ist, schon so ab der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres und dann ganz besonders im Kleinkindalter, kommen vor allem bei den Ungeimpften diese klassischen, ja, Hustenanfälle mit dem juchzenden Inspirium am Ende des Hustenanfalls, dieses „Hhhh“ [macht den Laut vor] Einziehende. Dann kommt der nächste Hustenanfall und am Schluss erbricht das Kind dann auch noch im Schwall das, was es vorher gegessen oder getrunken hat.

 

Typischer Hustenanfall bei Kleinkindern, untypisch oft bei Säuglingen oder Erwachsenen mit Re-Infektionen

Axel Enninger: Ja, so wie wir es früher gelernt haben. Diese Hustenattacke und dann mit Reprise, wie wir alle mal im Studium gelernt haben.

Ulrich Heininger: Genau. Während dann der Erwachsene, wenn er an Keuchhusten erkrankt, meistens schon früher mal mit dem Erreger in irgendeiner Art und Weise Kontakt hatte. Diese Re-Infektionen – Keuchhusten hinterlässt ja leider keine dauerhafte Immunität, also durchgemachte Pertussis heißt nicht, dass man den Rest seines Lebens davor geschützt ist – jede weitere Episode ist dann untypischer. Und bei Erwachsenen oftmals gar nicht mehr erkennbar als Pertussis, sondern einfach als ein lästiger, bestehender Husten, für den man keine vordergründige Erklärung hat.

Axel Enninger: Wenn wir jetzt, sage ich mal, das typische Kleinkind nehmen, das an Pertussis leidet, was sagen wir denn der Mutter? Wie lang geht der Spuk oder der Ärger?

Ulrich Heininger: Ich sage immer, ich bin nicht prophetisch veranlagt und deswegen kann ich – kann man – es nicht sagen, weil es extrem variabel ist. Man kann natürlich sagen, dass diejenigen, die trotz Impfung erkranken – und der Großteil der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind ja gegen Pertussis geimpft – im Schnitt kürzer krank sind als diejenigen, die nicht geimpft sind. Aber es kann zwischen wenigen Tagen bis zu zwölf Wochen und länger dauern. Das ist eben das Dumme. Man kann es nicht prognostizieren. Abwarten, Tee trinken.

Axel Enninger: Na ja, und ich glaube, man muss schon auch das, was Sie vorhin schon gesagt haben, im Kopf behalten, dass man sich diese Art Husten tatsächlich auch angewöhnen kann. Und dann kommt der nächste Infekt und dieses Hustenmuster wird quasi wieder abgerufen. Das ist ja so ein bisschen so ähnlich wie bei den Frühchen, die dann auch bei irgendeinem neuen Infekt auf einmal wieder anfangen Apnoen zu machen, die sie schon lange nicht mehr machten.

Ulrich Heininger: Genau. Aber dann gibt es meistens ein freies Intervall. Aber nicht mal das gibt es häufig, sondern über viele, viele Wochen. Das treibt dann die Eltern zum Wahnsinn, vor allem, wenn das Kind nachts hustet und dann erbricht und das Bett wieder abgezogen werden muss. Es kann schon ganz schön lästig sein, muss man sagen.

 

Infektion nachweisen?

Axel Enninger: Gerade bei den Jungen, wo die Symptomatik noch nicht so richtig typisch ist, ist ja der klinische Eindruck immer wichtig. Die Schwester, die dann sagt: ‚Na ja, könnte das nicht auch Pertussis sein? Der hustet so komisch!‘ Oder mitten in der RSV-Saison Kinder, die so ein bisschen anders sind als die anderen. Wie kriegen wir das eine denn von dem anderen auseinander? Was ist denn eine sinnvolle Diagnostik, wenn wir denken: ‚Na ja, der könnte jetzt doch Pertussis haben?‘

Ulrich Heininger: Also, wenn man es wissen möchte, gibt es natürlich Nachweismöglichkeiten. In der Frühphase der Krankheit – die Krankheit beginnt aber katharralisch, muss man also genau erfragen und Frühphase heißt in den ersten Wochen 2 bis 3 Wochen – ist der Erregernachweis aus dem Nasopharynx die Methode der Wahl. Das ist heutzutage in aller Regel eine PCR, dass man da also Nasopharynx-Sekret für PCR abnimmt. Und wenn sie positiv ist, hat man den Beweis und wenn sie negativ ist, schließt es die Krankheit nicht absolut aus, weil natürlich kein Test 100 % sensitiv ist oder weil es vielleicht doch schon ein paar Wochen länger geht, als man dachte. Wenn die Krankheit länger als drei Wochen besteht, kann man zwar die PCR noch versuchen, aber wenn sie negativ zurückkommt und man will es unbedingt wissen, gibt es dann noch die Möglichkeit, serologisch den Erreger oder die Infektion nachzuweisen. Da gibt es aber zwei Caves: Das erste Cave ist, dass es beim Säugling nicht gut funktioniert, weil die Säuglinge ja noch maternale Antikörper im Blut haben. Der hohe Antikörperwert, den man braucht, um zu sagen, kürzlich war eine Infektion da, der kann falsch positiv sein durch mütterliche Antikörper. Und das zweite Cave ist Impfung. Also wenn jemand in den letzten 6 bis 12 Monaten gegen Pertussis geimpft wurde und dann erkrankt und man denkt, es ist trotzdem Pertussis, was es ja leider gibt, weil die Impfung nicht hundertprozentig wirksam ist, dann ist die Serologie auch unzuverlässig, weil eben die Titer hoch sein können durch die Impfung und man trotzdem erkrankt. Dann ist die Aussagekraft des Antikörperwerts nicht mehr gegeben, weil er verfälscht sein kann durch den Impfantikörper. Und wenn ich sage Antikörper, muss man wissen, dass man eben eine Pertussis serologisch mit IgG-Antikörpern gegen das Pertussistoxin nachweist. IgM und IgA, was wir bei anderen Infektionserregern als Akutantikörper kennen, ist sehr sehr unzuverlässig bei Pertussis. Also es sind die IgG-Antikörper, und wenn die einen Wert von mindestens 60, besser noch 100 Elisa-Units / ml erreichen oder überschreiten und jemand nicht geimpft ist, dann ist das ein Marker für eine kürzlich, in den letzten Wochen oder wenigen Monaten, durchgemachte Infektion. Wenn er eben die klinisch kompatiblen Symptome hat, dann ist es ein starker Hinweis, dass es jetzt tatsächlich Pertussis ist, aber der Beweis, der gelingt nur durch den Erregernachweis.

Axel Enninger: Wobei diese ganzen serologischen Geschichten ja sowieso eher von akademischem Interesse sind, denn therapeutisch ist es ja wahrscheinlich sowieso rum, dazu kommen wir gleich noch mal. Aber halten wir doch einmal fest: Nasopharynxabstrich können wir jetzt alle für immer – haben wir geübt für den Rest unseres Lebens. Also in der Frühphase Nasopharynxabstrich mit Erregerdiagnostik über PCR ist die Methode der Wahl, aber nach ein paar Wochen ist der Erreger weg und dann ist der Abstrich nur teuer und hilft uns nicht weiter. Können wir das so festhalten?

Ulrich Heininger: Genau, ja, und was wir auch wissen aus der wirklichen Welt, Herr Enninger, ist, dass nur eine von 10 Pertussiserkrankungen in dem passiven System erfasst wird. Es ist also die Spitze des Eisbergs. Auch das, was dem RKI als Pertussisfälle gemeldet wird – es ist ja eine meldepflichtige Erkrankung – ist maximal 1/10 dessen, was es wirklich gibt. Und woher wissen wir das? Aus prospektiven Studien. Wo man aktiv nach Pertussis bei jedem Husten sucht, findet man eine zehnfach höhere, wahrscheinlich echte Inzidenz, als bei dem passiven System, wo man sagt: Bitte meldet mir eure Pertussisfälle. Das zeigt uns schon, wie gut die Krankheit sich verstecken kann – als Chamäleon.

Axel Enninger: Das heißt, es sieht aus wie ein Feld-, Wald- und Wieseninfekt mit Husten, Schnupfen und fertig.

Ulrich Heininger: In neun von zehn Fällen, ganz genau.

Axel Enninger: In neun von zehn Fällen. Okay, immerhin. Dann fragt man sich ja: Wann lohnt es sich denn zu suchen? Suchen lohnt sich ja in aller Regel nur, wenn ich eine vernünftige therapeutische Konsequenz ziehen kann. Haben wir die? Gibt es die denn?

Ulrich Heininger: Also erst einmal würde ich es immer dann suchen, wenn ich es mit einem Ausbruch zu tun habe, wenn ich also eine ungewöhnliche Häufung von Hustenfällen habe und mir die Klinik bei mindestens einem der Patienten sagt: Mensch, das könnte doch Pertussis sein. Ausbrüche in Kindergärten, in Schulen, aber auch in Familien, da würde ich hellhörig werden. Zweitens, wenn ein junger Säugling in der Familie ist und jemand in der Familie hustet hartnäckig, schon länger oder hat einen epidemiologischen Link, wie wir sagen, zu jemanden, von dem man weiß, da war schon mal Pertussis in der Nähe oder mein Gesundheitsamt hat mir mitgeteilt, regional haben wir aktuell einen Pertussisausbruch, dann würde ich hellhörig werden. Für den jungen Säugling ist es schon sehr, sehr wichtig, dass man frühzeitig Maßnahmen ergreift. Aber an sich und wenn wir dann über die Therapie der Pertussis sprechen wollen, ist das eine ziemlich frustrierende Angelegenheit.

 

Wann junge Säuglinge behandeln und monitorisieren?

Axel Enninger: Okay, das ist ja genau die Frage. Klar, wir müssen immer die Kleinen schützen. Das ist ja auch Teil der Impfstrategie und auch Teil des Hintergrundes, dass wir auch bei Erwachsenen an die Impfung denken müssen. Darauf kommen wir gleich. Also Schutz der Kleinen. Jetzt habe ich solch einen Kleinen, sage ich mal, drei Wochen Alten, der kommt. Er hat ein bisschen Rhinitis, macht Apnoen und hustet ein wenig. Wir weisen den Erreger nach. Das ist eine klare Therapie-Indikation, oder?

Ulrich Heininger: Genau. Die Therapie-Indikation ist, dass man diesem Kind ein Makrolid-Antibiotikum gibt. Das würde man aber auch schon machen, wenn man bei einer Kontaktperson Pertussis diagnostiziert und es ist ein junger Säugling in der Familie, der noch gesund ist. Behandeln würde man in jedem Fall. Sagen wir es mal so: idealerweise mit einem Makrolid-Antibiotikum, wobei Azithromycin und Clarithromycin mittlerweile dem Erythromycin ein bisschen den Rang abgelaufen haben, weil sie ein bisschen besser verträglich sind. Vor allem bei jungen Säuglingen in Hinblick auf Pylorusstenose, was durch Erythromycin provoziert werden kann und weniger, weniger durch Clarithromycin oder Azithromycin. Das würde man also in jedem Fall machen. Was aber noch viel, viel wichtiger ist beim jungen Säugling, wenn er erkrankt ist, dass man ihn monitorisiert. Dass man ihn in eine Klinik einweist, wo man ihn dann mindestens mal drei, vier Tage mit Pulsoximeter beobachtet, um zu dokumentieren, dass er mit der Krankheit gut umgehen kann und eben keine Apnoen entwickelt, die stimulationsbedürftig wären oder im schlimmsten Fall sogar zu einem Atemstillstand führen können und das Kind ja auf die Art und Weise das Leben verlieren könnte.

Axel Enninger: Und das würden Sie bis zu welchem Alter sagen und empfehlen?

Ulrich Heininger: Ja, da gibt es kein Patentrezept, das ist schwierig. Am gefährdetsten sind die Kinder in den ersten sechs Lebensmonaten. Man muss in der modernen Zeit natürlich noch berücksichtigen, wo wir jetzt seit 2020 die Impfempfehlungen in der Schwangerschaft haben –  auf die kommen wir ja vielleicht noch zu sprechen – wenn die Mutter in der Schwangerschaft geimpft wurde und das Kind erkrankt, dann ist das Komplikationsrisiko viel, viel geringer. Dann muss man es individuell mit der Familie besprechen. Wie ängstlich sind die Eltern, wie besorgt sind sie und wie präsentiert sich das Kind? Aber die kurzfristige Hospitalisierung würde ich in jedem Fall erwägen. Je jünger das Kind, umso eher, so würde ich es einmal vorsichtig formulieren. Aber es gibt, wie gesagt, kein Patentrezept und auch keine scharfe Grenze. Ab sechs Monaten kann man sich etwas entspannen.

Axel Enninger: Aber wir sind uns einig, dass wir keine Apnoematten oder irgendwelche sonstigen Devices für zu Hause empfehlen, oder?

Ulrich Heininger: Absolut einverstanden. Das ist fehlerbehaftet und treibt die Familie zum Wahnsinn.

Axel Enninger: Und vielleicht nur noch zu den Makroliden, kleiner Hinweis des Kinder-Gastroenterologen: Clarithromycin geht sicher gut bei Pertussis, macht uns aber ein bisschen Ärger mit Helicobacter-pylori-Resistenzen. Da wären wir nicht traurig, wir Kinder-Gastroenterologen, wenn man bei Pertussis seinen Weg ohne Clarithromycin machen würde. Aber das ist sozusagen nur der kinder-gastroenterologische, kleine Einwand.

Ulrich Heininger: Ist doch gut! Und die Guidelines erlauben ja die Auswahl, also auch das DGPI-Handbuch, Pertussis-Kapitel, erlaubt ja im Prinzip jedes Makrolid.

Axel Enninger: Okay. Dann geistert immer noch so etwas durch die Gegend: Naja, das ist irgendwie Pertussis und es ist doch nicht Pertussis, und dann sagt man: ‚Das ist Parapertussis!‘ Was ist Parapertussis?

 

Pertussistoxin führt zu Hyperleukozytose und Parapertussis ist die bessere Nachricht

Ulrich Heininger: Ja, den Erreger gibt es tatsächlich: Bordetella parapertussis. Ich nenne es manchmal die kleine Schwester oder den kleinen Bruder von Pertussis. Klein deswegen, weil es weniger dramatisch ist. Mikrobiologisch ist der große Unterschied zwischen den beiden Erregern, dass Bordetella pertussis das Pertussistoxin exprimiert.  Bordetella parapertussis exprimiert kein Pertussistoxin. Das ist der große Unterschied. Die andere Antigen-Ausstattung ist nahezu identisch. Und jetzt ist die interessante klinische Beobachtung, dass Kinder oder auch Erwachsene, die an Parapertussis erkranken, auch das gleiche Krankheitsbild haben können mit anfallsartigem Husten, mit Erbrechen. Also alles Symptome, die man nicht dem Pertussistoxin zuschreiben kann, weil es eben auch ohne Pertussistoxin dazu kommt. Der wesentliche Unterschied aber sind die lebensbedrohlichen Verläufe bei jungen Säuglingen. Die gibt es bei Parapertussis nicht. Und dann stellt sich natürlich die nächste Frage: Warum erkrankt man an Parapertussis nicht so schwer als junger Säugling wie an Bordetella pertussis? Warum es keine Apnoen gibt, wissen wir nicht, aber was ein anderer interessanter Aspekt ist, und das ist eigentlich die Hauptursache, warum junge Säuglinge an Pertussis sterben können, das ist die Hyperleukozytose im Blutbild. Man spricht auch von leukämoiden Blutbild, mit Leukozytenwerten von 50.000, 80.000 bis über 100.000 / µl und der überwiegende Anteil sind Lymphozyten. Es ist pathogenetisch geklärt, wie es dazu kommt: Weil Pertussistoxin, wenn es von Bordetella pertussis exprimiert wird und in den Systemkreislauf gerät, führt Pertussistoxin dazu, dass die Lymphozyten in den Kapillaren und im Blutsystem sich nicht mehr ans Endothel adhärieren können und dann sozusagen ins Blut gespült werden. Das macht diese hohen Zahlen im peripheren Blutbild. Sie zirkulieren und im Lungenkapillargebiet kommt es dann zu Leukozyten, die thrombosieren, also Clustern von Leukozyten, die dann die Durchblutung der Lunge beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall kommt es zum akuten Lungenversagen. Das ist der Grund, weshalb manche Kinder, junge Säuglinge mit Pertussis mit diesen hohen Leukozytenwerten dann ECMO brauchen, extrakorporale Membranoxigenierung, weil die Lungen versagen. Um das zu verhindern, wird empfohlen, dass man bei Leukozytenwerten von 50.000 und höher Austauschtransfusionen macht, um genau das zu verhindern. Das ist dann echte pädiatrische Intensivmedizin.

Axel Enninger: Wenn ich einen Nasopharynxabstrich mache und nach dem typischen Pertussiserreger suche, kriege ich dann immer auch die Antwort für Parapertussis oder sind das spezielle Testkits?

Ulrich Heininger: Ich sage es mal so: Ein gutes Labor macht es unaufgefordert, dass sie Primer einsetzen, die in der Lage sind, Bordetella pertussis von parapertussis zu unterscheiden. Das sieht man dann am Ergebnis, ob einem das Labor mitteilt, Bordetella pertussis oder parapertussis, dann haben sie einen nicht-diskriminierenden Test verwendet. Das kann man mit einem Telefonanruf beim Labor klären. Aber soweit ich weiß, sind eigentlich die meisten Laboratorien in den letzten Jahren dazu übergegangen, es tatsächlich zu differenzieren, weil eben die klinische Konsequenz so enorm unterschiedlich ist, ob es sich um den einen oder den anderen Erreger handelt.

Axel Enninger: Okay, aber im Zweifelsfall kein Fehler, mal im Labor nachzufragen, ob das wirklich so ist. Dann ist im Gespräch mit den Eltern der Nachweis von B. parapertussis eine bessere Nachricht als die andere, oder? Kann man das so sagen?

Ulrich Heininger: Ja, ja. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich Parapertussis wählen.

Axel Enninger: Gibt es noch andere Erreger, die eine solche Symptomatik nachahmen?

Ulrich Heininger: Ja, die gibt es durchaus, wobei ich mal behaupte, wenn man viele Pertussisfälle gesehen hat, auch die Atypischen mal nachgewiesen hat, dann ist man doch in der Lage, sie ein bisschen zu unterscheiden. Was immer wieder berichtet wird: RSV kann vereinzelt ähnliche Hustenverläufe machen, Mycoplasma pneumoniae, Adenoviren werden immer wieder genannt. Aber, ja, ich sage jetzt mal, im Klinikumfeld mit den modernen verfügbaren Multiplex-PCRs, wo wir die Erreger gut unterscheiden können, sehen wir zwar ab und zu auch andere Koinfektionen im Rahmen einer Pertussis, wo man dann auch noch das Rhinovirus findet oder das RSV. Ich habe auch schon Fälle gehabt von gleichzeitiger Pertussis und Parapertussis – oder Fälle, die mit Pertussis und Mycoplasma pneumoniae infiziert waren. Dann wird es im Einzelfall nicht immer einfach, das Krankheitsbild dem ein oder anderen Erreger zuzuordnen.

 

Therapie als Infektionsschutz und für milderen Verlauf

Axel Enninger: Okay. Wir hatten vorhin schon einmal kurz über Therapie gesprochen. Da gibt es noch ein paar Dinge, die ich gerne wissen möchte. Ein Thema ist ja tatsächlich Erwachsene, die husten, unspezifisch husten. Sie haben gesagt, je älter man wird, umso eher ist es einfach chronischer Husten, er muss nicht typisch pertussiform klingen, muss nicht typisch aussehen. Ich habe da jetzt einen Erregernachweis gemacht. Meistens ist der Patient dann ja schon eine ganze Weile symptomatisch, zumindest länger als zwei Wochen symptomatisch. Es ist jetzt ein erwachsener Mensch und da ist kein Säugling im Haushalt oder auch kein Kontakt, kein Kind, kein Enkelkind. Trotzdem antibiotisch behandeln, um das Streuen, Verteilen des Erregers zu vermeiden oder abwarten?

Ulrich Heininger: Also ich würde, wenn die Erkrankung nicht schon vier Wochen und länger besteht, würde ich es antibiotisch behandeln. Wenn sie bereits vier Wochen und länger besteht, dann muss man es eh differenzialdiagnostisch abklären. Das kann man nicht einfach so stehen lassen. Jemand hustet nicht einfach vier Wochen lang, da muss man auch an andere Differentialdiagnosen denken und dann sollte man aktiv nach Pertussis suchen, mit der Serologie, wie ich gesagt habe, und dann kann man aber auch gleichzeitig Entwarnung geben und sagen: ‚Jetzt haben wir eine Diagnose und es kann noch ein paar Wochen dauern, aber sie werden wieder gesund.‘ Aber die Ansteckungsfähigkeit nach vier Wochen geht gegen null. Da braucht man nicht zu behandeln, während in den ersten Krankheitswochen, tatsächlich, wenn die Diagnose gestellt wurde, die antibiotische Behandlung angezeigt ist, weil sie die Ansteckungsfähigkeit innerhalb von wenigen Tagen praktisch eliminiert. Deswegen wird vom Investitionsschutzgesetz ein Unterschied gemacht, wann man wieder Gemeinschaftseinrichtungen besuchen darf. Das ist bei antibiotischer Behandlung nach fünf Tagen der Fall. Wenn die antibiotische Behandlung abgelehnt wird, dann ist es 21 Tage nicht erlaubt, in Gemeinschaftseinrichtungen zu gehen. Es macht also schon einen Unterschied.

Axel Enninger: Und wenn man die Diagnose früh stellt und früh antibiotisch behandelt, geistert immer noch so in den Köpfen, könnte dadurch der Verlauf milder werden. Ist das so?

Ulrich Heininger: Das ist so, aber man muss so früh behandeln, dass es praktisch dem Indexpatienten nie nutzt. Man muss eigentlich schon in der katarrhalischen Phase beginnen. Pertussis durchläuft ja klassischerweise die katarrhalische Phase, dann kommt die paroxysmale Phase und dann am Schluss die Erholungsphase. Wenn ich jetzt einen Ausbruch habe in der Familie oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, dann kann ich natürlich sagen, wenn jetzt ein Fall vorhanden ist, bereits nachgewiesenermaßen Pertussis, und jemand bekommt jetzt plötzlich Schnupfen und beginnt vielleicht untypisch zu husten, wenn man da dann sofort mit dem Antibiotikum beginnt – ich sag jetzt mal akademisch gesehen, idealerweise wieder mit vorheriger Sicherung der Diagnose, aber muss man nicht unbedingt – dann kann man tatsächlich mit dem Makrolid-Antibiotikum die Schwere der Krankheit beeinflussen und vor allem auch die Dauer abkürzen.

Axel Enninger: Und umgekehrt, glaube ich, muss man dann bei denjenigen, wo die Symptomatik schon typisch ist und die man dann antibiotisch behandelt, tatsächlich auch in der Kommunikation mit den Eltern sagen: ‚Ja, die Infektiosität geht runter, aber der Verlauf wird dadurch nicht wesentlich beeinflusst‘, damit die Erwartungen an das Antibiotikum nicht so hoch sind.

Ulrich Heininger: Genau, das muss man ehrlicherweise dazu sagen. Aber allein schon die Auskunft, dass das Kind dann nicht mehr ansteckend ist, überzeugt die meisten Eltern, dass sie es dem Kind geben. Es ist ja eine kurze Behandlung, 5 bis 7 Tage, je nach Antibiotikum.

Axel Enninger: Okay. Dann kommen wir jetzt zur Prävention. Sie sind zu dem Thema gekommen durch die Impfstudie. Insofern ist das jetzt nicht nur Ihr Leib- und Magen-Erreger, sondern auch noch ihr Leib- und Magen-Thema, das Thema Pertussis-Impfung. Wen impfen wir wann?

 

Wer sollte wann geimpft werden?

Ulrich Heininger: Ja, da schauen wir mal in die STIKO-Empfehlungen und da finden wir seit 2020 das sogenannte 2+1-Schema. Also wir impfen Säuglinge mit zwei, vier und elf Monaten im Rahmen der anderen Standard-Impfungen, Stichwort Sechsfach-Impfung Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Hib, Polio und Hepatitis B. Wenn es ein Frühgeborenes ist, dann sogar 3+1 mit zwei, drei, vier und elf Monaten. So. Wenn wir das gemacht haben, dann versetzen wir die geimpften Kinder in eine Schutzsituation – ich nenne mal die Zahl 85 %, darüber können wir vielleicht gleich diskutieren – dann geht es aber weiter. Der Schutz ist nicht lebenslang, sondern man muss regelmäßig auffrischen. Die erste Auffrischimpfung ist dann im Vorschulalter empfohlen. Die nächste Auffrischimpfung dann bei den Jugendlichen und dann wieder bei den Erwachsenen. Da ist es im Moment für die Allgemeinbevölkerung eine einmalige Impfempfehlung. Es macht mich persönlich nicht zufrieden, weil ich der Meinung bin, man müsste regelmäßig auffrischen, aber das sind mal die Fakten. Das ist der Standard-Impfplan. Darüber hinaus gibt es noch diverse Indikations-Impfempfehlungen: in der Schwangerschaft, bei Risikopersonen wie wir zum Beispiel als Ärzteschaft, dass man alle zehn Jahre auch im Erwachsenenalter gemeinsam mit Diphtherie und Tetanus den Pertussis-Impfschutz auffrischen sollte.

Axel Enninger: Genau, das können wir festhalten. Die allermeisten Zuhörerinnen und Zuhörer werden ja ärztliche Kolleginnen und Kollegen sein. Also für uns gilt: Auffrischung alle zehn Jahre. Ein guter Betriebsarzt wird das machen, diejenigen, die selbstständig sind, müssen selbst darauf achten. Also Erwachsene alle zehn Jahre Auffrischung gemeinsam mit Diphtherie und Tetanus, einfach als Memo: Leute dran denken. Auch wir Kinder- und Jugendärzte sind nicht davor gefeit, dass wir nicht irgendwann mal im höheren Alter Pertussis kriegen. Okay. Schwangere, haben Sie vorhin schon gesagt, ist ein wichtiges Thema, Schwangere gegen Pertussis zu impfen. Da gab es Dinge, die sich verändert haben.

Schutz für zwei: Impfung in der Schwangerschaft

Ulrich Heininger: Ja, also wie gesagt, seit 2020 ist es auch in Deutschland empfohlen, in jeder Schwangerschaft der schwangeren Frau eine Pertussis-Impfung zu verabreichen. Andere Länder waren da schneller. In der Schweiz haben wir das zum Beispiel schon 2013 eingeführt. USA und Frankreich, glaube ich vor zehn, zwölf Jahren. In Deutschland hat es ein bisschen länger gedauert, weil gewisse Bedenken bestanden, ob die Impfung in der Schwangerschaft wirklich so sicher ist, wie man vermuten konnte, da es ja ein Totimpfstoff ist. Da gab es die Diskussion um mögliche Auslösung von Chorioamnionitis. Aber, ich sage mal, die millionenfache Anwendung in unseren Nachbarländern und in vielen anderen Ländern und die guten Erfahrungen dort haben dann – endlich, sage ich jetzt persönlich –2020 dazu geführt, dass wir es auch eingeführt haben. Was ist die Idee dahinter? Schutz für zwei. Für die Mutter selbst, aber insbesondere natürlich für den Säugling. Ich hatte vorhin schon gesagt, die Erkrankung ist am bedrohlichsten bei jungen Säuglingen. Übrigens: Sterblichkeit 1 %, das darf man nicht vergessen. Einer von 100 jungen Säuglingen, der an Pertussis erkrankt wird auch im Jahr 2022 einen tödlichen Verlauf haben. Es lohnt sich das zu verhindern. Und der eigene Schutz durch Impfung mit zwei Monaten kommt eben erst ab zwei Monaten. Nach der ersten Dosis hat man zwar schon eine Schutzwahrscheinlichkeit von 50 % gegen schwere Verläufe, aber eben in den ersten 8 bis 10 Lebenswochen hat man keinen guten Schutz, wenn die Mutter nicht geimpft ist. Was passiert, wenn ich eine Frau in der Schwangerschaft impfe? Optimalerweise am Ende des zweiten, Übergang zum dritten Trimenon, wird diese Frau, egal wie oft sie früher in ihrem Leben schon einmal gegen Pertussis geimpft worden ist, einen Booster-Effekt haben. Das heißt, ihre Pertussis-Antikörper, insbesondere wieder Pertussistoxin-Antikörper, PT-Antikörper, IgG, die schießen in die Höhe, wie alle Antikörper, wenn man sie boostert, erreichen dann ein relativ hohes Niveau und diese Antikörper werden aktiv über die Plazenta auf das Kind übertragen. Es ist ein Sekretionsprozess und völlig unselektiv. Alle IgG-Antikörper der Mutter gehen aufs Kind über. Das Kind hat bei Geburt das komplette Repertoire mütterlicher Antikörper, etwa um den Faktor 1,2 angereichert. Wenn ich das also mache, bekommt das Kind eine sehr gute Ausstattung, quantitativ, an Leihimmunität. Man spricht ja auch von Nestschutz. Es ist wie eine passive Immunisierung durch diese mütterlichen IgG-Antikörper und die schützen nachweislich mit über 90%iger Wahrscheinlichkeit das Kind in den ersten Lebensmonaten vor Pertussis, auch wenn es nicht geimpft werden würde. Natürlich impfen wir es dann trotzdem mit zwei Monaten. Dieser mütterliche Leihschutz hält sogar noch über den eigenen Schutz der eigenen Impfungen des Kindes an, also eine ganz fantastische Möglichkeit, schwere Pertussis bei Kindern zu verhindern.

 

Nestschutz in jeder Schwangerschaft wieder aufbauen

Axel Enninger: Aber die Empfehlung heißt ja tatsächlich in jeder Schwangerschaft, also auch bei der zweiten, dritten, vierten, fünften und sechsten Schwangerschaft.

Ulrich Heininger: Genau und jetzt stelle ich die Frage: warum? Warum schon wieder? Es gibt ja Frauen, die sagen: ‚Ich war ja vor einem Jahr schwanger, jetzt bin ich es wieder, freue mich sehr, kriege wieder ein Kind. Aber ich bin doch erst vor einem Jahr geimpft worden. Also ich bin doch sicher noch geschützt?‘ Ja, die Frau selbst wird von dieser nächsten Impfung wahrscheinlich nicht profitieren. Wahrscheinlich nicht. Es gibt aber auch einige, die profitieren, weil auch Erwachsene nach einer Pertussis-Impfung nicht zu 100 % geschützt sind, sondern nur zu etwa 90 %. Im Übrigen lässt der Schutz nicht über Nacht nach, sondern allmählich. Mit anderen Worten, die Frau selbst könnte profitieren, aber das ist nicht die Idee. Die Idee ist, dass die natürliche Antikörper-Abbaukinetik so aussieht, dass auf diesen Booster-Effekt, den ich gerade genannt habe, wieder ein relativ rasches Abfallen der Antikörper im Blut der Frau zu verzeichnen ist. Innerhalb von ein, zwei Monaten fallen diese geboosterten Antikörper wieder relativ weit ab, bleiben zwar auf einem Niveau etwas höher als vor der Booster-Impfung, aber nicht mehr hoch genug, um dann Monate bis ein zwei Jahre später bei der nächsten Schwangerschaft noch ausreichend hoch für das nächste Kind zu sein. Die mütterliche Immunität bleibt bestehen, weil sie ja eine Kombination aus humoraler und zellulärer Immunität ist. Aber das Kind in der Schwangerschaft ist auf die humorale Leihimmunität der Antikörper angewiesen. Wenn ich also jetzt die Frau, dann ein Jahr später in der nächsten Schwangerschaft wieder boostere – da gibt es auch Studien, die belegen, dass es so ist – wird sie wieder einen Booster-Effekt haben, das heißt ihre Antikörper schießen wieder in die Höhe und das nächste Kind profitiert wieder im gleichen Maße von der Auffrischimpfung seiner Mutter wie das Kind in der vorherigen Schwangerschaft.

 

Ein monovalenter Impfstoff wäre hilfreich

Axel Enninger: Okay, jetzt kenne ich mich da nicht aus, weil ich nicht selber impfe. Gibt es denn einen isolierten Pertussis-Impfstoff?

Ulrich Heininger: Sie stellen eine fantastische Frage, Herr Enninger. Ich wünschte, ich könnte sagen ja, denn jetzt beginnt die Frage der Akzeptanz. Einfach, um es noch einmal klar zu sagen: Es gibt in Deutschland wie in ganz Europa und wie fast auf der ganzen Welt nur Pertussis-Impfstoffe in Kombination mit Diphtherie und Tetanus. Dreifach-Impfung, das ist das Minimum. Dann gibt es noch die Vierfach-, Fünffach- und Sechsfach-Impfstoffe, sechsfach hatte ich schon erwähnt. Ausnahme ist Thailand und auf den Philippinen. Dort gibt es einen monovalenten Stand-Alone-Pertussis-Impfstoff von einem kleinen Hersteller, aber eben nicht bei uns. Das bedeutet, man ist gezwungen, jede Pertussis-Impfung immer gemeinsam mit Diphtherie und Tetanus zu machen. Das sieht die Schwangere dann wahrscheinlich nicht so leicht ein. ‚Warum soll ich mich denn auch schon wieder gegen Diphtherie und Tetanus auffrischen lassen?‘ Und auch viele Ärztinnen und Ärzte sagen: ‚Hm, was soll denn das? Wir empfehlen ja eigentlich die Diphtherie- und Tetanus-Impfung nur alle zehn Jahre!‘ Dann kommt auch gleich die Frage der Verträglichkeit. Also Punkt 1 Verträglichkeit: Es gibt auch da sehr gute Studien, die wir auch in unserer STIKO-Empfehlung zitieren, die gezeigt haben, dass die Verträglichkeit von zwei in kurzer Zeit aufeinander folgenden Diphtherie-, Tetanus- und Pertussis-Impfungen nicht schlechter ist als die erste Impfung. Also mit anderen Worten, ob ich jemanden nach vier Wochen, vier Jahren, zehn Jahren oder 20 Jahren nochmals TdaP, sprich gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis impfe, macht auf die Verträglichkeit keinen Unterschied. Etwa 5 bis 10 % der Geimpften haben Lokalredaktionen und das ist ja eigentlich auch das Häufigste: Rötung, Schmerzen oder Schwellung an der Impfstelle. Wie das bei einer dritten oder vierten Impfung innerhalb kurzer Zeit ist, weiß man noch nicht, aber für zwei aufeinanderfolgende Schwangerschaften ist es von der Verträglichkeit her kein Problem. Und wir alle wissen ja, dass die meisten Frauen in Deutschland, wenn sie schwanger werden, nur ein- oder zweimal Kinder gebären und nicht drei- oder viermal. Da werden wir sicher auch noch Daten bekommen. Also keine Angst vor der zweiten Impfung. Und trotzdem – ich habe darüber auch publiziert, meine Meinung publik gemacht – ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn wir diese ungleichen Geschwister, wie ich sie nenne, Diphtherie, Tetanus und Pertussis trennen könnten und Einzelimpfstoffe, vor allem für Pertussis, hätten. Das muss man einfach ganz klar sagen: Auch für Sie und für mich, Herr Enninger, ist das Auffrischintervall für die Pertussis-Impfung idealerweise viel kürzer als für Diphtherie und Tetanus.

Axel Enninger: Okay. Das heißt, das, was ich bis jetzt mache, alle zehn Jahre, ist für Diphtherie und Tetanus okay und für Pertussis zu kurz?

 

Kontinuierliche Abnahme des Impfschutzes

Ulrich Heininger: Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, es ist für Diphtherie und Tetanus vielleicht zu viel des Guten. Es gibt Länder, wie wir in der Schweiz, die nur noch alle 20 Jahre auffrischen. Es gibt Länder wie England, die überhaupt nicht routinemäßig Erwachsene gegen Diphtherie und Tetanus auffrischen. Die Epidemiologie zeigt übrigens auch bei uns, dass auch bei Ungeimpften praktisch keinen Tetanus mehr gibt im Erwachsenenalter. Wohingegen für Pertussis alle zehn Jahre, je nachdem, was man als Impfziel hat, tatsächlich zu kurz ist. Und ich will das kurz erläutern. Es gibt Impfungen, wo man weiß, dass man komplett geimpft über x Jahre – fünf, zehn, fünfzehn Jahre – gut geschützt ist und dann nach einer gewissen Zeit der Anteil der Geschützten relativ deutlich nachlässt. Also ich habe eine lange Zeit ein hohes Niveau der Schutzrate und dann plötzlich lässt sie nach. Dann ist der Zeitpunkt für die Auffrischung gekommen. Bei Pertussis ist es dummerweise so, dass die Schutzwahrscheinlichkeit kontinuierlich abnimmt. Und da komme ich noch einmal auf diese 85 % zurück, die ich bei den Kindern genannt habe. Ich habe gesagt, wenn ein Säugling dreimal geimpft ist, dann ist er zu 85 % geschützt. Was heißt das? Das heißt, von dreimal geimpften Säuglingen, die dann mit Pertussis exponiert werden, werden 6/7, nämlich 85 %, nicht erkranken oder zumindest nicht schwer an Pertussis erkranken, aber einer von sieben erkrankt, weil er eben nicht geschützt ist. Und diese Schutzwahrscheinlichkeit nach den Auffrischimpfungen, die auch in der Größenordnung bei etwa 90 % liegt, die bleibt nicht für fünf Jahre oder zehn Jahre irgendwo bei 80 oder 90 %, sondern sie nimmt von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr kontinuierlich ab. Das heißt schon nach fünf Jahren, nach der vierten oder fünften Dosis, ist der Anteil der Geschützten nur noch 50 % und nach acht oder neun Jahren ist er unter 20 %. Jetzt frage ich Sie: Wann wollen wir denn jetzt auffrischen? Wann sind wir nicht mehr zufrieden? Wenn die Schutzwahrscheinlichkeit unter 80 % fällt? Dann müsste man alle zwei Jahre auffrischen. Wenn sie unter 50 % fällt? Dann müsste man nach fünf Jahren auffrischen. Sehen Sie, was ich meine? Das macht es problematisch. Also ich gehe sogar so weit, dass ich behaupte, solange wir keine besseren Pertussis-Impfstoffe haben, wäre es ideal, wenn wir Risikopersonen, ich sage jetzt mal alle ein, zwei Jahre auffrischen könnten. Aber das ist natürlich in Kombination mit Diphtherie und Tetanus unvorstellbar, weil das dann natürlich die Verträglichkeit massiv beeinträchtigen würde.

Axel Enninger: Da mag man sich die Arme nicht vorstellen, nach der siebten Diphtherie-Tetanus-Impfung. Herr Heininger, vielen, vielen Dank. Es gibt eine Tradition in diesem Podcast und diese Tradition heißt, Sie dürfen zwei oder drei Dos oder Don’ts loswerden, also Dinge, die Sie positiv loswerden möchten, als dringende Empfehlung und Dinge, die Sie loswerden wollen, als ‚Bitte lasst es sein, bitte macht es nicht!‘ Egal wie Sie anfangen, es ist Ihre Wahl.

 

Keine Titerbestimmungen, TD-Auffrischung immer mit Pertussis, an Differentialdiagnose Pertussis denken und jeder Schwangeren die Impfung empfehlen

Ulrich Heininger: Ja. Dann fange ich mal mit den Don’ts an und ende positiv mit den Dos. Also, worüber wir nicht gesprochen, aber ich will es hier klar sagen: Bitte keine Titerbestimmungen veranlassen, um Pertussis-Impfschutz zu überprüfen. Es gibt kein serologisches Schutzkorrelat. Punkt. Also man kann nicht im Blut untersuchen, ob man vor Pertussis geschützt ist oder nicht. Man kann Krankheiten nachweisen, darüber haben wir gesprochen, aber es gibt kein Schutzkorrelat. Also bitte keine Titerbestimmung mit der Frage: ‚Hm, bin ich noch geschützt?‘ oder ‚Ist mein Patient noch geschützt oder muss ich ihn auffrischen?‘ Sondern sich an die Empfehlungen halten. Zweitens, das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung, ich finde immer, wenn ich daran denke, Td aufzufrischen, Diphtherie und Tetanus, würde ich persönlich der Person, die vor mir steht, immer nahelegen: ‚Nimm lieber Pertussis mit, mach lieber Tdap!‘ Auch wenn es die STIKO nicht empfiehlt, in jeder Situation würde ich es trotzdem machen. Das darf man auch, weil selbst die STIKO sagt, man darf über die bestehenden Empfehlungen hinausgehen, wenn man es für sinnvoll hält. Und ich persönlich denke immer, eine Td-Impfung ohne Pertussiskombination ist eine vertane Chance, den Pertussis-Impfschutz aufzufrischen. So, das sind meine Don’ts. Was ich wirklich empfehle ist, denken Sie bei jedem Husten, der länger als zwei Wochen besteht und nicht besser wird, in der Differentialdiagnose an Pertussis. Bei Erwachsenen ist es in einer von fünf Situationen eine Pertussis. Also 20 % aller Erwachsenen, die zwei Wochen und länger husten, wo es nicht besser wird, haben Pertussis. Da muss man nicht als Erstes eine Bronchoskopie machen, um ein Bronchialkarzinom auszuschließen, sondern dann lohnt es sich, erst einmal Pertussis zu suchen – nach den Kriterien, die ich genannt habe. Und das zweite Do ist: Die Akzeptanz der Pertussis-Impfung in der Schwangerschaft steigt, so wie sie auch generell für die Pertussis-Impfung bei den Erwachsenen steigt, aber sie ist noch nicht hoch genug. Deswegen meine Bitte: Nutzen Sie die Gelegenheit und sprechen Sie mit jeder Schwangeren, egal ob Sie Pädiater sind oder Hausärztin oder Hausarzt oder Gynäkologe. Nutzen Sie die Gelegenheit und empfehlen Sie die Pertussis-Impfung. Trauen Sie sich zu sagen, dass ein Kind, das in den ersten Lebenswochen an Pertussis erkrankt, mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent versterben wird und dass man dieses Risiko um über 90 % reduzieren kann, wenn die Mama den Arm hinhält und sagt: ‚Jawoll, bitte gib mir die Pertussis-Impfung!‘

Axel Enninger: Sehr schön, Herr Heininger. Vielen, vielen Dank. Es ist immer wieder eine große Freude, aus Ihrem Wissensfundus schöpfen zu dürfen. Und bei Pertussis merkt man einfach, dass Sie nicht nur intellektuell, sondern auch emotional mit dem Thema heiß verbunden sind. Und ich glaube, es gab ein paar sehr, sehr gute und wichtige Hinweise für unsere Hörerinnen und Hörer. Damit herzlichen Dank! Vielen Dank, liebe Hörerinnen und Hörer, fürs Zuhören. Wenn es Ihnen gefallen hat, bewerten Sie uns positiv. Wenn es Ihnen nicht gefallen hat, lassen Sie es einfach sein. Und wenn Sie noch kein Abonnent sind, freuen wir uns, wenn Sie Abonnent des Podcasts werden. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal.

Ulrich Heininger: Vielen Dank auch von meiner Seite, Herr Enninger. Es war mir eine große Freude.

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

Ihr Team von InfectoPharm