Startseite> consilium> Podcast> Podcast - Pädiatrie> consilium - der Pädiatrie-Podcast - Folge 3

consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #3 - 10.12.2021

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Husten: Nur lästig und banal oder therapiebedürftig?

 

DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt. Heute begrüßt er Dr. Marcus Dahlheim.

Sprecherin: consilium der Pädiatrie-Podcast mit Dr. Axel Enninger.

Axel Enninger: Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Mein Name ist Axel Enninger, ich bin Kinder- und Jugendarzt und Kinder-Gastroenterologe und ich leite eine der Abteilungen an der Kinderklinik des Klinikums Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital oder „das Olgäle“. Mein heutiger Gast ist Dr. Marcus Dahlheim. Er ist ebenfalls Kinder- und Jugendarzt und Kinder-Pneumologe und ‑Allergologe und betreibt eine große Praxis in Mannheim. Großer, erfahrener Pädiater beim Thema Atemwegserkrankungen. Wir wollen uns heute einem Thema widmen, mit dem wir Kinder- und Jugendärzte immer und ständig zu tun haben, nämlich dem vermeintlich so banalen Thema „Husten“. Marcus, herzlich willkommen!

Marcus Dahlheim: Hallo, Axel!

Axel Enninger: Warum husten wir eigentlich?

Marcus Dahlheim: Ja, gute Frage! Wir würden sonst am Schleim, an Fremdkörpern, an Feinstaub wahrscheinlich ersticken. Das heißt, die Zilien in unseren Atemwegen oder der Schleim fangen erst einmal das ein, was wir einatmen. Schmutzstoffe – die Zilien arbeiten sie nach oben und den letzten Weg erledigen wir mit dem Husten. Wir geben sozusagen ein Kommando vom Gehirn weiter an das Hustenzentrum, damit der Muskelstoß, einem Husten entsprechend, das, was raus muss, raushustet. Darum husten wir.

Axel Enninger: Aber im Normalfall huste ich doch gar nicht?

Marcus Dahlheim: Ja, das schon. Wenn man einen Hustenmonitor einsetzen würde, dann würde man merken, achtmal am Tag bestimmt, vielleicht auch bis zu 30-mal. Das ist als Hustenmenge pro Tag normal und ohne würde es gar nicht gehen.

Axel Enninger: Okay, sehr spannend: Ich habe gedacht, meine Zilien reinigen das alles und dann gibt es da Schleim und den schlucke ich herunter.

Marcus Dahlheim: Das machst du ja auch, nachdem du dich geräuspert oder gehustet hast. Und bei der Nase, interessanterweise, bei der Nase wird ja der Zilienschlag nicht Richtung Nasenausgang, sprich nicht Richtung Nasenloch gefördert, sondern andersherum. Und dann schlucken wir es auch runter und wenn es herunterläuft, dann husten wir auch das heraus.

Axel Enninger: Okay, und wann ist denn Husten mehr als das, was du gerade beschrieben hast – ein Normalzustand? Und was ist denn die häufigste Ursache dafür?

Marcus Dahlheim: Naja, Husten ist dann natürlich ein Thema, wenn es einen Leidensdruck macht. Wenn es auffällt, wenn man merkt, dass man mehr hustet als andere, wenn der Hustenklang auffällig ist.  Da kommen wir nachher noch mal drauf. Man kann im Prinzip sagen, wenn ich jetzt jeden Tag natürlich 50-, 60-, 70-mal huste, dann fällt das auf, dann ist das mehr als normal. Wenn ich immer bei oder nach Belastung huste, ist das auch nicht normal. Also wenn ich mehr huste nach dem Fußballtraining oder nach dem Tanzen als die anderen, dann fällt das auf. Und wenn ich nachts huste, also wenn er Nachtschlaf gestört ist durch Husten, dann ist das ein Thema. Das finde ich langfristig wenig tolerabel. Nächtlicher Husten hat dann doch oft eine organische Ursache.

Axel Enninger: Meistens denken wir, Husten ist etwas Banales, wo man sagt: ‚Naja, irgendwie schon nicht schlimm, ist ein Infekt.‘ Gibt es Hinweise, bei denen ein Fachmann wie du hellhörig wird, bei denen er sagt: ‚Ups, da ist irgendetwas komisch‘?

 

Akuter Husten dauert bis zu drei Wochen

Marcus Dahlheim: Also, du sagst richtig, meistens, ja, ein akuter Husten im Rahmen eines Virusinfektes, der ist harmlos, der dauert fünf Tage, vielleicht sieben. Achtung, es kann auch mal drei, vier Wochen dauern. Also der akute Husten ist definiert als Husten bis zu drei Wochen. Und dann kann man noch eine Unterdefinition nehmen, das ist der subakute Husten mit drei bis acht Wochen und dann kommt der chronische Husten. Wenn wir jetzt erstmal nur beim akuten Husten bleiben, dann gibt es natürlich bestimmte Warnzeichen, bei denen man aufmerksam sein muss. Also ein Kind hustet und hat eine beschleunigte Atmung. Ein Kind hustet, hat beschleunigte Atmung und hohes Fieber. Die Pneumonie zum Beispiel kommt dann natürlich da hinein. Ein Kind hat Husten und hat plötzlich angefangen zu husten, während es Nüsse knabberte und durch den Raum lief und gestolpert ist. Also dann denkt man an Fremdkörper-Aspiration. Dann gibt es natürlich noch einen Husten mit Thorax-Schmerzen, Pneumothorax oder auch bei den Jugendlichen – Lungenembolie, sie ist jetzt nicht häufig, aber an so etwas muss man dann auch mal denken.

Axel Enninger: Okay. Das heißt, die Nachricht ist, Husten alleine kannst du gar nicht gut einordnen. Du willst drum herum mehr wissen, oder? Also wenn da jetzt ein Patient zu dir kommt – die kommen ja üblicherweise selten im Notdienst zu dir – sie haben schon eine gewisse Vorgeschichte hinter sich und landen dann bei dir. Wie näherst du dich dann diesem Symptom? Was machst du?

 

Chronischer Husten ist täglich da und dauert länger als acht Wochen

Marcus Dahlheim: Na, jetzt bleibe ich erstmal beim akuten Husten. Tatsächlich ganz wichtig: Ich gucke mir das Kind an! Vielleicht tatsächlich vor der Anamnese, aber dann gucke ich mir das Kind an. Das Abhören allein reicht nicht. Das, was man oft hört, auch von den Eltern, dass dann das Stethoskop in den Body oder irgendwo drunter geschoben wurde, unter das T-Shirt, das ist im Normalfall nicht sinnvoll. Ich sehe, wie bewegen sich die Rippen, wenn ich das Kind anschaue. Ich sehe: Gibt es Einziehungen? Vielleicht epigastrisch oder jugulär. Ich sehe eben die Tachypnoe und dann kann ich schon ganz viel sehen. So nähere ich mich dem an, gibt es irgendetwas Wesentliches, gibt es Thoraxdeformitäten oder Ähnliches? Und dann habe ich ja ein Bild, wie das Kind sich so verhält. Das ist im Prinzip, wie ich an den akuten Husten gehe. Dann frage ich natürlich: ‚Tut etwas weh?‘ Und ich frage auch immer die Kinder. Also zumindest so ab zwei, drei, vier Jahren kriegt man vernünftige Antworten. Also nicht nur die Eltern fragen! Und wenn wir jetzt an den chronischen Husten denken, jetzt wechseln auf den chronischen Husten, dann ist natürlich die Frage: Wann fing es an? Wie fing es damals an, war es plötzlich? War es ein Infekt? Die Frage: Ist der Husten jeden Tag da? Ein chronischer Husten ist jeden Tag da. Wenn ich zwei Tage nicht huste, ist der Husten sozusagen nicht chronisch. Dann fange ich wieder neu an zu zählen. Chronischer Husten, der ist länger als 8 Wochen.

Axel Enninger: Okay, aber das ist ja noch ein guter Punkt. Das heißt, wenn zwischendurch ein paar Tage Frieden war, dann zählt das sozusagen nicht als chronischer Husten.

Marcus Dahlheim: Dann zählt das eigentlich wieder neu. Auch wenn es im ersten Moment befremdlich klingt und man das auch nicht nachvollziehen möchte, wenn ich jetzt sage: ‚Naja, was sind das – acht Wochen? Also sprechen wir einfach mal von 50 Tagen. So ganz grob und ich huste zwei von 5 Tagen nicht, ist das dann kein chronischer Husten mehr? Das werde ich persönlich ja auch hinterfragen. Aber im Prinzip, wenn ein paar hustenfreie Tage da waren, dann fängt man wieder neu an zu zählen.

Axel Enninger: Okay, und dieses Thema mit dem: War denn da ein Infekt? – ist natürlich auch ein ganz schwieriges Thema, weil eigentlich das übliche Kindergartenkind mit vier Jahren praktisch immer von einem Infekt in den nächsten stolpert. Und insofern wird man wahrscheinlich zur Antwort kriegen: Ja, natürlich war da ein Infekt. Wenn man ein Kind hat, was seit Langem hustet und eigentlich auch in den Kindergarten geht.

 

„Tut etwas weh?“, „Wann und wie fing es an?“ – auch das Kind, nicht nur die Eltern fragen

Marcus Dahlheim: Also, da hast du natürlich recht, das ist die häufigste Antwort. Aber wir fragen natürlich nicht primär: ‚War da ein Infekt?‘, sondern: ‚Wann und wie fing es denn an?‘ Und dann gibt es ganz viele verschiedene Antwortmöglichkeiten. Wenn mir dann eine Familie sagt: ‚Naja, wir waren am 17. Juli auf der Grillparty und seit dem Tag hustet er.‘ Das hört man gar nicht so selten, so in der Art. Dann ist das noch mal eine andere Aussage, als wenn es heißt: ‚Er hustet schon immer.‘ Dann mache ich mir wieder andere Gedanken. Oder: ‚Es fing damals mit dem Infekt an und ging halt nicht mehr weg.‘

Axel Enninger: Okay, dann gehen wir noch mal nicht zum chronischen, sondern einmal noch kurz zum akuten Husten. Ich erinnere mich lebhaft an die schon viele Jahre zurückliegenden Zeiten im Nachtdienst als Assistent. Nachts um drei Familien, die kommen, weil niemand schlafen kann. Kind hustet, Kind ist genervt, Eltern sind genervt und dann stehen sie nachts um drei da und wollen von dir einen Hustensaft. Ich sage jetzt mal, wie ich es am Anfang gemacht habe. Am Anfang habe ich dann tief Luft geholt und habe erläutert, warum Husten wichtig ist und versucht zu erklären, warum man jetzt keinen Hustenstiller gibt. Und ich bekenne, ich bin dann irgendwann weich geworden, weil ich gedacht habe, ich habe keine Lust, nachts um drei mit den Eltern hier zu diskutieren, habe dann etwas aufgeschrieben und war froh, dass sie wieder nach Hause gegangen sind. Ich weiß, dass ist keine evidenzbasierte Medizin. Ich weiß, sicher auch keine gute Medizin. Was sagst du denn, wenn du gefragt wirst: Ich brauch aber jetzt unbedingt… Also sicher kein Lieblingsthema und vielleicht gar nicht so ein wahnsinnig relevantes Thema, aber trotzdem glaube ich, müssen wir ein bisschen was zu Hustensäften sagen.

 

Hustensäfte: die Evidenz ist gering, die Erfahrung schlecht. Am ehesten noch Noscapin, Honig – und Opas grüner Zaubertee

Marcus Dahlheim: Also, doch eigentlich ein total spannendes Thema. Und bei mir war die Evolution genau andersherum. Also ich habe früher vielleicht mal einen Hustensaft aufgeschrieben, Hustenstiller und mit irgendwann gesagt: ‚Quatsch, du weißt doch, es bringt nicht viel.‘ Und ich finde es ja schon bei trockenem Reizhusten total dankbar mir vorzustellen, es wird weniger. Vielleicht funktioniert es mit manchen Hustensäften, aber die Evidenz ist gering und die Erfahrung ist schlecht. Und ich spreche jetzt aus meiner persönlichen Erfahrung. Auch da ist die Evidenz schlecht. Am ehesten bringen vielleicht tatsächlich noch Noscapin-Hustensäfte etwas. Vielleicht selten die Codeine, die man aber tunlichst eigentlich nicht einsetzen sollte, weil sie hohe Nebenwirkungsraten haben und die auch ganz erheblich sein könnten. Da gibt es ja so spezielle Enzym-Besonderheiten, dass sich das eben anreichern kann im Körper, da macht es Probleme. Also eher: Finger weg. Und die ganzen Pflanzlichen als Hustenstiller bringen auch nicht viel. Als Schleimlöser kann ich viel trinken. Also wie mache ich Werbung dafür, keinen Hustensaft mehr zu geben? Ich glaube, den letzten Hustensaft habe ich aufgeschrieben vor zwei oder drei Jahren. Ich sage es den Familien – so wie du früher [schmunzelt] – dass der Husten dazugehört und dass er sehr nervig und lästig ist. Dass man Geduld haben muss, dass man viel trinkt, damit sich einfach der Schleim löst, wenn es ein schleimiger Husten ist. Und ich erzähle ihnen von einer Studie, die vor einigen Jahren publiziert worden ist, bei der man mal den Hustensaft mit einem Placebo gegenüber Nichts-Tun verglichen hat. Und jetzt einfach kurz zusammengefasst. War es tatsächlich so, dass Placebo und Hustensaft die gleiche Wirkung hatten. Das Nichts-Tun, das war schlechter. Und das zeigt tatsächlich einfach, dass man etwas tut, das bringt etwas. Und das kann dann Opas grüner Früchtetee sein, mit ein bisschen Honig drin. Honig übrigens, ist am ehesten vielleicht noch mit einer minimalen Evidenz versehen. Oder selten einmal Thymian-Produkte, da gibt es auch etwas. Aber im Prinzip: Das Etwas-Tun, den Husten des Kindes würdigen. Und hier ist jetzt ein Spezialzaubertee von Opa. Das ist genauso effektiv. Nehmen die Eltern auch gerne an.

Axel Enninger: Okay, also so ähnlich habe ich das gemacht. Ich habe dann nachts auch versucht zu sagen, das ist jetzt der beste Hustensaft der Welt, den ich Ihnen jetzt verordne und es wird wunderbar werden. Wahrscheinlich hat er dann geholfen, egal was ich da nachts aufgeschrieben habe. Und ich habe jedenfalls diese Diskussionen im Nachtdienst nicht mehr gehabt. Ich weiß, noch mal, ich empfehle es niemandem, aber ich habe mich, bekenne ich, so verhalten. Jetzt gehen wir mal zurück zum Thema chronischer Husten. Da hustet jetzt wirklich jemand 8 Wochen lang und, wir halten noch einmal fest, es gab keine einzelnen Tage zwischendrin, wo er nicht gehustet hat, sodass wirklich diese 8-Wochen-Definition erfüllt ist. Was machst du jetzt? Du machst die Anamnese und dann denkst du okay, er könnte eine Nuss aspiriert haben. Du denkst, er könnte Keuchhusten haben. Du denkst, der hat alles Mögliche. Was machst du nach der Anamnese? Und was ist eine sinnvolle Diagnostik, die du dann a) durchführst und b) auch empfehlen würde?

Marcus Dahlheim: Das finde ich aber komisch, Axel. Warum fragst du, was ich nach der Anamnese mache? Frag doch mal, was ich einer Anamnese mache [schmunzelt], denn danach weiß ich meistens schon, was er hat.

Axel Enninger: Dann ist gut. Was machst du während der Anamnese? Dann erzähl.

 

Fragen ist das Wichtige. Ich frage offen, damit sie viel selbst erzählen

Marcus Dahlheim: Tatsächlich ist das nämlich das Wichtige. Ich fange an zu fragen. Ich frage relativ offen, dass die Eltern auch viel selber erzählen. Ich frage auch die Jugendlichen oder die Kinder offen, wie sie es wahrnehmen. Da ist es erstaunlich, dass teilweise die Eltern und die Kinder eine ganz andere Wahrnehmung haben. Ich hatte diese Woche einen da, der hat mir erzählt, dass er beim Sport immer schlecht Luft kriegt und eine pfeifende Atmung hat.  Und die Mama hat gesagt: ‚Das stimmt ja gar nicht, habe ich noch nie erlebt.‘ Das muss man mal rauskriegen und so ein bisschen auch die Fehlwahrnehmung rausnehmen. Aber eine richtige Anamnese – zurück zur Anamnese – fängt an in der Neugeborenenzeit. Wenn nicht schon davor. Fängt an mit der pulmonalen Anpassungsstörung, fängt an mit der Neugeborenen-Gelbsucht.

Das alles wird gefragt, weil es Hinweise geben kann. Also zum Beispiel die Gelbsucht auf die Mukoviszidose als Möglichkeit. Anpassungsstörung auf Ziliendyskinesie. Also da gibt es ganz viel, was man vorneweg schon erfahren kann und dann geht es tatsächlich erst mal so die Lebensabschnitte durch. Erstes Lebensjahr: War da was? Erste Infektionen, Hautprobleme, atopische Dermatitis als Hinweis auf vielleicht tatsächlich sich entwickelnde Allergien oder Asthma. Dann geht es durch alle Organsysteme durch von oben nach unten. Der HNO-Bereich, Seromukotympanon, Adenoide, Operationen, Paukenröhrchen, Zahnprobleme. Das ist alles das, was zum Beispiel beim Reflux ein Thema sein könnte. Krupp-Episoden. Dann wird natürlich gefragt: War etwas mit dem Herzen, gab es Lungenentzündung, Bronchitis-Episoden, Krupp-Episoden. Dann kommt die Frage nach Blähungen, Durchfällen, Verstopfung. So blöd das klingt: ‚Das hat ja nichts mit Lunge zu tun.‘ Doch, hat es. Wir hängen ja alle zusammen. Und Husten ist ja nun auch ein Ausdruck von vielen Dingen. Und es geht natürlich dann auch letztlich noch mal weiter: Gibt es Gelenkprobleme? Also jedes Organsystem muss zumindest kurz angerissen sein, auch wenn die Eltern komisch gucken. Und dann fasst man das zusammen. Wenn man dann diese vielen Mosaiksteine hat und sich anschaut, dann weiß man meist schon sehr viel.

Axel Enninger: Aber jetzt gebt mir mal kurz einen Tipp: Gelenkprobleme und Husten. Fällt mir jetzt gerade schwer. Woran denkst du?

Marcus Dahlheim: Naja, es gibt selten einmal die rheumatischen Geschichten. Rarität.

Axel Enninger: Okay.

Marcus Dahlheim: Das gibt es aber tatsächlich, die dann auch einen trockenen Husten machen. Dann eher eine Restriktion in der Lungenfunktion. Sieht man dann auch. Aber das gehört zumindest ein bisschen mit gefragt. Nur einmal kurz: ‚Gibt es oder gab es Probleme?‘ Operationen in der Vorgeschichte und so weiter. Familien-Anamnese nicht vergessen zu fragen. Also auch noch ganz wichtig: Gibt es Allergien, bei den Geschwistern, bei den Eltern Asthma und so weiter? Das ist wichtig. Gibt es komische Lungenerkrankungen? Ja klar, der Cousin hat Mukoviszidose. Hm. Dann weiß man schon mal, dass da in der Familie ein Gen umgeht. Mal ein bisschen den Horizont erweitert in die Richtung.

 

Was mit Schleimbildung aus der Tiefe zu tun hat, macht mir Sorgen

Axel Enninger: Okay, wie fragst du nach Rauchen? Ich frage immer: Wer raucht in Ihrer Familie? Ich frage nicht: ‚Raucht jemand?‘ Ich frage: ‚Wer raucht?‘ Wie machst du das?

Marcus Dahlheim: Ehrlicherweise fragen das meistens die Mädels. ‚Gibt es Raucher in der Familie oder im Haushalt?‘ Das wird ganz offen gefragt und die Antwort wird auch nicht hinterfragt. Wenn man die Antwort hört, ein Nein, und es riecht nach Rauch, dann ist das… Aber es gehört gefragt. So, wenn man dann erst einmal einen groben Blick hat über die Lebensgeschichte, die gesundheitliche, dann geht es ja weiter. Auch ganz wichtig: Was für ein Husten ist das? Trockener Husten oder feuchter Husten, also schleimiger Husten? Das ist ein Riesenunterschied. Und wenn einer trocken hustet, lehne ich mich einfach erst mal entspannt zurück und sagt mir, entweder, wenn es noch nicht lange ist, das geht wieder vorbei. Oder ich sage mir, das ist relativ gut zu behandeln. Oder ich sage mir, er hat ein Asthma – was für ein Glück! Auch wenn wir über das Asthma nachher noch mal diskutieren können, ob das wirklich ein Glück ist. Der feuchte Husten, der chronisch feuchte Husten, der macht mir viel mehr Angst, weil der meist Hinweis oder sehr oft Hinweis sein kann auf eine chronische Fehlbesiedlung der Atemwege, auf eine chronische bakterielle Bronchitis, die eben dann, wenn man es nicht behandelt, zu Bronchiektasen führen kann, und die wird man nicht mehr los.

Axel Enninger: Heißt alles, was mit Schleimbildung zu tun hat?

Marcus Dahlheim: Alles, was mit Schleimbildung aus der Tiefe zu tun hat. Nicht das, was von oben vom Rachen runtertropft bei den Adenoiden. Die husten auch produktiv. Aber alles, was mit Schleimbildung von unten zu tun hat, macht mir Sorge und gehört frühzeitig abgeklärt, dass man nichts verpasst. Dazu gehört a) zu behandeln, dass eben die Entzündung, der Schleim abnimmt, die Fehlbesiedlung abnimmt, aber auch natürlich b) Ursachenforschung. Also Mukoviszidose, Ziliendyskinesie, Zustand nach früher stattgehabter Fremdkörperaspiration und da buttert noch irgendetwas in der Lunge herum, was letztlich auch zu Gewebezerstörung führt.

 

Feuchter, chronischer Husten: Mukoviszidose, Ziliendyskinesie, bakterielle Bronchitis, Fremdkörper oder Reflux?

Axel Enninger: Okay, können wir kurz noch einmal… Für Herbst 21 Status Mukoviszidose-Diagnostik trotz eingeführten Neugeborenen-Screenings. Kurzes Statement. Nur dass wir das an alle wirklich einmal vermitteln.

Marcus Dahlheim: Also wir machen viel weniger Schweißtests als früher, aber wir machen auch Schweißtests, wenn es verdächtig ist. Also der Klassiker: feuchter Husten. Da gehört ein Schweißtest gemacht. Feuchter Husten plus Neugeborenen-Gelbsucht erst recht. Dann noch auffällige Lungenfunktion oder Durchfälle. Da muss man das machen. Wir alle haben Screening Versager. Es gibt falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse, wenn auch nicht sehr häufig. Wir haben solche in der Praxis und es gibt auch Kinder, die sind nicht gescreent worden. Die gibt es.

Axel Enninger: Okay. Und ich glaube, zunehmend ist ja auch das Thema ethnische Herkunft. Wir gucken nach bestimmten Mutationen, aber unsere Bevölkerung wird natürlich auch immer vielfältiger, auch genetisch. Insofern denke ich, wichtiger Punkt auch jetzt, Herbst 2021: Schweißtest gehört unbedingt dazu.

Marcus Dahlheim: Beim chronischen feuchten Husten: ja.

Axel Enninger: Okay. Was machst du noch außer Schweißtest? Ziliendyskinesie hast du vorhin gesagt. Wie diagnostizierte ich das dann?

Marcus Dahlheim: Das ist ja auch wieder die Anamnese. Anamnese, Anamnese, Anamnese! Also pulmonale Anpassungsstörung, die berühmte „wet lung“ oder es hat schon ein bisschen ‚geknorkst‘ die ersten Stunden, das ist ja schon mal ein bisschen verdächtig. Dann kommen die HNO-Probleme. Sie haben doch meistens einen Paukenerguss. Nicht alle und immer, aber Paukenerguss: Achtung, bei der Ziliendyskinesie soll man die bitte nicht operieren. Da soll man konventionell rangehen, weil es schlecht heilt. Dann kriegen sie den feuchten Husten und natürlich machen wir keine Ziliendiagnostik bei uns in der Praxis. Wir haben aber nasale NO. Das heißt, wir können Stickstoffdioxid aus der Nase messen und da gibt es bestimmte Cut-off-Werte. Und wenn die deutlich erniedrigt sind, ist das verdächtig. Wenn die normal sind, ich sage jetzt mal über 150 ppb, dann ist eine Ziliendyskinesie sehr unwahrscheinlich, nicht hundertprozentig ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich. Das geht in der Praxis. Dauert zwei Minuten.

Axel Enninger: Okay. Haben wir jetzt das Feld des produktiven, feuchten Hustens abgehandelt oder noch nicht?

Marcus Dahlheim: Ach nein, noch lange nicht.

Axel Enninger: Dann her damit! [Schmunzeln beide]

Marcus Dahlheim: Jetzt haben wir ja zwei Ursachen, die natürlich kurzfristig ausgeschlossen gehören mit dem Schweißtest, mit dem nasalen NO. Und wenn man da weitere Diagnostik braucht, etwas auffällig ist, guckt man weiter. Dann kommt natürlich die Genetik. Aber es gibt natürlich auch den chronisch feuchten Husten, wo ich keine Ziliendyskinesie habe und wo ich keine Mukoviszidose habe. Dann habe ich einfach meine protrahierte bakterielle Bronchitis. Da muss ich auch etwas machen. Was mache ich jetzt mit ihnen? Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich finde, ein Röntgenbild ist angemessen. Ein chronischer, feuchter Huster darf einmal geröntgt werden. Ich finde, man muss nicht jeden chronischen Huster röntgen, aber den würde ich röntgen. Den würde ich auch entweder behandeln mit dem Antibiotikum, und zwar mindestens vier bis sechs Wochen. Da bin ich eher von der Fraktion der Langzeitbehandler und Amoxicillin reicht wahrscheinlich meistens. Ich nehme trotzdem immer Amoxicillin und Clavulansäure, um die Staphylokokken noch mit abzudecken, die da mal mit drinstecken könnten. Und wie gesagt lang genug und dann wird ein großer Teil dieser Patienten symptomärmer. Viele werden symptomfrei. Manche, manche – es gibt schlechte Daten dazu, lass es 25 bis 50 % sein, irgendwo in dem Bereich wahrscheinlich – bleiben symptomfrei und 50 bis 75 % werden grob gesprochen wieder symptomatisch und es geht wieder von vorne los. Spätestens dann aber muss man Diagnostik machen. Und ich biete den Eltern immer zwei Wege an: den einfachen Weg. Wir machen jetzt, wissend um Resistenzen, vier Wochen eine Antibiotikatherapie und gucken was passiert und schauen. Oder aber die Diagnostik kommt ja vor der Therapie, das haben wir alle im Studium gelernt, oder wir machen richtig die Diagnostik und das beinhaltet aber dann auch eine Bronchoskopie mit Bronchiallavage und Keimgewinnung aus der Tiefe.

Sprecherin: Wir hoffen, dass Ihnen der consilium-Pädiatrie-Podcast bis hierhin gut gefallen hat. Bevor es gleich spannend weitergeht, möchten wir Sie noch auf die anderen produktneutralen und praxisrelevanten consilium-Angebote aufmerksam machen. So steht Ihnen zum Beispiel jederzeit unser consilium-Team bei Fragen aus dem Praxisalltag hilfsbereit zur Verfügung. Ihre Fragen werden anhand aktueller Studien und Leitlinien oder sogar mithilfe eines führenden Experten beantwortet. Rufen Sie uns einfach an oder schreiben Sie eine E-Mail an consilium@infectopharm.com. Dieser Service ist kostenfrei. Außerdem können Sie interessante consilium-Themenhefte zu speziellen Krankheitsbildern und Fragen- und Antworten-Hefte auf unserer Homepage downloaden. Das Ganze finden Sie unter www.infectopharm.com/consilium/. Versuchen Sie es einmal, es lohnt sich! Und zum Glück finden unsere consilium-Fortbildungen vereinzelt wieder in Präsenz statt. Ab nächstes Frühjahr rechnen wir zudem fest damit, Sie in gewohnter Frequenz und Atmosphäre fortbilden zu können. Achten Sie daher auf die kommenden Einladungen. Wir freuen uns schon sehr auf die persönlichen Treffen mit Ihnen. Die Verlinkungen und E-Mail-Adressen finden Sie natürlich auch in den Shownotes dieses Podcasts. Jetzt wünschen wir Ihnen aber zunächst einmal weiterhin viel Freude mit consilium, dem Pädiatrie-Podcast.

Ihr Team von InfectoPharm

 

Wann und wie macht Sekretolyse Sinn?

Axel Enninger: Gibt es dann noch zusätzlich zu der antibiotischen Therapie irgendwas anderes, was du empfiehlst? Thema Sekretolyse?

Marcus Dahlheim: Ja, das kann man tatsächlich machen, wird von den Krankenkassen nicht bezahlt. Deswegen ist das natürlich ein großes Thema. Man kann Kochsalzlösung 4,5 oder 6 % inhalieren. Das gibt es auch als 3% käuflich, ist ziemlich teuer. Ich glaube es bringt etwas, wenn das Sekret zäh ist. Ich sag mal, beim normalen feuchten Husten – es steht in den Empfehlungen drin – empfehle ich es nicht regelhaft, weil es die Anschaffung eines Feuchtinhaliergerätes erfordert, was viel Geld kostet. Gut, das können die Krankenkassen übernehmen. Aber dann diese Salzlösung, diese speziellen, sind sehr, sehr, sehr teuer.

Axel Enninger: Einer unserer Experten, der auch schon mal hier zu Gast war, hat gesagt, es wäre auch sehr unangenehm, mit dieser hypertonen Kochsalzlösung zu inhalieren.

Marcus Dahlheim: Tatsächlich, es ist sehr salzig, es schmeckt furchtbar. 6 % führt bei manchen Kindern zu einem Ekel bis zum Erbrechen. Und es gibt ja auch in der Lungenfunktions-Diagnostik die Möglichkeit einer bronchialen Provokation mit Kochsalz. Auch dafür nimmt man das 4,5%-ige. Da gibt es Protokolle. Und man guckt dann, wann die ihre Bronchialkonstriktion, ihren Asthmaanfall kriegen.

Axel Enninger: Okay, also inhalieren war das eine, dann Thema Physiotherapie. Gibt’s noch andere Tricks, die man vielleicht zur Sekretolyse verwenden könnte?

Marcus Dahlheim: Also Physiotherapie bei einem in der Atemtherapie erfahrenen Physiotherapeuten, das kann Sinn machen. Ich muss gestehen, ich mache tatsächlich am Anfang erst mal, als ersten Durchgang bei normal feuchtem Husten, das Antibiotikum und gucke was passiert und natürlich die Diagnostik. Während Kinder mit Mukoviszidose oder auch mit Zyliendyskinesie natürlich spezielle Atem-Tools und -Techniken lernen müssen. Also die müssen, die müssen Atemtherapie machen. Der Fünfjährige mit seinem seit sechs Monate bestehendem Husten, finde ich, muss das noch nicht machen.

Axel Enninger: Okay, das Gleiche gilt auch für dieses – ich weiß gar nicht, wie man das nennt – dieses Ding, das aussieht wie eine Pfeife, wo vorne so ein Gewicht drin ist?

Marcus Dahlheim: Flutter?

Axel Enninger: Genau, Flutter meinte ich. Ist das sinnvoll?

Marcus Dahlheim: Der Hintergedanke ist ja, dass man einen gewissen PEEP aufbaut und die Vibrationen dafür sorgen, dass sich Schleimfäden lösen. Aber die haben ja schon einen feuchten Husten, das heißt, es kommt eh raus. Also ich sehe bei ihnen gar nicht das Problem, dass sie ein richtiges Sekretlösungsproblem haben, weil der Schleim zu zäh ist oder nicht heraustransportiert werden kann. Sie haben einfach zu viel, durch die Bakterien, und ich denke, das Antibiotikum im ersten Durchgang reicht. Flutter brauchen sie auch nicht.

Axel Enninger: Okay. Haben wir zum Thema feuchtem, produktivem Husten die wesentlichen Dinge beleuchtet?

Marcus Dahlheim: Wir haben die Mukoviszidose, die Ziliendyskinesie und wir haben die chronische bakterielle Bronchitis. Ich denke, das sind jetzt erst mal die ganz Wichtigen. Ah, doch, der Fremdkörper, den hatten wir kurz angesprochen. Der alte Fremdkörper, Fremdkörperaspiration, der auch chronische Entzündung macht. Und es gibt eine Sache, die kann trockenen Husten und schleimigen Husten machen. Das ist immer schwierig. Das ist der Reflux. Also tatsächlich, wenn der Magensaft hochsteigt, ist das meist eher mit trockenem Husten, mit Räuspern, verbunden. Aber wenn es tatsächlich immer wieder viele Mikro-Aspirationen gibt, dann kann es auch einen feuchten Husten machen.

Axel Enninger: Okay, interessant. Weil der gastroösophageale Reflux ja manchmal auch als Ursache von Asthma – dann ist es eher wiederum das Thema trockener Husten – angeschuldigt wird.

Marcus Dahlheim: Es ist auch eher häufiger, aber wir haben tatsächlich einzelne Kinder, so alle paar Jahre mal wieder eines, das wirklich mit einer schwersten CF-like Lungenerkrankung kommt, die durch Reflux bedingt ist. Es ist eher selten. Aber dran denken!

 

Seitendifferente Atemgeräusche

Axel Enninger: Okay. Noch mal das Thema Aspirationen, ist ja tatsächlich auch spannend. Klinik – Aspirationen – fallen die Kinder besonders auf? Wie zuverlässig ist das seitendifferente Atemgeräusch? Wie zuverlässig ist das Angucken, wie sich der Thorax bewegt? Oder wann würdest du welche Diagnostik empfehlen?

Marcus Dahlheim: Also das seitendifferente Atemgeräusche sollte natürlich immer an einen Fremdkörper oder an sonst eine Raumforderung, einen Lymphknoten, an Tuberkulose oder was auch immer bei den Kleinen, speziell denken lassen. Wobei natürlich die meisten Menschen mit seitendifferentem Auskultationsbefund keinen Fremdkörper in der Lunge haben. Das muss man einfach wissen. Aber man sollte dran denken. Vom Angucken der Atmung sehe ich es ihnen eher nicht an. Ein Röntgenbild sagt oft wenig, weil man den Fremdkörper nicht sieht. Die Nuss sieht man einfach in der Regel nicht. Das heißt, da sehe ich dann vielleicht die sekundären Zeichen, wie einseitige Überblähung. Die kann aber auch wieder viele Gründe haben, oder eine Pneumonie, die hinter dem Verschluss sitzt. Das heißt, ein Röntgen würde ich bei Verdacht machen – meistens. Zumindest, wenn es keine klare Anamnese gibt. Wenn es eine klare Amnesie gibt – er hat sich verschluckt und seitdem hustet er – dann brauchen wir auch kein Röntgenbild. Da können wir auf das Röntgenbild verzichten, denn es muss sowieso bronchoskopiert werden.

Axel Enninger: Okay. Das ist wohl auch die übliche Praxis in den meisten Kinderkliniken, wo diese Kinder landen, dass man im Zweifelsfall doch reinschauen muss, weil es den nicht-invasiven Beweis eigentlich nicht gibt.

Marcus Dahlheim: Ja.

Axel Enninger: Haben wir das Thema feuchter Husten damit gut beleuchtet aus deiner Sicht?

Marcus Dahlheim: Wir gucken mal, was im Gespräch noch kommt, aber wir sind damit, glaube ich, erst einmal durch.

 

Trockener Husten, Hüsteln, Räuspern – manchmal ist Räuspern das einzige Asthmasymptom

Axel Enninger: Dann wechseln wir jetzt auf die auf die Seite „trockener Husten“.

Marcus Dahlheim: Trockener Husten, Hüsteln. Und für mich ist auch Räuspern eine Art von Husten, zumindest bei manchen.  Dieses [macht Räusperlaut vor]. Das ist ja eigentlich ein unterdrücktes – ja nennen wir es Hüsteln. Das heißt, das nehmen wir da mal mit hinein, denn Räuspern ist in der Asthma-Diagnose für mich in der Anamnese etwas relativ Verdächtiges. Die meisten Kinder, die sich räuspern, haben kein Asthma. Wir haben aber Kinder, bei denen Räuspern das einzig wahrgenommene Asthmasymptom ist – die gibt es!

Axel Enninger: Okay, also nochmal gleiches Vorgehen wie vorhin: Anamnese, Anamnese, Anamnese [schmunzeln]. Worauf achtest du da ganz besonders? Du hast vorhin schon gesagt, derjenige mit dem chronischen Husten, der dir berichtet, immer nach dem Cooper-Test oder nach der Anstrengung… Da klingen bei dir die Glocken und du sagst: ‚Der könnte gut eine obstruktive Atemwegserkrankung haben‘, oder?

Marcus Dahlheim: Zumindest ein Asthma. Wenn man in die Literatur guckt, oder – ich spreche ich es offen an – wenn Zahlen erhoben wurden: wie viele von denen haben denn Asthma? Dann heißt es immer: Na ja, Asthma hat mit Husten immer gar nicht so viel zu tun. Die Erfahrung in der Praxis ist anders. Und wenn man jetzt spezielle Hustentypen hat, den trockenen Husten nach Belastung, dann ist für mich ein Asthma schon sehr wahrscheinlich, nicht bewiesen. Wenn mir da jemand noch sagt: ‚Naja und nachts hustet das Kind auch immer trocken‘, dann ist das schon mal für mich sehr wahrscheinlich. Und dann würde ich auch bei normaler Lungenfunktion und bei negativer Laufbelastung – wir machen meist Laufbelastung dann, aber das bekommen jetzt alle Kinder ab fünf Jahren – würde ich auch da einen Behandlungsversuch machen unter der Vorstellung, es könnte ja doch etwas Asthmatisches sein, auch wenn alle Befunde normal sind und er würde von mir ein inhalatives Kortison kriegen.

Axel Enninger: Okay, aber das ist ja spannend. Das heißt, du denkst aufgrund der Anamnese und aufgrund der Symptomatik, er könnte ein Asthma haben. Dann machst du Lungenfunktion, die ist normal, dann machst du einen Lauftest, der ist normal und dann kriegt er von dir trotzdem ein entsprechendes Asthmamedikament?

Marcus Dahlheim: Ja, unsere Praxis ist ein Labor und nicht der Alltag. Und die Laufbelastung bei uns ist nicht die Laufbelastung auf dem Fußballplatz, vielleicht noch mit Leistungsdruck und dem Trainer, der hinterhermotzt und du musst 100 Liegestütze machen, wenn du stehenbleibst. Das ist noch mal etwas anderes. Und wir haben dann tatsächlich relativ viele, die trotzdem, also trotz unauffälliger Befunde dann auf eine Therapie ansprechen und bei denen man dann im Verlauf natürlich auch rauskriegt: Was haben die? Aber das ist tatsächlich eine Momentaufnahme, der Tag bei uns in der Praxis.

 

Viele Kinder mit „Normalbefund“ sprechen dennoch auf ein Asthma-Medikament an

Axel Enninger: Wie hoch ist die Quote? Also ich hätte jetzt gedacht, er geht zu Dahlheim in die Praxis, der macht Lungenfunktion, der sagt: ‚die Lungenfunktion ist normal, er hat kein Asthma.‘ Das ist bei dir nicht so. Wie hoch ist die Quote?

Marcus Dahlheim: Von denen, die kommen mit trockenem Husten und Asthma haben?

Axel Enninger: Die dann in Anführungszeichen eine „normale Diagnostik“ haben; die du dann trotzdem behandelst und wo du dann hinterher sagst: upps, der hat jetzt doch ein Asthma.

Marcus Dahlheim: Locker 50 Prozent.

Axel Enninger: So viele!

Marcus Dahlheim: So viele, ist beeindruckend, nicht? Also tatsächlich, die Laufbelastung und die Lungenfunktion, die eignen sich super zum Nachweis eines Asthmas. Hervorragend. Wer da reagiert, wenn er nicht gerade in der Bronchitis provoziert wird, der hat ein Asthma, sag ich jetzt einfach, wenn er dazu noch hustet. Wenn er nicht reagiert, ist das keine Aussage, dafür gibt es eine andere Provokation. Da macht man dann die Methacholin-Provokation, die ist inhalativ. Da hustet dann jeder irgendwann und kriegt eine Bronchialobstruktion und je nachdem wie früh das ist, definiert man: ja, das ist hyperreagibel oder nicht. Also zum Ausschluss eines Asthmas brauche ich die Methacholin-Provokation. Aber wir machen natürlich erst mal den Nachweis des Asthmas. Wir machen das, was im Alltag passiert: die eingeschränkte Belastbarkeit, den Belastungstest und eben die Anamnese. Also es gibt sehr, sehr, sehr viele, die an sich einen Normalbefund haben und trotzdem auf die Inhalation gut ansprechen.

Axel Enninger: Du hast vorhin beim Thema „trockener Husten“ auch das Thema Räuspern angesprochen. Die landen ja zum Teil auch bei mir in der gastroenterologischen Sprechstunde, weil Eltern denken, er hat einen Reflux, also einen gastroösophagealen Reflux. Ganz viele von denen, würde ich ja sagen, haben gar kein organisches Thema, sondern die haben eher so etwas, was ich einen Räusper-Tick nennen würde. Ist das deine Erfahrung auch oder würdest du sagen, es ist deutlich mehr ein organisches als ein funktionelles Thema?

 

Bei dem chronischen Räusperer auch mal an Asthma denken

Marcus Dahlheim: Die ehrliche Antwort ist, ich weiß es nicht. Und man sieht natürlich eine gewisse Vorselektion. Zu uns kommen die, wo vielleicht ohnehin eine Allergie vorbesteht oder irgendetwas. Ich würde mal sagen, von denen, die mit chronischem Räuspern zu uns kommen, 50 % von denen – aber das ist wie gesagt schon eine Auswahl – haben dann doch tatsächlich etwas. Entweder ein Asthma mit oder ohne auffällige Lungenfunktion oder tatsächlich eine Refluxgeschichte. Mir fällt da eine Familie ein, die saß bei uns in der Asthmaschulung mit ihrem Kind, das Asthma hatte, und die hatten ein kleines Geschwisterkind mitgebracht. Sie hatten keine Betreuung dafür, also saß es in der Elterngruppe und es hat sich die ganze Zeit geräuspert. Und jetzt können alle einmal raten, wer wirklich das schwere Asthma hatte: dieser chronische Räusperer. Dieser damals Fünfjährige, will ich noch sagen, das war ein Lego-Spieler. Er hat immer Lego gespielt. Er hat auch im Kindergarten Lego gespielt. Er ist nie mit den anderen gerannt, er hat nie Fangen gespielt. Jetzt kann man sich fragen, warum man nie Fangen gespielt hat. Er hat nie Luft gekriegt. Aber das fällt nicht auf. Wenn Kinder sich körperlich zurückziehen, ein bisschen zurücknehmen, vielleicht räuspern und gar nichts haben, dann gehören auch die eigentlich einmal abgeklärt. Steckt irgendetwas dahinter?

 

Zunehmende funktionelle Atemwegserkrankungen: die DAtiV und die Seufzer-Atmung

Axel Enninger: Okay, aber bleiben wir noch mal. Du hast gesagt, du hast eine relativ hohe Quote von Kindern, wo du tatsächlich ein Asthma findest. Trotzdem ist zumindest in meiner gastroenterologischen Welt die Vorstellung die, dass funktionelle gastrointestinale Beschwerden mehr werden. Ist das bei den funktionellen Atemwegserkrankungen auch so?

Marcus Dahlheim: Ja. Ich sag jetzt einfach ja, wahrscheinlich gab es viele schon immer. Die berühmte vocal cord dysfunction gab es schon immer, ob die zunimmt, weiß ich nicht. Dann gibt es die DAtiV. Ein toller Begriff, die DAtiV. Das ist die dysfunktionale Atmung vom thorakalen Typ mit insuffizienter Ventilation, also auf Deutsch: Man atmet nicht mit dem Bauch bzw. dem Zwerchfell.

Axel Enninger: Noch mal langsam zum Mithören: die DAtiV ist was?

Marcus Dahlheim: Das ist die dysfunktionale Atmung vom thorakalen Typ mit insuffizienter Ventilation.

Axel Enninger: Okay.

Marcus Dahlheim: Wie gesagt auf Deutsch, wenn man das einfach erklärt: Sie benutzen ihr Zwerchfell nicht oder spannen mit den Bauchmuskeln dagegen, so hat die Lunge weniger Platz. Anamnestisch leicht herauszukriegen. Das sind die, die nach ein, zwei Minuten beim Sport schlecht Luft kriegen. Asthma dauert in der Regel eher 10 oder 20 Minuten. Und das sind die, die nach ein bis zwei Minuten wieder fit sind, wenn sie Pause machen. Asthma ist nicht nach ein, zwei Minuten vorbei. Also das wäre die DAtiV. Und was wir jetzt in Corona-Zeiten sehr viel sehen, ist die Seufzer-Atmung. Da hat sich tatsächlich anscheinend etwas ausgebreitet. Das habe ich jahrelang nicht gesehen in der Praxis. Das war dann jetzt im letzten Jahr fast jede Woche einmal, dass Kinder kamen – Schulkinder, Jugendliche, selten mal Kleinkinder – dass man einfach sich auf seine Atmung konzentriert und merkt, wir alle holen ja tief Luft. Mehrmals die Stunde, ganz oft, so du jetzt gerade zum Beispiel, das machen wir, um die Alveolen zu öffnen, unsere kleinen Lungenbläschen. Ich erkläre den Eltern immer: Die Luftballons da drinnen sind wieder aufzupusten. Wenn ich den Luftballon in die Ecke lege, wird er klein, schrunzelig und müsste wieder aufgeputzt werden. Das machen wir einfach mehrmals die Stunde. Und wenn mir einmal auffällt, dass ich diesen Lufthunger habe, dann fange ich in bestimmten Situationen vielleicht an, mich darauf zu konzentrieren und denke, ich kriege schlecht Luft. Und dann verselbstständigt sich das. Dann bin ich die ganze Zeit [holt tief Luft] am Luftschnappen. Seufzer-Atmung. Das sehen wir sehr oft in letzter Zeit.

Axel Enninger: Okay, was tust du dann? Was ist der Ratschlag?

Marcus Dahlheim: Wenn ich Glück habe, macht er das bei mir in der Praxis auch die ganze Zeit. Dann kann ich die normale Lungenfunktion zeigen – wissend, dass man beim Asthma auch eine normale Lungenfunktion haben kann, das ist schon klar. Dann frage ich die Eltern meist: ‚Ist das so die Atmung, wie sie sich abspielt?‘ Und dann erkläre ich genau das mit dem Luftballon, mit den Lungenbläschen, und dass es im Prinzip kein Problem ist. Das beruhigt. Und wenn sie doch sehr ängstlich sind, bekommen sie einen Peak-Flow, um zu beweisen, dass sie da tatsächlich immer noch gut Luft kriegen. Und ich hoffe, dass das damit dann verschwindet. Man kriegt selten Rückmeldung bei diesen Fällen.

 

Mit inhalativen Steroiden das Feuer der Entzündung löschen

Axel Enninger: Okay, dann gehen wir jetzt mal wieder zurück zu den obstruktiven Atemwegserkrankungen bzw. zum Asthma. Du hast gesagt, da sind Patienten, von denen du denkst, dass sie ein Asthma haben, obwohl sie eine normale Lungenfunktion haben, obwohl sie eine normale Luftbelastung haben. Und du hast gesagt, denen setze ich ein inhalatives Steroid an. Warum ein inhalatives Steroid? Warum kriegen sie nicht ein Beta-2-Mimetikum?

Marcus Dahlheim: Weil ein Beta-2-Mimetikum an der Hyperreagibilität ja nichts macht. Das entspannt die Bronchien kurzzeitig, das Hüsteln, Räuspern wird besser oder auch nicht. Und ich muss ja dann das Feuer der Entzündung löschen.

Axel Enninger: Das ist ja ein schönes Bild. Das Feuer der Entzündung löschen.

Marcus Dahlheim: Das Feuer der Entzündung. Ich erkläre den Eltern tatsächlich immer, dass die Bronchial-Schleimhaut wie glühende Kohlen ist. Das ist einfach beim Asthma so – angeboren oder warum auch immer. Dann kommen die Auslöser. Beim Kleinkind-Asthma die Infekte, beim allergischen Asthma die Allergie, beim Reflux vielleicht die Magensäure – das ist ja eher ein seltenes Thema – und das ist wie Benzin in die Atemwege, wie Benzin in die Glut gegossen. Es flammt auf. Die Kinder fangen an zu husten und wenn es extrem ist, ziehen sich die Bronchien zusammen und dann kommt zum [macht beengtes Atemgeräusch], dann fangen sie an zu giemen und zu quietschen. Und über den Weg kommt man auch zur Therapie, dass man mit einem Feuerlöscher versucht zu löschen.

Axel Enninger: Und der Feuerlöscher sind die inhalativen Steroide?

Marcus Dahlheim: Ja. Letztlich ja.

Axel Enninger: Ja, okay, sehr spannend. Da gehe ich dann also zum Lungenspezialisten, der sagt: ‚Ihr Kind hat eine normale Lungenfunktion‘, und er sagt: ‚Er hat vielleicht trotzdem Asthma‘, und er sagt: ‚Hier gibt es ein inhalatives Steroid.‘ Bist du so ein Steroid-Verteiler oder wie sehen dich die Eltern dann?

Marcus Dahlheim: Mehr als man manchmal möchte vielleicht, aber tatsächlich, wenn man es erklärt, was nach 4 bis 8 Wochen zurückkommt, ist meist eine große Dankbarkeit der Eltern. Weil es nämlich wirklich in sehr, sehr, sehr vielen Fällen funktioniert. Ich sage den Familien mit dem chronisch trockenen Husten, der nachts und bei Belastung auftritt, dass die Wahrscheinlichkeit aus Erfahrung über 90 % beträgt, dass die Therapie gut anschlagen wird. Und das ist in der Literatur und in Studien schlecht zu belegen, weil das Patientenkollektiv da immer ein bisschen vorselektioniert ist. Wenn man dann Studien liest aus Australien oder Kanada oder irgendwo, wo es heißt, die haben meist gar kein Asthma, die chronischen Huster, dann ist das natürlich ein spezielles Kollektiv, das dort untersucht wurde – mit Bronchoskopie teilweise – wo die ganzen Menschen mit Asthma vorher herausgefischt wurden. Das heißt, das ist nicht mehr das Kollektiv der Praxis.

Axel Enninger: Okay, ich ahne schon, dass das Thema der inhalativen Steroide ein kompliziertes Thema ist. Vielleicht lassen wir es jetzt für dieses Gespräch dabei. Wenn wir jetzt zum Schluss kommen und du dir, wie es Tradition in diesem Podcast ist, zwei Dinge wünschen darfst, entweder von den Eltern oder von den Kollegen, die du dir dringend positiv wünschst. Und zwei Dinge, wo du sagst: ‚Bitte, bitte, bitte, tun Sie es nicht!‘, oder: ‚Die nerven mich total!‘

 

Die ruhigen Kinder checken – nicht nur abhören, sondern anschauen – nicht jeden Monat ein Antibiotikum – und: Anamnese, Anamnese, Anamnese

Marcus Dahlheim: Also wünschen würde ich mir, dass die Kinder, die im Kindergarten beim Rennen husten, die nur Lego spielen, die sich vielleicht mal räuspern und relativ unauffällig sind, die aber mit drei Jahren noch im Kinderwagen geschoben werden, dass die vielleicht mal kurz gecheckt werden. Wünschen würde ich mir, dass wir die Kinder anschauen und nicht nur abhören. Ich sage immer den Eltern, wenn sie den Body ein bisschen heben: ‚Sie können auch oben mit dem Stethoskop hinein. Das macht der Kinderarzt auch immer so.‘ Dann sage ich immer: ‚Nee, nee, ich muss ja die Rippen sehen, die Atembewegung, der Bauch, die Einziehung.‘ Das ist so wichtig, das Anschauen! Es ist wichtiger als Abhören, behaupte ich. Ich brauche ein Kind nicht mehr abzuhören, wenn ich sehe, es atmet normal. Das sind so die Dinge, die ich mir wünsche. Und was ich mir wünsche, was man vielleicht nicht tun sollte: Was wir ganz oft sehen ist, dass Kinder kommen mit chronischem Husten, trocken oder feucht und sagen: ‚Naja, wir kriegen jeden Monat Antibiotikum.‘ Jungs, Mädels, das ist nicht die Lösung. Das würde ich mir auch wünschen, anders zu machen. Wenn wir an die Lungenfunktion-Diagnostik denken und sagen, die kann auch mal normal sein, dann ist das Wichtige, noch mal, was mir ganz, ganz, ganz am Herzen liegt: Anamnese, Anamnese, Anamnese.

Axel Enninger: Okay, Markus, vielen Dank!

Marcus Dahlheim: Gerne!

Axel Enninger: Vielen Dank für dieses spannende und interessante Gespräch. Sie können als Zuhörer dieses nachlesen. Es gibt Transkripte von unserem Gespräch. Wenn Sie möchten, können Sie das bei den üblichen Stellen downloaden. Dazu müssen Sie sich allerdings anmelden und ansonsten hoffe ich, dass Ihnen diese Folge wertvoll war, dass Sie es spannend fanden und dass Sie demnächst wieder mal zuhören, wenn es eine neue Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast gibt. Vielen Dank!

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!