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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #15 - 19.08.2022

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Cholestase – das gelbe Baby

 

mit PROFESSOR DR. MICHAEL MELTER

 


 

DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Gesprächspartner heute ist Professor Dr. Michael Melter. Er ist Ordinarius für Kinderheilkunde an der Universität in Regensburg und gleichzeitig noch Chefarzt an der Klinik St. Hedwig, auch in Regensburg, sozusagen ein doppelter Chefarzt. Er ist ein ganz erfahrener Kinder-Gastroenterologe und einer der erfahrenen und renommierten Leberspezialisten in Deutschland. Herzlich willkommen, Michael.

Michael Melter: Herzlich willkommen!

Axel Enninger: Michael, wir reden heute über das gelbe Baby. Also wir reden über Säuglinge, die eine Gelbsucht haben und bei denen man auf besondere Dinge achten muss. Nicht alle Babys haben eine normale Neugeborenen-Gelbsucht, sondern manche haben auch ein anderes Problem. Welche Babys haben denn eine normale Gelbsucht? Bis wann ist es denn so, dass du als Kinder-Hepatologe völlig entspannt bist?

Michael Melter: Ja, also als Allererstes muss man unterscheiden. Die, die ganz früh gelb werden, also schon vor dem eigentlichen physiologischen Ikterus, über die sprechen wir heute nicht, sondern über die, die einen verlängerten Ikterus haben, eine verlängerte Gelbsucht. Das sind alle Kinder, die reif geboren sind und über den 14. Lebenstag hinaus einen Ikterus aufweisen. Bei Frühgeborenen ist das Ganze etwas länger zu sehen, also etwa drei Wochen. In der dritten bzw. vierten Lebenswoche weiterhin ein Ikterus? Dann muss man danach sehen, was die Ursache ist.

Axel Enninger: Okay, also noch mal zur Klarstellung: Wir reden jetzt nicht über das Thema der Neonatologen „früher, starker, übermäßiger Ikterus“, sondern wir reden über den Ikterus, der einfach zu lang ist. Jetzt hast du gerade schon gesagt, Frühchen kriegen ein bisschen länger als die 14 Tage. Warum ist das bei Frühchen so?

 

In den Augen ist ein Ikterus am präzisesten festzustellen

Michael Melter: Na ja, bei Frühchen ist es so, dass auch die Reifung der Glucuronyltransferase, also die Umwandlung des Bilirubins, unreif ist. Insofern ist es etwas später anzusetzen, wobei es ja im Wesentlichen bei der Frage nach dem prolongierten Ikterus zunächst einmal darum geht, bei primär Gesunden rechtzeitig zu sein und das wahrzunehmen. Und insofern empfehlen wir, und das sagt auch die Leitlinie aus, bei allen Reifgeborenen in der dritten Lebenswoche und auch bei den Frühgeborenen nicht nach der vierten Lebenswoche danach zu gucken.

Axel Enninger: Aber jetzt ist ja auch ein normal reifgeborenes Kind nach 14 Tagen noch nicht komplett „entgilbt“.

Michael Melter: Das ist nicht ganz korrekt. Im Prinzip ist es so, dass rein physiologisch in der dritten Lebenswoche, also nach 14 Tagen, die meisten der Kinder „entgilbt“ sind. Wir haben gerade in Regensburg in unserer Neugeborenen-Kohorte geguckt und es ist so, dass der überwiegende Teil entgilbt ist. Es sind nur sehr, sehr wenige Kinder, die wirklich sichtbar in den Augen nach 14 Tagen noch gelb sind. Und ganz wichtig dabei ist, in den Augen zu gucken, weil es da am präzisesten festzustellen ist, ob noch ein Ikterus vorliegt oder nicht.

Axel Enninger: Das heißt, diese 14-Tage-Regel bezieht sich nicht auf ein noch messbares Bilirubin von eins Komma xy, sondern es geht um den sichtbaren Ikterus nach 14 Tagen.

Michael Melter: Genau. Das ist der ganz entscheidende Faktor dabei. Das, was die Eltern oder die KollegInnen feststellen: der Ikterus im Auge. Das ist der Trigger dafür, dass weitere Maßnahmen ergriffen werden sollten.

Axel Enninger: Und wenn ich jetzt also ein Baby habe, sechszehn, siebzehn Tage, drei Wochen alt und in den Skleren sehe ich noch eine Gelbfärbung, dann mache ich was?

Michael Melter: In dem Moment, wo das Kind noch einen Ikterus aufweist – und wie gesagt, das ist gerade auch in Anbetracht der gesamten Konstellation mit dem Hautkolorit bei einem Kind in dem Alter, wenn es noch ein bisschen rosig ist, schwer zu beurteilen – deswegen unbedingt in die Augen gucken! Finde ich da einen Konjunktival-Ikterus, dann muss ich an der Stelle unmittelbar das Bilirubin einmal differenzieren. Es geht darum, dass nie in im Leben eine konjugierte Hyperbilirubinämie physiologisch ist. Physiologisch ist ausschließlich in den ersten 14 Lebenstagen eine unkonjugierte Hyperbilirubinämie. Und weil sie die ganz große Masse der Patienten darstellt, brauche ich das in dieser Phase auch nicht zu kontrollieren, ob es konjugiert oder unkonjugiert ist. Da muss ich nur sehen, wie hoch es ist für die neonatologischen Aspekte. Aber wenn es über den 14. Lebenstag hinausgeht, muss ich einmal ausschließen, dass es eine konjugierte Hyperbilirubinämie ist, also eine direkte Hyperbilirubinämie. Auch die unkonjugierte Hyperbilirubinämie über den 14. Lebenstag hinaus ist nicht physiologisch, hat aber eine andere Grundlage und ist heute nicht das Thema unseres Podcasts.

Axel Enninger: Jetzt gibt es ja viele Eltern und auch Pflegepersonal, Hebammen, die sagen: ‚Na, wir wollen dieses Kind nicht pieksen.‘ Da gibt es verschiedene, nicht-invasive Methoden, Stichwort „Bili-Blitz“. Was ist denn davon zu halten?

Michael Melter: Diese Methoden sind überhaupt nicht erprobt, bei reifen Kindern in dem Alter auch nicht zugelassen. Aber vor allem können sie nicht differenzieren. Das Problem bei der konjugierten Hyperbilirubinämie ist ja, dass es nicht darum geht, dass es zu hoch ist und damit über den Bili-Blitz als gefährlich angesehen wird, sondern nur, dass es überhaupt vorhanden ist. Genau das ist das Problem dabei. Dass ein Ikterus vorliegt, kann ich über die Visualisation viel sicherer abbilden. Der Bili-Blitz oder andere dieser Methoden sind indirekte Methoden, um die Hyperbilirubinämie festzustellen. Wenn ich die gar nicht sehe, dann muss ich auch keinen Bili-Blitz machen, weil es dann für diese Fragestellung gar nicht relevant ist.

 

Reifgeborene älter als zwei Wochen mit gelben Skleren: Gesamtbilirubin und direktes Bilirubin bestimmen

Axel Enninger: Also good old-fashioned doctor. Wir gucken die Kinder an, wir gucken die Skleren an und wenn wir bei einem Kind, das älter als zwei Wochen, Frühchen älter als drei Wochen ist, einen Ikterus in den Skleren sehen, dann müssen wir Blut abnehmen.

Michael Melter: Richtig.

Axel Enninger: Und beim Blut nehmen wir was ab?

Michael Melter: Ja, beim Blut ist es ganz einfach. Wir bestimmen das Gesamtbilirubin und wir bestimmen den Anteil an direktem Bilirubin. Der Anteil an direktem Bilirubin ist entscheidend für die Frage, ob wir es als neonatale Cholestase bezeichnen oder nicht.

Axel Enninger: Okay und ab wann sagst du „neonatale Cholestase“?

Michael Melter: Es ist so, dass es da durchaus unterschiedliche Einschätzungen gibt, aber im Prinzip, eine Erhöhung über den Normwert, das heißt über 1.

Axel Enninger: Also direktes Bili über 1 nach zwei Wochen ist ein Problem.

Michael Melter: Genau. Es ist abklärungspflichtig, wenn es ein direktes Bilirubin über 1 nach zwei Wochen ist.

Axel Enninger: Jetzt kann man ja sagen: ‚Na ja, wenn ich dieses Kind schon steche, dann gucke ich nicht nur nach dem Bilirubin.‘ Ist es dann sinnvoll, auch gleich nach anderen Laborwerte zu gucken, um irgendwie einen Schweregrad oder einen ersten Hinweis auf eine Ursache zu bekommen?

Michael Melter: Nein, das ist im Prinzip in der Konstellation nicht sinnvoll, weil es ja an dieser Stelle erst einmal nur darum geht, den Anteil an Kindern herauszufinden, die tatsächlich eine direkte Hyperbilirubinämie haben. Gerade auch Kinder, die gestillt werden, haben öfter einen verlängerten Ikterus, der nicht auf der Grundlage einer konjugierten Hyperbilirubinämie besteht. Für diese Kinder brauche ich an dieser Stelle noch keine weiteren Maßnahmen. Einen Teil von Untersuchungen durchzuführen, ist zu diesem Zeitpunkt nicht sinnvoll, weil ich am Ende des Tages vor allem bei denen, die eine solche Hyperbilirubinämie haben, also eine konjugierte Hyperbilirubinämie haben, eine breite Palette an Differenzialdiagnose abklären muss und es primär nicht darum geht, ob schon andere Störungen eingetreten sind, also ob Leberzellschaden vorliegt oder andere Dinge. Das ist an der Stelle nicht entscheidend.

Axel Enninger: Das heißt, uns reicht erst einmal Bilirubin direkt und indirekt. Und wenn das direkte Bilirubin über 1 ist, habe ich ein Thema. Aber das Bilirubin allein ist es ja wahrscheinlich gar nicht, sondern es gibt noch andere Punkte, auf die ich auch achten sollte, oder?

 

Wichtige Hinweise durch Urin- und Stuhlfarbe

Michael Melter: Ja, es ist so, dass noch sensitiver und in der Vorsorge – und vor allem auch durch Laien, also die Eltern – die Beurteilung der Stuhlfarbe und auch die Beurteilung der Urinfarbe von ganz hoher Bedeutung ist. Die Eltern, die in einer solchen Situation sind, also ein Neugeborenes haben, sollten angeleitet werden, genau diese beiden Faktoren kontinuierlich zu überprüfen in der Zeit bis zum Alter von 4 bis 6 Wochen, um hier einen Hinweis zu haben für eine obstruktive Cholestase, die in dem Alter der wesentliche Faktor ist; den wir ausschließen wollen.

Axel Enninger: Jetzt haben viele Eltern ihr erstes Baby und haben überhaupt keine Ahnung, wie ein normaler Babyurin aussieht, welche Farbe normaler Babystuhl hat. Da gibt es dann Profis, die man zurate ziehen kann. Trotzdem wäre es natürlich gut, die Eltern hätten etwas an der Hand. Wie sieht denn normaler Babyurin aus?

Michael Melter: Normaler Babyurin ist überwiegend wasserklar, weil die Kinder ihren Harn noch nicht konzentrieren können. Unser eigener Harn wird ja, wenn wir nicht eine Hyperbilirubinämie haben, nur dann wirklich dunkel, braun, in der Konstellation, dass wir eine Lebererkrankung oder eine Gallenwegerkrankung haben. Aber unter der Bedingung, dass wir stark schwitzen, dass wir wenig trinken, sind wir in der Lage unsere harnpflichtigen Substrate zu konzentrieren. Dadurch wird der Harn, wie mein ehemaliger Chef immer gesagt hat, „hochgestellt“, also eher in Richtung dunkel, gelb, orange. Das kann ein Neugeborenes nicht. Hat es mehrfach einen deutlich sichtbar gefärbten Urin, ist das immer Ausdruck einer Pathologie, in der Regel Ausdruck einer konjugierten Hyperbilirubinämie. Also zwei-, drei-, viermal ein Urin, der für uns völlig normal wäre, eher dunkelgelb, richtig gelb gefärbt, ist für ein Kind in dem Alter sicherer Hinweis, dass es eine Hyperbilirubinämie hat.

Axel Enninger: Okay. Das heißt in der Tat, wir denken zwar eigentlich an Galle, die nicht aus der Leber in den Magen–Darm-Trakt kommt, trotzdem ist das Thema der Urinfarbe ein durchaus relevantes und nochmal, um es zu wiederholen: Ein Urin, der gelblich aussieht wie Erwachsenenurin, ist erst einmal auffällig bei einem Neugeborenen.

Michael Melter: Der ist auffällig bei einem Neugeborenen und in der Diagnostik deswegen auch fatal, weil er letztendlich in der Windel landet und gegebenenfalls auch den Stuhl in eine Farbe versetzt, die ihn als unauffällig erkennen lässt.

 

Stuhl-Farbkarten für Eltern nach RAL genormt

Axel Enninger: Stuhlfarbe ist ja das andere – mittlerweile in aller Munde. Es gibt ja diverse Möglichkeiten zu schauen, ob denn der Stuhl tatsächlich gefärbt oder entfärbt ist. Was empfiehlst du denn da?

Michael Melter: Ja, es gibt sehr gute Stuhl-Farbkarten, die nach RAL auch genormt sind – welche Farben wie aussehen. Es gibt eine koreanische Karte, die hat dann auch noch die Oberfläche des Stuhls für die Eltern auf dieser Karte sichtbar. Das halte ich nicht für unbedingt notwendig, aber der Farbabgleich ist an der Stelle sehr, sehr gut. Das gibt es sowohl von der britischen Fachgesellschaft als auch von den verschiedenen asiatischen, japanisch-koreanischen Fachgesellschaften. Das haben wir vor etwa 15 Jahren bei uns auch eingeführt und damals zusammen mit der Firma Falk als Stuhl-Farbkarte herausgegeben, auch als Fachgesellschaft, der GPGE. Dieses haben wir auch dann als Grundlage dafür genommen, dass wir den entsprechenden Antrag beim G-BA durchgesetzt haben und heute diese Stuhl-Farbkarte zumindest den Ärzten zur Verfügung steht. Wichtig dabei ist der tatsächliche, direkte Vergleich, der visuelle Vergleich – mit den Augen. Dass die Eltern in jeder einzelnen Situation den Stuhl mit dieser Farbkarte beurteilen und für jeden einzelnen Stuhl eine Aussage darüber treffen, ob er pathologisch gefärbt ist oder nicht. Es kommt dabei nicht darauf an, und ich halte es auch für wenig sinnvoll, dass ein technisches Gerät beurteilt, ob die Farbe stimmt, sondern die Eltern sollten die Farbe zwischen Stuhl und Farbkarte abgleichen, dabei aber darauf achten, dass nicht die ganze Windel gelb ist. Weil wie gesagt, dann ist die Windel vom Urin bereits gelb gefärbt und damit auch der Stuhl in seiner Farbe verfälscht. Diese Stuhl-Farbkarten kann man letztendlich auf verschiedene Arten und Weisen bekommen. Aber wichtig ist, dass die Originalfarben miteinander verglichen werden.

Axel Enninger: Ist das eine Empfehlung oder eine Verpflichtung?

Michael Melter: Die Beurteilung mit der Stuhl-Farbkarte ist verpflichtend. Das Problem dabei ist, dass die Form, wie es vom G-BA umgesetzt worden ist – ganz anders als von uns empfohlen und vorgegeben – so ist, dass der Arzt oder die Ärztin bei der U2 und U3 den Eltern die Stuhl-Farbkarte vorlegt und sie retrospektiv beurteilen sollen, wie die Stuhlfarbe ihres Kindes in den letzten Wochen gewesen ist. Das ist natürlich abstrus. Es muss so sein, dass der Stuhl jeweils mit der Stuhl-Farbkarte beurteilt wird, und deswegen gibt es eine ganze Reihe von Kolleginnen und Kollegen – und auch bei uns ist es so – die jeder Familie mit einem Neugeborenen diese Stuhl-Farbkarten im U-Heft mitgeben oder wir heute dieses auch mit einer App abbilden, sodass die Eltern unmittelbar bis zur U3 den Stuhl kontinuierlich beurteilen können bezüglich seiner Farbe.

Axel Enninger: Also für diejenigen, die das bislang noch nicht machen und nur zur U2 und zur U3 fragen: Es ist verständlicherweise weniger sensitiv, als eine Farbkarte mitzugeben und den Eltern zu sagen: ‚Bitte jeden Tag gucken.‘ Und diese Farbkarten kriegt man wo? Und nur noch mal als Hinweis, man findet ja im Internet alles Mögliche. Das Problem ist da, wenn ich die ausdrucke, habe ich natürlich alle möglichen Farben, die durch die verschiedenen Drucker entstehen, sodass es immer ungenauer wird, oder? Man braucht die Original-Farbkarten?

Michael Melter: So ist es. Die Original-Farbkarten sind abgeglichen nach RAL. Wenn man das ausdruckt, dann hat jeder Drucker ein bisschen Unterschiede und dann ist es nicht mehr die Qualität, die es haben muss. Und es ist vor allem auch nicht überprüft, ob die Farben dann tatsächlich zutreffen. Das heißt, diese Farbkarten kriegt man bei verschiedenen Stellen und man kann sich im Zweifel auch bei uns melden. In Regensburg, bei uns in unserem Zentrum für seltene Erkrankungen, haben wir extra eine Kontaktperson, über die man erfahren kann, wo man diese Karten bekommt. Aber inzwischen gibt es verschiedenste Anbieter für diese Karten. Zum Beispiel auch über den Berufsverband ist es möglich, diese Karten zu bekommen, wobei es wie gesagt wichtig wäre, dass die Eltern das ausgehändigt bekommen im Rahmen der U2-Vorsorge, um dieses vergleichen zu können. Alternativ dazu gäbe es auch die Möglichkeit, das über eine App abzubilden. Da gilt genau das Gleiche: Die Farben müssen halt entsprechend sicher abgebildet werden können.

Axel Enninger: Also Bezugsquelle von den Farbkarten würden wir in den Shownotes aufschreiben, ebenso wie die von dir vorhin schon erwähnte Leitlinie. Also kann man dann sicher alles nachlesen. Ist glaube, es ist eine gemeinsame Leitlinie von den Neonatologen und den Gastroenterologen. Das habt ihr zusammen gemacht, nicht wahr?

Michael Melter: Das ist genau genommen eine gemeinsame Leitlinie in der ersten Anlehnung auch und vor allem von den Kinderchirurgen, den Kinder-Gastroenterologen, den Kinder- und Jugendärzten, dem Berufsverband, den Neonatologen und den Hebammen und ich könnte noch andere aufzählen, die Selbsthilfegruppe… sodass hier alle beteiligt sind. Federführend war die Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung, aber natürlich unter Einbindung aller anderen. Und das sind in erster Anlehnung natürlich alle Kinder- und JugendärztInnen und in zweiter Anlehnung alle Kinder- und JugendchirurgInnen. Das habe ich jetzt falsch gesagt.

Axel Enninger: Na, mal gucken, welche politischen Korrektheitsfehler du da gerade begangen hast, aber das lassen wir trotzdem so. Also wir schreiben es in die Shownotes und da kann man es jederzeit nachlesen, genauso wie die Bezugsquelle der Farbkarten. Und noch mal: Die Nachricht war, diese Farbkarten gehören ins gelbe Heft und man muss kontinuierlich danach schauen, ob die Stühle tatsächlich entfärbt sind oder nicht. Und dann bei der Interpretation: Wie macht man das? Einmal ist keinmal oder einmal ist schon gleich: „Ab zum Kinder-Gastroenterologen“, oder wie?

 

Dreimal auffälliger Stuhl oder zweimal auffälliger Urin? Kinderarzt einschalten!

Michael Melter: Also wir haben das für uns so festgelegt, dass wenn dreimal ein auffälliger Stuhl ist, dass das der Trigger ist. Dreimal auffälliger Stuhl oder zweimal auffälliger Urin: Kinderarzt, Differenzierung des Bilirubins und dann die weiteren Maßnahmen einleiten.

Axel Enninger: Wir Kinder-Gastroenterologen bekommen relativ häufig in unserer Sprechstunde Fotos von Stühlen unter die Nase gehalten. Jetzt hattest du es vorhin schon erwähnt, dass es auch Apps gibt. Mal deinen Kommentar zu diesen Apps. Also es gibt Apps, da fotografiere ich den Stuhl und vergleiche wiederum die Farbe auf dem Foto mit einer Farbskala. Was ist davon zu halten?

Michael Melter: Da ist mir der Sinn nicht ganz gegenwärtig, denn auch da ist es natürlich so, dass ich ein Medium habe, das dazwischen ist und das Auge es normalerweise besser auseinanderhalten kann. Deswegen halte ich vom Fotografieren und der sekundären Beurteilung weniger. Besser ist es tatsächlich es „frisch“ zu beurteilen. Wenn die App, was es auch gibt, tatsächlich die Farbe beurteilt, also den Stuhl in seiner Farbe beurteilt, ist das in Deutschland nicht zulässig. Dieses wäre dann tatsächlich ein Medizinprodukt und würde sofort Empfehlungen geben. Das ist so nicht zulässig. Es bedarf dann der Beurteilung einer Fachfrau oder eines Fachmannes. Lediglich darüber der Trigger, dass der Laie, die Eltern, auf diese Art und Weise darauf hingewiesen werden sollen, dass es möglicherweise hier zu einer Situation gekommen ist, die einer weiteren Diagnostik bedarf. Die muss aber beurteilt und initiiert werden durch Fachleute, also Ärzte.

Axel Enninger: Jetzt haben wir mehrfach darauf hingewiesen, dass es uns so wichtig ist, dass man das regelmäßig guckt und diese Kinder frühzeitig erwischt. Warum ist uns Kinder-Gastroenterologen das so wichtig?

Michael Melter: Es gibt eine Reihe von Erkrankungen, bei denen es entscheidend ist, dass sie frühzeitig behandelt werden. Das ist ja letztendlich der Sinn von sekundärer Prävention, die es in diesem Fall auch darstellt. Wir können nichts daran ändern, dass eine Störung zugrunde liegt, aber wir können den Verlauf dieser Störung und den Krankheitswert dieser Störung beeinflussen. Der entscheidende Faktor bei einem gesund wirkenden Kind im Alter von 2 bis 4 Lebenswochen oder 6 Lebenswochen in Bezug auf die neonatale Cholestase ist an der Stelle die Gallengangatresie. Bei der ist es entscheidend, dass sie frühzeitig diagnostiziert wird, um den Verlauf positiv beeinflussen zu können.

Axel Enninger: Jetzt erinnere ich aus den letzten Jahren, dass der Merkspruch war: „Die Diagnose muss bis zur sechsten, spätestens zur achten Lebenswoche gestellt werden.“ Vor ein paar Wochen war Kongress unserer europäischen Fachgesellschaft, der europäischen Kinder-Gastroenterologen und -Hepatologen und da war sogar vom Tag 30 die Rede, bis zu dem die Diagnose gestellt werden sollte. Das ist ja sportlich früh. Was ist denn deine Meinung dazu?

Michael Melter: Also, wenn man in die Evidenz geht an der Stelle, muss man sagen, dass belegt ist, der 60. Tag ist sozusagen die Grenze. Allerdings deuten neuere Hinweise aus dem größten Register aus Asien darauf hin, dass tatsächlich ein weiterer Fortschritt wäre, wenn die Kinder vor Tag 30 diagnostiziert und auch behandelt werden würden. Ich glaube, dieses sind gute Daten, das sind valide Daten. Allerdings muss man sagen, dass sie an einem Kollektiv von Patienten erhoben worden sind, der sich von unserem etwas unterscheidet. Die Gallengangatresie stellt prinzipiell zwei Gruppen dar. Die eine Gruppe sind die vererbten Gallengangatresien. Das ist bei uns die kleinere Gruppe mit etwa 10, vielleicht 20 %, aber eher 10 %. Der größere Teil ist tatsächlich die Form der erworbenen Gallengangatresie, das heißt, um die Geburt herum entsteht diese Erkrankung erst, und für die ist es mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nicht so entscheidend, dass sie früher dargestellt werden. In Asien ist die Konstellation so, dass der Anteil an syndromalen Gallengangatresien sehr viel höher ist. So wird es sich wahrscheinlich allein deshalb schon statistisch auswirken, dass die 30 Tage relevanter sind, als das wahrscheinlich in Mitteleuropa der Fall ist. Aber sichere Daten haben wir dafür nicht. Der Hinweis für jeden, der sich damit beschäftigt und vor allem für unsere Chirurgen ist allerdings, dass sie sehen, dass je weniger die Sklerosierung der Gallengänge extrahepatisch fortgeschritten ist, umso besser ist die Prognose.

Axel Enninger: Das heißt je früher, desto besser. Tag 60 spätestens und offensichtlich zeigen Daten, dass früher – Tag 30 – noch besser wäre. Und jetzt hattest du es vorhin schon gesagt,  pathophysiologisch hat eine Weile gedauert, bis ich das überhaupt kapiert habe, das Wort heißt „Atresie“. Trotzdem ist das etwas, das sich bei vielen Patienten ja erst postpartal entwickelt. Das ist sprachlich erst einmal sonderbar, denn wenn man Atresie hört, denkt man, das ist etwas, das schon vor der Geburt entstanden war. Es ist aber so, oder? Bei den allermeisten Kindern, jedenfalls in Mitteleuropa, passiert zum Zeitpunkt der Geburt irgendetwas und dann geht der Gallengang zu? Oder erklär doch noch mal ein bisschen!

 

Viele mögliche Ursachen für konjugierte Hyperbilirubinämie

Michael Melter [zustimmend]: Ich erkläre das gerne mal und fange nochmal bei der neonatalen Cholestase an. Im Zusammenhang, neonatale Cholestase, extrahepatische Gallengangatresie, alle vier Worte sind eigentlich patophysiologisch falsch. Erstens beurteilen wir in der Regel Kinder, die nach Diktion gar nicht mehr neonatal sind, sondern oft über den 40., über den 30. oder 28. Lebenstag hinaus. Zweitens handelt es sich bei einem Großteil dieser Patienten gar nicht um eine Cholestase im eigentlichen Sinne, sondern um eine konjugierte Hyperbilirubinämie, die in einem Großteil der Patienten aufgrund einer hepatozellulären Störung und nicht eines verminderten Gallenflusses zustande kommt, also im eigentlichen Sinne keine Cholestase darstellt. Und drittens ist es so, dass der Terminus extrahepatische Cholestase auf den pathologischen Beobachtungen beruht, dass man bei diesen Patienten in den Zeiten, als man diese Erkrankung beschrieben hat, festgestellt hat, dass sie außerhalb der Leber keine durchgängigen Gallengänge haben. Deswegen hat man den Ausdruck Atresie gewählt und genutzt, während man heute weiß, dass der Großteil der in Mitteleuropa diagnostizierten Patienten zum Zeitpunkt der Geburt und dann über eine gewisse Zeit hinweg durchgängige Gallenwege hat, die sekundär von distal nach proximal sklerosieren und damit verschlossen sind, aber nicht im atretischen Sinne, im eigentlichen atretischen Sinne.

Axel Enninger: Was ja auch die Erklärung dafür ist, dass es durchaus Babys gibt, die anfangs gefärbte Stühle hatten und wo die Stühle dann entfärbt werden. Da kann man nicht sagen: ‚Na ja, aber der hatte mal gefärbte Stühle, also hat er es nicht, oder?

Michael Melter: Das ist ganz entscheidend, dass sogar der Großteil dieser Patienten zunächst einen normalen Stuhl aufweist und dann erst im Laufe der Zeit entfärbte Stühle hat. Deswegen ist es auch wichtig, eben nicht nur in der zweiten, dritten Woche zu gucken, sondern eigentlich bis zum Alter von etwa sechs Wochen zu sehen, dass sicher ein Gallefluss in den Darm vorhanden ist, und der erste und wichtigste Parameter dafür ist die Färbung des Stuhls.

Axel Enninger: Jetzt hast du über Gallengangatresie schon gesprochen und wir reden vielleicht gleich noch mal darüber, was OP-Indikation, Prognose und so weiter anbelangt. Aber es ist ja nicht alles Gallengangatresie. Was denkst du denn, wenn Galle aus der Leber nicht in den Darm kommt, welche Differenzialdiagnosen rattern dann sonst noch durch deinen Kopf?

Michael Melter: Ja, da gibt es eine ganze Reihe von verschiedensten und immer selteneren Erkrankungen, die dazu führen können. Gallefluss im eigentlichen Sinne ist zu unterscheiden. Wenn tatsächlich der Gallefluss selbst in der gesamten Konstellation der Galle nicht fließt, das finden wir als Zweithäufigstes durch die Konstellation einer sogenannten Gallenganghypoplasie. Sie wurde früher auch als intrahepatische Gallenganghypoplasie bezeichnet. Der Großteil dieser Patienten ist wahrscheinlich dem Alagille-Syndrom zuzuordnen, was ein sehr komplexes Syndrom mit Störungen an den verschiedensten Organen darstellt. Da ist es so, dass die Gesamtmenge der Gallenwege, aber auch der Durchmesser der Gallenwege insgesamt deutlich reduziert ist. Auch da kann es dazu kommen, dass es keinen sichtbaren Gallefluss mehr in den Darm gibt. Das ist die wichtigste Hauptdifferenzialdiagnose für die tatsächliche, obstruktive Cholestase. Andere Erkrankungen…

Axel Enninger: Wenn wir noch einmal kurz dabei bleiben, bitte. Also an Alagille denke ich wann? Alagille, haben wir ja alle gelernt, ist ein Syndrom. Da gibt es verschiedene Dinge, die dazugehören. Ich starte mal mit etwas und du kannst ja dann weitermachen. Schmetterlingswirbel.

Michael Melter: Vor allem die periphere Pulmonalstenose und die anderen Gefäß- und kardialen Störungen, die sehr variabel sind. Das Typische sind die Pulmonalstenosen. Dann gehören dazu: Nierenstörungen, dann gehören dazu Kleinwuchs, Intelligenzminderung und, und, und, und. Sehr, sehr, sehr, sehr breit. Bei Neugeborenen natürlich vor allem die kardialen Dinge und auch mal die Schmetterlingswirbel zu sehen, das sind sozusagen die Indizes. Es gibt noch das Embryotoxon posterior, eine Veränderung am Auge, die man aber so ganz häufig bei den ganz kleinen Kindern gar nicht sieht. Viele der anderen Störungen, die beobachtet werden, sind dann auch Dinge, die erst im Laufe der Zeit zu beobachten sind.

Axel Enninger: Und so supertypisch sehen sie ja auch nicht alle aus. Es gibt ja in den Büchern immer die typische Fazies, da gibt es ein paar, da denkt man: ‚Ja, das könnte schon sein.‘ Aber da gibt es auch welche, die im Gesicht erst einmal ziemlich normal aussehen, oder?

Michael Melter: Ja, natürlich gibt es die. Wobei man sagen muss, wenn man sehr viele davon gesehen hat… und ‚sehr viele‘ ist natürlich relativ. Ich habe vielleicht 150 solcher Kinder gesehen, dann kann man sie auch oft schon erkennen durch eine Balkonstirn. Das ist eigentlich das Typischste, dass sie eine sehr prominente Stirn haben, aber viel wichtiger ist, sich die Eltern anzugucken. Die meisten der Diagnosen, die ich stelle, sind so, dass ich mit der Mutter über die Frage spreche, ob es eine Gallengangatresie ist, und ich sie dann ansehe. Dann muss ich differenzieren, bitte nicht verraten, liegt es daran, weil sie aus Niederbayern kommt, oder liegt es daran, dass sie ein Alagille-Syndrom hat? Sehr häufig ist es so, dass wir über die Angehörigen die Diagnose schon optisch stellen können.

Axel Enninger: Genau, weil dominant vererbt. Also heißt es aber für diejenigen, die nicht unbedingt Spezialisten auf dem Feld sind, trotzdem: Wenn ich eine Galleausscheidungsstörung habe und gleichzeitig etwas am Herzen habe, dann muss ich schon mal besonders hellhörig werden. Dann ist es kein Fehler zu denken: ‚Ja, könnte auch ein Alagille sein.‘ Das ist aber am Ende auch ein Thema, das in Ambulanzen bzw. in einer Klinik wie bei dir landet. Also, das hast du jetzt schon gesagt, Gallengangatresie war eines. Syndromatische Erkrankung ist das Nächste. Was gäbe es noch? Macht eine akute Hepatitis auch eine Cholestase?

Michael Melter: Also, eine akute Hepatitis macht im pathophysiologischen Ausdruck keine Cholestase. Es sei denn, dass man im Prinzip sagt, dass das Nicht-Ausscheiden von konjugiertem Bilirubin auch ein Ausdruck von Cholestase ist. Die Ursache dafür ist aber nicht der verminderte Fluss von Galle, sondern an der Stelle die vermehrte Durchlässigkeit der Hepatozytenmembran oder sogar Untergang der Hepatozyten. Die Hepatozyten können bis zu ihrem absoluten Untergang Bilirubin konjugieren – und tun das auch. Das heißt, die häufigsten Ursachen grundsätzlich, auch außerhalb der Neugeborenenphase, für eine konjugierte Hyperbilirubinämie sind gar keine Cholestasen, sondern die häufigsten Ursachen dafür sind hepatozelluläre Störungen, die mindestens mit einer Membranstörung einhergehen, also zum Beispiel eine Hepatitis. Das gibt es natürlich auch konnatal. Es gibt konnatal keine akute Hepatitis A oder dergleichen, aber es gibt die klassischen Hepatitiden. Vor allem gibt es andere hepatotrophe Viren, die dafür verantwortlich sein können. In den meisten Fällen, wenn man eine Form von Leberzellschädigung findet, findet man – wenn man eine typische hepatitische Form findet – gar keinen Erreger, sodass wir dann nicht sagen können, welcher Erreger es war. Aber anhand der Zusammenstellung der verschiedenen Befunde können wir andere Dinge ausschließen und sehen den hepatozellulären Schaden hier wie bei einer Hepatitis. In diese Richtung der zellulären Störung gibt es zahlreichste Veränderungen. Es gibt im Prinzip keine Störung, die global mit Stoffwechsel zusammenhängt oder global mit endokrinen Störungen zusammenhängt, die nicht zu einer Verlängerung der konjugierten Hyperbilirubinämie führen kann. Ob das Wachstumshormonmangel ist, ob es eine Hypothyreose ist, ob es irgendwelche Formen von Autoimmun-Hepatitiden sind, die es auch konnatal oder früh, neonatal, geben kann. Das alles führt zur gleichen Symptomatik der konjugierten Hyperbilirubinämie. Diese Patienten sind aber typischerweise nicht dadurch gekennzeichnet, dass sie einen entfärbten Stuhl haben. Deswegen darf man sich auch darauf nicht begrenzen, denn – ja: Die Gallengangatresie und das Alagille-Syndrom, das kann ich womöglich darüber noch darstellen, aber eben nur, wenn ich eine obstruktive Cholestase habe. Die anderen, zum Teil schwerwiegenden Störungen, wie zum Beispiel eine Hypothyreose oder Panhypopituitarismus oder andere Störungen, also einen völligen Ausfall der zentralen Hormonbildung, habe ich eben nicht dadurch abgebildet, dass der Stuhl entfärbt ist.

 

Behinderter Gallefluss: Gallengangatresie, Alagille-Syndrom?

Axel Enninger: Da halten wir fest: Es gibt bei vielen „-itis-Formen“ laborchemisch dann so eine Mischform aus hepatischem und cholestatischem Schädigungsmuster, das ist klar. Trotzdem müssen wir uns jetzt – das ist ja unser heutiges Thema – vor allem um diejenigen kümmern, die ein Ausscheidungsthema haben. Da hast du gesagt: Gallengangatresie, Alagille-Syndrom ganz vorne. Wenn man jetzt sagt, ich schaue jetzt mal ein bisschen weiter, gibt es denn laborchemisch Dinge, die dich eher auf ein cholestatisches Bild hinweisen? Also Frage ganz direkt: γ-GT. Hilft sie in der neonatalen Zeit?

Michael Melter: Die γ -GT hilft, aber sie ist leider nicht in irgendeiner Weise exkludierend. Sie gehört dazu und man sollte sie auch auf jeden Fall machen. Die Gruppe der Patienten mit einer obstruktiven, cholestatischen Neugeborenenerkrankung hat als Gruppe einen höheren γ -GT-Wert als die Patienten, die eine hepatozelluläre Störung haben, also die neonatale Hepatitis. Allerdings gilt das für das Individuum nur bedingt. Wir sehen auch Patienten, die eine weitestgehend normale γ -GT haben und dennoch eine Gallengangatresie. Vor allem dann, wenn wir früh in der Diagnostik sind und noch Galle fließt oder noch bis vor wenigen Tagen Galle geflossen ist, dann ist es durchaus so, dass es möglich ist, dass sie in dieser Phase noch keine wirklich deutliche Erhöhung der γ -GT haben. Also die γ -GT ist ein Hinweis, aber kein Ausschluss. In dem Fall, wenn sie normal oder annähernd normal ist, schließt es nicht aus, dass ich eine obstruktive Cholestase haben könnte.

Axel Enninger: Okay, also noch mal ganz wichtig: Normale γ -GT oder nur eine minimal erhöhte γ -GT heißt nicht, dass man bezüglich der Gallengangatresie aus dem Schneider ist. Wie ist es mit Sono?

Michael Melter: Ja, das Sono. Ich liebe Sono. Es ist für die fast alle Dinge, die wir in dem Bereich haben, ganz entscheidend. Bei der Gallengangatresie ist es leider aber so, dass es uns nur bedingt hilft. Es gibt verschiedene Aspekte, wie ich ein Hinweis für eine Gallengangatresie im Ultraschall finden kann. Der härteste Hinweis ist eine Narbenplatte in der Pforte, im Pfortenbereich der Leber, das sogenannte trianguläre Zeichen. Das heißt, ich habe im Ultraschall eine deutliche echogene Platte in diesem Bereich, aber wie man sich vorstellen kann, pathophysiologisch ist das schon Ausdruck dessen, dass in diesem Bereich schon ein Narbenfeld ist, was ich so auch abbilden kann. Und insofern ist diese Maßnahme, ist dieses Symptom vor allem in Asien beschrieben, wo diese Patienten sehr viel häufiger sind, die schon konnatal eine Gallengangatresie entwickeln und zum Zeitpunkt der Geburt oder früh danach bereits eine Vernarbung an dieser Stelle im Bereich der Gabel des Gallenganges haben. Das ist in Deutschland, das ist in Mitteleuropa sehr viel seltener, und insofern ist dieses Zeichen eigentlich nach eigener Erfahrung in den wenigen Fällen, wo wir es sehen, dann auch beweisend. Allerdings sagt der Nicht-Nachweis dieser Platte gar nichts. Ich hatte ja gesagt, dass die Gallengangatresie bei uns üblicherweise erst von distal nach proximal fortschreitend sklerosiert. So hat man eben normale Gallenwege, womöglich auch eine normale Gallenblase, die einen nicht darauf hinweisen, dass es eine Gallengangatresie ist. Da ein Großteil der Gallengangatresien aber im Bereich des Ductus hepaticus liegen, also vor Einmündung des D. cysticus, ist eines der typischen Symptome eine ebenfalls atretische Gallenblase, die sich womöglich auch postprandial nicht entleert. Das heißt, eines der Standardverfahren, das man machen sollte, ist, ein solches Kind nüchtern – in dem Alter reichen zwei, drei Stunden – wenn es geht, möglichst lange zu schallen und dann darzustellen, ob die Gallenblase ein normales Volumen hat. Dann, wenn das Kind das erste Mal geschallt ist, es stillen, anlegen lassen oder ihm seine Nahrung geben und unmittelbar darunter im Ultraschall gucken, ob die Gallenblase sich entleert. Eine sich nicht entleerende Gallenblase oder eine atretische Gallenblase sind deutliche Hinweise für das Vorliegen einer Gallengangatresie. Sie beweisen sie aber nicht, weil ich zum Beispiel auch beim AlagilleSyndrom durchaus genau die gleichen Symptome haben kann.

Axel Enninger: Das heißt Sonographie hilft, aber Sono reicht nicht. Also wenn ich ernsthaft denke, das Kind hat eine Gallengangatresie und ich sehe eine Gallenblase, dann kann ich sagen: ‚Na ja, macht es vielleicht nicht unbedingt wahrscheinlicher, wenn ich eine Gallenblase sehe, die sich entleert.‘ Es ist schon kein schlechter Hinweis. Trotzdem, grundsätzlich haben wir es damit noch nicht vom Tisch. Wann und wie kriegen wir es denn vom Tisch bzw. kriegen wir es denn bewiesen?

 

Konjugierte Hyperbilirubinämie und entfärbte Stühle: Visualisation der Gallengänge

Michael Melter: Ja, das ist natürlich die zentrale Frage an der Stelle. Habe ich eine konjugierte Hyperbilirubinämie, ist in Bezug auf die Gallengangatresie der entscheidende Faktor die Färbung des Stuhls, weil es ein sehr sensitiver Parameter dafür ist, dass Bilirubin in den Stuhl gelangt, in den Darm gelangt und dann in den Stuhl gelangt. Da das zwar nur ein ganz kleiner Anteil der Gesamtgalle ist, aber der entscheidende Anteil für die Färbung, ist die Färbung des Stuhls der Trigger für die weiteren Maßnahmen. Habe ich ein Kind mit einer konjugierten Hyperbilirubinämie, würde ich in einer solchen Situation eine breite differenzialdiagnostische Abklärung machen. In dem Moment, wo der Stuhl entfärbt ist, ist unmittelbar einzuschließen, dass wir eine Visualisation der Gallengänge brauchen. Ansonsten haben wir ein Stück weit Zeit und können sehen, in welcher Kaskade die Ergebnisse der Differenzialdiagnosen eintreffen.

Axel Enninger: Okay, das hast du jetzt hübsch gesagt. Wie visualisierst du die Gallengänge?

Michael Melter: Indem ich sie direkt darstelle. Es gibt derzeit nur zwei Methoden. Die eine Methode ist, dass intraoperativ die Gallenwege durch den Chirurgen in der Regel über die Gallenblase aufgefüllt werden, nach unten hin zunächst der Gallenweg verschlossen wird und damit in Richtung der Leber versucht wird, die Gallenwege aufzufüllen. Dann ist es entscheidend, dass die letzte Generation der Gallengänge, also die Gabel, intrahepatisch oder gerade eben extrahepatisch noch offen ist. Dann habe ich zu diesem Zeitpunkt eine Gallengangatresie ausgeschlossen. Das Gleiche kann ich auch machen und eleganter machen, weil vor allem sehr zarte Gallenwege damit auch dargestellt werden können, indem ich eine retrograde Darstellung über die Papille, also über das Duodenum und die Papille im Rahmen einer ERC mache und mit einem speziellen Neugeborenen- oder Säuglings-ERCP-Duodenoskop die Gallenwege direkt darstelle.

Axel Enninger: Okay, aber da gibt es jetzt nicht so wahnsinnig viele Adressen in Deutschland, die das können, oder?

Michael Melter: Da gibt es nicht so wahnsinnig viele Adressen in Deutschland, die das können, wobei ich mich immer ein bisschen wundere. Wir gehen davon aus, dass wir so etwa 45, jedenfalls nicht mal 50 Gallengangatresien pro Jahr in Deutschland sehen und andere Erkrankungen, die häufiger sind, werden an einzelne Zentren geschickt. Da ist es überhaupt kein Thema. Bei der Gallegangatresie tut man sich offensichtlich damit noch schwer. Aber ich will mal so sagen, wichtig ist, dass man eine Visualisation darstellt und wenn es nicht anders geht, ist natürlich auch die intraoperative Visualisation ein Weg. Wir können auch einen Teil der Patienten damit sehr gut diagnostizieren. Das Problem des Chirurgen ist, dass die Gallenwege selbst so zart sind, dass er sie nicht direkt darstellen kann, sondern nur indirekt über die Gallenblase. Wenn er die Gallenwege selbst darstellen würde über eine Kanülierung der Gallenwege, dann würde er die Gallenwege zerstören und insofern ist das direkt nicht möglich, sondern nur über die Gallenblase. Man kann sich vielleicht vorstellen, dass wenn man einen ganz zarten Gallengang hat, wie zum Beispiel auch beim Alagille-Syndrom, dass man gar nicht so viel Druck aufbauen kann in der Gallenblase, dass ich einen sicheren Fluss retrograd in die Leber darstellen kann. Also das wesentliche Risiko der Visualisation intraoperativ ist, dass ich mehr Gallengangatresien diagnostiziere, als es tatsächlich sind. Wir sehen regelhaft Patienten, die wir zum Beispiel mit einem Alagille-Syndrom vorgestellt bekommen, die vor einer gewissen Zeit eine Kasai-Operation bekommen haben, weil man diese hauchzarten Gallengänge intraoperativ gar nicht als solche abbilden konnte und damit – für meine Begriffe richtigerweise, wenn man keine sichere Darstellung der Gallenwege hat – eine Kasai-Operation durchgeführt hat, die für diese Patienten nicht notwendig gewesen wäre und mit einer ERCP wahrscheinlich in einem Großteil der Fälle hätte ausgeschlossen werden können.

Axel Enninger: Jetzt hast du das Wort Kasai-OP schon in den Mund genommen. Das ist tatsächlich ja, wenn ich eine Gallengangatresie diagnostiziert habe, der nächste operative Schritt. Du hast aber auch gleichzeitig gesagt, dass wir so zwischen 45 und 50 Kinder in Deutschland im Jahr mit einer Gallengangatresie sehen. Da stellt sich immer die Frage nach einer Zentralisierung oder Konzentration dieser Kinder in Zentren. Da weiß ich, dass die Kinderchirurgen diese Diskussionen schon lange führen, wie weit ist denn diese Diskussion gediehen?

Michael Melter: Also sehr erfreulicherweise und in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmediziner, auch der GPGE, hat die Fachgesellschaft der KinderchirurgInnen sich entschlossen, dass sie hier als ersten Fall eine Zentralisierung wünschen. Und tatsächlich ist es so, dass die Fachgesellschaft jetzt Zentren lizensiert hat, die für die Behandlung von Gallenatresien ausgewiesen sind. Dazu ist Voraussetzung, dass man auf der einen Seite eine Kinderchirurgie hat, bzw. ein kinderchirurgisches Team hat, das in der Lage ist, das zu operieren, das parallel dazu aber an dem Standort auch eine ausgewiesene pädiatrische Hepatologie sein muss und dass in diesem Zentrum auch Kinderleber-Transplantation und explizit die Lebertransplantation bei Neugeborenen und Säuglingen durchgeführt wird.

Axel Enninger: Das ist eine Selbstverpflichtung der Chirurgen oder eine Absichtserklärung? Wie ist es da?

Michael Melter: Es ist eine von der Fachgesellschaft vorgegebene Selbstverpflichtung, die nach meiner Wahrnehmung auch gut umgesetzt wird, zumindest ab dem Zeitpunkt der Kasai-Operation, leider noch nicht bei dem Zeitpunkt der Diagnostik. Wir kriegen leider auch Patienten zugewiesen, die sogar schon eine Laparatomie bekommen haben und die dann abgebrochen worden ist, weil in dem Zentrum keine Kasai-Operation durchgeführt werden „darf“. Aber die Kasai-Operation, nach meiner Wahrnehmung, ohne dass ich das jetzt direkt verfolge, weil das die Fachgesellschaft der Kinderchirurgen macht, werden tatsächlich nicht mehr durchgeführt in Kinderchirurgien, die nicht dafür lizenziert sind.

Axel Enninger: Michael, vielen Dank! Ich denke, das war sehr hilfreich, auch wenn wir jetzt über keine riesige Patientengruppe sprechen. Trotzdem sicher wichtig, dass wir aus der Vielzahl der „gelben Babys“ diejenigen herauspicken, die eine erweiterte Diagnostik brauchen, die auch möglichst zügig – Stichwort 30. Tag, 60. Tag – eine Diagnosestellung brauchen. Es gibt eine Tradition in diesem Podcast und die Tradition lautet, dass der Gast 2 bis 3 positive Nachrichten loswerden darf, Dos. Und 2 bis 3 negative Dinge. Dinge, von denen er dringend abrät oder die ihn nerven, Don’ts. Du darfst entscheiden, wie du anfängst und in welcher Reihenfolge du loslegst.

 

Dos: Eltern mit Stuhl-Farbkarte ausstatten und Bilirubin differenzieren bei Neugeborenen mit Ikterus nach dem 14. Lebenstag

Michael Melter: Ja, es wären die Dos, die sich aus dem Gesagten eigentlich zwangsläufig ergeben. Das heißt bei jedem Patienten – bei jedem „Patienten“, das ist falsch: Bei jedem Neugeborenen, das über den 14. Lebenstag hinaus einen Ikterus hat, bitte, bitte, bitte unmittelbar eine Bilirubin-Differenzierung durchführen. Und das „unmittelbar“ war ein großer Streitpunkt in der Leitlinie. Das heißt natürlich nicht, dass es stundengerecht sein muss und auch nicht tagegerecht, aber sehr zeitnah die Bilirubin-Differenzierung durchführen und hier nicht sagen: ‚Wir gucken erst mal!‘ Daraus ergibt sich auch das zweite Do. Bitte statten Sie alle Familien mit Neugeborenen bei der U2 mit einer Stuhl-Farbkarte aus. Weisen Sie die Familien ausreichend darauf hin, wie das zu nutzen ist und weisen Sie auch ausdrücklich darauf hin, dass ein gefärbter Urin ein Warnsignal ist. Vermitteln Sie den Eltern, dass Sie sich unmittelbar an eine Kinderärztin, einen Kinderarzt wenden sollen, falls sie diesbezüglich Fragen haben. Gucken Sie sich den Stuhl dann auch selbst an, lassen Sie sich einen Stuhl mitbringen und beurteilen Sie mit Stuhl-Farbkarte. Das ist ungeheuer effektiv und besser als alle anderen Mechanismen in der sekundären Prävention, vor allem der Gallengangatresie.

 

Don’ts: Kein Abtun, keine Mittelwertmedizin und bei konjugierter Hyperbilirubinämie mit der Übermittlung an spezialisierte Zentren nicht warten

Michael Melter: Bei Don’ts ergibt sich hieraus auf der einen Seite der wichtigste Punkt. Tun Sie das nicht ab, machen Sie keine Durchschnittsmedizin! Statistik hilft hier an der Stelle gar nicht. Natürlich haben 99,9 % aller Kinder mit einem Ikterus prolongatus keine Gallengangatresie. Wenn wir uns aber in der Kinder- und Jugendmedizin auf Mittelwertmedizin reduzieren, werden wir die vielen seltenen Erkrankungen, die wir haben – und die auch ein Recht darauf haben, dass sie möglichst früh und komplett und möglichst qualifiziert behandelt werden – übersehen. Also tun Sie nicht einfach einen Ikterus über den 14. Lebenstag damit ab, dass es sich schon um einen Neugeborenen- oder prolongierten Neugeborenen-Ikterus handeln wird. Statistisch liegen Sie da richtig, menschlich lägen Sie an der Stelle aber falsch. Und wichtig wäre auch, als zweites Don‘ t an der Stelle: Wenn eine konjugierte Hyperbilirubinämie vorliegt, bitte rechtzeitig – das heißt auch da sehr zeitnah – die Übermittlung solcher Kinder in dafür vorgesehene Zentren. Es gibt nach meiner Ansicht nach keinen Grund, warum wir zum Beispiel Kinder mit malignen Erkrankungen selbstverständlich frühzeitig und ausschließlich in Zentren behandeln und bei der lebensbedrohlichen Konstellation einer konjugierten Hyperbilirubinämie dieses lapidar zur Seite schieben sollten. Diese Kinder sind vital und auch in ihrer Entwicklung genauso beeinträchtigt wie andere Schwerkranke auch. Jemand mit einer Gallengangatresie, ein Kind mit einer Gallengangatresie, ist lebensbedrohlich erkrankt und bedarf einer frühzeitigen Hilfe von Spezialisten.

Axel Enninger: Okay, wunderbar, sehr schön. Das war auch, finde ich, ein sehr, sehr schönes Schlusswort. Michael, ich danke Dir ganz herzlich für dieses Gespräch. Ich habe wie immer viel gelernt und hoffe, dass es Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, auch so ging. Wie gesagt, wir schreiben die wichtigsten Fakten wieder in die Shownotes und auch die Bezugsquellen der vorhin mehrfach erwähnten Stuhl-Farbkarte. Und jetzt danke ich Ihnen noch fürs Zuhören. Und wenn Sie Freude an diesem Podcast haben, werden Sie Abonnent, wenn Sie es noch nicht sind. Und wenn Sie ganz viel Freude hatten, dann freuen wir uns auch über eine positive Bewertung, einen positiven Kommentar bei Apple, Spotify, wo auch immer. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zum nächsten Mal.

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

Ihr Team von InfectoPharm