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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #4 - 31.12.2021

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Harnwegsinfekte – wenn‘ s brennt beim Pipimachen

 

DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Heute spreche ich mit Professor Christian von Schnakenburg.

Specherin: consilium – der Pädiatrie-Podcast mit Dr. Axel Enninger.

Axel Enninger: Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast heute mit einer ganz besonderen Folge, denn es ist die Silvesterfolge und für die Silvesterfolge haben wir uns etwas ganz Besonderes ausgedacht. Aber bevor ich das verrate, möchte ich gerne unseren Gast vorstellen. Mein Gast heute ist Professor Christian von Schnakenburg. Er ist Kinder- und Jugendarzt. Er ist Kinder-Intensivmediziner. Er ist Neonatologe und – deswegen ist er heute hier – er ist Kinderurologe und wir beide werden über Harnwegsinfekte sprechen. Herzlich willkommen, Christian!

Christian von Schnakenburg: Hallo Axel!

 

MACHEN SIE VORSCHLÄGE FÜR „INFECTOPHARM SPENDET“

Axel Enninger: Also bevor es losgeht, möchte ich aber die Besonderheit dieser Folge erläutern. Sie alle hatten hoffentlich schöne Weihnachten und Sie hatten möglicherweise in der Vorweihnachtszeit die Situation, dass ihre Weihnachtsfeiern ausgefallen sind. So war es auch bei InfectoPharm. Und jetzt kann man sagen: ‚Hey super, da haben wir Geld gespart!‘, oder man kann sagen: ‚Wir haben Geld gespart, aber würden gerne dieses Geld einem guten Zweck zugutekommen lassen.‘ Und so haben das auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
bei InfectoPharm getan. Jetzt fragen Sie sich: Was haben Sie denn damit zu tun als Zuhörerinnen und Zuhörer? Sie haben damit zu tun, dass Sie bestimmen können, wo die Summe von immerhin 10.000 Euro hingehen wird. Sie dürfen Projekte vorschlagen, die sich mit Kindergesundheit beschäftigen, mit der Förderung von Kindern beschäftigen. Möglichst bald, bis zum 14. Januar 2022, und Sie können das per E-Mail tun. Sie können eine E-Mail schreiben unter dem Betreff ‚InfectoPharm spendet‘ an die bekannte E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Sie können einzelne Projekte vorschlagen. Sie können aber auch zwei Projekte zum Beispiel vorschlagen und dann würde diese Summe einfach geteilt werden. Also dann kriegt jedes Projekt 5.000 Euro. Also Sie sind herzlich eingeladen, ein Projekt oder zwei Projekte vorzuschlagen, dass diese Projekte diese 10.000 Euro dann erhalten.

Jetzt kommen wir aber zu unserem Gast Christian. Wir beide kennen uns gut. Wir sind nämlich nicht nur ‚Kliniknachbarn‘, sozusagen zwischen Esslingen und Stuttgart, sondern wir haben tatsächlich mehrere Jahre in der gleichen Straße gewohnt. Von daher herzlich willkommen: Jetzt noch mal ganz besonders!

Christian von Schnakenburg: Ist mir eine Freude, dich hier in Stuttgart wiederzusehen!

Axel Enninger: Wenn wir über Harnwegsinfekte sprechen, dann sagt ja der Laie, der Nicht-Nephrologe: ‚Mein Gott, was gibt es denn darüber zu reden? Eigentlich ist es doch einfach. Ich habe ein Symptom. Mir brennt es beim Pipimachen. Ich untersuche den Urin. Ich finde da ein paar Leukos und vielleicht habe ich noch ein bisschen Fieber, gebe ein Antibiotikum und fertig ist die Laube.‘ Lohnt es sich darüber zu reden, lohnt sich darüber einen Podcast zu machen oder sollten wir gleich aufstehen und jetzt gleich Silvester feiern gehen?

 

VIER MERKMALE: FIEBER, DYSURIE, LEUKOZYTURIE UND BAKTERIURIE

Christian Schnakenburg: Da hätte ich schon Lust. Aber es ist tatsächlich so, dass die Symptome und auch die Diagnose gar nicht so einfach sind. Und wenn man das sieht in einer speziellen Sprechstunde, egal wo man arbeitet, wenn man eine kindernephrologische Sprechstunde anbietet, kommen ziemlich viele Kinder, bei denen auch die niedergelassenen Kollegen einfach nicht weiterkommen und die Diagnose nicht klar gestellt ist. Und was du gerade gesagt hast, Brennen beim Wasserlassen und ein bisschen Fieber, das war schon viel mit der Leukozyturie, aber es fehlte noch mindestens der signifikante Keimnachweis. Also vier Sachen braucht man, so haben wir es gelernt. Symptome, Dysurie, Leukozyturie und signifikante Bakteriurie. Dann kommen wir der Sache schon näher. Und es ist gar nicht so einfach, das alles hinzukriegen.

Axel Enninger: Okay, dann versuchen wir es mal ein bisschen zu umzingeln. Starten wir einfach mal damit: Bei wem ist es denn schlau, den Urin zu untersuchen? Bei welchen Symptomen? Bei welchen Risikogruppen? Bei wem ist es klug zu sagen: ‚Hier hätte ich jetzt gerne Urin?‘

Christian Schnakenburg: Das Thema ist ja schon Harnwegsinfekte. Also wir würden schon denken, es sollten fiebernde Kinder sein oder Kinder mit Symptomen im Harnweg. Ansonsten wird ja eigentlich nur im Rahmen der U8 irgendwann mal ein Urin untersucht.

Dann kommen die Kinder mit Hämaturie – das ist ja etwas anderes – leichter Proteinurie. Die Indikation zu einer Untersuchung des Urins ist eigentlich bei jedem fiebernden Kind indiziert, denn Fieber ohne Fokus kann man eigentlich nur sagen, wenn man den Fokus Harnwegsinfekt ausgeschlossen hat. Und das wird gar nicht immer gemacht.

Axel Enninger: Ja, in der Tat, aber da habe ich quasi den neun Monate alten, rotzenden Säugling vor mir, ich habe RS nachgewiesen. Er ist so krank, dass ich ihn stationär aufnehmen muss. Braucht er Urin?

 

„LÄUSE UND FLÖHE“ – NACH EINEM INFEKT EIN SEKUNDÄRER HARNWEGSINFEKT

Christian von Schnakenburg: Nicht zwingend, vor allem nicht in den ersten zwei Tagen. Aber wenn er weiter fiebert, dann kann er auch ‚Läuse und Flöhe‘ haben, das ist tatsächlich so. Sehr häufig erleben wir, dass nach einem viralen Luftwegsinfekt oder nach einer Gastroenteritis bei verminderter Flüssigkeitszufuhr, reduzierter Trinkmenge und damit auch Pieselmenge dann doch ein Harnwegsinfekt sekundär auftritt. Und die Schwierigkeit ist sicher: Allein beim Fieber hat man häufig eine sterile Leukozyturie dabei. Man kann natürlich auch Überdiagnostik machen. Jedes fiebernde Kind hat einen leicht auffälligen Urinstix. Und wie geht man damit um? Das ist gar nicht so einfach pragmatisch zu handlen.

Axel Enninger: Okay, die Summe wäre: Ich habe einen eindeutigen Fieberfokus außerhalb der Harnwege. Also eine klassische Pneumonie. Der schnauft. Ich habe eine klassische Otitis oder Tonsillitis gesehen. Bei denen würden wir sagen: Ihr müsst nicht bei jedem einen Urin machen.

Christian Schnakenburg: Das sehe ich auch so. Also wenn man einen klaren Fokus hat, den man auch gut behandeln kann, bzw. man muss ihn ja nicht unbedingt antibiotisch behandeln, das ist ja ganz wichtig – das ist in den anderen Folgen ja auch schon besprochen worden – dann muss man das natürlich nicht zwingend. Der von dir geschilderte 9-Monate-Alte pinkelt nicht auf Kommando. Da verliert man unglaublich viel Zeit und verscherzt sich auch die ganze Compliance mit den Eltern. Also nicht erzwingen, den würde man nicht kathetern, aber unter Umständen, bei anderen Symptomen muss man einfach auch gucken, dass man einen verlässlichen Urin gewinnt. Und nicht nur das Übliche, des Beutelurins oder wie die Engländer es sogar machen, dass sie irgendwelche Tupfer in Windeln drücken und daraus meinen, eine Diagnose stellen zu können.

Axel Enninger: Okay, aber das ist tatsächlich genau der nächste Punkt, auf den ich hinauswollte. Wenn ich sage, wir wollen einen Urin, da habe ich ja sozusagen alles von dem geputzten Mittelstrahl, bis zum Beutelurin, bis zum Katheterurin, bis zum Blasenpunktionsurin. Wer kriegt welche Art der Urindiagnostik?

Christian Schnakenburg: Das bestimmen im Prinzip die Kinder schon auch selber. In dem Moment, wo sie vernünftig miktionieren können, also ab dem Alter von 4 bis 5 Jahren, ist ein Mittelstrahlurin geputzt wirklich vernünftig und eigentlich ausreichend. Das muss man klar sagen. Das macht es natürlich viel leichter bei den großen Kindern. Ich glaube, das Hauptproblem sind eher die Kinder bis 3 Jahre, wo man dann einfach schauen muss. Sie pinkeln nicht auf Kommando, sie sind dehydriert, sie haben Fieber. Sie wollen den Beutel nicht geklebt haben und verkneifen. Dann hat man einen Beutelurin und was macht man denn damit? Trotzdem ist es natürlich der meistbenutzte Urin in Praxis, Klinik und Ambulanz. Er ist auch okay, wenn er unauffällig ist. Also wenn wir einen Stix haben, der keine Leukozyten, kein Nitrit zeigt, dann kann man das gut verwenden, um zu sagen: Es ist höchstwahrscheinlich kein Harnwegsinfekt. Es gibt immer Spezialitäten, es gibt Urosepsen, Nierenentzündungen, die mit einem sterilen Urin oder ohne Keimnachweis einhergehen. Aber das sind schon Besonderheiten. Und ich glaube zum Screening zu sagen: ‚Der Urin ist unauffällig‘, ist ein Stix – selbst im Beutelurin – okay.

Axel Enninger: Okay, aber noch mal ganz klar festgehalten: Ein Beutelurin ist dann in Ordnung, wenn er in Ordnung ist. Wenn er sauber ist, dann können wir uns auf den Beutelurin verlassen. Wenn er nicht sauber ist, dann machen wir was?

 

BLASENPUNKTION IST EIGENTLICH LEICHTER ALS BLUTABNAHME

Christian Schnakenburg: Dann kommt es drauf an, wie alt ist das Kind, wie kommt man klar und was für Personal hat man. Man kann schon auch versuchen, einen Spontanurin auch beim Säugling zu provozieren. Da braucht man aber sehr motivierte Schwestern, Ärzte und Eltern, die ein hydriertes Kind hochhalten und mit einer bestimmten Massagetechnik über den Steiß versuche, einen Urin aufzufangen: ‚clean catch‘. Das geht manchmal auch, wenn du ein Ultraschall machst, denn dann hast du ein kaltes Ultraschallgel und drückst den auf die Blase. Und dann pieselt ein Junge auch ganz häufig im Strahl. Da lohnt sich das auch. Aber ansonsten muss man sich schon sehr genau überlegen, ob man nicht kathetert oder punktiert. Und da ist die Faustregel, dass man bei Mädchen mit letztlich einfacheren Harnwegen und ohne um die Ecke der Prostata zu müssen, relativ schnell und einfach eine Katheteruntersuchung des Urins machen kann mit dem leichten Nachteil, dass man auch Keime hochschieben kann. Und wenn man einigermaßen konfident ist und es regelmäßig macht, dann ist letztlich die Blasenpunktion keine Zauberei. Sie wird eigentlich viel zu selten in Deutschland gemacht und wenn man dort entsprechend mit Ultraschall vorbereitet und sicherstellt, dass die Blase auch zwei Zentimeter tief ist, das heißt, sie ist gefüllt, man sticht nicht irgendwo in den Bauch hinein, sondern sieht genau mit dem Ultraschall – ich nehme da gar kein Gel, sondern ich nehme direkt Desinfektionsmittel. Das reicht völlig, um die Blase darzustellen – wischt einmal ab. Man setzt mit der aufgesetzten Spritze im gleichen Winkel wie mit dem Ultraschallkopf ein und aspiriert zwei Milliliter. Dann ist das eigentlich einfacher als eine Blutentnahme, das muss man ehrlicherweise sagen.

Axel Enninger: Also kann ich nur bestätigen. Ist bei mir zwar schon lang her, dass meine Assistenzarztzeit damals in Hamburg war, aber da war völlig klar, da war Blasenpunktion das, was man machen musste und wenn man es nicht machte, bekam man eher Ärger. Aber jetzt noch mal: Du würdest sagen… Also du unterscheidest Junge / Mädchen und du sagst Expertise desjenigen oder derjenigen, der die Uringewinnung veranstaltet, oder? Das sind deine Kriterien.

Christian von Schnakenburg: Man sollte das nicht nachts zum ersten Mal alleine machen, das ist ganz klar. Und dann ist halt die Frage, ist ein erfahrener Kollege dabei, den man sich dazu holen kann? Es hilft auch, es die ersten Male zu zweit zu machen, weil man einfach fix sein muss. Wenn man den Ultraschallkopf zur Seite legt und das Kind pieselt schon, hat man, wenn man Glück hat, den Mittelstrahlurin schon aufgefangen. Aber wenn man Pech hat, ist alles daneben, die Blase ist leer und dann kommt man zu spät. Also man muss das ein paarmal einfach gemacht haben und gesehen haben. Es gibt gute Anleitungen, wie man das macht, aber Learning ist immer noch ‚see one, do one, teach one‘. Und besser mehr als ‚one‘.

Axel Enninger: Der übliche klinische Alltag ist ja, ich habe dann Beutel geklebt. Irgendjemand hat nicht aufgepasst. Der Beutel klebt eine Weile, klebt eine Stunde, klebt vielleicht auch anderthalb Stunden und dann halte ich einen Stix rein. Dann ist er eben nicht normal, wie vorhin gewünscht und gefordert. Was mache ich dann? Das Kind hat schon gepinkelt, die Blase ist leer. Ich habe keinen Fieberfokus und irgendwie stehen mir alle so ein bisschen auf den Füßen. Was mache ich denn jetzt?

Christian von Schnakenburg: Na ja, da muss man einmal gucken, wer hat den Stix gemacht und wie zuverlässig ist es? Das ist ja einfach tatsächlich nicht so trivial, denn wenn man sich die einzelnen Teststreifen anguckt, dann muss man die Leukozyten, um die es meistens geht, entweder nach 60 oder nach 120 Sekunden angucken. Wenn man da zu früh oder zu spät guckt, sind sie alle rosa. Nitrit ist noch eine ganz gute Hilfe. Also Nitrit positiv plus Leukozyten positiv hat eine sehr hohe Sensitivität für einen korrekt auffälligen Urin. Ich bin noch ein alter Fan… alte Schule. So ähnlich wie du in Hamburg habe ich gelernt, Urin selber zu mikroskopieren und da kann man eigentlich sehr schnell die Leukozyturie feststellen und dann auch manchmal falsch Positive finden. Vaginalflüssigkeit ist eine der Möglichkeiten, und das haben gar nicht so wenig Mädchen. Oder eine unsaubere Vorhaut kann auch durch Epithelzellen und Kontamination eine Leukozytenesterase-Positivität vortäuschen. Also die Mikroskopie erhöht die Sensitivität, das ist ganz klar. Sie reduziert ein bisschen die Spezifität in den Tests in den Leitlinien. Aber es geht schnell, ist einfach zu machen, machen auch viele in niedergelassene Praxen noch, dass sie ihren MTAs/MFAs beigebracht haben, dass sie mituntersuchen und für sie mikroskopieren.

Axel Enninger: Mikroskopieren eure Assistenten noch im Nachtdienst oder überhaupt?

Christian von Schnakenburg: Ja, zum Teil. Wir haben ein Mikroskop in der Notaufnahme, aber wir haben das große Glück, dass das Labor für uns auffällige Teststreifen mikroskopiert und auch auszählt. Dass wir da noch einen guten Anhalt haben, wie relevant das ist. Sind da wirklich 10 oder 20 drin und der Teststreifen ist trotzdem dreifach positiv? Oder sehen wir 250 bis 350? Und das ist wirklich eine riesige Hilfe, denn das Labor ist bei uns direkt neben der Notaufnahme und unter der Station und wir haben das Ergebnis innerhalb einer halben Stunde.

Axel Enninger: Okay. Also jetzt haben wir Leukos und Nitrit positiv. Jetzt wollen wir anfangen zu behandeln. Du hast vorhin in einem einleitenden Satz gleich schon darauf hingewiesen – aber die Kultur fehlt.

Christian von Schnakenburg: Ja.

Axel Enninger: Eine Kultur aus dem Beutel ist aber blöd.

Christian von Schnakenburg: Das ist so.

Axel Enninger: Was mache ich denn?

 

BEI KINDERN UNTER ZWEI WILL MAN DIE KULTUR ANGELEGT HABEN, BEVOR DAS ERSTE ANTIBIOTIKUM HINEINLÄUFT

Christian von Schnakenburg: Da muss man schon gucken, wie krank ist das Kind? Wie viel Zeit habe ich? Ist es eine Urosepsis? Habe ich sowieso schon einen Tropf gelegt? Wir gehen ja im Moment von der Situation der Notaufnahme aus und müssen unterscheiden, ob es eine Praxis ist, wie invasiv es ist. Also eine Blutentnahme gehört nicht standardmäßig zur Diagnostik des Harnwegsinfektes dazu. Es ist ganz klar, brauchen wir nicht. Aber wenn die Kinder in die Notaufnahme der Klinik kommen, dann ist es meistens nachts. Die Eltern sind verzweifelt. Der Kinderarzt hat schon zu. Und wenn man eine stationäre Aufnahme hat, dann wird man in der Regel auch gucken, wie krank ist das Kind denn wirklich? Müssen wir auch die ersten Gaben i.v. geben, je nach Alter? Wir reden jetzt ja überwiegend von den Kindern unter zwei Jahren und da gehört eine saubere Kultur eindeutig dazu. Und da gehört dann entweder eine Kategorisierung oder eine Blasenpunktion dazu. Sprich, wenn man gerade gepieselt hatte mit dem Kind, wird man einen Tropf legen, das Kind hydrieren, möglicherweise sogar noch eine Blutkultur abnehmen, wenn das Kind stark fiebert und dann nach einer gewissen Zeit einfach gucken, ist die Blase wieder voll, kriege ich noch einen K-Urin oder punktiere ich den Patienten?

Axel Enninger: Okay, aber noch mal ganz klar. Also, es sei denn, es droht einer wirklich massiv mit dem Kreislauf zu reagieren, weil er so septisch ist – klare Nachricht von dir ist: Wir wollen diese Kultur angelegt haben, bevor das erste Antibiotikum reinläuft.

Christian von Schnakenburg: Das gilt für fiebernde, kranke Kinder unter zwei Jahren. Das ist ähnlich wie bei der Meningitis. Dem würde ich die erste Dosis auch nur geben, wenn er zu krank ist, um lumbalpunktiert zu werden. Normalerweise nimmt man natürlich auch die Lumbalpunktion vor der Antibiotikagabe vor.

Axel Enninger: Wenn wir uns noch mal in die Schuhe des Praxisinhabers begeben und wir haben ein Kind in der Praxis, ein 7-jähriges Mädchen, Brennen beim Wasserlassen als Leitsymptom, es gelingt ein ordentlicher Mittelstrahl. Auch in der Praxis, bei, sag ich mal, Zystitis-Beschwerden Kultur anlegen?

 

BEI ÄLTEREN KINDERN UND HOHER WAHRSCHEINLICHKEIT FÜR E. COLI EVENTUELL GLEICH ANTIBIOTISCH BEHANDELN

Christian von Schnakenburg: Je älter das Kind, desto weniger muss man es. Also das könnte man auch ex juvantibus antibiotisch behandeln mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von E. coli. Beim Rezidiv oder rezidivierenden Harnwegsinfekten oder antibiotischer Vorbehandlung sollte man es machen, denn das Risiko, dass es kein E. coli ist, ist dann entsprechend der vorhergehenden Effekte, wenn es ein Luftwegsinfekt war, schon antibiotisch behandelt, könnten es Enterokokken sein, können es andere Keime sein, Pseudomonas, je nach Harnwegen, Vorgeschichte. Ich finde, es ist keine Überdiagnostik eine Urinmikrobiologie anzustreben. Es machen viele auch mit Eintauchmedien, Urikult. Das ist okay. Hat ein paar Fehlerquellen. Das kann man gut in den Leitlinien nachlesen. Aber in der Praxis wird man nicht immer direkt eine Kultur anlegen, verschicken, sondern eher diese Urikult-Version machen. Aber ich finde, es lohnt sich, bei der allerersten Zystitis beim Mädchen nicht zwingend.

Axel Enninger: Okay, da bist du tolerant. Aber ab der zweiten und keine Kultur angelegt, da wirst du bisschen grumpy und sagst: Hätte er es doch mal gemacht, der Niedergelassene.

 

LEITLINIE UND ‚ANTIBIOTIC STEWARDSHIP‘

Christian von Schnakenburg: Ja, würde ich mir schon wünschen, weil einfach die Wahl des Antibiotikums und auch die Einschätzung, ist es ein Rezidiv oder ein Relaps, gleicher Keim, Erregerwechsel, Resistenzentwicklung, gibt einem einfach mehr Sicherheit in der weiteren Behandlung.

Axel Enninger: Okay. Jetzt haben wir die Diagnose gestellt und du hast vorhin schon erwähnt, es gibt eine Leitlinie, gibt eine sehr, sehr ausführliche Leitlinie, die Sie auch in den Shownotes nachlesen können, bzw. den Link dazu können Sie nachlesen, denn wenn die alle abgedruckt wären, dann wären die Shownotes so lang, dass sie die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden. Du hast gesagt, die Leitlinie ist – wie viel? – über 100 Seiten lang?

Christian von Schnakenburg: 174, aber echter Text sind nur 112. Das kriegt man noch gut hin an einem Abend.

Axel Enninger: Also wir verlinken die Leitlinie auf den Shownotes. Aber die Leitlinie sagt ja auch ganz klar, wer in welchem Alter welches Antibiotikum. Wollen wir uns darüber ein bisschen unterhalten? Also, den jungen Säugling, erster Harnwegsinfekt, den behandeln wir in der Klinik ja meistens wie?

Christian von Schnakenburg: Den muss man im Grunde wie eine Neugeboreneninfektion- Urosepsis behandeln. Da wird man immer an die Enterokokken-Lücke denken, das heißt Ampicillin und in der Regel ein Aminoglykosid oder ein Cephalosporin, das entdeckt sich, das ist auch ganz praktisch, da muss man sich nicht so viel merken und das ist relativ klar. Darüber hinaus wird es dann aber schon schwieriger. Und so einfach sagt die Leitlinie das tatsächlich auch nicht. Sie gibt ein relativ breites Spektrum zwischen der Möglichkeit der i.v.-Therapie und der oralen Therapie und macht es einem gar nicht so einfach. Wenn man sie differenziert betrachten muss, ist es nicht mehr so wie früher, als wir gelernt haben, Harnwegsinfekt zehn Tage i.v. oder sieben Tage i.v. plus 7 Tage oral, sondern dem Arzt, der Ärztin, ist deutlich mehr Freiheit und mehr Verantwortung gegeben und man muss das schon individuell gucken. Das nimmt einem die Leitlinie leider nicht ab.

Axel Enninger: Aber trotzdem ist es ja unser Job als Klinikärzte, da einen ordentlichen Therapiestandard für die Klinik zu erstellen, weil wir nicht jedem Assistenten nachts sagen wollen: ‚Lies doch mal die Leitlinie!‘ Sondern wir haben ja Standards, die haben wir festgelegt. Und wie ist denn zum Beispiel euer Esslinger Standard? Wie ist eure standardantibiotische Behandlung, fiebernder, 3 Monate alter – also jenseits der Neugeborenenzeit – fiebernder 3 Monate alter Säugling mit jetzt zunächst mal Leukozyten und Nitrit im Urin. Ultraschall haben wir noch nicht. Wir wissen noch nicht, ob es eine Pyelonephritis ist oder nicht. Wie startet ihr?

Christian von Schnakenburg: Da würden wir mit Ampicillin und bei uns Tobramycin anfangen, Aminoglykosid und Penicillin / Aminopenicillin – das ist eine gute Möglichkeit und je älter er wird, desto eher kann man auch mit einem i.v.-Cephalosporin arbeiten. Stattdessen mono geht dann auch, dann sind die Enterokokken nicht mehr so häufig dabei. Und das ist auch im Grunde das, was ich empfehle für die Kliniken: die Leitlinie im Prinzip für eine schnelle Nachtversion auf zwei Seiten herunterzubrechen, dass man die Initialtherapie hat. Und da macht man auch einfach nichts falsch, wenn man die ersten zwei, drei Gaben i.v. gibt. Danach hat man oft viel, viel mehr Details und kann dann entscheiden, wie lange will man wirklich i.v. behandeln oder wie früh kann ich oral umsetzen, was immer mehr in Mode kommt?

Axel Enninger: Also Stichwort Sequenztherapie, glaube ich tatsächlich, setzt sich unter dem Thema ‚antibiotic stewardship‘ durch, dass wir, glaube ich, für viele Krankheiten gerade lernen, dass wir uns vom ‚so und so lange i.v. muss immer sein‘ aus unserer Assistentenausbildung ein bisschen verabschieden. Der war so und so krank, also braucht er so und so lange i.v. Da müssen wir, glaube ich, tatsächlich ein bisschen rationaler werden und uns klar machen, dass auch eine nur kurze i.v.-antibiotische Therapie, zwei Tage, und danach umgesetzt auf oral, keine schlechte Therapie ist.

Christian von Schnakenburg: Absolut. Also es ist schon auch eine große Entwicklung allein in den letzten 10, 15 Jahre und eine der Sachen, weswegen mir die Visite immer Spaß macht, dann einfach zu gucken: warum 5 Tage, warum 7 Tage? Es gibt ja so eine Mystik der Zahlen, das ist total spannend. Antibiotika werden 3, 5, 7, 10 oder 14 Tage verschrieben. Ich habe es noch nie erlebt, dass eine Empfehlung 6 Tage, 8 Tage oder 9 Tage gesagt hat. Und Studien gibt es dafür natürlich keine. Da ist die neue Leitlinie auch gut. Sie sagt ganz klar: Es hängt davon ab, wie machen die Kinder mit? Schlucken sie überhaupt einen Saft? Wie kommen die Eltern klar? Wie komme ich mit der Kommunikation klar? Wie sicher möchte ich sein, dass die Antibiotika drin sind. Habe ich schon einen Keim? Habe ich schon ein Resistogramm? Kann ich gezielt umsetzen? Ist der Urin zum Beispiel schon sauber? Hatte ich einen CRP von 200 und es ist schon rückläufig? Muss ich es überhaupt kontrollieren? Das bleibt aber dann tatsächlich eine Sache der Visite des zweiten oder dritten Tages, um dann zu gucken, hat sich das Ganze sortiert? Hat sich das Kind entfiebert, ist der Urin sauber, dann geht es einem viel leichter mit der Entscheidung, auf eine orale Therapie umzusetzen.

Axel Enninger: Okay, ich meine, das ist ja, glaube ich, auch noch eine gute Sitte, nach zwei Tagen, also 48 Stunden zu gucken, wie der Urin dann aussieht. Im Labor anrufen: ‚Kannst du mir schon sagen, wie der Keim heißt?‘ und dann entscheiden. Gibt es noch andere Kriterien? Also wir sagen jetzt, das Kind ist nach zwei Tagen entfiebert, die Mutter sagt, das Kind ist wieder mehr oder weniger der oder die Alte. Spielt Ultraschallbefund eine Rolle?

 

BEIM ERSTEN HARNWEGSINFEKT IMMER EIN ULTRASCHALL

Christian von Schnakenburg: Das wäre natürlich auch der nächste Punkt gewesen, ganz klar. Man muss nicht sofort nachts ein Ultraschall machen. Das ist ganz klar. Zuerst kommt die Therapie und die Stabilisation des Kindes. Aber es ist so, dass jeder Patient mit dem ersten Harnwegsinfekt in Folge in den nächsten Tagen eine Ultraschalluntersuchung bekommen sollte. Und davon hängt natürlich ganz wesentlich ab, wie lange man noch intravenös behandelt. Denn wenn man dort obstruktive Uropathien, Fehlbildungen findet, große Hydronephrosen, sieht man ja dann doch immer mal wieder, Megaureter oder eine große, sich nicht entleerende Harnblase, Verdacht auf Urethralklappe beim Jungen, dann ist natürlich ein Alarmsignal gegeben. Dann muss man auch über das Ultraschall hinausgehende Diagnostik nachdenken. Das ist eine wichtige Sache.

Axel Enninger: Also unsere Ultraschallbefunde werden immer besser. Wir sehen ja immer mehr in unseren Sonobildern und manchmal hat man das Gefühl, die Sonographeure sehen quasi die einzelnen Leukozyten, die einem da zuwinken. Wenn man jetzt sagt: ‚Okay, diese Niere sieht jetzt schon aus, eindeutig Pyelonephritiszeichen‘, hat das eine Konsequenz auf unsere Dauer der Antibiose? Wenn wir jetzt uns vorstellen, ein Kind ist nach zwei Tagen entfiebert, ist gut, der Urin ist sauber, und der eine hat einen normalen Ultraschall und der andere hat einen Ultraschall, der tatsächlich klassisch wie Pyelonephritis aussieht, entscheiden wir da irgendwas anders?

Christian von Schnakenburg: Also, wenn ich eine deutlich vergrößerte Niere habe, mit positivem Urothelzeichen, ohne ansonsten Hinweise für Fehler in den ableitenden Harnwegen, dann kann ich im Prinzip auch klinisch entscheiden und sagen: ‚Es ist in Studien nachgewiesen, dass man mit einer konsequenten, hochdosierten und regelmäßig eingenommenen oralen Therapie die i.v.-Therapie ersetzen kann.‘ Das ist aber immer noch eine Frage der Studiensituation, wo man einfach mal deutlich andere Maßnahmen hat. Die letzten, bei denen ich das versucht habe am zweiten, dritten Tag, waren gar nicht so einfach, weil die Eltern hinterher wiederkamen und mir sagten, ich habe es einfach zuhause nicht geschafft, das Antibiotikum zu geben. Also eine nachgewiesene Pyelonephritis ist gar nicht so einfach: sonographische Kriterien, hohes CRP, hohes Fieber über längere Zeit sind so die Faustregeln dafür, würden einen eher zumindest in Richtung der klassischen 5- oder 7-Tage-i.v.-Therapie tendieren lassen, um es vorsichtig zu sagen.

Axel Enninger: Okay, also in der Tat hat der Ultraschallbefund in diesem Fall dann schon einen Einfluss darauf, ob ich länger i.v. behandle oder weniger. Knallharte Kriterien gibt es entsprechend nicht, sondern das ist eine Mischung aus den klinischen Kriterien – wie geht es im Kind? – dem Verlauf, Kontrollurin, dem CRP plus der Sono, oder?

Christian von Schnakenburg: Ja, aber die knallharten Kriterien, wenn ich beim Ultraschall tatsächlich etwas Überraschendes finde: Und zwar sind das die obstruktiven Uropathien, Megaureter, eine Doppelniere, auch im Ultraschall schon klare Hinweise für Reflux. Man kann, das hast du ja richtig gesagt, mit der Ultraschalldiagnostik und einem guten Schallkopf, einem guten Sonographeur, auch fokale Veränderungen der Niere sehen mit dem Powerdoppler. Wenn ich da Hinweise auf eine zum Beispiel fokale Nephritis habe, dann erhöht das erheblich die i.v.-Therapiezeit. Dann wird auch die Gesamtdauer der antibiotischen Therapie auf drei Wochen gehen und dann wird man schon sagen: ‚Na, sieben bis zehn Tage.‘ Ich glaube, man sollte sich nicht zu stark festlegen, weil, was ist denn, wenn der Tropf am neunten Tag kaputt geht oder wenn ich keinen Tropfen mehr hineinbekomme? Man muss pragmatisch bleiben wie bei allen Sachen im Leben, aber diese Empfehlungen sind relativ gut detailliert in der Leitlinie vorgesehen dafür.

Axel Enninger: Okay. In der Tat ist auch mein Eindruck, seit die Ultraschallgerät noch besser sind: fokale Nephritis, gefühlt sehen wir das jetzt häufiger als wir es früher gesehen haben. Es mag tatsächlich an der Technik liegen, aber da würdest du auch sagen: ‚Hey Leute, lieber eher länger als kürzer i.v. behandeln.‘ Ich glaube bei einem nachgewiesenen Megaureter oder einem erweiterten Nierenbecken ist es auch klar, oder?

Christian von Schnakenburg: Absolut.

Axel Enninger: Okay. Das machen wir dann und wir behandeln weiter. Und dann geht es dem Kind gut.

Christian von Schnakenburg: Ja, das wollen wir hoffen. Urin kontrolliert man, es ist entfiebert, wenn das Ultraschall unauffällig war, braucht man auch keine weiteren Ultraschalluntersuchungen und dann kann man erst mal ein bisschen abwarten. Das Rezidivrisiko ist gar nicht so selten. In den ersten Wochen nach dem Harnwegsinfekt eigentlich noch am höchsten. Dann ist es einfach wichtig zu sehen: Ist es derselbe Keim? Habe ich einfach nicht lange genug behandelt oder ist es etwas Neues? Deswegen ist die Diagnostik mit den bakteriologischen Nachweisen tatsächlich hilfreich in dieser Differenzierung.

 

WANN DER KLASSISCHE MCU?

Axel Enninger: Machst du einen Unterschied bei dem ersten Harnwegsinfekt bei einem Jungen oder dem ersten Harnwegsinfekt bei einem Mädchen im Säuglingsalter?

Christian von Schnakenburg: Also beim Jungen mit einer obstruktiven Uropathie – ganz klar – muss man auch schon nach dem ersten Harnwegsinfekt ein MCU (Miktionszysto-urethrogramm) machen, um die Klappen auszuschließen. Ganz klar entweder suprapubisch punktiert und dargestellt. Man muss es nicht bei jedem ersten Harnwegsinfekt beim Jungen machen. Das war früher klar und bedeutete beim Jungen automatisch MCU. Wenn der Ultraschall okay ist und die Miktionen gut sind, also Pieseln im Strahl ist nicht aussagekräftig – das hat man früher geglaubt, aber das muss man nicht mehr unbedingt als Ausschlusskriterium sehen – aber Hinweise für eine obstruktive Uropathie bedeuten einfach beim Jungen schon noch ein MCU, deutlich schneller. Aber beim auffälligen Ultraschallbefund würde ich auch beim Mädchen eher dazu neigen, während ich den Cut-off im ersten Lebensjahr beim Jungen großzügiger als beim Mädchen machen würde, wegen der Klappen. Bei Mädchen wiederum im Alter zwischen 3 und 6 Jahren bin ich in den letzten Jahren sehr zurückhaltend geworden mit den MCU, weil man einfach weiß, der Reflux ist relativ häufig, er heilt oft aus und ein niedergradiger Reflux, das zeigen die Daten der schwedischen Refluxstudie, ist nicht unbedingt später mit Hypertonus, Narben, Nierenfunktionseinschränkungen verbunden, sondern lässt sich eigentlich auch diagnostizieren und gezielt behandeln. Entweder mit mehreren gezielten kurzfristigen antibiotischen Therapien oder – das ist immer wieder ein großes Thema – auch mit einer begrenzten antibiotischen Prophylaxe. Sie ist immer wieder stark diskutiert worden, aber sie kommt auch immer wieder zu Recht zum Einsatz.

Axel Enninger: Halten wir fest für die diejenigen, deren Training schon ein bisschen länger zurückliegt: Erster Harnwegsinfekt beim Jungen heißt nicht automatisch MCU, sondern heißt nur dann MCU, wenn ich an eine obstruktive Uropathie denke, Nummer 1. Und Nummer 2: Pinkeln im Strahl schließt die Urethralklappen nicht aus. Das habe ich tatsächlich auch so gelernt. Ist nicht so.

Christian von Schnakenburg: Nein, im Gegenteil. Durch den erhöhten Druck der Blase pinkeln sie manchmal besonders weit. Das hilft tatsächlich nicht.

Axel Enninger: Ja, sehr gut. Also dann die Frage: Ich stelle die Indikation für ein MCU. Wann antibiotische Therapie bis dahin und wie?

Christian von Schnakenburg: Ja früher hat man überlegt, ob man das MCU nach Ausheilen des Harnwegsinfektes und nach Normalisierung der Schleimhaut machen soll. Die Alternative war, es direkt früh zu machen. Es ist eigentlich egal, das ist klar herausgestellt worden. Aber aus praktischen Gründen empfehle ich, es sofort zu machen. Und zwar erstens: Der Patient ist in der Regel dabei noch stationär und zweitens: Er hat noch eine antibiotische Therapie und braucht nicht unbedingt eine Prophylaxe. Das Keimeinschleppungsrisiko ist geringer. Außerdem ist die Compliance da. Man nutzt die Zeit. Und wenn die Patienten zum Beispiel die klassischen 5 Tage in der Klinik bleiben und man hat sich am dritten Tag bei auffälligem Ultraschall entschieden, ein MCU zu machen, kann man das einfach mitmachen. Es ist also im Interesse der Patienten, das früh anzubieten und dann weiß man, was los ist. Es hat keine Vorteile länger zu warten und es zu verschieben. Es wird eher seltener gemacht anschließend.

Axel Enninger: Auch das habe ich noch anders gelernt. Erst mal ausheilen lassen, dann abwarten und dann nach vier Wochen durchführen ist nicht mehr notwendig, sagst du?

Christian von Schnakenburg: Das kann man machen, es ist gleich diskutiert, aber das Wartenlassen gibt keine Vorteile. Im Gegenteil, man müsste überlegen, ob man nicht eine Prophylaxe durchführt bis dahin, um dann auch beim MCU nichts einzuschleppen und man muss die Patienten extra einbestellen dafür. Ein MCU ist jetzt keine schöne Untersuchung. Es ist glaube ich deutlich einfacher, man macht es direkt im ersten ‚Aufwasch‘.

 

MIKTIONSUROSONOGRAPHIE IST DIE TECHNIK DER ZUKUNFT

Axel Enninger: Jetzt sind ja unsere Ultraschallmethoden immer besser geworden. Wie ist denn der Stellenwert MCU? Machen wir das immer noch oder können wir es ersetzen durch sonographische Methoden?

Christian von Schnakenburg: Wenn man ein gutes Setup geregelt hat, dann ist die MSU, die Miktionsurosonographie nahezu gleich empfindlich wie das MCU klassisch mit Durchleuchtung. Die Strahlenbelastung ist mit den modernen digitalen Geräten sicher deutlich besser und es ist einfach praktikabler, das durchzuführen. Denn selbst wenn das Kind sich ein bisschen bewegt, kriegt man es auf dem Durchleuchtungstisch gut dargestellt. Man kriegt auch sofort beide Nieren aufs gleiche Bild. Man muss nicht von rechts nach links wechseln und auch die Darstellung der Harnröhre ist im Röntgen sicher leichter. Aber es ist klar gezeigt, dass das MSU bei liebevoller Anwendung und entsprechende Expertise ähnlich gute Bilder liefern kann. Es ist wahrscheinlich die Technik der Zukunft. Wenn wir aber jetzt ehrlicherweise im Raum Stuttgart und Großraum gucken, dann bietet es ja tatsächlich keiner an. Also werden wir alle daran arbeiten müssen, ein bisschen innovativer zu werden. Es rechnet sich leider überhaupt nicht vom Zeitaufwand, eingesetzten Kontrastmittel, was teuer ist. Und letztlich hat es sich daher bisher nur in wenigen Kliniken – in Süddeutschland zumindest – durchgesetzt.

Axel Enninger: Ein kleiner Flashback zu unserer allerersten Folge, die wir aufgenommen haben, wo es um Atemwegsinfekte ging und wir darüber gesprochen haben, dass Sonographie der Lunge sicher ein zunehmendes Feld wird, dass unsere Expertise da aber noch nicht gut genug ist. Sicher ein Feld der Zukunft. MSU ist etwas, was wir noch lernen müssen und wo wir gucken müssen. Da wird möglicherweise die Reise hingehen. Jetzt bleiben wir mal beim MCU. Wir haben jetzt das MCU gemacht und festgestellt, da gibt es einen Reflux, unterschiedliche Gradeinteilung. Was ist meine Konsequenz aus einem nachgewiesenen Reflux oder ist die Konsequenz unterschiedlich, je nach Refluxgrad, den ich feststelle?

Christian von Schnakenburg: Ja und je nach Alter, das kommt noch dazu. Also die niedergradigen Refluxe zweiten, dritten Grades, die man häufig sieht, sind im ersten und zweiten Lebensjahr so häufig, dass man dann einfach gucken muss, wie ist die Klinik. Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten – komme ich mit der Prophylaxe durch? Kann ich warten, heilt es aus? Muss ich es kontrollieren? Setze ich die Prophylaxe einfach irgendwann ab? Ich bin da sehr pragmatisch. Die Prophylaxe wird für drei bis sechs Monate empfohlen und das ist meistens gut verträglich. Man muss es immer ein bisschen erklären, damit die Darmflora nicht so stark geschädigt wird, wenn man zum Beispiel Trimethoprim einsetzt oder wenn man Nitrofurantoin einsetzt. Das sind gut verträgliche Medikamente, uralt, keine breiten Nebenwirkungen zu erwarten. Und dann kann man da pragmatisch vorgehen. Das ist auch, glaube ich, einer der Gründe, worüber wir gerade gesprochen haben, dass ich gar nicht mehr so oft MCU mache. Wenn die Konsequenz des MCU sowieso eine antibiotische Prophylaxe ist, dann kann ich sie eigentlich auch direkt machen. Und wenn ich dann viele Durchbruchsinfektionen habe und wirklich denke: ‚Na okay, wir sprechen jetzt eher über die Konsequenz der Unterspritzung der Harnleiter oder einer Reimplantation.‘ Dann lohnt es sich natürlich viel mehr, es in höherem Alter noch einmal zu machen.

Axel Enninger: Aber jetzt noch mal: niedergradiger Reflux. Ist das zwingend, dass sie immer eine Prophylaxe brauchen oder kann ich nicht einfach sagen: ‚Ich guck mal, was passiert und entscheide mich nach der ersten oder zweiten erneuten Harnwegsinfektion‘?

Christian von Schnakenburg: Ja, aber das sollte ich mir vorher überlegen, bevor ich das MCU mache und deswegen bin ich zurückhaltend geworden mit der Indikation. Wenn ich es nicht wirklich brauche, weil ich hinterher sowieso sage: ‚Ich mache eine Prophylaxe‘, dann stelle ich die Röntgenbelastung und den Aufwand, die Katheterisierung für das Kind, lieber zurück.

 

DEN BEUTEL MITZUGEBEN MACHT SINN

Axel Enninger: Oder ich mache keine Prophylaxe, sondern ich bespreche mit der Familie: ‚Wir warten mal, ob es eine neue Infektion gibt oder nicht.‘

Christian von Schnakenburg: Super und da ist glaube ich noch einer meiner Punkte, die ich sonst später gebracht hätte, der ‚Dos‘. Gebt den Familien Harnbeutel mit. Die kleinen Kinder haben das große Problem, dass sie natürlich nicht auf Kommando Harn lassen. Dann wartet man das erste Mal mit fieberndem Kind, bis man einen Termin beim Arzt hat. Dann nach zwei Stunden wird ein Beutel geklebt, der dann daneben läuft und dann hat man vier Stunden gewartet und ist immer noch nicht weiter. Dann ist die Versuchung groß, pragmatisch ein Antibiotikum zu geben oder nichts zu tun. Da gibt es gute Studien aus Bremen, die haben mit den Us den Kindern ins Gelbe Heft auch zwei Urinbeutel mitgegeben und die Eltern eingewiesen, beim fiebernden Kind zu Hause schon Beutel zu kleben. Gerade wer den ersten Harnwegsinfekt schon hatte, kriegt die bei uns in der Ambulanz automatisch mitgegeben. Das beschleunigt die Diagnostik beim nächsten Mal. Wir erinnern uns an vorhin: Ein negativer Beutelurin kann einen Harnwegsinfekt schon ausschließen. Das ist dann hilfreich. Ansonsten weiß ich aber auch schon, was ich machen muss.

 

BESSER KEINE URINSTIX ZUHAUSE

Axel Enninger: Okay. Regelmäßig Urin zu Hause kontrollieren bei einem asymptomatischen Kind – ist das sinnvoll? Ich sage immer, das machen wir eigentlich nur bei einer Purpura Schönlein Henoch, wenn wir den Urin noch auf Proteinurie kontrollieren. Macht das bei Harnwegsinfekten Sinn?

Christian von Schnakenburg: Wenig. Es ist nicht ganz auszutreiben. Manche Eltern wollen das selber machen, machen es zum Teil auch, wenn sie in Urlaub fahren und kriegen vielleicht auch mal pragmatisch ein Antibiotikum als Reserve verschrieben. Das ist dann okay, wenn man ein 4- bis 5-jähriges Mädchen hat, das das einfach drei, viermal im Jahr hatte, wo die Eltern sich gut auskennen. Aber der Beutel Urin zuhause gestixt kann eigentlich eine Kultur und eine Mikroskopie auch nicht ersetzen. Dabei ist man einfach sicherer. Sonst weiß man nicht genau, wie lange sind die U-Stixe geöffnet gewesen. Sie ziehen Feuchtigkeit, sie werden ungenau. In der Klinik verbrauchen wir eine Packung ja in vier Wochen und zu Hause steht sie dann auch mal ein halbes Jahr oder auch mal geöffnet. Also ich empfehle es eigentlich nicht. Ich weiß aber, dass es von einigen gemacht wird. Die Leitlinien empfehlen es übrigens auch nicht.

Axel Enninger: Das ist doch ein Punkt. Das ist ja auch immer Sinn eines solchen Gespräches, dass man sagt: ‚Na ja, man kann es machen.‘ Aber wenn man in die Leitlinie guckt und wenn man einen Experten wie dich fragt und der sagt: ‚Lasst es doch einfach‘, kann man ja auch mal überlegen, eine Strategie, die man lange verfolgt hat, mal zu ändern.

Christian von Schnakenburg: Also ich würde lieber den Urinbeutel kleben und dann in einer Ambulanz oder in der Praxis den Urin richtig untersuchen und anlegen. Das Kind auch angucken.

Axel Enninger: Okay, jetzt waren wir vorhin schon beim Reflux. Wer ist denn der Richtige,diese Kinder weiter zu betreuen? Der Kinderchirurg oder der Kindernephrologe oder beide oder wie machen wir das?

Christian von Schnakenburg: Der Kinderradiologe, der Kinderurologe… Der, zu dem die Eltern Vertrauen haben und gerne hingehen. Das wird derjenige sein, der ihnen das Komplettpaket anbietet, sprich Beratung, Untersuchung, das darf man nicht vergessen, da gehört die Inspektion des Genitale dazu, Labiensynechie, Phimose? Da gehört am besten aber auch die Ultraschalluntersuchung aus derselben Hand dazu. Denn wenn Sie das erste Mal warten, bis Sie in irgendeiner Ambulanz vom Arzt gesehen werden, dann ins Ultraschall überwiesen werden, das nächste Mal warten, dann zurückkommen mit dem Befund das nächste Mal warten, dann noch einen Urin abgeben müssen. Da sind die Eltern nicht glücklich. Insofern glaube ich, ist der Kindernephrologe, der relativ viel davon anbieten kann, häufig gerne gesehen bei den Eltern. Er braucht aber gute Kooperationspartner, denn wir operieren nicht selber, sondern wir brauchen dann je nach Klinik gute Kinderchirurgen in vielen Fällen. Es gibt aber auch Kliniken, wo das durch die Kinderurologie sichergestellt wird und auch eine Kooperation für die Bildgebung mit MSU oder MCU oder auch mal eine Szintigraphie, selten auch mal ein MRT mit dem Kinderradiologen. Wir haben viele Kooperationspartner und das ist schon dann auch ein größeres Brett. Kennst du vielleicht auch noch: Früher gab es diese ‚Uro-Kränzchen‘, wo alle urologischen Fälle interdisziplinär besprochen werden. Wir haben das Glück einer mittelgroßen Klinik, wo wir in der Frühbesprechung alle zusammensitzen und da geht das ganz schnell. Das können wir täglich bieten, aber das können auch nicht alle.

Axel Enninger: Das war jetzt ein bisschen Werbeverkaufsschau für die mittelgroße Kinderklinik. Denn so wie du es geschildert hast, ist es tatsächlich. In der großen Kinderklinik wie bei uns ist es in der Tat ja so, da gibt es quasi den betreuenden Kindernephrologen, Urologen oder den betreuenden Kinderchirurgen, es gibt eine radiologische Abteilung. Also das war jetzt der Werbeblock von Christian von Schnakenburger für die Betreuung an den mittelgroßen Kinderkliniken. Nehmen wir mal so hin, du bist der Gast, du darfst diesen Werbeblock gerne machen.

Christian von Schnakenburg: Ich sage aber, dass ich natürlich meine Erfahrungen an sehr großen Kliniken gelernt habe im sogenannten Uro-Kränzchen und das dort ausgesprochen strukturiert, einmal pro Woche alle diese Fälle zusammen mit Bildgebung mit weiterer Diagnostik besprochen wurden und man da natürlich so viel gelernt hat, dass man das dann auch leichter in viel kleinerer Besetzung und nicht mit Doppelbesetzung, wie es an den größeren Kliniken vorhanden ist, wo man auch immer Vertreter hat, durchführen kann. Also ich wollte da nicht zu viel Werbung betreiben.

 

GIBT ES ALTERNATIVEN ZUM ANTIBIOTIKUM?

Axel Enninger: Alles gut. [Lachen] Zwei Punkte würde ich gerne noch mit dir besprechen. Wir hatten vorhin über Prophylaxe gesprochen und wir hatten über antibiotische Prophylaxe gesprochen. Gerade ich als derjenige, der sich immer wieder mal mit dem Mikrobiom beschäftigt, hat natürlich viele Eltern, die sagen: ‚Um Gottes Willen, ein Antibiotikum macht das Mikrobiom kaputt und das Kind wird hinterher eine chronisch entzündliche Darmerkrankung kriegen, wird vielleicht adipös werden oder wird sonstige Dinge durch sein verschobenes Mikrobiom erleiden.‘ Sie wollen kein Antibiotikum. Sie wissen aber, da gibt es ein Abflussproblem. Gibt es Alternativen zum Antibiotikum?

Christian von Schnakenburg: Ja, die gibt es durchaus. Ich meine, da muss man schon gucken und – das wird dich als Gastroenterologen auch freuen – Stuhlregulierung hilft. Sogar auch in Leitlinien bewiesen, also die Obstipation, die – wie wir immer gesagt haben – von hinten auf die Blase drückt, zu Blasenentleerung mit Restharn führt. Wenn man die wirklich ordentlich behandelt, dann gibt es auch weniger Harnwegsinfekte. Es gibt auch weniger Enuresis, man wird schneller trocken. Also das sind einfach ganz einfache Methoden. Hohe Trinkmenge wird immer gesagt. Es ist schwer hinzubekommen, wenn die Kinder einfach nicht trinken wollen. Da machen sich viele Familien viel Stress. Aber ich glaube Stuhlregulation, keine übertriebene Genitalhygiene und gute Trinkmenge, häufige Miktionen, Vermeiden von Verheben. Man sieht ja manchmal typische Verhebetaktiken, wenn die Kinder sich beim Spielen irgendwo hinknien und einfach nicht wollen, also ihr Spiel nicht verlassen wollen. Da kann man, glaube ich, etwas machen. Die anderen Methoden sind…

Axel Enninger: Da muss ich mal kurz unterbrechen. Das würde ich als Gastroenterologe gerne festhalten: Ein Kind mit einer Enuresis und gleichzeitig einer Verstopfung, das bekommt zunächst die Verstopfung behandelt, da sind wir uns glaube ich einig.

Christian von Schnakenburg: Absolut. Erst Stuhl, dann Tag, dann Nacht.

Axel Enninger: Das halten wir fest. Und das mit dem vielen Trinken – können wir vielleicht auch festhalten – ist für die Blase gut und ist für den Obstipierten nicht besonders wichtig. Denn das viele Wasser, das man trinkt, weiß nicht, dass es im Darm bleiben muss, sondern es wird per Urin ausgeschieden. Viel trinken ist gut für die Harnwege, hat keinen besonderen Stellenwert bei den obstipierten Kindern, das lass uns kurz festhalten.

Christian von Schnakenburg: Da bin ich sofort bei dir.

Axel Enninger: Wunderbar. Also wir hatten trinken. Wir hatten gesagt, keine übertriebene Hygiene. Gibt es noch irgendwas anderes?

Christian von Schnakenburg: Das, womit die Eltern kommen, ist Cranberry natürlich, seit vielen Jahren. Es gibt Daten bei erwachsenen Frauen, wo versucht wird, in bestimmten Verabreichungen von Saftkonzentration das hinzubekommen. Es ist unglaublich sauer. Es hilft gegen die Adhäsion der E. coli an bestimmten Fimbrien. Aber das ist für Kinder nicht evaluiert und auch nicht eindeutig empfohlen. Ich sage immer: Versucht es! Wer heilt, hat recht. Da bin ich tatsächlich ein bisschen anthroposophisch eingestellt, nicht über Kügelchen, sondern man kann das tatsächlich mit solchen Phytotherapeutika versuchen. Mannose wird sehr beworben in der letzten Zeit und Mannose als Zucker ist ebenfalls pathophysiologisch nachweisbar über die Adhäsion an Fimbrien wirksam. Man kann das auch ganz gut mit einem halben Beutel, das sind 5 Gramm pro Tag, den Kindern geben und gucken, ob das bei den relativ wenig betroffenen Mädchen zwischen 3 und 5 Jahren hilft. Aber sonst sind die Möglichkeiten relativ begrenzt dabei. Man kann noch versuchen, eine Immunstimulation zu machen, auch mit sehr begrenzter Evidenz dahinter.

Axel Enninger: Was soll das sein? Was soll Immunstimulation sein?

Christian von Schnakenburg: Probiotika, die man nimmt und die dann sowohl den Darm als auch den Urogenitaltrakt anders besiedeln sollen.

Axel Enninger: Gibt es Daten dafür?

Christian von Schnakenburg: Ja. Ja, in den Leitlinien – das Präparat kann ich jetzt nicht nennen, das da lange Zeit beworben wird, gibt es in verschiedenen Kuren. Kann man wiederholen. Gibt es immer mal wieder dazu.

Axel Enninger: Wie ist die Evidenz in der Leitlinie?

Christian von Schnakenburg: Gering.

Axel Enninger: Hätte ich jetzt so vom Gefühl her auch gedacht.

Christian von Schnakenburg: Es kommen aber immer wieder Patienten und auch Niedergelassene, die es einsetzen. Und ich finde es jetzt auch gar nicht so dramatisch. Wenn man sich überlegt, es geht um die Zeit zwischen 3 und 5 oder 6 Jahre, bis die Kinder einfach auch nachts sicher ohne Windel sind und dann die ‚feuchte Kammer‘ weg ist. Also das ist oft eine Taktik, mit der ich mit den Eltern gut klarkomme. Es geht ja um das Hauptrisiko für Harnwegsinfekte. Die feuchte Kammer einer Windel – man kann das Kind auch nachts nicht alle zwei Stunden wickeln. Das wollen manchmal einige Eltern. Da versuche ich auch mal abzuraten. Pragmatisch bleiben. Gesunder Schlaf ist auch wichtig. Das kennen wir beide.

 

MANCHMAL KANN EINE OPERATION SEGENSREICH SEIN

Axel Enninger: Okay, jetzt kommen wir mal weg von Probiotika und Cranberries und Cranberrysaft. Manchmal wird es ernst, da muss ja der Chirurg ran. Welche Methoden bei Reflux und bei welchen anderen Problemen? Reflux ist das eine, aber Nierenabfluss ist das andere. Welche Methoden, wann und wie? Ich weiß, dass du kein Kinderchirurg bist, auch kein operierender Kinderurologe, aber vielleicht kannst du dich trotzdem dazu äußern.

Christian von Schnakenburg: Die Indikation muss man einfach gemeinsam mit den Operateuren stellen, man kann sie aber natürlich bahnen. Einfach mit der Frage, stelle ich sie überhaupt da vor? Ein primär obstruktiver Megaureter muss, wenn er nicht ständig komplett verkeimt, nicht zwingend chirurgisch behandelt werden. Das ist klar eine Domäne der konservativen Therapie. Wenn man das ein paar Mal gesehen hat und sich damit auskennt, brauchen wir den noch gar nicht dem Chirurgen vorzustellen, wenn der Patient sich gut entwickelt. Wenn er aber mäanderförmig geschlängelt und komplett vereitert ist, dann kommt man nicht über eine Ureterokutaneostomie, also eine Ausleitung über die Haut, hinweg und das wissen die Chirurgen, das können sie natürlich auch gut. Es hängt natürlich immer davon ab, was man sieht. Eine Ureterabgangsstenose ist gar nicht so häufig mit Harnwegsinfekten, sondern eher mit Koliken und im Ultraschall gefundenen Erweiterungen assoziiert. Da gibt es auch klare Vorgaben, wie man da herangeht. Beim Reflux ist es gar nicht so einfach.

Axel Enninger: Aber vielleicht bleiben wir noch mal beim Urostoma, beim Nephrostoma. Etwas, das erstmal sehr invasiv klingt. Aber ich glaube, wenn die Indikation stimmt, für Familie und Kind, etwas ausgesprochen Segensreiches ist, oder?

Christian von Schnakenburg: Du hast zwei verschiedene Begriffe erwähnt. Entweder eine Harnleiterausleitung, um den Harnleiter zu tonisieren. Einen Megaureter kann man nicht einfach so schnitzen, dass man ihn wieder implantiert. Der muss längere Zeit ausgeleitet werden. Eine Nephrostomie ist dann natürlich die höhere Ausleitung. Die kann man auch machen, um die Niere zu entlasten. Das kann sehr segensreich sein. Bei diesen ganzen Verfahren ist das Wichtige, dass man eine sogenannte Niederdruckableitung hinbekommt. Das ist noch eine alte, aber auch bestätigte Meinung, dass der Reflux alleine oder die Infektion alleine gar nicht so schlimm ist, sondern beides zusammen. Druck plus Infektion, also eine aufsteigende Infektion ist das Problem. In dem Moment, wo man eine Niederdruckableitung hergestellt hat, ist die Prognose deutlich besser für die Nieren und dann hat man Zeit. Tonisiert sich das Ganze? Wie kann man reimplantieren? Und das sind dann wirklich chirurgische Fragen, auf die wir hier, glaube ich, nicht im Detail eingehen können.

Axel Enninger: Wir halten uns zurück bei dem Thema Ureterneueinpflanzung gegenüber Unterspritzung oder halten wir uns da nicht zurück? Hast du eine Präferenz?

Christian von Schnakenburg: Das kann ich einfach mit unseren Kinderchirurgen sagen: Wenn es ein niedergradiger Reflux ist, drittgradig, aber häufige Harnwegsinfekte, dann ist eine Unterspritzung natürlich mit vielen Vorteilen behaftet. Man hat keine langen stationären Aufenthaltsdauern und man hat ein Ansprechen vielleicht von 70 % gegenüber einer Reimplantation von über 90 %. Aber man kann es problemlos zwei- oder dreimal wiederholen, es ist relativ atraumatisch und da würde ich eben für das weniger invasive Verfahren stimmen. Aber auch das hängt einfach von der lokalen Gegebenheit ab. Da kenne ich natürlich meine Kollegen, mit denen ich zusammenarbeite.

Axel Enninger: Okay. Christian, haben wir alles besprochen oder müssen wir noch Dinge erwähnen, die dir wichtig sind, die in der Leitlinie Eingang gefunden haben, oder haben wir aus deiner Sicht die wesentlichen Dinge besprochen? Ich glaube, im Grunde sind wir das Wesentliche losgeworden?

Christian von Schnakenburg: Wir haben vieles besprochen. Ich finde einen Punkt interessant, auch wie ihr es in eurer Klinik seht. In der Leitlinie relativ hoch angesiedelt, weil aus dem angloamerikanischen Bereich, ist die DMSA-Szintigraphie, also tatsächlich die Möglichkeit, unabhängig vom Ultraschall Narben darzustellen und Nierenfunktion in einer statischen Darstellung zu machen. In meiner Einschätzung – ich habe in den 25 Jahren Kindernephrologie vielleicht fünfmal eine DMSA-Szintigraphie angeleiert – der angloamerikanische Approach ist top down. Ich guck mir erst die Niere an und danach, ob ein Reflux besteht. Traditionell haben wir im deutschsprachigen Bereich lange über bottom up gesprochen. Das muss man sich glaube ich einmal angucken. Wie ist das bei euch? Setzt ihr DMSA-Szintigraphie in größerer Zahl ein?

Axel Enninger: Also, ich bin ja nun kein Nephrologe, aber wenn ich das so sehe, haben wir wenig Kinder, die wir zur Szintigraphie schicken. Ich kann das nicht ganz sagen, wie das bei unseren Kinderchirurgen ist. Ich glaube, sie indizieren mehr Szintigraphien, aber im Detail weiß ich es nicht.

Christian von Schnakenburg: Also, die nuklearmedizinische Darstellung ist seltener geworden. Für die Abgangsstenosen ist es eine dynamische Szintigraphie, das sind andere Tracer. Das ist okay und auch hilfreich. Ansonsten ist die lokale Auflösung zum Teil auch bei einer fokalen bakteriellen Nephritis, auch durch eine MRT sehr gut. Es gibt auch MR-dynamische Untersuchungen dabei. Das wird sicherlich noch in Zukunft kommen. Ich glaube, das ist ein Punkt, der es auch noch ähnlich wie das MSU, etwas, das sich zunehmend durchsetzen wird in den allerdings zeitraubenden und damit für die Radiologen lange blockierten MRTs. Das ist aber etwas, was einige Kliniken auch schon gut anbieten, funktionelle MR-Untersuchungen der Nieren sind im Kommen und ich glaube, das sind aber die wesentlichen Punkte. Ich müsste jetzt auch noch mal nachdenken, was uns fehlt.

 

DIE DOS UND DON’TS VON CHRISTIAN VON SCHNAKENBURG

Axel Enninger: Dann freue ich mich, dass wir die wesentlichen Punkte besprochen haben. Und diejenigen, die diesen Podcast schon häufiger gehört haben, wissen, dass es ein Standardelement in unserem Gespräch gibt. Und das Standardelement ist, dass der Gast zwei Dinge sagen darf, die ihm besonders wichtig sind im Sinne von ‚please do‘. Also bitte machen. Und er darf auch zwei Dinge sagen: bitte nicht. Man könnte es auch direkter sagen. Lassen Sie es endlich sein und es nervt mich. Christian, deine Dos und deine Don‘ts.

Christian von Schnakenburg: Ja, ich fange mit den Don‘ts an: keine Antibiotika-Therapie ohne saubere Harngewinnung! Bei Kindern unter zwei Jahren unbedingt wichtig. Urin aus Beutel absolut zweifelhaft und keine Antibiotika bei asymptomatischer Bakteriurie. Das haben wir noch nicht ausführlich erwähnt. Und das Zweite ist: Vermeiden Sie das bestschmeckende Antibiotikum. Cefaclor hat schlechte Wirkspiegel, zunehmende Resistenzentwicklung mit zuletzt nur noch 50 % Ansprechen bei E. coli und ist damit einfach ungünstig. Die Dos: Fieber ohne Fokus sollte nicht diagnostiziert werden, ohne den Fokus Harnwegsinfekte ausgeschlossen zu haben. Denken Sie daran, Urin zu kontrollieren! Untersuchen Sie das Genitale: Phimose, Labiensynechie! Und ein ‚Do‘ würde ich noch sagen. Danken Sie Rolf Betz, dem unermüdlichen Koordinator, der diese wirklich sagenhaft detaillierte, brandaktuelle Leitlinie geschrieben hat. Die macht tatsächlich Spaß zu lesen, wenn man sich mit dem Thema ausführlich beschäftigen möchte.

Axel Enninger: Ja, sehr schön. Christian, vielen, vielen Dank für dieses sehr lebhafte Gespräch. Ich habe wie immer eine Menge gelernt und danke dir ganz herzlich. Und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, danke ich auch ganz herzlich fürs Zuhören. Wir hoffen natürlich alle beide, dass Sie den Eindruck hatten, Sie haben ein bisschen was gelernt oder zumindest das, was sie wussten, ein wenig aufgefrischt. Und wenn Ihnen dieser Podcast gefallen hat, dann freuen wir uns natürlich auch über eine positive Bewertung. Selbstverständlich. Und Sie dürfen das gerne auch weiterverbreiten. Empfehlen Sie uns weiter, wenn es Ihnen gefallen hat. Wenn es Ihnen nicht gefallen hat, machen Sie einfach nichts. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Wir wünschen Ihnen einen guten Rutsch ins neue Jahr. Und ich glaube, wir alle wünschen uns, Christian, ein normaleres Jahr 2022, oder?

Christian von Schnakenburg: Es kann nur besser werden. Alles Gute!

Axel Enninger: Alles Gute! Vielen Dank fürs Zuhören.

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!