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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #17 - 30.09.2022

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Wenn Erdnüsse mehr als Peanuts sind: Erdnuss- und Schalenfrüchteallergie

 

Axel Enninger: Heute zu Gast: PROF. DR. KIRSTEN BEYER

 


 

DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Heute spreche ich mit Frau Professor Kirsten Beyer aus der Charité in Berlin und ich tue dieses schon zum zweiten Mal. Herzlich willkommen!

Kirsten Beyer: Ja, herzlichen Dank. Ich freue mich, wieder hier zu sein.

Axel Enninger: Warum treffen wir uns ein zweites Mal? Wir treffen uns ein zweites Mal, weil du bei einer Folge, die wir aufgenommen haben über das Thema Kuhmilch- und Ei-Allergie irgendwie so im Nebensatz hast fallen lassen: ‚Naja, über Erdnussallergie könnten wir vielleicht auch einmal sprechen.‘ Und kluge Ideen muss man gleich aufgreifen. Deswegen sprechen wir heute über Erdnuss- und Schalenfruchtallergie.

Kirsten Beyer: Mein Lieblingsthema.

 

Wer auf Erdnuss reagiert, reagiert auch oft auf Nüsse, aber sehr viel seltener auf andere Hülsenfrüchte

Axel Enninger: Warum heißt das Thema so komisch? Erdnuss- und Schalenfruchtallergie? Warum müssen wir das so kompliziert sagen?

Kirsten Beyer: Wir können nicht einfach „Nussallergie“ sagen, weil die Erdnuss ja gar keine Nuss ist. Die Erdnuss ist eine Hülsenfrucht wie Erbsen, Bohnen usw. und gehört nicht zu den Schalenfrüchten. Das wäre die Haselnuss, zum Beispiel, die Cashew und so weiter.

Axel Enninger: Und warum werfen wir sie dann zusammen in einen Podcast? Warum machen wir dann nicht einen Podcast über Erdnuss und Erbsen?

Kirsten Beyer: Weil die Erdnuss und Schalenfrüchte ähnliche Reaktionen hervorrufen können, deswegen werfen wir sie gern zusammen. Ehrlicherweise sind auch ganz viele Patienten, die eine Erdnussallergie haben, auch gegen Schalenfrüchte allergisch, obwohl es keine richtige klare Kreuzreaktion ist. Aber viele haben eine Allergie, nicht nur zum Beispiel gegen die Erdnuss, sondern auch zum Beispiel gegen die Haselnuss. Es gibt auch Patienten, die eine Erdnuss- und eine Erbsenallergie haben. Ungefähr 10 % reagieren auch auf andere Hülsenfrüchte, viel mehr reagieren aber auf Schalenfrüchte. Kompliziert!

Axel Enninger: Total kompliziert. Also Erdnuss ist eine Hülsenfrucht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich parallel dazu auf einen Schalenfrucht allergisch reagiere, ist höher, als dass ich auf andere Hülsenfrüchte reagiere. Habe ich das richtig verstanden?

Kirsten Beyer: Richtig!

 

Durch bessere Versorgung weniger Todesfälle

Axel Enninger: Okay, also kompliziert. Erdnussallergie ist ja etwas, davor haben irgendwie alle Angst. Ist das berechtigt?

Kirsten Beyer: Es ist insoweit berechtigt, dass die Erdnuss wirklich ein hochpotentes Allergen ist, wo Reaktionen zum Teil schwer und zum Teil auch lebensbedrohlich verlaufen können. Und vor allem verliert sie sich in der Regel nicht über die Zeit. Das heißt, ich habe auch noch ältere Kinder, auch Jugendliche, die weiterhin ihre Erdnussallergie behalten, gerade dann in einem Altersspektrum, wo es mit den ganzen Vorsorgemaßnahmen wie: ‚Ich esse es nicht und ich passe auf‘, nicht mehr so ganz funktioniert. Deswegen ist die Erdnussallergie wirklich ein großes Problem, das wir haben, mit vielen, zum Teil schweren Reaktionen. Wenn sie bis ins Erwachsenenalter weiterbesteht, wissen wir auch, dass es gerade auch bei Erwachsenen wirklich zu schweren Reaktionen kommen kann.

Axel Enninger: Gibt es Todesfälle?

Kirsten Beyer: Es gibt Todesfälle. Es gibt… Die Zahl ist zum Glück niedrig, was aber auch dadurch zu erklären ist, dass wir mittlerweile eine gute Versorgung der Patienten haben. Das ist so ähnlich wie beim Autofahren. Wir hatten früher viel mehr Todesfälle beim Autofahren, bis dann irgendwann der Sicherheitsgurt kam. Dann kam der Airbag, dann kam das ABS-System und alles Mögliche, was es gibt, um halt Todesfälle trotz Unfall zu verhindern. Genauso haben wir bei der Erdnussallergie ein Notfallset für die Patienten mit einem Adrenalin-Autoinjektor, der, wenn es versehentlich gegessen wird, auch angewendet werden kann, um dann einen Todesfall zu verhindern. Und wir trainieren die Patienten natürlich. Wie kann ich Erdnuss denn erst mal vermeiden? Worauf muss ich achten? Was sind die Produkte, die gefährlich sind?

Axel Enninger: Kannst du das nachweisen, dass durch die bessere medizinische Versorgung die Sterblichkeitsrate gesunken ist?

Kirsten Beyer: Nein, das ist schwierig nachzuweisen.

Axel Enninger: Methode der schlichten Behauptung.

Kirsten Beyer: Das ist eine Methode der schlichten Behauptung. [Schmunzeln.] Das ist wirklich ein großes Problem, das so nachzuweisen. Wenn wir jetzt gerade in Deutschland gucken, ist die Erdnussallergie noch relativ neu. Die Autoinjektoren gab es zum Teil schon. Es kam ja viel früher schon gerade in Englisch sprechenden Ländern vor. Die klassischen Länder, wo die Erdnussallergie schon viel länger existiert, auch mit viel höheren Fallzahlen existiert, sind klassischerweise England, USA, Australien. In Australien haben wir Raten, wo ungefähr fast jedes zehnte Kind eine Erdnussallergie hat. Das sind wirklich hohe Zahlen, die dort existieren. Da liegen wir in Deutschland weit zurück und vor 20 Jahren war die Erdnussallergie fast ein Fremdwort bei uns.

Axel Enninger: Das hat etwas damit zu tun, dass es dort einfach viel früher und viel häufiger Erdnuss gibt. Also ich erinnere mich, ich war als Schüler – jetzt können alle extrapolieren, wie alt ich schon bin – 1972/73 in den USA und habe da zum ersten Mal peanut butter entdeckt. Ich habe es geliebt. Weißes Brot, peanut butter und glibberige, sehr süße Marmelade obendrauf.

Kirsten Beyer: Schmeckt traumhaft.

Axel Enninger: Gab es damals aber in Deutschland noch überhaupt gar nicht. Was hat die Häufigkeit des Konsums von peanut butter mit der Allergiefrequenz zu tun?

Kirsten Beyer: Naja, es muss ja erst einmal eine Exposition da sein. Aber am wahrscheinlichsten ist der Treiber dieser häufigen Allergien, dass es häufig gegessen wird in dem Land. „Peanut butter and jelly“, das ist der Klassiker, aber den Kindern wurde es vorenthalten, weil man lange Zeit geglaubt hat, wenn man es den Kindern nicht gibt, dann entwickeln sie keine Allergie dagegen. Das heißt parallel, obwohl es ein ganz häufiges Nahrungsmittel war, haben die Säuglinge es mit der Beikosteinführung nicht erhalten. Diese strikten Empfehlungen, es den Kindern nicht zu geben, kamen gerade aus Ländern wie den USA.

 

Sensibilisierung über die Haut, Toleranzentwicklung über das Essen

Axel Enninger: Okay, das heißt, die Kombination aus fehlender früher Exposition plus relativ regelmäßigen Konsumierens ist ein Problem.

Kirsten Beyer: Genau, die Exposition war ja da, aber im Haushalt. Die Kinder waren exponiert, denn Erdnussproteine finden sich überall im Haushalt, wenn es dort gegessen wird. Wir haben eine Untersuchung gemacht, wo wir die Familien einmal vor dem Fernseher oder im Essbereich Erdnussflips haben essen lassen und haben zwei Tage später in den Betten Staub gesaugt – und davor natürlich auch – und konnten zeigen, dass durch diesen Konsum der Erdnussflips, die Rate dessen, was ich an Erdnussprotein in den Betten finde, total gestiegen ist. Dann kann man es sich vorstellen: Das heißt, die Kinder sind exponiert. Es sind vor allem Kinder, die eine atopische Dermatitis haben, also eine Neurodermitis, die eine gestörte Barrierefunktion der Haut haben, die dann mit Erdnussprotein in der Umgebung in Kontakt kommen, sich über die Haut sensibilisieren, Allergieantikörper haben, es aber die ganze Zeit halt nicht essen und dann keine Toleranz aufbauen. Wenn sie dann irgendwann mit drei, vier Jahren Erdnussprodukte essen, sind sie schon lange sensibilisiert und können dann klinisch reagieren. Man geht davon aus, dass wir dadurch diese hohe Rate von Erdnussallergikern gefunden haben. In Holland, zum Beispiel, findet man nicht so hohe Raten an Erdnussallergikern. Sie hatten auch nie diese ganz strengen Empfehlungen, Erdnussprodukte bei Kleinkindern zu meiden, obwohl auch Holland, unser Nachbarland, eigentlich ein Land der Erdnussbutter ist.

Axel Enninger: Also, noch mal, dass ich es kapiere. Ich sitze vor dem Fernseher und esse Erdnussflips und auch wenn ich die übliche Haushaltshygiene einhalte, ist trotzdem in meinem Bett oder im Bett der Kinder ausreichend Erdnussallergen, um eine Sensibilisierung stattfinden zu lassen?

Kirsten Beyer: Korrekt.

Axel Enninger: Fies.

Kirsten Beyer: Ja, absolut fies.

Axel Enninger: Dann könnte man es jetzt weiterspinnen, das heißt, wenn sie dann sensibilisiert sind, wenn das dann so ist, wie viel Erdnussstaub muss ich dann ins Bett tun, damit da eine Toleranzentwicklung entsteht?

 

Frühe Beikost mit Erdnuss verhindert die Allergieentstehung

Kirsten Beyer: Naja, die Toleranzentwicklung wollen wir eigentlich über das Essen der Erdnuss erreichen. Und da gibt es Studien aus England, die gezeigt haben, wenn in England die Kinder frühzeitig Erdnussflips erhalten – sie haben jetzt „Bamba“ gegessen, das sind israelische Erdnussflips, nicht ganz so salzig, wie das, was wir hier so unter Erdnussflips verstehen – das heißt, wenn ich den Kindern frühzeitig, also wirklich im Säuglingsalter beginnend, Erdnussflips zu essen gebe versus ich gebe ihnen keine, dann sinkt die Rate der Erdnussallergie wirklich um 80 %, die Entstehung der Erdnussallergie! Das heißt, ich habe wirklich eine Präventionsmaßnahmen durch die frühzeitige, frühe Fütterung in einem Land, wo ganz viele Erdnussprodukte gegessen werden, um das sozusagen zu verhindern.

Axel Enninger: Okay, das war aber eine klassische Lernkurve, die die Allergologen da gemacht haben. Früher die Empfehlung: Bloß nicht Erdnuss geben, weil man einer Erdnussallergie Vorschub leisten könnte! Das Gegenteil ist der Fall.

Kirsten Beyer: Genau. Das Gegenteil ist der Fall. Das heißt, durch eine frühzeitige Gabe in Ländern, wo Erdnussprodukte viel gegessen werden, kann ich die Entstehung einer Erdnussallergie verringern. Die große Frage ist: Was mach ich denn in Deutschland? Wir haben das ja nicht so in unsere Leitlinien übernommen und ganz bewusst nicht so übernommen, weil Deutschland kein Land ist, wo wir jede Menge Erdnussprodukte essen. Erdnussflips sind jetzt wirklich nicht in jedem Haushalt. Es gibt so viele andere leckere Sachen, die gegessen werden. Und wie du schon sagtest, unsere erste Erfahrung mit Erdnussbutter kommt vielleicht aus den USA. Die steht bei uns nicht auf jedem Frühstückstisch und deswegen…

Axel Enninger: Bei mir schon.

Kirsten Beyer: Mittlerweile, genau. Bei mir steht sie auch im Schrank, aber nicht jeden Morgen auf dem Frühstückstisch. Ich esse sie auch sehr gerne, aber das ist hier nicht Usus. Deswegen haben wir uns sehr schwer getan, diese Empfehlungen zur Verhinderung von der Entwicklung von Erdnussallergien in Deutschland so einfach 1 : 1 zu übernehmen. Wir hatten Angst, dass, wenn es von den Familien nicht regelmäßig gegessen wird, dass es dann den Kindern auch nicht regelmäßig gegeben wird. Und es bringt nichts, den Kindern mal Erdnussbutter zu geben und dann vier Wochen oder acht Wochen wieder nicht und dann wieder zu geben. Das treibt wahrscheinlich eher die Erdnussallergieentstehung. Und deswegen haben wir uns da wirklich zurückgehalten in Deutschland zu sagen, jedes Kind oder jedes Kind mit Neurodermitis soll das frühzeitig bekommen und haben das so ein bisschen heruntergebrochen und gesagt, Kinder, die eine Neurodermitis entwickelt haben und im Haushalt werden regelmäßig Erdnussprodukte gegessen, da sollte erwogen werden – oder kann erwogen werden – das auch bei den Kindern frühzeitig einzuführen. Aber es sollte einmal ein Allergietest vorher erfolgen, um zu gucken, ob sie nicht schon sensibilisiert sind.

Axel Enninger: Sicher ein wichtiger Punkt, darauf hinzuweisen, denn manchmal neigt man ja dazu, eine Studie zu lesen aus einem Land A und denkt: ‚Hey, das ist ja eine gute Idee, das machen wir.‘ Und mir ging es auch ein bisschen so. Ich habe diese Studie aus England gelesen und habe gedacht: ‚Hey, super, frühzeitig Kontakt herstellen!‘, habe aber nicht darüber nachgedacht, dass es einen Unterschied im Konsumverhalten bzw. dem Essverhalten gibt, im Erdnusskonsum in England oder in den USA im Vergleich zu Deutschland. Das muss man sicher im Blick behalten. Nur noch mal, Kirsten, dass ich es einmal verstehe: Also würde ich in Japan leben und da wird viel Reis gegessen, mehr als bei uns gegessen. Das heißt, wenn die Japaner eine Empfehlung gegeben hätten: ‚Gebt euren Kindern bitte, bitte im ersten Lebensjahr keinen Reis!‘ Hätten die Japaner eine hohe Rate von Reisallergie?

 

Was macht ein Allergen zum Allergen? Unbeantwortete Frage!

Kirsten Beyer: Möglicherweise. Es ist ganz schwer zu sagen, weil die Frage, was ein Allergen zum Allergen macht, letztendlich noch nicht beantwortet ist. Da gibt es mit Sicherheit auch bestimmte Faktoren, warum ein Allergen hochpotenter als Allergen sensibilisieren kann als andere Sachen. Wir kennen da große Unterschiede, auch wenn wir da noch mal zur Baumnussallergie rüberspringen. Wir wissen, dass die Haselnuss und gerade die Cashew hochpotente Allergene haben, die wirklich ähnlich wie bei der Erdnuss auch schwere Reaktionen hervorrufen können, während die Mandel als Allergen nahezu zu vernachlässigen ist. Selbst wenn die Kinder sensibilisiert sind, reagieren sie in der Regel nicht und wir verstehen nicht, warum.

Axel Enninger: Kommen wir noch mal zurück zur Erdnuss. Also bei der Erdnuss haben wir gelernt: Erstens ist es auch bis ins hohe Erwachsenenalter ein häufiges Problem. Zweitens sind die Reaktionen relativ heftig und wir wissen nicht so genau, warum sie so heftig sind. Wenn da jetzt so jemand zu dir kommt, was machst du diagnostisch?

Kirsten Beyer: Wenn jemand zu mir kommt, der eine ganz klassische Reaktion hatte wie:  erstes Mal Erdnüsse vom Papa geklaut und genascht oder Vater oder Mutter – völlig egal – hat es ihm gegeben oder er hat doch mal Erdnussbutter gegessen. Wir sehen es manchmal auch beim Vogelfutter, da sind ja auch Erdnüsse drin, dass Kinder sich das auch schon mal in Mund stecken. Wir haben alle möglichen solche Sachen. Also klassische Exposition, das heißt, das Kind hat es gegessen und reagiert dann darauf mit Soforttyp-Reaktion, sprich: kriegt ein Quincke-Ödem, kriegt eine Urtikaria, erbricht, Atemnot, irgendetwas dieser klassischen Symptome im richtigen Zeitraum, sprich von sofort bis ungefähr zwei Stunden danach, und wir weisen dann noch IgE nach oder haben einen positiven Pricktest. In dieser Kombination, klassische Anamnese plus Nachweis einer Sensibilisierung, dann kann man davon ausgehen, dass das Kind eine Erdnussallergie hat.

Axel Enninger: Dieser Zeitraum „unmittelbar danach bis zwei Stunden“ gilt für alle Soforttyp-Allergien?

Kirsten Beyer: Gilt für alle. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, es gibt auch noch Reaktionen nach drei Stunden, die Soforttyp-Reaktionen sein können.

Axel Enninger: Aber trotzdem, wenn einer zu uns in die Sprechstunde kommt und sagt: ‚Ich habe gestern XY gegessen und habe heute einen Hautausschlag‘, dann hat das eine nichts mit dem anderen einander zu tun?

Kirsten Beyer: Korrekt. Dann hat das eine nichts mit dem anderen zu tun. Das hören wir ja immer wieder von den Eltern.

Axel Enninger: Genau. Also der Zeitraum ist in aller Regel zwei Stunden, maximal drei Stunden, aber viel länger? Dann hat es damit wenig zu tun.

 

Sensibilisierung nachgewiesen, aber noch nie Erdnuss gegessen? Beaufsichtigte Provokation!

Kirsten Beyer: Genau. Viel häufiger aber sehen wir Kinder, die eine Neurodermitis haben und dann getestet wird. Entweder weil sie auf ein anderes Nahrungsmittel reagiert haben oder weil man weiß, Kinder mit Neurodermitis entwickeln häufiger Nahrungsmittelallergien. Dann wird ein Suchtest angekreuzt, dann ist der positiv, dann wird er ausdifferenziert, dann kommt IgE-Nachweis gegen Erdnuss, dann fragt man die Familie – Erdnuss, wurde noch nie gegeben. Das sind eigentlich die häufigsten Kandidaten, die wir haben. Das heißt, wir haben eine Sensibilisierung, aber es wurde noch nie gegessen; uns fehlt das klinische Korrelat. Und dann ist die einzige Diagnostikmöglichkeit wirklich, unter ärztlicher Aufsicht eine Provokationstestung durchzuführen. Dann werden dem Kind Erdnussprodukte zu essen gegeben. Wir verwenden in der Regel Erdnussmehle, die wir dann in Apfelmus hineinrühren oder irgendwo hineinrühren und dann in steigenden Mengen dem Kind zu essen geben. In der Regel, in Deutschland ist das ja sehr standardisiert, heißt das, wir fangen in der Regel mit drei Milligramm Erdnussprotein an, das gegeben wird. Jede halbe Stunde wird gesteigert, bis die Kinder quasi hinterher eine Handvoll von Erdnüssen essen, also drei Gramm Protein ungefähr.

Axel Enninger: Auch so eine Handlungsempfehlung, die wir in den Shownotes hinterlegen würden. Noch mal ganz klar: Da ist einer, der hat eine Neurodermitis. Wir haben einen Suchtest gemacht und da zeigt sich eine Sensibilisierung für Erdnuss. Dann heißt das nicht: ‚Naja, er reagiert ja nicht‘, sondern er könnte schon reagieren. Und deswegen: Achtung, Achtung! Den müssen wir stationär provozieren.

 

Sensibilisierung liegt vor, aber Erdnuss wird vertragen, dann auch weiterhin regelmäßig essen

Kirsten Beyer: Wenn er bis dato keine Erdnussprodukte gegessen hat. Was wir aber genauso häufig sehen, gerade bei den etwas älteren Kindern: Da ist Nachweis von IgE gegen Erdnuss, das Kind isst aber regelmäßig Erdnussflips und dann heißt es, oh Gott, jetzt soll aufgehört werden, Erdnuss ist gefährlich. Dann wird es – sehen wir immer wieder – ihnen empfohlen, sofort auf Erdnussprodukte zu verzichten und dann kommen sie zu uns. Drei Monate Wartezeit, drei Monate später und sie haben es die ganze Zeit nicht gegessen. Jetzt kann die Toleranz, die vielleicht da war, trotz Sensibilisierung durchbrochen sein. Und plötzlich habe ich einen Erdnussallergiker kreiert durch eine unsinnige Diätempfehlung nur aufgrund von IgE. Also die wichtigste Frage, wenn ich IgE habe: Hat das Kind es schon gegessen oder isst es das regelmäßig? Und wenn es das regelmäßig isst, bitte in der Ernährung drin lassen!

Axel Enninger: Und das gilt nicht nur für die Erdnuss.

Kirsten Beyer: Gilt für alle Nahrungsmittelallergene.

Axel Enninger: Genau. Also ganz wichtig, wenn in irgendwelchen Suchtests gefundene, weiß der Kuckuck, Tomate, Pastinake, Schnickschnack…

Kirsten Beyer: Wir sollten es gar nicht erst testen.

Axel Enninger: Ja, aber wenn es denn getestet ist und wenn die Eltern berichten: ‚Mein Kind isst das regelmäßig und es passiert nichts“, dann ist die Nachricht: weitermachen, nicht aufhören wegen dieser Testergebnisse.

Kirsten Beyer: Genau, ganz richtig. Das ist total wichtig. Und das finden wir halt wirklich extrem häufig, dass dann empfohlen wird – und gerade bei solchen Sachen, wo man weiß, das sind potente Allergene – wo dann gesagt wird: ‚Jetzt weg!‘ und dann Überweisung zum Allergologen, aber dann ist der Zug möglicherweise abgefahren. Wenn ich beim sensibilisierten Kind die regelmäßige Zufuhr, also das regelmäßige Essen unterbreche, kann ich die Toleranz durchbrechen.

Axel Enninger: Jetzt hast du die Diagnose einer Erdnussallergie gestellt. Was machst du dann mit dem Patienten?

 

Bei Anaphylaxierisiko Adrenalin zur Injektion

Kirsten Beyer: Wenn die Diagnose klar ist? Es ist ein hochpotentes Allergen, die Kinder haben das Risiko einer anaphylaktischen Reaktion – wenn sie vielleicht schon beim ersten Mal anaphylaktisch reagiert haben und haben wirklich ein hohes Risiko einer anaphylaktischen Reaktion – sprich: Sie brauchen ein Notfallest. Notfallset heißt wirklich Adrenalin zur Injektion. Wir haben immer wieder Kinder, die kommen mit sogenannten Notfallzäpfchen, also Kortisonzäpfchen und denen wird gesagt ja, das sollen sie dann geben. Das braucht eine Stunde, bis es wirkt!

Axel Enninger: Irgendein Antihistaminikum.

Kirsten Beyer: Das braucht eine halbe Stunde, bis es wirkt. Also für den Notfall ist das alles nicht sonderlich geeignet, das heißt wirklich: Adrenalin zur Selbstinjektion, also einen Pen verordnen. Und wenn ich den verordne, das haben wir auch schon mal in dem anderen Podcast erwähnt, wenn ich den verordne, bitte instruieren! Wirklich zeigen, wie es funktioniert. Den Eltern den Pen in die Hand geben und vormachen lassen und ihnen am besten auch gleich einen Trainings-Pen mitgeben oder zumindest darauf hinweisen, den kann ich umsonst bekommen. Ich kann in die Apotheke gehen und bitten, mir so einen Pen mitzuliefern. Einen Trainings-Pen, den gleichen, den ich auch als Autoinjektor habe. Den Autoinjektor, worauf ich instruiere, auch ankreuzen, dass der auch gegeben werden soll. Es bringt nichts, den einen zu trainieren und in der Apotheke wird dann, wenn ich das richtige Kreuzchen nicht setze, ausgetauscht gegen ein Produkt, von dem sie gar nicht wissen, wie es funktioniert. Und dann den Anaphylaxie-Pass oder -Plan auszufüllen. Da steht drauf, wann und bei welchen Symptomen ich den wie anwenden soll. Das ist auch noch ganz wichtig!

Axel Enninger: Du hattest vorhin gesagt, Erdnussallergiker sind ja häufig auch ältere Kinder / Jugendliche oder Erwachsene. Ist da bei dem Autoinjektor noch die Nadellänge ein Thema? Da habe ich im Kopf, dass es da Autoinjektoren gab, die kurze Nadeln hatten und dann kommt man gar nicht in den Muskel.

Kirsten Beyer: Ja, die Nadellänge wird gerade bei adipösen Kindern vielleicht ein Problem, aber im Prinzip sind die meisten Autoinjektoren, die auf dem deutschen Markt erhältlich sind, auch angepasst von ihrer Dosierung – für die älteren Kinder auch mit einer längeren Nadellänge. In der Regel funktioniert das mit der Nadellänge.

Axel Enninger: Also, das hatte ich noch so im Kopf, bei ganz Adipösen, da müsste man irgendwie aufpassen.

Kirsten Beyer: Bei ganz Adipösen ist es ein Problem. Trotzdem ist der Autoinjektor besser als jegliches Aufziehen von Adrenalin in einer Spritze.

Axel Enninger: Also ganz klar, die Reaktion kann blöd sein. Adrenalin-Autoinjektor ist das, was man tun muss. Das andere ist Kortison und Antihistaminikum. Ist nice to have, aber hilft uns jetzt nicht.

Kirsten Beyer: Das wollen wir in einer schweren Reaktion natürlich zusätzlich geben. Das heißt, wenn ich den Autoinjektor anwende, geben wir zusätzlich Antihistaminikum und Steroide. Der Autoinjektor wirkt schnell, aber die Reaktion, also das Adrenalin, hält nicht so ewig lange vor. Es wird auch genauso schnell wieder abgebaut und deswegen sehen wir es schon so, dass wir empfehlen, zusätzlich noch Antihistaminika und Kortison in einer Reaktion zu geben.

Axel Enninger: Was sagst du den Eltern bzw. den Jugendlichen selber zur Prognose?

Kirsten Beyer: Die Prognose bei der Erdnussallergie ist nicht so gut wie bei anderen Nahrungsmittelallergien. Kuhmilch, Hühnerei: sehr gute Prognose. Es ist aber auch nicht so, dass es immer alle behalten müssen. Jedes fünfte Kind verliert es wieder. Wir wissen nicht klar, wer das ist. Wir wissen, dass je niedriger das IgE am Anfang, desto besser ist die Prognose. Aber 4 von 5 behalten es auch bis ins Jugendlichen- oder Erwachsenenalter.

Axel Enninger: Jetzt hast du vorhin gesagt: Niedriges IgE, dann haben sie eine gute Prognose…

Kirsten Beyer: Eine bessere.

 

IgE im Verlauf zu bestimmen, ist nur manchmal sinnvoll

Axel Enninger: Eine bessere Prognose. Trotzdem macht es keinen Sinn, IgE im Laufe der Zeit zu kontrollieren. Oder macht es doch Sinn?

Kirsten Beyer: Es im Laufe der Zeit zu kontrollieren macht nicht ganz so viel Sinn. Natürlich ist es schön, wenn es abfällt. Man kann es mal machen. Wenn das IgE extrem hoch ist, bestimmen wir dann irgendwann auch noch das Komponenten-spezifische IgE, also gegen die Speicherproteine; rAra h2 ist den meisten ja mittlerweile bekannt. Das ist ein Marker-Allergen für die Speicherproteine in der Erdnuss. Das heißt, wenn das extrem hoch ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient auch reagiert, sehr hoch. Man kann es machen. Man muss es im Verlaufe der Zeit nicht unbedingt bestimmen, weil man sich manchmal dann nicht traut, vielleicht doch noch mal zu provozieren. Auch wenn die Prognose nicht so gut ist, machen wir schon zwischendurch noch mal Provokationstestungen. Gerade wenn sie in die Schule kommen oder wenn sie Teenager werden, um zu gucken, ob die Allergie noch da ist. Und insbesondere haben wir bei der Erdnussallergie mittlerweile auch Therapien an der Hand, mit denen wir Patienten behandeln können, was wir ja ewig lange nicht hatten.

Sprecherin: Bevor es gleich spannend weitergeht, möchten wir Sie gerne auf unsere neue Lernplattform Wissen wirkt hinweisen. Dort finden Sie Lerninhalte wie Vortragsaufzeichnungen, unseren Podcast und unsere beliebten Zeitschriften erstmals gemeinsam an einem Ort und direkt verknüpft mit den dazugehörigen CME-Fragen. Die Lernplattform steht Ihnen übrigens auch als App für iOS und Android zur mobilen Nutzung zur Verfügung. Wenn Sie die Printversion unserer Themenhefte sowie Fragen und Antworten-Hefte bevorzugen, können Sie diese selbstverständlich jederzeit unter servicematerial@infectopharm.com bei uns anfordern. Darüber hinaus möchten wir Sie gerne bereits jetzt auf unsere consilium collegiale-Seminare im November zu den Themengebieten Pädiatrische Dermatologie, Allergologie und Endokrinologie hinweisen. Melden Sie sich jetzt an und seien Sie dabei, es lohnt sich! Die erwähnten Links und E-Mail-Adressen finden Sie natürlich in den Shownotes dieses Podcast. Jetzt wünschen wir Ihnen aber zunächst weiterhin viel Freude mit dem consilium Pädiatrie-Podcast.

Ihr Team von InfectoPharm

Axel Enninger: Zur Therapie kommen wir gleich. Ich wollte nur noch einmal etwas fragen. Wir hatten vorhin schon von den USA gesprochen, wo es ja tatsächlich viel mehr Erdnuss in der Ernährung gibt. Aber es gibt natürlich auch viel mehr Warnhinweise für alles Mögliche, wie in den USA ja vor allem Möglichen gewarnt wird. Unter anderem mittlerweile auch davor, dass man Erdnüsse nicht mehr als Snack mit ins Flugzeug nehmen soll. Ist das übertrieben? So wie die Katze nicht in die Mikrowelle zu tun, oder steht da eine sinnvolle Idee dahinter?

 

Die Kirche im Dorf lassen, aber die echten Gefahren benennen. Ideal dafür: Anaphylaxie-Schulungen

Kirsten Beyer: Naja, im Flugzeug ist das Problem, dass man ein Umluftgebläse hat. Wenn jetzt natürlich allen zeitgleich das als Snack serviert wird – gerade von den Fluggesellschaften – und alle öffnen gleichzeitig ihre kleinen Tütchen mit Erdnussprodukt drin, kann man sich schon vorstellen, dass man auch einen höheren Gehalt in der Luft hat und dann auch inhalieren würde. Das heißt, im Flugzeug, denke ich, macht das schon Sinn, wobei viele Sachen natürlich auch übertrieben sind. Es gibt in den USA Sachen… Da rollt eine Erdnuss durch den Schulbus und alle brechen in Panik aus. In der Regel muss die Erdnuss schon konsumiert werden, also gegessen werden. Geringe Mengen reichen manchmal aber auch aus. Es gibt so einen Klassiker, dass sozusagen durch einen intensiven Kuss unter Jugendlichen auch Mengen an Erdnussprotein… Wenn der andere davor gerade ein Erdnussbutter-Sandwich gegessen hat und dann seine Freundin intensiv küsst oder umgekehrt, dann ist das natürlich auch eine Exposition, aber es ist mehr oder weniger wirklich eine Aufnahme über die Schleimhaut. Wenn die Erdnuss irgendwo da in der Ecke liegt, passiert dem Jugendlichen oder dem Kind nichts. Es muss schon wirklich gegessen werden. Bei den ganz Kleinen ist das Problem, wenn natürlich überall auf dem Tisch Erdnussbutter verschmiert ist und sie patschen da hinein und stecken anschließend die Hände in den Mund, habe ich ganz klar eine Aufnahme. Man muss irgendwo die Kirche im Dorf lassen und nicht Angst schüren, auf der anderen Seite aber klar machen, wo die Gefahren sind. Die größten Gefahren sind Bäckereien und Eisdielen. Das sind in Deutschland wirklich so Klassiker. Wenn es dort Erdnusseis gibt, das gibt es mittlerweile auch in Deutschland, und dann geht man mit dem Portionslöffel in das Erdnusseis und in die anderen Eissorten und irgendwann kommt die Familie mit ihrem erdnussallergischen Kind und kauft Erdbeereis. Hatte ich gerade letzte Woche in der Sprechstunde. Ja, und natürlich kann da eine Kontamination einfach durch den Löffel, der von Eis zu Eis wandert, stattgefunden haben.

Axel Enninger: Okay. Das heißt, der praktische Rat im Sommer ist, ich gehe in die Eisdiele und bin nicht hysterisch, wenn ich sage: ‚Können Sie bitte einen neuen Löffel nehmen?‘

Kirsten Beyer: Nein, das ist keine Hysterie. Das ist wirklich… entweder abgepacktes Eis essen oder wirklich nicht nur einen neuen Löffel, denn es nützt ja nichts, wenn die Löffel vorher das Eis schon transferiert haben. Im Prinzip hieße es, eine neue Packung aufzumachen. Das machen die wenigsten Eisdielen. Also abgepacktes Eis ist da wirklich sinnvoller. Hilfreich ist wirklich, ihnen eine Anaphylaxie-Schulung zu empfehlen. In einer Stunde wird genau darüber gesprochen, worauf man denn eigentlich aufpassen muss bei der Ernährung, um sich wirklich erdnussfrei zu ernähren. Das wird den Kindern, den Eltern oder den Jugendlichen, für alle Altersgruppen gibt es diese Anaphylaxie-Schulungen, wirklich beigebracht. Worauf muss ich denn achten, wenn ich erdnussallergisch bin? Wir trainieren dort in der Schulung natürlich auch den Umgang mit dem Pen. In welchen Situationen, wann soll ich den anwenden? Das wird ganz praktisch gemacht. Es ist eine Gruppenschulung, die standardisiert in ganz Deutschland stattfindet und mittlerweile auch online stattfindet. Das alles wird ihnen wirklich in sechs Stunden Schulung, 2 mal 3 Stunden an zwei verschiedenen Tagen, beigebracht: die Vermeidung, aber auch wenn ich eine akzidentelle Reaktion habe, wie reagiere ich adäquat? Was mache ich, wenn die Reaktion im ICE passiert und so weiter? Das sind alles Situationen, in denen ich agieren können muss – als Eltern oder als Jugendlicher.

 

Endlich eine Immuntherapie!

Axel Enninger: Auch diese Adressen würden wir in die Shownotes schreiben bzw. einen entsprechenden Link in die Shownotes schreiben. Du hast vorhin schon angedeutet, dass es ja spannenderweise mittlerweile eine Therapie gibt. Wie sieht die denn aus? Was macht man da genau?

Kirsten Beyer: Wir waren ja immer so neidisch auf die Heuschnupfen-Patienten. Wir kennen Immuntherapien – Birkenpollen, Gräserpollen – das ist alles etwas, was uns Allergologen schon ewig bekannt ist. Aber für die Nahrungsmittelallergien gab es nie eine Immuntherapie und die ist jetzt in der Tat entwickelt worden. Es gibt eine orale Immuntherapie bei Erdnussallergie für Kinder im Alter von 4 bis 17 Jahren, die von der FDA und der EMA zugelassen ist. Das erste Produkt hat die Markteinführung in Deutschland bekommen und steht jetzt ganz normal zur Verfügung und kann angewandt werden.

Axel Enninger: Das stelle ich mir so vor: Mini-Mengen werden gesteigert auf große Mengen, oder?

Kirsten Beyer: Absolut, wie jede andere Immuntherapie oder zumindest die SKIT, die genauso funktioniert. Man fängt wirklich mit ganz geringen Mengen an Erdnussprotein an, das ganze Zeug kommt in einer Kapsel, die wird aufgemacht und nicht geschluckt. Es wird aufgemacht und es fängt mit einer ersten dose escalation an. An einem Tag gibt es hintereinander mehrere Dosen, wo ich von Mini-Mengen auf immer noch kleine Mengen hochsteigere. Dann wird der Patient entlassen, geht nach Hause, nimmt das regelmäßig zu Hause weiter und alle zwei Wochen erfolgt eine Steigerung. Es dauert ungefähr ein halbes Jahr, dann habe ich die Kinder auf einer Menge von 300 Milligramm, die sie täglich zu Hause einnehmen, was ungefähr einer Erdnuss entspricht.

Axel Enninger: Okay, noch einmal: Da gibt es eine Kapsel mit Pulver drin und dieses Pulver ist gemörserte Erdnuss?

Kirsten Beyer: Wenn man es böse sagt, ist da gemörserte Erdnuss drin. Genau. Es ist einfach Erdnuss drin.

Axel Enninger: Aber da ist so wenig drin, dass ich nach einem halben Jahr auf der Menge bin, die einer Erdnuss entspricht.

Kirsten Beyer: Korrekt, das wird langsam hochgesteigert und es wird jeden Tag zu Hause in der Mahlzeit zu sich genommen. Es soll in die Mahlzeit eingerührt werden, also wird es in der Regel in eine kleine Menge Joghurt, Reispudding oder Ähnliches eingerührt. Eine Menge, die die Kinder dann auch sicher essen, und es soll zu einer Mahlzeit eingenommen werden.

Axel Enninger: Okay, und weil wir Sorge haben, dass es eine anaphylaktische Reaktion gibt, machen wir am ersten Tag Mini-Mengen schneller, oder wie?

Kirsten Beyer: Es ist das klassische, amerikanische Prinzip. Wir haben parallel in Deutschland auch an der oralen Immuntherapie gearbeitet, geforscht und wir hatten ein etwas anderes Vorgehen. Es ist einfach quasi so übernommen worden, wie es dort gemacht wurde. Warum man das an einem Tag anfänglich hochdosiert, ist einfach, um Zeit zu sparen, um das Ganze nicht noch länger hinauszuzögern. Man geht davon aus, dass bei den kleinen Mengen, wenn man das auch schnell hintereinander macht, nicht viel passiert.

Axel Enninger: Das mache ich aber unter den normalen Schutzbedingungen einer Nahrungsmittelprovokation oder wo mache ich das?

Kirsten Beyer: Alle Steigerungen sollen in einer Gesundheitseinrichtung stattfinden, die auch anaphylaktische Reaktionen behandeln kann, die dafür ausgerüstet ist. Das kann im Prinzip auch ein Niedergelassener machen, aber ich denke es wird kaum ein Niedergelassener diese erste dose escalation machen, das braucht einfach zu viel Kapazitäten. In der Zeit muss ihnen auch beigebracht werden: Wie öffne ich die Kapseln, wo rühre ich das hinein? Es erfolgt wirklich eine intensive Information über die Therapie. Ich denke, dieser erste Tag wird in der Regel in den Kliniken stattfinden. Am nächsten Tag kriegen sie noch einmal eine Menge, mit der sie dann nach Hause gehen. Ich gehe davon aus, dass das wirklich stationär stattfinden wird und alle weiteren Steigerungsschritte können entweder in Klinikambulanzen, bei Niedergelassen usw. stattfinden, die ansonsten auch Immuntherapien anbieten.

 

Augmentationsfaktoren

Axel Enninger: Aber das heißt, das ist schon ein mühsames Geschäft, oder? Ich muss es jeden Tag geben, ich darf keine Tage auslassen, ich muss wissen, wann ich steigere. Das ist ja nur etwas für echt Supermotivierte.

Kirsten Beyer: Das ist etwas für Supermotivierte. Das ist wichtig. Es kommen ja noch viele andere Sachen hinzu. Ich will parallel dazu Augmentationsfaktoren meiden, das heißt, es soll danach nicht heiß geduscht werden, also alles was Augmentationsfaktoren sind. Ich darf danach keinen Sport machen.

Axel Enninger: Da muss ich mal kurz einhaken. Das müssen wir vielleicht für die Nicht-Allergologen noch mal sagen: Augmentationsfaktoren sind Dinge, die eine allergische Reaktion erleichtern.

Kirsten Beyer: Genau, die entweder den Schwellenwert verändern, das heißt, dass ich plötzlich bei geringeren Mengen eine Reaktion habe, oder die Reaktion verstärken können vom Schweregrad her.

Axel Enninger: Und klassische Augmentationsfaktoren sind gleich?

Kirsten Beyer: Sport. Man kennt ganz klassischerweise WDEIA, diese wheat dependant exercise induced anaphylaxis: Jugendliche oder Erwachsene, die Brötchen vertragen wie alle anderen auch und wenn sie danach Sport machen, kriegen sie eine anaphylaktische Reaktion.

Axel Enninger: Ich habe die Abkürzung gerade nicht verstanden.

Kirsten Beyer: WDEIA, wheat dependant exercise induced anaphylaxis. Das ist eigentlich so, was wir als Klassiker der Augmentationsfaktoren kennen. Wir wissen mittlerweile, bei jedem Nahrungsmittel existiert das und die Klassiker sind wirklich körperliche Belastung, heiße Bäder. Aber dann gibt es auch Sachen, die man nicht vermeiden kann, wie Infekte, Menstruation. Also es existieren viele Faktoren, die eine Reaktion verstärken können oder den Schwellenwert absenken können. Manche davon kann ich vermeiden wie Sport danach, wie heißes Duschen, wie Alkohol – genau, Alkohol, bei Kindern nicht ganz so, aber bei Jugendlichen wichtig – Alkohol trinken, das sind alles Augmentationsfaktoren, die ich meiden kann, muss ich bei der Therapie meiden im entsprechenden Zeitabstand. Und natürlich gibt es welche, die ich nicht meiden kann. Ich kann einen Infekt nicht meiden, aber wenn das Kind einen fieberhaften Infekt hat, zum Beispiel, dann muss an dem Tag die Therapie ausgesetzt werden.

Axel Enninger: Aus prinzipiellen Gründen finde ich wichtig, dass wir darüber gesprochen haben, weil es ja in der Tat so ist, dass Eltern manchmal sagen: ‚Naja, diese Menge hat mein Kind eigentlich gut vertragen.‘ Und auf einmal ist es nicht mehr so. Im Kopf behalten: Augmentationsfaktoren. Ist da gerade ein Infekt, ist da gerade irgendwie Sport oder Anstrengung oder so?

Kirsten Beyer: Genau.

Axel Enninger: Oder auch Sommer und Hitze ist ja auch manchmal…

Kirsten Beyer: Sommer und Hitze!

Axel Enninger: Also, dann wird es sozusagen weitergemacht, und dann lande ich nach einem halben Jahr, wenn alles gut geht, bei einer Erdnuss.

Kirsten Beyer: Korrekt. Und das wird dann weiterhin gegeben. Und wie bei jeder anderen Immuntherapie gehen wir davon aus, 3 bis 5 Jahre sollte die Therapie fortgeführt werden. Dann kommt dann die klassische Frage: Und dann? In der Regel, behaupte ich, ist es eine lebenslange Therapie, denn wenn sie wieder aufhören würden, regelmäßig Erdnüsse zu konsumieren, wie auch schon vorher gesagt, kann ich die Toleranz wieder durchbrechen. Wahrscheinlich werden wir – und das haben wir schon mit Patienten aus unseren ganz frühen Studien gemacht – stellen wir sie in der Regel irgendwann auf echte Erdnussprodukte um, sprich sie essen jeden Tag, was auch immer, ihren Teelöffel Erdnussbutter. Oder, wir haben da solche Tabellen, mit denen wir das umrechnen können, Schoko-Erdnuss-Süßigkeiten, solche Sachen.

Axel Enninger: Also, es ist nicht so, ich habe mir das ganz banal vorgestellt, nach einem halben Jahr, hätte ich gedacht, kriege ich jeden Tag eine Erdnuss und die esse ich einfach jeden Tag?

Kirsten Beyer: Nein, es geht dann weiter. Wirklich, weil der Unterschied zu den natürlichen Nahrungsmitteln ist, es ist wirklich standardisiert. Man weiß ganz genau, welche Menge ist drin. Das ist eine Therapie, die wirklich über 3 bis 5 Jahre läuft und wo dann hinter die Erhaltungsdosis von 300 mg jeden Tag weiterhin gegessen wird.

Axel Enninger: Als Nicht-Allergologen verstehe ich das nicht. Wenn ich jetzt nach einem halben Jahr sage, ich vertrage ungefähr die Menge einer Erdnuss und ich esse dann jeden Tag einfach drei Erdnüsse und ich vertrage die, dann ist das doch sensationell für mein Immunsystem, oder?

Kirsten Beyer: Das ist sensationell, aber so ist die Therapie nicht zugelassen worden. Das heißt, wenn ich den Patienten sage, sie sollen die Therapie einfach mit Erdnüssen durchführen, die sie im Supermarkt kaufen, dann mache ich eine nicht-zugelassene Therapie. Da wird die Erdnuss zum Medikament, wenn ich das zur Therapie verwende. Wenn ich das mit einem nicht-zugelassenen Präparat mache, komme ich möglicherweise in Teufels Küche. [Fröhliches Durcheinanderreden.] Ich lasse ein Kind ja auch nicht an einer Katze lutschen oder an Birkenpollen.

Axel Enninger: Ja, schade eigentlich, denn das ist ja vielleicht Sinn der Übung, dass der ehemalige Erdnussallergiker irgendwann auch einmal ein Erdnussbutterbrot essen möchte.

Kirsten Beyer: Die wollen das aber gar nicht. Also, ich habe bisher keinen Erdnussallergiker kennengelernt, der auch nur das geringste Bedürfnis verspürt, ein Erdnussbutterbrot zu essen oder Erdnussflips oder sonst etwas mit Erdnuss. Sie ekeln sich davor. Und die größte Schwierigkeit, die wir ehrlich gesagt haben mit solchen Therapien, gerade den oralen Therapien, ist, dieses Zeug in die Kinder hineinzukriegen. Sie brauchen es nur zu riechen… sie finden alles ekelhaft, was nach Erdnuss riecht.

Axel Enninger: Also, dann bin ich dankbar, dass ich keine Erdnussallergie habe. Jetzt haben wir ja gesagt, Erdnuss ist eine Schalenfrucht.

Kirsten Beyer: Erdnuss ist eine Schalenfrucht? [Lächelt hörbar.]

Axel Enninger: Erdnuss ist eine Hülsenfrucht, natürlich. Also Erdnuss, ich kann es noch einmal betonen, Erdnuss ist eine Hülsenfrucht wie die Erbse.

Kirsten Beyer: Korrekt.

 

Ko-Allergien mit Haselnuss und Cashew, Kreuzreaktion mit Pistazie, aber harmlose Mandel

Axel Enninger: Aber wir reden jetzt mal über echte Nüsse, also echte Schalenfrüchte. Da haben wir gesagt, es gibt Kreuzreaktionen… nee auch nicht richtig.

Kirsten Beyer:  Ko-Allergien.

Axel Enninger: Nicht im Sinne von Kreuzreaktionen. Über welche Nüsse müssen wir da noch reden und welche müssen wir im Blick haben oder gibt es auch harmlose Nüsse?

Kirsten Beyer: Wir haben in Deutschland wirklich Haselnuss und Cashew, was momentan am meisten auftritt. Harmlos ist die Mandel. Wir finden kaum Mandelallergiker, auch wenn wir viele Kinder haben, die gegen Mandeln sensibilisiert sind. Mandelallergiker gibt es kaum. Das ist einmal in einer größeren Studie wirklich gut untersucht worden. Ich meine, sie hatten 500 sensibilisierte Patienten eingeschlossen auf Mandel und haben ungefähr vier gefunden, die auf Mandel reagiert haben. Das sehen wir auch. Wir sehen immer wieder Kinder, die trotz Sensibilisierung Mandel essen können. Also die Mandel scheint harmlos. Cashew macht wirklich schwerste Reaktionen und die Cashew hat eine ganz hohe – da ist es eine echte – Kreuzreaktivität mit Pistazie. Und Pistazie spielt schon in der Kinderernährung eine große Rolle, wenn man an die Mortadella mit den grünen Stückchen denkt. Das ist nämlich Pistazie. Da können schon mal ganz unerwartet beim Fleischer oder durch das, was ich an Wurstwaren habe, auch wirklich Reaktionen auftreten. Dann ist es so, dass mittlerweile Pesto ganz häufig gar nicht mehr die tollen Pinienkernen drin hat, die sind ja sehr teuer, sondern da wird stattdessen Cashew usw. verwendet. Wir sehen auch da wirklich schwere Reaktionen auf die Cashew.

Axel Enninger: Das ist auch mein Eindruck, wenn wir unsere stationären Patienten angucken. Cashew provozieren wir mittlerweile häufiger und früher war Cashew kein Thema. Wie kommt das?

Kirsten Beyer: Ich glaube, dass es wirklich viele Einführungen von Cashewprodukten auf dem Markt gab. Gerade, wie schon gesagt, das Pesto, wo es eingesetzt wurde, insgesamt als Snack. Wir haben ja die große Tendenz in die Richtung der veganen Ernährung, wo natürlich Schalenfrüchte eine große Rolle spielen, so dass Cashew einen massiven Eingang in unsere tägliche Ernährung gefunden hat.

Axel Enninger: Es gibt, glaube ich vegane Käse-Ersatzprodukte, wo Cashew drin ist, oder?

Kirsten Beyer: Ja, wo all solche Sachen auch existent sind.

Axel Enninger: Das heißt also, wenn ich einen Erdnussallergiker habe, gucke ich immer auch nach echten Nüssen?

Kirsten Beyer: Wir gucken dann in der Regel auch nach echten Nüssen und zwar dann, wenn sie es nicht essen. Wir fragen danach. Wir fragen: ‚Wie sieht es bei Ihrem Kind aus? Werden Haselnussprodukte gegessen?‘ Dann kommt immer das Nein. Dann fragen wir ganz klar nach den entsprechenden Schokoaufstrichen. Wir haben immer wieder Eltern, die sagen: ‚Nein, Haselnuss isst mein Kind nicht‘, aber wenn man nach den entsprechenden Schokoaufstrichen fragt: ‚Ja, das essen wir jeden Morgen.‘ Also, da muss man wirklich ganz gezielt nachfragen, nach Produkten, wo es drin ist und bei dem, was bis dato nicht gegessen wurde, da gucken wir dann, ob eine Sensibilisierung vorliegt und würde gegebenenfalls dann auch eine Provokationstestung empfehlen.

Axel Enninger: Das heißt Haselnuss und Schokoaufstrich. Nicht alle Schokoaufstriche, aber, ich sage mal, der „Marktführer“ enthält Haselnüsse.

Kirsten Beyer: Der Marktführer enthält Haselnüsse.

Axel Enninger: Und viele Nachahmerprodukte von dem Marktführer enthalten auch Haselnüsse.

Kirsten Beyer: Korrekt. Die sollte man per Namen dann einfach mal kennen.

Axel Enninger: Genau, die sollte man per Namen kennen und nachgucken, ob da tatsächlich Haselnüsse drin sind. Das heißt grundsätzlich empfiehlst du: Erdnuss – obwohl Hülsenfrucht – bei Erdnüssen gucken wir immer auch nach einer anderen Allergie und das machen wir vor allem bei denjenigen Nüssen, die noch nicht regelmäßig konsumiert werden.

Kirsten Beyer: Genau und vice versa. Ich habe auch manchmal Kinder, die kommen mit ihrer primären Haselnussallergie und da frage ich genauso andersherum: ‚Wie sieht es denn mit Erdnussprodukten aus‘?

Axel Enninger: Beratung und Therapie ist gleich. Anaphylaxie-Schulung, Pen. Aber eine Therapie gibt es noch keine.

Kirsten Beyer: Therapie gibt es noch keine, nein. Da hoffen wir, dass es irgendwann auch eine Therapie geben wird, und vor allem, dass es eine Kombinationstherapie gibt. Wenn ich einen Patienten habe, der auf Cashew, Haselnuss und Erdnuss reagiert, kann ich ja nicht eine orale Immuntherapie für jedes einzelne machen. Das ist ja…

Axel Enninger: Also, Cashew-Allergie ist blöd. Wie ist da die Prognose?

Kirsten Beyer: Es gibt wenig gute Zahlen. Für Haselnuss gibt schon ein paar, aber genauso schlecht.

 

Echte Allergie gegen Speicherproteine oder Kreuzallergie mit Birkenpollen?

Axel Enninger: Und jetzt hast du vorhin schon einmal kurz erwähnt, dass es auch zu inhalativen Allergien tatsächlich echte Kreuzallergien gibt zwischen Nüssen und Pollen?

Kirsten Beyer: Genau, bei der Haselnuss ist gerade das ein ganz großes Problem. Das haben wir immer wieder, dass wir ein kleines Kind haben, und dann sagt der Papa oder die Mama: ‚Das habe ich doch auch.‘ Dann frage ich gleich: ‚Haben Sie eine Birkenpollenallergie?‘ ‚Ja‘, wird dann meistens bestätigt. Und dann kommt immer die Anamnese: ‚Naja, wenn ich eine frische Haselnuss esse, dann kribbelt es im Mund.‘ Und wenn ich dann nach diesen Nussprodukten frage, die ich morgens auf mein Brot schmieren kann, dann heißt es immer: ‚Nein, das kann ich essen.‘ Sie haben eine ganz andere Art von Haselnussallergie, nämlich eine Pollen-assoziierte Haselnussallergie. Das ist eine Allergie auf ganz andere Proteine in der Haselnuss als die echte, primäre Haselnussallergie. Die ist nämlich auf Speicherproteine. Die sind hitzestabil und gehen in den Nussprodukten, wo es geröstet hineinkommt, weil es dann besser schmeckt, auch nicht kaputt, während diese Kreuzallergene… Da ist ein Protein, das ist ein PR10-Protein, das kreuzreagiert mit dem Birkenpollenallergen. Wenn ich dann eine frische Haselnuss esse, ist es ungefähr so, als wenn Pollen in meinem Mund geflogen kommt. Das ist eine andere Art von Allergie. Der Klassiker ist, der Birkenpollenallergiker reagiert auf den Apfel, die Karotte, das kennen die meisten. Das Gleiche ist es bei der Haselnuss. Es ist wirklich eine ganz andere Art von Allergie. Und wenn man zum Beispiel in Deutschland Kinder im Schulalter testen würde, ob sie sensibilisiert sind auf Haselnuss oder Erdnuss, finden wir 10 % der Kinder, die sensibilisiert sind. Das kommt von der Birkenpollen-Sensibilisierung. Sie haben alle keine echte Haselnuss- oder Erdnussallergie, weil das ganz andere Proteine sind.

Axel Enninger: Hilft euch Allergologen da die Komponentendiagnostik?

Kirsten Beyer: Da hilft uns die Komponentendiagnostik enorm. Wir gucken dann wirklich nach den Speicherproteinen, bei der Erdnuss das rAra h2, bei der Haselnuss das Cor a 14 oder das Cor a 9, was wirklich diese Speicherproteine sind, wo wir dann nachgucken. Gibt es eine Sensibilisierung dagegen, habe ich Hinweise auf eine echte Erdnuss- oder Schalenfruchtallergie. Das gibt es genauso auch bei der Cashew usw., diese ganzen Speicherproteine, die ich testen kann.

 

Wird es gegessen und vertragen? Dann nicht testen

Axel Enninger: Jetzt zäumen wir das Pferd einmal von hinten auf. Da kommt der Birkenpollenallergiker mit Heuschnupfen. Okay, den testest du dann auf was? Und da gibt es am Ende keinen Link zur Erdnuss oder doch?

Kirsten Beyer: Den teste ich am besten gar nicht. Ganz ehrlich, der kommt – und das sind ja in der Regel schon etwas ältere Kinder – und da frage ich nur einfach danach, ob das gegessen wird. In der Regel wird es gegessen und dann tue ich einen Teufel, das zu testen. Und wenn ich doch ein Testergebnis habe, weil doch mal ein Suchtest und so weiter ankreuzt war, oder ich kriege jemanden mit dem Befund, dann sage ich ihnen: ‚Das hat klinisch keine Relevanz, wenn es gegessen wird.‘ Also, wenn er seinen Schokoaufstrich, also so einen Haselnussaufstrich isst oder zwischendurch Erdnussflips gegessen hat oder ich frage nach den berühmten ganzen Produkten, wo Erdnuss in irgendwelchen Schokoriegeln drin ist usw. Es gibt jede Menge dieser Sachen. Ich frage einfach, wird es gegessen, wird es vertragen? Dann teste ich da gar nichts.

Axel Enninger: Okay, spannend für mich. Das war mir völlig neu, das heißt, der Birkenpollenallergiker, der in die Haselnuss beißt, der kann ein orales Allergiesyndrom haben, aber der kann den Schokoaufstrich vom Marktführer, wo geröstete Haselnüsse drin sind, vertragen.

Kirsten Beyer: Korrekt. Und das ist die wichtigste Frage, die ich stelle und habe damit schon alle primären Haselnussallergien ausgeschlossen und sie kriegen auch kein Notfallset und nichts.

Axel Enninger: Wunderbar. Kirsten, es gibt eine Tradition in diesem Podcast und diese Tradition heißt Dos und Don‘ ts. Das heißt, du darfst Dinge loswerden – kennst du schon von unserer ersten Folge – die du unbedingt positiv vermelden möchtest bzw. in die Welt streuen möchtest, und Dinge, vor denen du gerne warnen möchtest. Deine Entscheidung.

 

Primäre Erdnuss- oder Schalenfruchtallergie? Notfallset mit Adrenalin-Autoinjektor, Anaphylaxie-Schulung und -Pass! Keine unnötige Diagnostik, sie kann verunsichern; und an Prävention denken!

Kirsten Beyer: Genau. Was ich ganz wichtig finde ist, dass wenn ich einen Patienten habe, der eine echte Erdnussallergie hat oder eine echte Haselnuss- oder Cashewallergie, also eine primäre Nahrungsmittelallergie, das sind Patienten, die brauchen einen Notfallset, einen Adrenalin-Autoinjektor und sie müssen dementsprechend instruiert und geschult werden und sollten einen Anaphylaxie-Pass bekommen, dass sie wirklich geschützt sind vor einer akzidentellen, zweiten anaphylaktischen Reaktion. Das ist etwas, das ich wirklich mitgeben möchte.

Axel Enninger: Wer unsere erste Folge von der Kuhmilchallergie schon einmal gehört hat, da kam das auch als Do. Unbedingt! Also das ist den Allergologen mördermäßig wichtig. Sag’s noch mal, du möchtest unbedingt einen…

Kirsten Beyer: Ich möchte, dass Patienten, die das Risiko für eine anaphylaktische Reaktion haben, ein Notfallset bekommen. Und Notfallset heißt, also das wichtigste Medikament ist der Adrenalin-Autoinjektor. Dann finde ich extrem wichtig: keine unsinnige Diagnostik! Wenn ich weiß, ein Patient isst etwas und verträgt es, dann brauche ich dagegen kein IgE mehr zu messen und deswegen tue ich mich manchmal schwer mit Suchtestungen, gerade bei älteren Patienten, die vielleicht noch eine Birkenpollenallergie haben. Das verunsichert alle. Wir haben immer wieder Schulkinder da, denen plötzlich empfohlen wurde: Erdnuss meiden, Haselnuss meiden, die dann ihren tollen Haselnussaufstrich nicht mehr essen sollen und wo dann möglicherweise vielleicht auch Toleranzen durchbrochen werden können. Also wirklich da gucken. Und nicht jeden, wo ich IgE habe – besser erst gar nicht testen  – oder wenn das IgE da ist und es vertragen wird, in der Ernährung drin lassen!

Axel Enninger: Und darf ich dann noch sagen, was wollen wir auf gar keinen Fall getestet haben? Ich sage es noch mal aus gastroenterologischer Sicht: Wir wollen keine IgG-4-Antikörper getestet haben.

Kirsten Beyer: Die wollen wir auf keinen Fall. Die sollten sogar positiv sein, denn das zeigt eine Toleranz.

Axel Enninger: Genau. Also, und daraus bitte keine Konsequenz ziehen. Entschuldigung, da muss ich mich noch einmal einmischen.

Kirsten Beyer: Absolut, sehen wir genauso.

Axel Enninger: Okay, noch ein Do, das du gerne verbreiten möchtest?

Kirsten Beyer: Momentan fällt mir nicht einmal so richtig eins ein, außer dass man vielleicht an die Prävention denken sollte. Das heißt, wenn ich wirklich ein Kind mit Neurodermitis vor mir habe, die Eltern kommen immer zu uns und wollen wissen: ‚Welche Nahrungsmittel muss ich denn weglassen, dass die Neurodermitis verschwindet?‘ Ich denke mir immer: ‚Hm, wenn ich da bei denen etwas teste, teste ich etwas, wovon ich weiß, sie haben ein hohes Risiko, darauf vielleicht zu reagieren und eine Soforttyp-Reaktion zu haben.‘ Das heißt, ich denke eher an die Nahrungsmittel, die bis dato nicht eingeführt wurden und dazu gehört unter anderem die Erdnuss, die Haselnuss usw. Die Eltern wundern sich immer, dass ich dann eher ankreuze, bei dem Kind möchte ich Erdnuss, Cashew, Haselnuss getestet haben, die sie ja noch nie gegessen haben. Es ist, um vorzubeugen, dass eine Soforttyp-Reaktion zu Hause auf diese Sachen stattfindet.

Axel Enninger: Ja und es gibt viel mehr Kinder, die den Marktführer-Schokoaufstrich vertragen, als solche, die ihn nicht vertragen. Und das war vielleicht auch noch eine deiner Nachrichten, dass es zu viele Menschen gibt, denen man aufgrund von bestimmten Ergebnissen diesen Schokoaufstrich nimmt.

Kirsten Beyer: Wobei ich ihnen aus ganz anderen Gründen den Schokoaufstrich vorenthalten würde. Da ist viel zu viel Zucker drin. Also, wenn ich so etwas schon gebe, dann würde ich wirklich Haselnussprodukte nehmen, wo nur Haselnuss drin ist. Das sind vielleicht gesunde Sachen. Aber ganz ehrlich, ob es der Marktführer oder andere Produkte sind, das Zeug ist so zuckerhaltig, dass ich es aus vielen anderen Gründen meinen Kindern vorenthalten würde.

Axel Enninger: Also, bei uns zu Hause gab es das immer nur für unsere Kinder in den Ferien und vielleicht ist das ein gangbarer Weg.

Kirsten Beyer: Ja, man soll es nicht ganz meiden, aber man soll es bewusst benutzen.

Axel Enninger: Okay, Kirsten, vielen, vielen Dank. Wir haben ein wenig Licht in das Thema Nüsse und Nicht-Nüsse gebracht und, glaube ich, ganz klar ein paar wesentliche Punkte untergebracht und besprochen und auch wirklich spannend: Es gibt für Erdnussallergiker möglicherweise eine Therapieoption, was ja super ist und vielleicht ja ein Modell ist für andere Nahrungsmittelallergien.

Kirsten Beyer: Auf jeden Fall.

Axel Enninger: Vielen, vielen Dank. Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, auch vielen Dank fürs Zuhören, für Ihr Interesse. Wenn Sie noch kein Abonnent sind, sind Sie herzlich eingeladen, unseren Podcast zu abonnieren. Und wenn es Ihnen gefallen hat, freuen wir uns über eine positive Bewertung. Vielen Dank und auf Wiederhören.

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

Ihr Team von InfectoPharm

Weiterführende Links:

AGATE Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie – Training und Edukation e. V.: https://www.anaphylaxieschulung.de/

Anaphylaxie-Pass: https://www.anaphylaxieschulung.de/informationen-fuer-betroffene/medikamentengabe-in-kita-und-schule/

Ärztliche Bescheinigung für Nahrungsmittelallergien und Unverträglichkeiten zur Vorlage in der Kindertagesstätte oder Schule: https://www.ble-medienservice.de/0460/formular-zum-umgang-mit-nahrungsmittel-allergien-und-unvertraeglichkeiten-in-der-kita

 

Leitlinien:

Leitlinie Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien, S2k, Registernummer 061-031, Stand: 30.06.2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-031.html

Leitlinien Akuttherapie und Management der Anaphylaxie, S2k, Registernummer 061 – 025, Stand: 31.01.2021. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/061-025.html

 

Patientenratgeber: Verständliche Broschüren für Eltern und Betreuungspersonen

Allergie:

https://www.infectopharm.com/fuer-patienten/patienten-ratgeber/allergie/

Anaphylaxie:

https://www.infectopharm.com/fuer-patienten/patienten-ratgeber/anaphylaxie/