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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #14 - 29.07.2022

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Kuhmilch und Hühnerei – zwei häufige Allergie-Auslöser im Kindesalter

 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit FRAU PROFESSOR DR. KIRSTEN BEYER

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Gast heute ist Frau Professor Kirsten Beyer. Sie ist eine der renommierten Allergologinnen, Nahrungsmittelexpertinnen in Deutschland und arbeitet an der Charité in Berlin. Und Frau Professor Beyer und ich kennen uns schon eine ganze Weile, deswegen sind wir per Vornamen. Herzlich willkommen, Kirsten!

Kirsten Beyer: Ja, es freut mich sehr, dass ich hier dabei sein kann.

Axel Enninger: Ja, sehr schön! Vielleicht vorneweg: Frau Professor Beyer und ich haben letztens einen gemeinsamen Vortrag gehalten über das Thema Kuhmilchallergie. Und deswegen werde ich mich heute vielleicht ein bisschen mehr einmischen, als ich mich sonst einmische. Ich hoffe, Sie verzeihen mir das und sehen das nicht als Klugschnacken des Hosts.

Kirsten Beyer: Nein, ich freue mich total darüber, weil ich von den ganzen gastroenterologischen Sachen nicht so viel Ahnung habe.

Axel Enninger: Okay, wunderbar. Kirsten, wir haben gesagt, dass wir über Kuhmilchallergie sprechen. Wir haben uns aber auch im Vorfeld überlegt, dass wir über Ei sprechen müssen. Warum müssen wir über Hühnerei reden?

 

Kuhmilch und Hühnerei – die häufigsten Nahrungsmittelallergene im Kindesalter

Kirsten Beyer: Ja. Kuhmilch und Hühnerei sind beides die häufigsten Nahrungsmittel, die im Kindesalter allergologische Reaktionen hervorrufen. Und deswegen, denke ich, sollten wir über beides reden. Und Hühnerei kommt ehrlicherweise noch häufiger vor als die Kuhmilchallergie.

Axel Enninger: Wobei wir alle im Kopf haben, dass Kuhmilchallergie viel häufiger ist. Wie kommt denn das?

Kirsten Beyer: Wenn wir an Hühnerei denken, gibt es das in verschiedensten Formen. Wir können es einmal als quasi rohes Ei essen. Rührei, weich gekochtes Ei – das ist etwas, das die Kinder gar nicht so häufig zu sich nehmen. Und die meisten vertragen gebackenes Ei, auch wenn sie auf das rohe Ei allergisch wären. Und deswegen fällt uns das manchmal gar nicht so auf. Und die Kuhmilch wird in der Regel auch noch früher eingeführt als das Hühnerei. Deswegen sehen wir das viel häufiger.

Axel Enninger: Okay, dann lass uns mal mit dem Ei starten, Tschuldigung falsch. Lass uns mit der Milch starten, weil wir die Milch eben früher einführen. Da gibt es ja tatsächlich sehr unterschiedliche klinische Bilder. Die einen, die bei dir als Kinder-Allergologin landen und die anderen, die bei mir als Kinder-Gastroenterologen landen. Wer landet bei dir und mit welcher Symptomatik?

Kirsten Beyer: Die meisten Kinder, die bei mir landen, sind Kinder, die zum Beispiel ihren ersten Milchbrei bekommen und dann plötzlich anfangen furchtbar zu schreien, weil es möglicherweise im Mund brennt, die Quaddeln bekommen am ganzen Körper, die Atemnot bekommen können, die auch erbrechen können, also Soforttyp-Reaktionen haben. Meistens innerhalb von wenigen Minuten bis zu zwei Stunden, nachdem sie ihren Brei zum Beispiel gegessen haben. Oder Mutter möchte das erste Mal weggehen und der Vater gibt dann eine erste Formulanahrung und plötzlich kann es zu einer Reaktion kommen. Richtig klassische Soforttyp-Reaktion.

Axel Enninger: Okay. Und der Zeitraum ist wie ungefähr?

Kirsten Beyer: Viele reagieren mehr oder weniger sofort, weil es sofort im Mund anfängt zu brennen. Ältere Kinder beschreiben immer, es brennt, es juckt und so weiter. Das kennen wir auch von den ganzen oralen Allergiesymptomen bei Erwachsenen. Es kann aber auch erst bis zu zwei Stunden später auftreten. Diese Reaktionen sind auch gar nicht ganz so selten.

Axel Enninger: Okay, und wenn jetzt diese Symptome so klassisch sind, klassisch assoziiert, braucht ihr trotzdem Diagnostik?

Kirsten Beyer: Wir brauchen trotzdem Diagnostik. Wir wollen zumindest einmal zeigen, dass das Kind wirklich sensibilisiert ist. Das heißt, wir würden entweder Blut abnehmen und Kuhmilch-spezifisches IgE bestimmen oder einen Hautpricktest durchführen mit Kuhmilch, um zu gucken, ob die Sensibilisierung vorliegt. Die Kombination klare Symptomatik plus Nachweis von IgE oder positivem Hautpricktest macht die Diagnose relativ wahrscheinlich und sicher.

 

Kuhmilch-spezifisches IgE kann unauffällig sein

Axel Enninger: Da haben wir Kinder-Gastroenterologen es ein bisschen schwieriger. Bei uns gibt es ja alle möglichen Symptome. Da ist eben tatsächlich das Schreien, die vermeintlich harmlose Dreimonats-Kolik, das Erbrechen, die schwierige Stuhlentleerung in Kombination mit Hautsymptomen, mit einer ganzen Reihe von eher unspezifischen Symptomen. Auch etwas, wo man hellhörig werden sollte. Aber der unmittelbare Zusammenhang ist bei uns ja oft gar nicht gegeben, sondern es ist eher ein bisschen Odyssee. Dann heißt es erst: ‚Na ja, das ist normal‘ und ‚Na ja, es werden schon Dreimonats-Koliken sein.‘ Insofern ist es bei uns schwieriger und dann kommt bei uns ja dummerweise hinzu: Wenn einer denkt, es könnte eine Kuhmilchallergie sein, dann macht er spezifisches IgE – und das ist normal!

Kirsten Beyer: Und die sehen wir immer wieder auch bei uns. Wir sehen wirklich gerade Kinder mit einer Proctocolitis. Sie kommen mit Blutauflagerungen auf dem Stuhl, dann wird nichts gefunden. Dann wird gesagt, es ist doch keine Allergie, dann werden sie zu uns geschickt und wir müssen dann erst mal klar machen: Das ist nicht IgE-vermittelt. Das kann eine Kuhmilchallergie sein, aber nicht IgE-vermittelt.

Axel Enninger: Genau. Lass uns das mal gut festhalten. Eine Kuhmilchallergie gibt es IgE- und nicht-IgE-vermittelt. In aller Regel ist es so, dass die IgE-Vermittelten eher bei den Allergologen landen, typische anaphylaktische Reaktionen zeigen, und die nicht-IgE-Vermittelten beim niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt landen oder bei uns Kinder-Gastroenterologen, weil sie diese unspezifischen Symptome haben. Oder sie haben eben das vermeintlich dramatische Symptom von blutigen Stühlen, die eosinophile Proctocolitis, die ein bisschen der Klassiker ist und die jeder Kinder- und Jugendarzt kennt. Klinisch ganz klar: blutige Stühle, die für viel Verunsicherung sorgen, aber man hat eigentlich ein klinisch völlig gesund wirkendes Kind, das normal gedeiht und das sonst eigentlich keine Probleme hat. Das ist eigentlich eine klassische Blick-Diagnose.

 

FPIES – selten aber, wichtig zu erwähnen

Kirsten Beyer: Genau. Und das ist auch, was die Eltern immer berichten. Das sind glückliche Kinder, die sich normal entwickeln, und das einzige, das sie stört, ist das Blut. Eine andere Sache aber, die wir vielleicht auch noch reinbringen sollten, auch wenn es viel seltener ist, ist FPIES.

Axel Enninger: Jetzt muss man, glaube ich, ein bisschen erklären. FPIES ist Food Protein-Induced Enterocolitis Syndrome. Das sind die Kinder, die sich symptomatologisch so etwa zwischen deiner und meiner Welt aufhalten. Ich erinnere mich an meinen allerersten FPIES-Patienten, bei dem wir zwei Anläufe gebraucht haben, die Diagnose zu stellen. Beim ersten Mal kam er, ein paar Monate alt. Schlecht aussehender, septisch wirkender Säugling, wässrige Stühle, aber vor allem so ein ganz blass-fahles, graues Hautkolorit. Und man dachte, er hat irgendwie eine Sepsis. Blutkultur abgenommen, Volumen gegeben, antibiotisch behandelt und nach zwei Stunden ist man da hin und hat gesagt: ‚Was? Das soll der sein mit der Sepsis?‘ Er sah wieder völlig gesund aus. Das haben wir beim ersten Mal nicht kapiert. Nach zwei Wochen kam er wieder und genau das Gleiche. Erst dann haben wir verstanden, dass es jeweils genau die Situation war, die du vorhin beschrieben hast. Das Kind war, glaube ich in diesem Fall, bei Oma in Betreuung. Es gab eine Flasche und es war eine Reaktion auf Kuhmilch. Willst du aus deiner Sicht etwas dazu sagen?

 

Fehlendes IgE schließt die Kuhmilch-Allergie nicht gleich aus

Kirsten Beyer: Und häufig haben wir Erbrechen, aber zeitlich verzögert, das heißt, das tritt in der Regel alles 2 bis 4 Stunden später auf, nach der Mahlzeit, und das macht so einen großen Unterschied zu den IgE-Vermittelten. Trotzdem, wenn man dann auf die Diagnose kommt, das ist ja der erste wichtige Schritt, dann ist trotzdem der Fehler, der immer wieder vorkommt, dass geguckt wird, finden wir IgE? Dann wird keins gefunden und dann kommt bei vielen dieser Reflex: ‚Dann ist es ja doch keine Kuhmilchallergie!‘ Das ist auch klassisch für nicht-IgE-vermittelt.

Axel Enninger: Sehr gut. Wir Kinder-Gastroenterologen machen ja gar keine spezifische Diagnostik. Wenn da einer kommt mit einer eosinophilen Proctocolitis, nehme ich gar kein Blut ab. Da frage ich einmal, ob der sein Konakion bekommen hat, dass das regelmäßig gegeben wurde, frage nach Gerinnungsstörungen. Wenn das alles normal ist, mache ich keine Diagnostik. Ich mache in aller Regel nicht mal ein Blutbild.

Kirsten Beyer: Genau. Du weißt aber auch, dass es nicht IgE-vermittelt ist und das ist eben nicht insgesamt bekannt.

 

Eliminationsdiät mit Re-Exposition

Axel Enninger: Was ich dann schon mache, ist tatsächlich eine Elimination. Meistens ist es ja Kuhmilch. Es ist aber nicht immer Kuhmilch.

Kirsten Beyer: Nicht immer Kuhmilch, richtig.

Axel Enninger: Das muss uns klar sein. Wenn ich jemanden habe mit einer Proctocolitis, dann ist Kuhmilch zwar ‚Number one‘, aber alle anderen Eiweiße, die die Mutter zu sich nimmt, kommen theoretisch auch in Frage.

Kirsten Beyer: Genau.

Axel Enninger: Dann sage ich der stillenden Mutter, dann empfehle ich: ‚Verzichten Sie auf Kuhmilch in Ihrer Ernährung!‘ Mit einer entsprechenden Ernährungsberatung, das ist uns ganz wichtig. Da weiß ich, dass du mir da zustimmst. Kalzium ist das entscheidende Thema. Die stillende Mutter muss wissen, wo sie ihr Kalzium herkriegt. Dann klauen wir dem Kind entweder über die Mutter oder, wenn es eine Formularernährung hat, über eine entsprechende Formula, das Kuhmilcheiweiß. Das machen wir. Wir machen aber keine Diagnostik. Und die große Frage von vielen niedergelassenen Kollegen kommt dann immer: ‚Aber ja, wie ist denn das mit der Kostenübernahme?‘ Willst du dazu was sagen?

Kirsten Beyer: Na ja, in dem Moment, wenn wir klar belegen oder sagen können, das ist eine Kuhmilchallergie, denke ich, ist das mit der Kostenübernahme auch in Ordnung, wenn man einfach darauf hinweist. Wir können noch zusätzlich Kosten verursachen durch IgE-Messung, was wir gar nicht brauchen. Ich denke, da würden uns auch alle Experten ansonsten zustimmen. Da ist die IgE-Diagnostik nicht hilfreich.

Axel Enninger: Genau. Also ein positives Ansprechen auf eine diagnostische Eliminationsdiät reicht völlig aus und reicht auch jeder Krankenkasse aus.

Kirsten Beyer: Die reicht aus, genau.

 

Re-Exposition bei FPIES unbedingt unter Aufsicht, bei Proctocolitis unter Umständen zuhause

Axel Enninger: Aber wichtig ist eben auch, dass man den Eltern sagt, wenn man eine Kuhmilch-Elimination macht, dass man das zunächst mal für einen bestimmten, überschaubaren Zeitraum macht.

Kirsten Beyer: Dann würden wir nämlich eine Re-Exposition machen. Und dabei unterscheiden sich zum Beispiel ja die beiden Krankheitsbilder, die Proctocolitis und FPIES ganz deutlich. Bei Proctocolitis würden wir den Eltern erlauben, die Kuhmilch zu Hause wieder auszuprobieren, während es bei FPIES wirklich unter ärztlicher Aufsicht, in der Regel in der Klinik, erfolgen sollte. Diese Kinder können wirklich massiv erbrechen und auch Blutdruckabfall erleiden. Das sind Kinder, die wir wirklich dann auch in der Klinik provozieren würden, um zu schauen, ob der ganze Spuk vorüber ist.

Axel Enninger: Ja, vielleicht noch der gastroenterologische Kommentar zu den nicht-IgE-vermittelten Kuhmilchallergien. Es ist durchaus auch ein probates Mittel, gar nichts zu tun. Man kann durchaus auch warten. Man weiß, dass die Zeit für einen spielt. Wenn man eine Familie hat, die relativ gut damit umgehen kann, dass da immer wieder mal so kleine Blutfäden im Stuhl sind und das nicht zu massiver Verunsicherung führt, dann kann man durchaus auch abwarten. Da muss man gar nicht so massiv intervenieren. Und was wir unbedingt nicht empfehlen, ist abzustillen. Also die stillende Mutter sollte weiter stillen, entweder mit entsprechender Änderung ihrer eigenen Ernährung oder aber mit der Maßgabe: ‚Machen Sie weiter und lassen Sie uns schauen, wie sich das Kind entwickelt.‘

 

Ungewöhnliche Allergene bei FPIES auf dem Schirm haben

Kirsten Beyer: Also Stillen ist nach wie vor einfach das Beste für Mutter, für Kind. Deswegen würden wir das genauso unterstreichen.

Axel Enninger: Bei den FPIES vielleicht noch einen Punkt: Du hast einerseits gesagt, dass wenn wir Kinder mit FPIES haben, würden wir sie natürlich stationär re-exponieren auf Kuhmilch, aber wenn ich dann zufüttere, wenn ich zum Thema Beikost komme, dann sind die FPIES ja auch noch mal anders als andere.

Kirsten Beyer: Ja, da ist es ein Problem, wenn sie nicht nur auf ein Nahrungsmittel reagieren, sondern vielleicht auch auf ein zweites oder drittes. Häufig sind das auch mal Allergene, die wir bei den ganzen IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien gar nicht so auf dem Schirm haben. Das heißt, Sie können auch wirklich auf ganz ungewöhnliche Sachen wie Hühnerfleisch reagieren, auf Reis reagieren. Das sind Sachen, die wir allergologisch IgE-vermittelt als hypoallergen bezeichnen. Die können bei FPIES Probleme machen. Also es ist wirklich ein anderes Allergenspektrum, das wir dort auch haben.

Axel Enninger: Heißt aber, jeder der ein FPIES hatte und wir denken, der hat FPIES wegen einer Kuhmilchallergie, den nehmen wir stationär auf, wenn wir die Beikosteinführung machen?

Kirsten Beyer: Das ist schwierig. Wir können eigentlich ja nicht alle Sachen stationär einführen. Die Eltern sind manchmal massiv verunsichert dabei. Wir gucken dann, dass wir manchmal mehrere Sachen auf einmal einführen, wenn Eltern wirklich extrem unsicher sind und sich zu Hause gar nichts mehr trauen. Bevor wir dann wirklich ein fehlernährtes oder mangelernährte Kind haben, versuchen wir schon beim stationären Aufenthalt mehrere Sachen auf einmal in die Ernährung einzuführen. Mit der Zeit werden die Eltern auch relaxter.

Axel Enninger: Also wir machen es manchmal, wenn wir sie aus Kapazitätsgründen einfach nicht aufnehmen können, dass wir ihnen anbieten in unseren Wartezimmern Beikost einzuführen, so dass sie einfach vor Ort sind und wenn etwas passiert, schnell Hilfe haben. Das ist natürlich in keinem Gesundheitssystem dieser Welt abgebildet, aber das kann man sozusagen als Brücke durchaus einmal machen.

Kirsten Beyer: Wir machen auch manchmal solche Brücken. Aber das ist wie gesagt, nirgendwo abgebildet und deswegen ist es auch schwierig, solche Sachen zu empfehlen.

Axel Enninger: Okay.

 

Der Mythos: Atopisches Ekzem gleich Kuhmilchallergie

Kirsten Beyer: Wir haben ja jetzt ganz viel über die ganzen Gastroenterologischen geredet, die ja seltener sind als die IgE-Vermittelten. Und wir haben bei diesen IgE-vermittelten Sachen noch eine Erkrankung ein bisschen vergessen. Das ist die atopische Dermatitis, wo wir auch mal bei der Kuhmilch eine Ekzemverschlechterung sehen können, auch wenn das viel seltener ist als diese klassische Soforttyp-Reaktion. Aber das ist ehrlicherweise etwas, womit die Eltern immer wieder zu uns kommen. Wir wissen, dass die IgE-Vermittelten häufig bei Kindern auftreten, die eine atopische Dermatitis haben. Die Eltern erwarten immer, es gibt nur eine Ekzemverschlechterung, das heißt, das Ekzem geht weg, wenn wir Kuhmilch weglassen. Aber auch bei diesen Kindern ist die Soforttyp-Reaktion das Häufigste. Aber die Kuhmilch kann auch mal zu einer Ekzemverschlechterung führen. Da muss man natürlich einmal nachgucken. Das ist in der Regel aber auch IgE-vermittelt.

Axel Enninger: Das ist, glaube ich, auch so ein Mythos: atopisches Ekzem gleich Kuhmilchallergie.

Kirsten Beyer: Und dieser Mythos hält sich ganz, ganz extrem in der Bevölkerung, dass wirklich immer gedacht wird: Ein Kind mit Ekzem braucht eine kuhmilchfreie Diät. Die meisten haben keine Kuhmilchallergie, die zur Ekzemverschlechterung führt. Das gibt es, man muss es einmal ausschließen, aber dann den Eltern auch klarmachen, es ist nicht die Kuhmilch, weswegen das Ekzem da ist.

 

In Griechenland weniger Nahrungsmittelallergien

Axel Enninger: Das noch mal kurz. Du hattest das vorhin gesagt, die IgE-vermittelten sind häufiger als die nicht IgE-vermittelten Reaktionen auf Kuhmilch. Wie häufig ist es insgesamt? Da gibt es spannende Beobachtungen weltweit. In bestimmten Ländern ist Kuhmilchallergie viel häufiger als bei uns oder aber viel seltener als bei uns. Sag uns mal ein paar Zahlen.

Kirsten Beyer: In Deutschland ist es ungefähr jedes 200. Kind, das eine Kuhmilchallergie hat. Das sind Daten aus einer großen europäischen Geburtskohorten-Studie, wo die Kinder auch provoziert wurden, um die Kuhmilchallergie zu bestätigen. Also sind es wirklich klar nicht nur Elternberichte, sondern es wurde wirklich unter ärztlicher Aufsicht bei Verdacht dann auch eine Kuhmilch-Provokation durchgeführt. Die meisten sind IgE-vermittelt, es gibt aber auch nicht-IgE-vermittelte Formen. In anderen Ländern kann es häufiger oder seltener sein. Die Unterschiede bei der Kuhmilchallergie sind gar nicht so riesig gravierend wie vielleicht bei der Erdnussallergie, auf die wir ja vielleicht noch mal im späteren Podcast auch zu sprechen kommen. Aber es gibt auch hier länderspezifische Unterschiede. Bei manchen Ländern ist das häufiger, bei anderen seltener.

Axel Enninger: Möchtest du ein zweites Podcast-Thema anbieten?

Kirsten Beyer: Das könnte man sich überlegen.

Axel Enninger: Wir denken drüber nach. Jetzt noch mal, aus einem deiner Vorträge habe ich im Kopf, in Griechenland gibt es keine Kuhmilchallergie. Habe ich das richtig abgespeichert?

Kirsten Beyer: In Griechenland gibt es insgesamt viel weniger Nahrungsmittelallergien als in Deutschland.

Axel Enninger: Warum ist das so?

Kirsten Beyer: Das wissen wir nicht. Wenn wir das wüssten – und das haben wir ja versucht herauszubekommen – könnte man daraus ja auch vielleicht Präventionsmaßnahmen stricken. Aber wir wissen es wirklich nicht. Man denkt natürlich immer über die mediterrane Diät nach. Was unterscheidet sie von Deutschland? Diese Studie, wo wir das untersucht haben, ist aber auch in Großstädte gegangen, zum Beispiel in Ländern wie Deutschland und Griechenland also Athen versus Berlin. So unterschiedlich ist jetzt das Leben dort eigentlich nicht und wir wissen es wirklich nicht warum.

Axel Enninger: Interessant. Also da gibt es noch Forschungsbedarf, da könnte man ja mal Nahrungsmittel regelmäßig geben oder nicht geben. Ja, spannend. Okay, die Symptomatologie haben wir gesagt. Diagnostik haben wir auch gesagt. Kommen wir mal zur Therapie. Eines haben wir schon gesagt: Wir klauen dem Kind die Kuhmilch. Was für Optionen haben wir da?

 

Milchprodukte klauen, aber für ausreichend Kalzium und Proteine sorgen

Kirsten Beyer: Genau, wir klauen dem Kind Kuhmilch. Da ist es ganz egal, ob wir IgE-vermittelte Kuhmilchallergie haben oder die nicht-IgE-vermittelte Kuhmilchallergie. Die Kuhmilch ist der Auslöser und Kuhmilch heißt jetzt nicht nur die Frischmilch. Kuhmilch heißt Kuhmilchprodukte, Käse, Butter. Es sind die ganzen Sachen, wo halt Kuhmilchproteine drin sind. Und jetzt kommt es ein kleines bisschen auf das Alter des Kindes an. In der Regel fängt die Kuhmilchallergie im Säuglingsalter an. Wenn sie noch gestillt sind, sind wir fein raus. Wir lassen die Eltern oder die Mütter in der Regel weiter stillen. Noch kann der Vater ja nicht stillen, aber die Mutter kann weiter stillen. Und bei den allerallermeisten Müttern braucht die Mutter auch keine kuhmilchfreie Diät, gerade nicht bei der IgE-vermittelten Kuhmilchallergie. Da sind es wirklich wenige Kinder, die über die geringen Mengen an Kuhmilch in der Muttermilch reagieren würden. Deswegen lassen wir die Mütter, wenn da bisher nichts aufgetreten ist, ganz normal ihre Kuhmilchprodukte in Maßen weiterhin essen.

Axel Enninger: Das machen wir ja nicht. Also wir Kinder-Gastroenterologen machen das ja nicht, weil wir viel mehr Kinder sehen, die tatsächlich voll gestillt sind. Und das heißt, diesen Müttern klauen wir dann tatsächlich die Kuhmilch, was eine gewisse Challenge ist für eine stillende Mutter, auf Kuhmilch zu verzichten. Vielleicht mische ich mich da kurz ein, da ist ja Nummer eins immer das Thema Kalzium. Bis vor ein paar Monaten habe ich immer gesagt: ‚Na ja, trinken Sie Kalzium-reiches Mineralwasser!‘ Um ein paar Hausnummern zu nennen: Der Tages-Kalzium-Bedarf einer stillenden Mutter sind ungefähr 1.200 mg Kalzium am Tag. Das wäre ungefähr die Menge, die in einem Liter Milch wäre. Und ein Kalzium-reiches Mineralwasser hat so zwischen 500 und 600 mg / L, also könnte man sagen, zwei Liter davon trinken und gut ist. Aber, und das war mir nicht so richtig klar, wenn man aber drüber nachdenkt, ist es eigentlich total logisch: Kalzium-reiches Mineralwasser zwischendurch zu trinken, nicht zu einer Mahlzeit, rauscht ziemlich schnell durch den Gastrointestinaltrakt und die Resorption von dem Kalzium ist nicht gut. Das heißt, das bringt eigentlich wirklich nur etwas, wenn dieses Kalzium-reiche Mineralwasser zu den Mahlzeiten getrunken wird. Das ist Punkt Nummer eins. Punkt Nummer zwei ist, dass ja relativ viele Mütter mittlerweile auf Pflanzen-basierte Nahrung umsteigen und dann sagen: ‚Na ja, ich trinke ja Hafermilch, da ist ja auch Kalzium drin.‘ Das stimmt aber nur teilweise, denn es ist extrem ausgefuchst mittlerweile, wo man in den Pflanzen-basierten Milchersatzprodukten Kalzium findet. Merksatz Nummer eins ist: In Bioprodukten ist kein Kalzium drin. Das ist nämlich verboten. Es widerspricht der Bioverordnung. Das heißt, wenn ich eine Bio-Hafer- – Anführungszeichen „-milch“ Anführungszeichen – nehme, habe ich da kein Kalzium drin. Wenn ich ein Nicht-Bioprodukt nehme, gibt es solche mit und ohne Kalzium. Das heißt, man muss wirklich darauf achten, dass man kalziumhaltige pflanzliche Milchersatzprodukte nimmt. Also ganz, ganz wichtig: Der Markt ist extrem unübersichtlich und man muss wirklich genau hingucken.

Kirsten Beyer: Das ist super, dass du das so gut ausführst, denn das betrifft auch die Kinder. Im ersten Säuglingsalter ist es häufig so, wenn die Kinder nicht muttermilchernährt sind, dass sie eine Säuglingsnahrung bekommen, entweder ein Extensivhydrolysat oder eine Aminosäure-Formula als Ersatz. Viele Mütter nehmen aber dann zum Beispiel Haferdrink, denn diese ganzen Extensivhydrolysate und Aminosäure-Formulanahrungen schmecken ja nicht sonderlich prickelnd. Und ja, Haferdrink, den die Mutter vielleicht dann auch trinkt, mögen die Kinder, weil es süßlich ist. Und dann haben wir ein Riesenproblem, dass sie plötzlich jede Menge von diesem Haferdrink zu sich nehmen, zum Teil dann ohne Kalzium. Da ist überhaupt nichts an wertvollen Proteinen drin. So ein Problem sehen wir auch bei den Kindern. Und dann später, wenn sie vielleicht gar nicht mehr Extensivhydrolysat oder Aminosäure-Formula brauchen und zu Ersatzprodukte geswitcht wird, wo wir dann Sojadrink mit Kalzium empfehlen, bevorzugen viele Kinder trotzdem diesen Haferdrink oder andere Sachen, weil die leckerer oder süßer sind. Dann haben wir genau das gleiche Problem, das du gerade von den Müttern geschildert hast, bei den Kindern: dass sie zum einen, außer bei Soja, keine adäquate Proteinquelle haben und vor allem nicht genug Kalzium bekommen.

Axel Enninger: Tatsächlich noch mal wichtig: Zu Soja müssen wir auch noch ein paar Takte sagen. Bei Kindern unter einem Jahr mit einer Kuhmilchallergie gibt es – wenn es mit dem Stillen nicht funktioniert und wir über Formular reden – die zwei Optionen, die du vorhin genannt hast: extensives Hydrolysat oder Aminosäure-Formula. Warum keine Soja-Formula?

 

Bei Soja auf die Menge achten: Formula eher nicht, aber gerne ab und zu ein Joghurt

Kirsten Beyer: Weil Soja im Säuglingsalter, im ersten Lebensjahr, wenn man es als Kuhmilchersatz in größeren Mengen nimmt – also als Formula insbesondere – zu viel Phytoöstrogene enthält und wir es nicht empfehlen. Das heißt aber nicht, dass ein Kind nicht zwischendurch mal ein bisschen Soja-Joghurt essen darf. Wir freuen uns ja gerade über eine breite Palette an Nahrungsmitteln, die Kinder essen. Dazu gehört auch mal Soja-Joghurt, um einfach die Geschmacksentwicklung zu haben. Vielleicht brauchen wir im zweiten oder dritten Lebensjahr immer noch einen Ersatz. Dann ist das toll, wenn die Kinder sich im Säuglingsalter schon an den Geschmack gewöhnt haben. Da kommt die ganze Geschmacksentwicklung zustande. Das heißt nicht, dass Soja im Säuglingsalter komplett verboten ist, nur nicht als Kuhmilchersatz in größeren Mengen.

 

Säuglingsformula in der EU nur Kuhmilch, Ziege oder Soja

Axel Enninger: Und EU-weit ist nur zugelassen: Kuhmilcheiweiß, Ziege oder Soja. Das muss man klar sagen. Das heißt, die anderen sind für Säuglingsformula gar nicht zugelassen.

Kirsten Beyer: Genau. Und Ziege – wenn es kein Extensivhydrolysat ist, würde es auch gar nicht gehen, weil die Kreuzreaktivität zwischen Kuhmilch und Ziegenmilch enorm groß ist, oder auch Schafsmilch. Wenn wir – das haben wir manchmal – Eltern da haben, die sagen, ihr Kind hätte eine Kuhmilchallergie, verträgt aber Schafsmilch, Schafskäse und alles Mögliche, dann ist die Kuhmilchallergie fast ausgeschlossen. Man kann das noch mal wirklich beweisen, indem man sie dem Kind unter ärztlicher Aufsicht zu trinken gibt, aber in der Regel passiert dann auch nichts bei der Kuhmilch.

Axel Enninger: Kalzium-angereicherte Sojaprodukte für die stillende Mutter sind aber okay.

Kirsten Beyer: Die sind okay.

Axel Enninger: Okay. Also nur, dass wir das wirklich noch mal betonen. Dieses Thema Pflanzenersatznahrungen ist ein relativ kompliziertes. Man muss sich intensiv darum kümmern und man muss den Müttern auch wirklich sagen, worauf sie achten müssen. Noch einmal, so sehr ich Sympathien für Bioprodukte habe: In pflanzlichen Bio-Ersatzprodukten ist kein Kalzium drin.

Kirsten Beyer: Und da es so kompliziert ist und wir gar keine Zeit dafür haben, solche Sachen zu machen: Denken wir immer daran, es gibt Ernährungsfachkräfte. Wenn sie darauf spezialisiert sind, dann bitte dort hinschicken. Sie selbst müssen auch nicht alles wissen, aber die wissen das. Ich weiß auch nicht alles und deswegen ist gerade bei Kindern mit Kuhmilchallergie eine Beratung der Eltern darüber, welche Möglichkeiten es gibt usw., extrem hilfreich.

 

Bei Soforttyp-Reaktion Notfallset mit Adrenalin-Autoinjektor

Axel Enninger: Jetzt war eine therapeutische Option ja das Thema: Wir klauen dem Kind die Kuhmilch, aber ihr Allergologen macht ja noch mehr.

Kirsten Beyer: Wir Allergologen machen noch mehr. Das Problem ist, bei den Soforttyp-Reaktionen kann es lebensbedrohlich werden. Wir wissen mittlerweile aus Daten aus England, aber auch vom europäischen Anaphylaxie-Register, dass Kuhmilch gerade in den ersten Lebensjahren mit zu den häufigsten Ursachen von schweren anaphylaktischen Reaktionen gehört. Und deswegen werden Kinder, die eine Kuhmilchallergie haben und klare Symptome hatten, eine anaphylaktische Reaktion hatten, mit einem Notfallset ausgestattet. Das wichtigste Notfallmedikament ist der Adrenalin-Autoinjektor. Nicht das Cortisonzäpfchen, das so oft als Notfallzäpfchen angeboten wird. Das braucht eine Stunde, bis es wirkt. Es hat die Nomenklatur „Notfallzäpfchen“ überhaupt nicht verdient, sondern wirklich Adrenalin-Autoinjektor!

Axel Enninger: Aber auch das ist klar: Es nützt gar nichts, es aufs Rezept zu schreiben und zu sagen: ‚Hier, den Adrenalin-Autoinjektor aus der Apotheke besorgen!‘ Warum nützt das nichts?

 

Mit dem Pen trainieren: Eltern, Erziehungspersonal, Lehrkräfte

Kirsten Beyer: Wenn man es nicht bedienen kann, bringt es nichts. Und bedienen heißt wirklich: Ich muss das können! Am besten im Schlaf können, so dass ich weiß, wie es funktioniert. Das heißt, wenn ein Rezept verordnet wird, sollte der Mutter, dem Vater gezeigt werden, wie der Pen funktioniert. Sie müssen ihn wirklich in die Hand nehmen. Man muss es vormachen, sie müssen es nachmachen. Es gibt Trainings-Pens – und es wirklich mit ihnen einmal üben. Dann sollte auch wirklich auf dem Rezept angekreuzt werden, dass der Pen, mit dem ich geübt habe, dem Patienten hinterher ausgehändigt wird. Es bringt überhaupt nichts, wenn ich auf dem einen Pen trainiere und hinterher einen andere bekomme, der anders funktioniert. Dann geht das Ganze womöglich im Notfall schief. Und das ist wirklich ganz wichtig neben dem Trainieren: Es gibt in Deutschland Anaphylaxie-Schulungen. Sie werden in den meisten größeren Städten angeboten und dann – es gibt wenige tolle Dinge, die durch Corona die entstanden sind – gibt mittlerweile auch Online-Schulungen dafür. Das sind richtig standardisierte Schulungsprogramme, die angeboten werden, wo Eltern instruiert werden. Wenn die Kinder alt genug sind, natürlich auch die Kinder und Jugendlichen, aber auch Erziehungspersonal, Kindergärtner, Kindergärtnerinnen, Lehrer, Lehrerinnen, die dort im Umgang mit dem Pen instruiert und trainiert werden. Es geht ja nicht nur darum, wie ich den Pen anwende, sondern auch darum, wann ich den Pen anwende.

Axel Enninger: Also wir haben es zum Beispiel bei uns in der Notaufnahme so gemacht, dass wir die Pens dort deponiert haben und dass wir unseren Assistentinnen auch sagen, wenn ein Kind mit einer Anaphylaxie kommt: ‚Wendet das an!‘ Das ist zwar viel teurer, als wenn wir das Adrenalin aufziehen, aber einfach auch zur Schulung der Eltern, dass sie sehen: Okay, jetzt ist a) die Situation und b) so macht man es – einfach als Vorbild. Damit es auch unsere Assistentinnen im Kopf haben und nicht verlernen, finden wir das didaktisch relativ wichtig. Aber du hast vorhin gesagt, Erzieherinnen gehören auch geschult. Dann kommt immer die berühmte Frage: Einer oder zwei Pens?

Kirsten Beyer: Darüber streiten sich die Gelehrten ein ganz kleines bisschen. Die EMA sagt 2 Pens. Die Leitlinie gibt ganz klare Kriterien mit mindestens 2 Pens. Ich weiß auch, dass es manche Kindergärten gibt, die sagen, sie können das nur gewährleisten, wenn wirklich einer vor Ort ist, weil sie nicht kontrollieren können, dass morgens der Pen wirklich immer abgegeben wird und dann wiedermit zurückgeht usw. Auch da sieht man manchmal einen Bedarf. Es sollte zumindest ein Pen immer dort sein, wo das Kind ist, das heißt auch auf dem Weg vom Kindergarten nach Hause oder umgekehrt. Weil 2 Pens – einer im Kindergarten, einer zu Hause – bringt nichts, wenn das Kind vielleicht unterwegs reagiert, weil es eine halbe Stunde zuvor im Kindergarten noch gesnackt hat oder zu Hause vorher gefrühstückt hat.

Axel Enninger: Ja, das Gleiche gilt natürlich für die typischen Übernachtungen bei Freunden, für Übernachtungen, bei Oma, Tante und sonst wie. Der Pen gehört ans Kind.

Kirsten Beyer: Genau.

 

Mythos Laktose-Malabsorption: Mitteleuropäer als Mutanten

Axel Enninger: Okay. Ich glaube, diagnostisch, therapeutisch, symptomatologisch haben wir zunächst mal bezüglich der Kuhmilch alles besprochen. Aber es gibt so ein paar Mythen, sag ich mal, so ein paar Dinge, die sich halten. Eins haben wir vorhin schon gesagt: Neurodermitis ist gleich Kuhmilchallergie, dazu hast du schon klar gesagt: ist nix. Klassiker, der bei mir immer aufschlägt, ist: ‚Mein Kind hat eine Laktoseallergie.‘ Du oder ich? [Lachen]

Kirsten Beyer: Wenn du möchtest. Aber wir haben diesen Klassiker auch.

Axel Enninger: Also, dann mach du.

Kirsten Beyer: Oder die Mama sagt: ‚Das habe ich auch. Ich vertrage auch keine Laktose.‘

Axel Enninger: Okay, also dann. Jetzt ein paar Stichworte zu Kuhmilchallergie und Laktose.

Kirsten Beyer: Laktose ist der Milchzucker. Bei der Kuhmilchallergie reagieren die Kinder auf das Protein und das ist etwas völlig anderes. Eine Laktoseallergie gibt es überhaupt nicht. Und selbst die Laktoseintoleranz, das heißt die Unverträglichkeit des Zuckers, sehe ich ja nicht einmal als Krankheit, sondern als natürlichen Alterungsprozess an. Ein Großteil der Weltbevölkerung kann Laktose überhaupt nicht verdauen.

Axel Enninger: Genau. Also, mein Spruch dazu ist immer: Wir hellhäutigen Mitteleuropäer sind bezüglich der Laktoseverträglichkeit die Ausnahme. Wir sind die Mutanten. Der Wildtyp ist der Rest der Bevölkerung. Die Asiaten, die Menschen in Afrika, sie vertragen alle typischerweise ab dem Alter von 5 Jahren immer geringer werdende Mengen an Laktose. Also, das ist ganz wichtig und vielleicht dazu auch gleich noch: Daraus kann man unmittelbar schließen, dass eine Diagnostik, eine genetische Diagnostik auf eine Laktose-Malabsorption bei kleinen Kindern Unsinn ist. Selbst wenn ich diesen Wildtyp habe, vertrage ich Laktose. Also einem Kind wegen irgendeiner genetischen Diagnostik die Kuhmilch zu klauen, weil es vermeintlich eine genetisch determinierte Laktose-Malabsorption hat, ist Unsinn. Diese Diagnostik ist nicht sinnvoll. Das würden wir gerne loswerden, oder?

Kirsten Beyer: Genau.

Axel Enninger: Okay, dann müssen wir auch noch loswerden, dass es einen großen Unterschied bei den diätetischen Maßnahmen bei der Laktose-Malabsorption und der Kuhmilchallergie gibt. Du hast vorhin ganz klar gesagt, bei einer Kuhmilchallergie verzichten wir auf alles, was Kuhmilch enthält.

Kirsten Beyer: Richtig.

Axel Enninger: Okay, das ist bei der Laktose-Malabsorption ja nicht so, sondern da gibt es Dinge, die einfach keine Laktose mehr enthalten. Natürlicherweise also jeder Käse, der eine ganze Weile gereift hat. Goudakäse, Emmentalerkäse, aller möglicher Käse ist per se laktosefrei. Deswegen muss man auch keine Spezial-Käsesorten diesbezüglich kaufen. Bei manchen steht mittlerweile drauf: ‚Natürlicherweise ohne Laktose‘, was schon wunderbar ist. Auch Butter muss man nicht unbedingt kaufen. Butter enthält so wenig Laktose, das ist im Wesentlichen Fett. Auch darauf muss man eigentlich nicht verzichten.

Kirsten Beyer: Und normalerweise eigentlich auch nicht auf den Joghurt, weil der Joghurt im Prozess der Entstehung auch seine Laktose verliert. Aber heute lieben die Leute diesen cremig gerührten und er wird häufig mit Milchpulver cremig gerührt. Das heißt, ich habe plötzlich wieder Laktose drin und das sind natürlich so Sachen, ja, wie gesagt, worauf man achten sollte, aber da braucht man wirklich nicht alle Milchprodukte zu meiden. Aber die Kuhmilch-Allergiker sollen wirklich alle Milchprodukte meiden.

Axel Enninger: Ich glaube, damit haben wir dieses Thema der Kuhmilchallergie abgefrühstückt. Aber lass uns eins noch mal sagen: Wir haben kein einziges Mal bis jetzt das Wort Kuhmilch-Eiweißallergie gesagt, weil wir uns darauf geeinigt haben, wir reden über die Kuhmilchallergie. Das muss man vielleicht noch sagen, dass uns dieses Wort Kuhmilch-Eiweißallergie nervt.

Kirsten Beyer: Das nervt mich die ganze Zeit. Ich sage ja auch nicht Erdnuss-Eiweißallergie oder sonst etwas. Es ist immer das Protein, also das Eiweiß, das die Reaktion macht. Und das dann nur bei der Kuhmilch noch dranzuhängen, macht keinen Sinn.

Axel Enninger: Also wir reden über die Kuhmilchallergie und jetzt wechseln wir das Thema und gehen zum Ei. Klassische Symptomatik bei euch Allergologen wiederum. Wir Gastroenterologen sind da raus. Nicht-IgE-vermittelte Reaktionen auf Ei kenn ich nicht. Oder gibt es die?

Kirsten Beyer: Sie ist extrem selten. Theoretisch bei FPIES, nicht nur theoretisch. Bei FPIES gibt es das. Aber das ist wirklich da, wo wir es kennen und sehen. Aber ansonsten stimme ich dir absolut zu, wobei ich ja nicht das große Spektrum habe, das du hast.

Axel Enninger: Naja, großes Spektrum oder… oder lauter Symptome, die man zusammenkriegt oder nicht zusammenkriegt…

 

Kuhmilch im Bett – frühe Sensibilisierung über die Haut

Kirsten Beyer: Aber bei der IgE-Vermittelten ist es einfach das Häufigste. Das Ganze fängt extrem früh an, dass sich die Kinder sensibilisieren. Wir haben eine Studie gemacht und haben noch vollgestillte Kinder untersucht und haben wirklich bei denen bereits Sensibilisierung gegen Hühnerei gefunden. Und woher kommt das? Das fragen sich ganz viele. Wir gehen heute davon aus, dass die Sensibilisierung auf Nahrungsmittelallergene über die Haut erfolgt. Deswegen finden wir sie ja vor allem bei Kindern mit einer atopischen Dermatitis, also einer Neurodermitis. Sie haben eine gestörte Barrierefunktion der Haut. Sie haben viele Entzündungszellen dort sitzen, weil eine Entzündung da ist. Sie schlafen jede Nacht in ihren Betten und wir finden in all unseren Betten Nahrungsmittelproteine, Hühnereiprotein. Es ist überall da. Einmal in der Küche Rührei gegessen, zwei Tage später – plopp – gehen in den Betten die Mengen hoch, die dort gefunden werden.

Axel Enninger: In meinem Bett ist Kuhmilch?

Kirsten Beyer: Auch Kuhmilch. Auch Hühnerei.

Axel Enninger: Echt?

Kirsten Beyer: Wenn du einmal Erdnussflips vor dem Fernseher isst, ist da auch Erdnuss drin und auch in den Kinderbetten. Das kann man wirklich wunderbar zeigen und dann sensibilisieren sie sich.

Axel Enninger: Hässliche Vorstellung.

Kirsten Beyer: Na ja, die Hausstaubmilben krabbeln doch auch da herum…

Axel Enninger: Okay.

Kirsten Beyer: …warum dann nicht ein paar Nahrungsmittelproteine? So schlimm ist es jetzt auch nicht.

Axel Enninger: Okay, aber das finde ich ja tatsächlich einen spannenden Punkt. Das heißt, die Sensibilisierung geht über die Haut, das habe ich verstanden, das kapiere ich ja auch. Aber eben nicht über einen unmittelbaren Kontakt nach dem Motto: ‚Da ist irgendwie Ei auf die Wunde geschmiert worden‘, sondern es reicht, wenn da irgendwelche Reste im Bett sind.

Kirsten Beyer: Davon gehen wir aus. Es ist natürlich schwierig, weil man nicht wirklich einen Versuch, am besten noch doppelblind placebokontrolliert, machen kann. Das wäre absolut unethisch, aber wir gehen heute davon aus. Unmittelbaren Kontakt kennen wir auch immer wieder. Es gibt Leute, die empfehlen, bei der Neurodermitis Kleopatra-Bäder durchzuführen, wie: Kind in Honig und Milch baden. Ich kenne kaum einen besseren Weg, um ein Kind zu sensibilisieren. Das heißt Kuhmilchbäder haben bei der Therapie der Neurodermitis nichts zu suchen! Sie treiben die Kinder in die Kuhmilchallergie hinein. Das Gleiche gilt für Hühnerei. Eiweiß auf irgendwelche Wunden zu schmieren oder auf Neurodermitisstellen zu schmieren. Bitte nicht machen, das ist total kontraproduktiv. Die Sensibilisierung scheint wirklich über die Haut stattzufinden und deswegen kommen solche nahrungsmittelallergologischen Reaktionen häufig auch bei der ersten Aufnahme, weil das IgE schon da ist. Und wenn die Kinder es vorher nicht gegessen haben und eine Toleranz aufgebaut haben, reagieren sie bei der ersten Aufnahme und das ist bei Ei dann zum Beispiel die erste Gabe. Vielleicht wird dem Kind ein kleines bisschen vom Frühstücksei der Mama gegeben und prompt haben wir eine IgE-vermittelte Soforttyp-Reaktion.

Axel Enninger: …die im Prinzip genauso aussieht wie das, was du vorhin für die Milch beschrieben hast.

Kirsten Beyer: Genau. Das kann ganz genauso aussehen und auch bis zu einer anaphylaktischen Reaktion gehen.

 

Vier von fünf Kindern mit Hühnereiallergie vertragen durchgebackenes Ei, doch rohes Ei lauert vielerorts

Axel Enninger: Was ich ja von euch Allergologen gelernt habe ist, dass ihr relativ pingelig seid bei dem Thema rohes Ei oder gekochtes Ei. Dazu musst du ein bisschen sagen, vor allem dazu, was alles unter „rohes Ei“ fällt. Also ich habe immer gedacht, rohes Ei ist rohes Ei, aber das stimmt gar nicht.

Kirsten Beyer: Das stimmt gar nicht. Und das ist immer die Antwort, die wir auch bekommen: ‚Mein Kind isst doch kein rohes Ei, ich esse doch auch kein rohes Ei.‘ Rohes Ei heißt wirklich: Rührei. Rührei ist jetzt nicht schnittfest wie eine Schuhsohle, es sind noch ganz viele rohe Bestandteile drin. Weichgekochtes Ei – das, was wir eigentlich zum Frühstück so gerne mögen, das ist weich. Dieses weich gekochte Ei ist quasi rohes Ei. Genauso ganz viele Desserts wie zum Beispiel der Schokokuss. Auch das ist rohes Ei in dem Sinne, weil es in der Regel nicht durcherhitzt wird, sondern mehr getrocknet wird. Das fällt alles bei uns unter „rohes Ei“. Das andere ist das total durcherhitzte Ei, wie wir es zum Beispiel in Muffins finden oder in Hartgebäcken, in denen Ei ist, wirklich durchgebackene, erhitzte Eiprodukte oder ein richtig quasi blaugekochtes Ei oder durchgekochtes Ei. Das würden wir als durcherhitztes Ei gelten lassen. Das Spannende ist, dass ungefähr 80 % der Kinder mit einer Allergie gegen Hühnerei dieses durcherhitzte Ei vertragen. Das ist halt die große Mehrzahl der Kinder. Das testen wir auch und gucken – denn es sind ja auch gerade die vielen leckeren Sachen – wo das durcherhitzte Ei vertragen wird.

Axel Enninger: Okay, sprich Kuchen.

Kirsten Beyer: Das empfehlen wird ja nicht unbedingt bei Kindern, aber ehrlicherweise ja, der Geburtstagskuchen kann dann gegessen werden.

Axel Enninger: Wenn er keinen Baiser drauf hat.

Kirsten Beyer: Wenn er keinen Baiser drauf hat und schön durchgebacken ist.

Axel Enninger: Also wichtige Nachrichten hier: Auch wenn ich eine Allergie gegen Ei habe, kann es gut sein, dass ich gebackenes Ei vertrage.

Kirsten Beyer: Genau.

Axel Enninger: Aber provozieren wir das? Machen wir es zu Hause oder provozieren wir das stationär?

Kirsten Beyer: Stationär. Auch darauf kann es schwere Reaktionen geben und die möchte man nicht zu Hause haben. Alles wird unter ärztlicher Aufsicht provoziert.

Axel Enninger: Und da kann es durchaus sein, dass ein Kind „gebacken“ verträgt, aber „roh“ eben nicht verträgt.

Kirsten Beyer: Genau.

Axel Enninger: Und das ist dann auch die Empfehlung, dass man sagt: Okay, also das dürft ihr, aber das andere dürft ihr nicht.

Kirsten Beyer: Das lassen wir dann wirklich in der Ernährung drin. Wir sehen auch viele Kinder, bei denen gebackenes Ei bereits gegeben und vertragen wurde und dann eine Reaktion einfach nur auf das Rührei kam. Wenn es schon vertragen wurde, lassen wir alles in der Diät drin, dann würden wir auch nicht mehr provozieren.

Axel Enninger: Was ist denn ein guter Zeitpunkt zum Provozieren von Ei?

Kirsten Beyer: Das ist egal, man kann das in jedem Alter machen. Die Kinder sollten bereits eine adäquate Menge an Beikost essen, so dass sie auch die Mahlzeit, die Provokationsmahlzeit, essen. Ansonsten ist das in der Regel im zweiten Lebensjahr, dass wir das Ei provozieren, bei manchen Kindern auch ein bisschen früher. Bei der Kuhmilch fangen wir in der Regel früher an, weil das im Säuglingsalter einen wichtigeren Stellenwert hat. Mittlerweile gibt es ja auch als Prävention die Empfehlung, gebackenes oder durcherhitztes Ei für alle Kinder frühzeitig einzuführen. Es gehört wirklich mit Beginn der Beikost eingeführt, dass auch Ei mit gegeben wird in durcherhitzter Form.

Axel Enninger: Aber grundsätzlich nur noch mal. Du hast gesagt, normalerweise empfiehlst du das im zweiten Lebensjahr? Wenn ich die Vorstellung habe, dass die Eiallergie im Laufe der Zeit besser wird, ist es da nicht besser, ich teste das erst mit drei, vier, weil dann die Chance höher ist, dass ich eine Toleranzentwicklung hinter mir habe?

Kirsten Beyer: Naja, das heißt aber, dass es die ganzen Jahre davor gemieden werden muss. Und es ist nach wie vor so, dass ungefähr bei uns die Hälfte der Kinder ohne Diät nach Hause geht und die andere Hälfte die Diät braucht. Das heißt, ich habe viele Kinder, wo sich der Kindergarten total bemühen müsste, eine eifreie Diät durchzuführen, die Eltern alles durchlesen müssten, völlig ohne Grund. Das heißt, in der Regel provozieren wir es schon früher, wir können es auch im Säuglingsalter provozieren. Aber ja, da haben wir bei vielen dieser Kinder noch andere Nahrungsmittel, die zuerst drankommen. Aber theoretisch geht es in jedem Alter.

 

Hühnereiallergische Kinder normal impfen

Axel Enninger: Jetzt gibt es ein paar mit Ei assoziierte Fragen. Eine der Fragen, die ganz häufig kommt, ist das Thema: ‚Mein Kind hat eine Hühnereiallergie‘ – Hühnereiweißallergie, fällt mir gerade ein, würde man das sagen? Nein, würde man nicht sagen. Okay, also eine Hühnereiallergie. Wie ist es da mit Impfen?

Kirsten Beyer: Die Kinder können normal geimpft werden. Masern, Mumps, Röteln kann geimpft werden. Die Kinder können gerne etwas länger in der Praxis beobachtet werden, aber auch der niedergelassene Kinderarzt kann es impfen. Wir sind ein bisschen vorsichtiger bei Impfungen, wo wir wissen, dass größere Mengen an Hühnereiweißprotein vorhanden ist, wie Gelbfieber, manche Influenza-Impfstoffe. Aber ansonsten gehören auch hühnereiallergische Kinder geimpft.

Axel Enninger: Also ganz normal geimpft, quasi unter etwas längerer Beobachtungszeit. Das mit den Influenza-Impfstoffen wusste ich nicht. Da gibt es unterschiedliche Eiweißgehalte in den Influenza-Impfstoffen?

Kirsten Beyer: Wir haben die früher wirklich getestet. Es gibt unterschiedliche Eiweißgehalte in den Influenza-Impfstoffen. Es ist schon lange her, dass wir die einmal getestet haben. Ob das jetzt immer noch so ist, kann ich ehrlicherweise gar nicht sagen.

Axel Enninger: Und Gelbfieber ist ja jetzt nicht so eine richtig häufige…

Kirsten Beyer: …nicht so das, was wir in Deutschland häufig brauchen.

Axel Enninger: Eher für Menschen, die irgendwohin ausreisen.

 

Exzellente Toleranzentwicklung bei Kuhmilch und Hühnerei

Kirsten Beyer: Und in dem Alter, wo sie mit ihren Kindern ausreisen, ist die Hühnereiallergie in der Regel schon wieder Spuk von gestern. Die meisten Kinder verlieren das genau wie bei der Kuhmilchallergie. Die Toleranzentwicklung bei Kuhmilch und Hühnerei ist exzellent. Die meisten Kinder verlieren ihre Allergie und daran sollte man denken und regelmäßig eine Provokationstestung durchführen – unter ärztlicher Aufsicht. Ob der ganze Spuk vorüber ist und die Kinder das wieder einführen können.

Axel Enninger: Genau. Aber das ist ein gutes letztes Kapitel: Toleranzentwicklung. Gehen wir mal zurück zur Kuhmilch: Toleranzentwicklung kann ich wann erwarten? Ich starte jetzt einfach mal. Der Kinder-Gastroenterologe sagt: ‚Die nicht-IgE-vermittelte Kuhmilchallergie ist in aller Regel am Ende des ersten Lebensjahres verschwunden.‘ Ich mache das Ganze jetzt schon ein paar Jahre. Ich kenne zwei Kinder, wo das nicht so war, aber bei allen anderen ist der Spuk tatsächlich mit dem Ende des ersten Lebensjahres vorbei.

Kirsten Beyer: Außer vielleicht FPIES.

Axel Enninger: Richtig. Entschuldigung, ohne FPIES. FPIES nicht, aber die, die nicht-IgE-vermittelt waren, aber kein FPIES waren, da ist der Spuk mit einem Jahr vorbei. Und wie ist das bei den IgE-Vermittelten?

Kirsten Beyer: Bei uns nicht ganz schnell, aber in der Regel ist es auch so, dass innerhalb von einem Jahr ungefähr 60 % der Kinder tolerant werden bei der Kuhmilchallergie und bei der Hühnerallergie ungefähr die Hälfte. Und bis die Kinder zur Schule gehen, ist es bei fast allen Kindern verloren. Sie sind klinisch tolerant und können das dann wieder zu sich nehmen, sodass wir schon empfehlen, in der Regel nach einem Jahr ungefähr, eine Reprovokationstestung zu machen. Und da hilft es ehrlicherweise auch nicht viel, noch mal das IgE zu messen. Natürlich ist es toll, wenn es runtergeht oder so, aber in der Regel ist das IgE, das ich am Anfang messe, der beste prognostische Faktor. Je niedriger das am Anfang ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass das Kind rasch tolerant wird und je höher, desto schlechter. So ein bisschen ist die Prognose. Das heißt, wenn ich ein Kind mit einem sehr hohen Kuhmilch- oder Hühnerei-spezifischem IgE habe, provoziere ich dann vielleicht auch erst nach anderthalb oder zwei Jahren. Die anderen sollten wirklich nach einem Jahr provoziert werden.

Axel Enninger: Und dann sag doch bitte noch mal etwas dazu, weil ich das auch häufig höre: Kuhmilchallergie, Eiallergie bei Erwachsenen?

Kirsten Beyer: …sind Raritäten.

Axel Enninger: Ich habe das Gefühl, man hört es ziemlich häufig: ‚Ich habe eine Milchallergie.‘

Kirsten Beyer: Weil die Laktoseintoleranz immer wieder da hineingeworfen wird.

Axel Enninger: Genau. Also das finde ich wunderbar, wenn du uns das noch mal sagst. Eine echte Kuhmilchallergie bei einem Erwachsenen ist eine Rarität.

Kirsten Beyer: Ja.

Axel Enninger: Bei Ei genauso?

Kirsten Beyer: Bei Ei genauso. Wir sehen aber auch immer mal wieder 16-Jährige, die 16 Jahre auf einer kuhmilchfreien Diät gehalten wurden und dann irgendwann mal zu einer Provokationstestung kommen, weil sie doch selber darauf bestanden haben.

Axel Enninger: Da haben wir Allergologen und Kinder-Gastroenterologen, glaube ich, etwas sehr gemeinsam. Eins unserer Hobbies ist ja, Kinder von unnötigen Diäten oder Ernährungseinschränkungen zu befreien.

Kirsten Beyer: Absolut. Und wie gesagt, die Hälfte geht nach Hause und muss oder soll das Nahrungsmittel dann einführen.

Axel Enninger: Kirsten, wir kommen zum Abschluss dieses Podcasts und da gibt es eine traditionelle Rubrik und die heißt Dos und Don’ts. Du dürftest 2 bis 3 Dinge loswerden, die du unbedingt positiv empfehlen möchtest und das Gleiche dafür, wovon du unbedingt abraten möchtest oder wo du sagen würdest: ‚Ah nee, das nervt mich dermaßen, lassen Sie es mal sein!‘

 

Neurodermitis ist eine eigenständige Krankheit, IgE-Nachweis und positiver Pricktest beweisen noch keine Allergie, Reprovokation nicht vergessen, bei Anaphylaxierisiko Notfallset verschreiben

Kirsten Beyer: Ja, was ich unbedingt loswerden möchte, ist: Die atopische Dermatitis ist keine Nahrungsmittelallergie. Sie ist eine eigenständige Krankheit. Kinder können eine Nahrungsmittelallergien entwickeln, weil sie eine atopische Dermatitis haben. Dann ist es ganz wichtig für mich: Selbst, wenn ich bei diesen Kindern IgE messe und erhöhtes IgE gegen bestimmte Nahrungsmittel nachweise, heißt das noch nicht, dass das die Allergie bestätigt. Also IgE-Nachweis oder positiver Pricktest beweisen noch keine Kuhmilch- oder Hühnerallergie. Das sind für mich Sachen, die ganz wichtig sind. Und die Reprovokation nicht vergessen, das heißt die Kinder nicht auf jahrelanger Diät lassen.

Axel Enninger: Okay, willst du noch etwas zum Autoinjektor sagen?

Kirsten Beyer: Auf jeden Fall. Du siehst das sofort an meinem Gesicht?

Axel Enninger: Natürlich. Natürlich.

Kirsten Beyer: Denken Sie daran, dass Kinder, die ein Risiko für eine anaphylaktische Reaktion haben – das ist insbesondere bei der Kuhmilchallergie, die wirklich auch zu schweren Reaktionen führen kann – vergessen Sie nicht, ein Notfallset inklusive eines Adrenalin-Autoinjektors zu verschreiben und dann natürlich die Familie einmal zu instruieren, wie es funktioniert und darauf hinzuweisen, dass eine Schulung existiert. Dann natürlich auch eine Handlungsanweisung, wie einen Anaphylaxie-Pass oder einen Anaphylaxie-Plan auszustellen, weil da genau drin steht, bei welchen Symptomen welche Medikamente gegeben werden sollen. Da finden Sie weitere Informationen.

Axel Enninger: In den Shownotes, selbstverständlich.

Kirsten Beyer: Dieses Wort kannte ich bis vor kurzem nämlich noch gar nicht. [Lachen]

Axel Enninger: Also wir verlinken es in die Shownotes, um das noch mal neudeutsch zu sagen. Also schauen Sie in die Shownotes, da finden Sie die allerwichtigsten Leitlinien, da finden Sie die Handlungsempfehlungen und auch die vorhin erwähnten Grafiken, die tatsächlich wirklich gut und hilfreich sind.

Kirsten Beyer: Und Sie sehen vor allem dort oder können dort auch eine Verlinkung finden, wo Sie zum Beispiel einen Anaphylaxie-Pass kostenfrei herunterladen oder bestellen können.

Axel Enninger: Okay. Kirsten, vielen, vielen Dank für dieses Gespräch. Es hat mir sehr viel Freude gemacht. Ich hoffe Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ging es genauso und ich hoffe, Sie haben für Ihre Praxis viel mitgenommen. Wir freuen uns über Rückmeldungen und wir freuen uns auch, wenn Sie unseren Podcast abonnieren, so Sie noch kein Abonnent sind. Und wenn es Ihnen gefallen hat, freuen wir uns natürlich auch bei Apple Podcasts, bei Deezer, bei Spotify über eine positive Bewertung. Vielen Dank fürs Zuhören!

Kirsten Beyer: Tschüss.

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

Ihr Team von InfectoPharm

Literaturstellen:

AGATE Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V.: https://www.anaphylaxieschulung.de/

Anaphylaxie-Pass: https://www.anaphylaxieschulung.de/informationen-fuer-betroffene/medikamentengabe-in-kita-und-schule/

Ärztliche Bescheinigung für Nahrungsmittelallergien und Unverträglichkeiten zur Vorlage in der Kindertagesstätte oder Schule: https://www.ble-medienservice.de/0460/formular-zum-umgang-mit-nahrungsmittel-allergien-und-unvertraeglichkeiten-in-der-kita

 

Leitlinien:

Leitlinie Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien, S2k, Registernummer 061-031, Stand: 30.06.2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-031.html

Leitlinien Akuttherapie und Management der Anaphylaxie, S2k, Registernummer 061 – 025, Stand: 31.01.2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-025.html

 

Patientenratgeber: Verständliche Broschüren für Eltern und Betreuungspersonen

Allergie:

https://www.infectopharm.com/fuer-patienten/patienten-ratgeber/allergie/

Anaphylaxie:

https://www.infectopharm.com/fuer-patienten/patienten-ratgeber/anaphylaxie/