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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #50 - 20.09.2024

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Stechen, drücken, hämmern – Migräne im Kindes- und Jugendalter 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit:

DR. MICHAELA BONFERT 

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.Kardiologie in der pädiatrischen Praxis

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Unsere heutige Folge ist die 50. Folge. Man hätte es nicht gedacht, und wir freuen uns sehr, dass wir heute Frau Dr. Bonfert zu Gast haben, mit der wir uns über das Thema „Migräne“ unterhalten werden. Herzlich willkommen!

Michaela Bonfert: Herzlich willkommen und vielen Dank für die Einladung.

Axel Enninger: Frau Dr. Bonfert ist Oberärztin der Abteilung für pädiatrische Neurologie am Dr. von Haunerschen Kinderspital und im integrierten sozialpädiatrischen Zentrum iSPZ Hauner in München. Dort leitet sie den Fachbereich, neudeutsch „Migraine and Concussion“. Da reden wir gleich drüber, wie es zu diesem tollen Namen kam. Also noch mal herzlich willkommen, und ich freue mich auf unser gemeinsames Gespräch. Starten wir mal mit dem Thema Kopfschmerzen. Kopfschmerzen, denkt doch jeder, hab ich immer, treffe ich immer. In welchen Situationen beschäftigt sich denn der Kinder- und Jugendarzt mit diesem Thema?

Michaela Bonfert: Ich glaube, jede Kinderärztin und jeder Kinderarzt trifft mehrmals wöchentlich auf Kinder und Jugendliche, die sich wegen Kopfschmerzen vorstellen, und das kann ja entweder in einer ganz akuten Situation sein, in der Notfallaufnahme oder in der Praxis, oder eben auch die Situation sein, dass Kinder in die Praxis kommen oder auch in eine Spezialsprechstunde, die immer wieder Kopfschmerzen haben und dafür eine Ursachenabklärung und vor allen Dingen Therapie suchen.

Im Akutfall entscheiden: potenziell lebensbedrohlich?
Axel Enninger: Okay, jetzt haben wir eine relativ breite Zuhörerschaft. Starten wir einfach mal mit diesem Thema akute Kopfschmerzen, eben in der Kinderarztpraxis oder in unserer Notaufnahme. Was sind denn Dinge, die dir da besonders wichtig sind beim Thema akute Kopfschmerzen?

Michaela Bonfert: Ich denke, bei akuten Kopfschmerzen ist es besonders wichtig, sich mit der nötigen Zeit, aber natürlich effizient, so wie es die Notaufnahme oft erfordert, für sich selber zu entscheiden: Ist der Kopfschmerz bei diesem Kind vielleicht Ausdruck einer potenziell lebensbedrohlichen, intrakraniellen Erkrankung oder ist es eben Ausdruck, was ja viel häufiger ist, zum Beispiel eines systemischen Infektes, einer Sinusitis, einer symptomatischen Kopfschmerzgeschichte, die ich anders behandeln kann und die eben nicht in eine Notfallsituation münden könnte?

Bei Kindern und jüngeren Jugendlichen Migräne häufig nicht „klassisch“
Axel Enninger: Mhm [zustimmend] und ich habe vorhin schon gesagt, dein Fachbereich, deine Klinik heißt so schick MiCo „Migraine & Concussion“. Also, Migräne ist eines der Themen, an die wir alle denken. Da hab ich gedacht, Differenzierung ist doch irgendwie simpel. Migräne ist immer einseitig. Alles, was nicht einseitig ist, ist schon mal keine Migräne. Stimmt das?

Michaela Bonfert: Das stimmt für die große Gruppe von älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen und Erwachsenen in der Regel schon. Aber gerade, wenn wir es mit jüngeren Kindern oder jüngeren Jugendlichen zu tun haben, ist es ja häufig so, dass die Migräne sich nicht klassisch zeigt, sondern sich sehr häufig mit beidseitigen Kopfschmerzen zeigt, mit Kopfschmerzen, die nicht unbedingt so klassisch pochend oder hämmernd sind, sondern einfach auch als drückend beschrieben werden können. Und generell muss man natürlich auch immer denken: Der Schmerz ist ja etwas sehr Subjektives, und es fällt schon Erwachsenen schwer, ihn richtig zu beschreiben. Und dann ist es natürlich gerade, umso jünger die Kinder sind, umso schwieriger, genau herauszufischen, wie diese Differenzierung sich abbildet.

Axel Enninger: Das heißt, bei den jüngeren Kindern hilft uns dieses einseitig / beidseitig eigentlich gar nicht.

Michaela Bonfert: Es hilft uns wenig, und es ist sogar so, dass dieses „es hilft uns wenig“ in die Klassifikationskriterien der International Headache Society Einzug gefunden hat, indem sie in ihrer Klassifikation extra drauf hinweisen, dass es eben in der Kinder- und Jugendmedizin durchaus andere Präsentationsformen für Migräne gibt.

Axel Enninger: Okay. Jetzt hast du gesagt, die Schmerzintensität ist wichtig. Da wissen wir alle, der eine schildert seine Schmerzen sehr blumig, und ‚Ich kann es kaum aushalten‘, und bei dem anderen denkt man: ‚Uh, du siehst ganz schön krank aus!‘, und der sagt: ‚Naja, ich halt es irgendwie gut aus.‘ Was ist denn da dein Tipp der Einstufung der Schmerzintensität?

Bewertung auf der Smiley-Skala von O bis 10
Michaela Bonfert: Also, ich denke, da ist es ganz wichtig, dass man sich eben genau auf sein eigenes Bauchgefühl verlässt, so wie du es schon beschrieben hast. Wenn das Kind krank wirkt, krank aussieht und auch die Eltern sagen: ‚Mein Kind verhält sich anders, mein Kind spielt nicht mehr wie es das sonst tut, es hat keinen Appetit‘, und all solche Soft-Faktoren dazukommen, dann sind die Schmerzen wahrscheinlich stärker als das Kind es primär angibt. Und gerade bei Kindern kann man sehr gut so eine Smiley-Skala nutzen. Die basiert auf der numerischen Rating Scale, die man von Erwachsenen kennt, wo man den Schmerz zwischen 0 – gar kein Schmerz, und 10 – ist der schlimmste vorstellbare Schmerz, so erklären wir es auch den Kindern, einstufen kann. Und dazu gibt es Smileys von grünen lachenden Smileys bis roten wirklich schmerzverzerrten Smileys. Und damit kann man die Kinder ganz gut dazu bringen mal einzuschätzen, wie stark der Schmerz für sie tatsächlich ist.

Axel Enninger: Erlebst du es häufig, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen der Einschätzung der Kinder selber und den Begleitpersonen?

Michaela Bonfert: In der Akutsituation selten. Da sind es ja die Eltern, die auch die Schmerzen tatsächlich ernst nehmen und ihr Kind in die Notaufnahme oder in die Praxis gebracht haben. Wenn wir uns in dem Setting befinden, dass Kopfschmerzen häufig auftreten, häufig wiederkehren oder auch täglich vorhanden sind, was leider gar nicht so selten der Fall ist im Kindes- und Jugendalter, dann sehen wir schon oft, dass es eine gewisse Diskrepanz gibt zwischen dem Verstehen und Hineinfühlen der Eltern in die Kinder und die Jugendlichen, die betroffen sind.

Axel Enninger: Bleiben wir nochmal bei dem Szenario Notaufnahme bzw. Praxis, akute Schmerzen. Auch da erinnere ich mich so ganz dunkel, musste man früher immer ankreuzen oder wurde gefragt: Ist denn der Schmerz eher pochend, ist er eher brennend, ist eher sonst wie? Was sagt das mit diesen Schmerzqualitäten? Ist das für euch wichtig, für euch Kinder-Neurologen?

Den Kopfschmerz malen
Michaela Bonfert: Das kann wichtig sein in der Differenzierung. Umso älter und reflektierter die Kinder und Jugendlichen sind, können sie das vielleicht gut beurteilen. Aber es ist eben kein alleiniges wichtiges Kriterium, auf das man sich verlassen sollte, weil es eben so schwierig zu beschreiben ist. Viel besser ist es da, wenn man die Kinder bittet, ihren Kopfschmerz mal aufzuzeichnen oder auch den Verlauf mal aufzuzeichnen. Wie fängt der Kopfschmerz an? Welche Symptome sind vielleicht davor? Was passiert während des Kopfschmerzes? Was passiert nach dem Kopfschmerz? Da kann man viel, viel besser lernen, wie die einzelne Episode sich verhält, als nur die Kinder es mit Worten beschreiben zu lassen.

Axel Enninger: Das heißt, richtig malen, also sie kriegen Zettel und Stift?

Michaela Bonfert: Sie kriegen ein weißes Blatt Papier und viele bunte Stifte in unterschiedlichen Strichstärken und können sich dann und sollen sich dann auch richtig austoben. Das ist natürlich nichts für die akute Episode in der Notaufnahme, aber für das Verstehen der einzelnen Kopfschmerzepisode bei wiederholten Kopfschmerzen superhilfreich.

Axel Enninger: Wenn wir jetzt ein bisschen weggehen von der ganz akuten Situation – zu der kommen wir gleich noch mal bei der Differenzierung, an was muss ich denn so denken? Aber kommen wir jetzt mal zu denen, die das doch immer wieder mal schildern, dann sind die beiden großen Felder ja „Migräne“ gegen „Spannungskopfschmerz“. Was für Bilder siehst denn du da, und wo sagst du: Das geht in die Richtung, und das geht in die andere Richtung.

Michaela Bonfert: Klassischerweise sehen wir beim Spannungskopfschmerz einen Kopf mit einem leicht schmerzverzerrtem Gesicht und dann entweder einem Helm auf dem Kopf, der eindeutig eng sitzt, oder einem Band um den Kopf, das ziemlich streng gespannt ist, sodass die Haare eingedrückt sind, bei Jugendlichen, die dann schon differenzierter malen. Das sind so die klassischen drückenden Gesamtkopf betreffenden Ausdrucksbilder der Kinder mit Spannungskopfschmerzen. Bei Kindern mit Migräne sieht man eben sehr häufig tatsächlich ein ziemlich makabres Bild, aber es trifft es fantastisch gut, weil der Schmerz ja wirklich wahnsinnig intensiv und unaushaltbar sein kann und meistens ist, indem tatsächlich die Kinder sich mit einem Messer im Kopf zeichnen oder wirklich den Hammer, der dann doch an eine Stelle pocht oder an mehrere Stellen pocht, oder eben den Kopf, und außenherum ist alles schwarz, nur lauter bunte Blitze zucken irgendwie in den Kopf und um den Kopf herum, wo man dann auch gleich noch mal einen Eindruck davon kriegt: ‚Ach, das Kind hat vielleicht sogar eine visuelle Aura, die es mir aber bisher noch gar nicht geschildert hat‘, weil ich entweder nicht nachgefragt habe oder weil es gar nicht weiß, wie es das beschreiben soll, diese Empfindungen.

Visuelle und sensible Aura
Axel Enninger: Wie oft ist denn Aura bei denen?

Michaela Bonfert: Bei Kindern und Jugendlichen ist es eher der seltenere Fall, dass eine Aura mit auftritt, vor allen Dingen umso jünger die Kinder sind, umso seltener. Wir gehen davon aus, dass es um die 20–30 % der Kinder und Jugendlichen mit Migräne betrifft, dass sie auch eine Aura haben.

Axel Enninger: Und das ist meistens was? Visuell? Ist es dieses Schlangenlinien/Flimmern, oder was ist da das Typische?

Michaela Bonfert: Genau, klassischerweise ist es die visuelle Aura, die am häufigsten vorkommt, und es sind eben diese gezackten Blitze, die die Kinder sehen, bis hin aber auch zu dem Skotom, das die Erwachsenen häufig schildern, dass sie eben einen Gesichtsfeldverlust in der Zeit haben. Das ist allerdings tatsächlich auch wieder schwierig zu beschreiben. Als Nächstes kommen dann sensible Auren. Am besten können Kinder das nachvollziehen, wenn man sie fragt: „Kennst du das, wenn dein Arm eingeschlafen ist oder dein Bein? Und es wacht wieder auf, und es kribbelt so komisch?“ So beschreiben es die Kinder oder tatsächlich wie Nadelstiche, dass es sich auf der Haut plötzlich ganz kribbelig anfühlt. Das ist auch nicht so selten.

Axel Enninger: Jetzt hast du gesagt, ungefähr 20 % der Kinder und Jugendlichen mit Migräne haben eine Aura. Das heißt, wenn sie eine Aura schildern, kannst du das Thema Spannungskopfschmerz ad acta legen? Ist das so ein differenzierendes Merkmal?

Michaela Bonfert: Also die Aura ist auf jeden Fall ein sehr differenzierendes Merkmal, wobei man eben gerade bei der visuellen Aura ein bisschen differenzieren muss. Viele Kinder mit Spannungskopfschmerzen haben auch zum Beispiel verschwommenes Sehen oder dass mal kurz die Buchstaben tanzen oder dass sie auch mal kurz schwarz vor Augen werden. Da muss man ein bisschen differenzieren.

Axel Enninger: Ist die Art und Weise, wie das Ganze anfängt, für dich wichtig in der Differenzierung?

Plötzlicher oder schleichender Beginn?
Michaela Bonfert: Es ist wichtig für mich, wenn ich jetzt wieder in die Notaufnahme zurückgehe, eben ganz genau zu fragen, wenn ein Kind mit Kopfschmerzen und fokalen neurologischen Symptomen – sind es ja dann, wenn mir Kinder beschreiben, dass sie Sehstörungen haben oder Sensibilitätsstörungen, oder in ganz seltenen Fällen gibt es ja auch Migräne mit motorischen Ausfällen, dass ich dann eine Halbseitenlähmung, bis zu Halbseitenlähmung, haben kann – dann ist es für mich ganz wichtig, denn in dem Fall muss ich ja unterscheiden, ob es nicht vielleicht ein Schlaganfall sein könnte oder eine intrazerebrale Blutung sein könnte. Und da gilt eben, die Besonderheit der Aura herauszuarbeiten, dass die Aura in der Regel so abläuft, dass die Symptome einzeln nacheinander beginnen und die einzelnen Symptome der Aura langsam beginnen und sich dann eben über eine Zeit von wenigen Minuten bis zu zehn Minuten steigern in ihr Vollbild und auch zum Beispiel in den Fingerspitzen fängt es an, und dann greift es bis zum Ellbogen und am Ende bis zur Schulter, diese Kribbel-Parästhesien, und dann aber in der Regel auch innerhalb einer Stunde wieder abflauen. Das ist die große Differenzierung gegenüber der wirklichen intrazerebralen akuten Erkrankung, bei der ich ja ein schlagartiges Einsetzen der Symptomatik habe, sowohl Kopfschmerzen als auch die fokale Neurologie meistens zusammen anfangen und von jetzt auf gleich, eben wie beim Schlaganfall Motorik, Sprache und Sensibilität betroffen sind und auch nicht wieder abflauen, sondern eventuell weiter zunehmen, je nachdem.

Axel Enninger: Okay, das heißt, der Assistenzarzt oder der Funktionsoberarzt aus der Notaufnahme ruft dich an und sagt: „Ich habe hier einmal akute Kopfschmerzen plus Hemiparese.“ Da sagst du als neurologischer Hintergrund, um es einfach nochmal zu wiederholen, wann willst du sofort ein Bild, und wann sagst du: ‚Muss jetzt nicht ganz sofort sein?‘

Migräne bekannt, rückläufiger Schmerz – erstmal entspannen
Michaela Bonfert: Die erste Frage ist: „Ist bei dem Patienten eine Migräne bekannt?“ Wenn bei dem Patienten eine Migräne bekannt ist und auch schon mal eine Migräne mit ähnlicher Aura aufgetreten ist, dann wäre ich erstmal entspannt.

Axel Enninger: Okay.

Michaela Bonfert: Außer diese Episode unterscheidet sich komplett von den früheren Migräne-Episoden. Wenn der Patient keine Migräne hat und mir der Kollege dann schildert, dass alles plötzlich angefangen hat, dass alle drei Dimensionen betroffen sind: Motorik, Sprache, Sensibilität, die Kopfschmerzen immer weiter zunehmen und dieses Kind wirklich auch entsprechend krank wirkt, dann würde ich immer sagen, sofort ab ins MRT, um den Schlaganfall oder die Blutung schnellstmöglich auszuschließen oder entsprechend dann handeln zu können.

Axel Enninger: Also der schlagartige Beginn ist für euch sozusagen extrem wichtig, und dann sagst du klar: sofort Bildgebung. Schwierig wird es ja dann, wenn ich jemanden habe, wo das mit dem „schlagartig“ vielleicht anamnestisch nicht so richtig gut „herauszudröseln“ ist und wo du dann noch keine Migräne in der Vorgeschichte hast. Dann gilt aber auch wahrscheinlich die Regel: im Zweifelsfall trotzdem rasch ein Bild, oder? Wie macht ihr das?

Michaela Bonfert: Dann gilt es immer, erst mal noch zu fragen: „Wie lange besteht die Symptomatik jetzt schon?“ Weil ich, wie gesagt, bei der Migräne erwarten würde, dass sich eigentlich innerhalb von einer Stunde wieder ein rückläufiges Bild zeigt. Und wenn die Situation jetzt schon seit zwei oder zweieinhalb oder drei Stunden besteht, dann bin ich eigentlich ziemlich sicher, dass es eher keine Migräne sein kann. Generell würde ich auch dazu raten: Lieber machen wir eine Überdiagnostik und können hinterher aber dann auch sicher sagen, es ist eine Migräne oder zumindest keine der dramatischeren intrakraniellen Erkrankungen in dem Moment, als wir verpassen den einen Schlaganfall, die eine Blutung, die wir anders hätten therapieren wollen und sollen.

Axel Enninger: Wollen wir das Ganze einmal umdrehen: Also Kopfschmerzen, Beginn nicht so richtig klar, akut oder nicht akut, Halbseitensymptomatik, aber nach einer Stunde – so lange dauert es ja manchmal, man muss ihn irgendwie aufnehmen, dann muss man den anrufen, diesen anrufen, und nach einer Stunde – geht man da wieder hin, und der Patient sagt: „Jetzt ist alles wieder hübsch“, und es ist nachts um vier. Rufe ich dann nachts um vier den Radiologen aus dem Bett, oder kann ich sagen: ‚Naja, kann ich auch mal früh machen‘?

Michaela Bonfert: Wenn tatsächlich alles wieder in Ordnung ist und Sie kein einziges fokal-neurologisches Symptom mehr in der sorgfältigen Untersuchung nachweisen können, in der Anamnese jetzt keine Risikofaktoren primär zu eruieren sind und das Kind wirklich wach ist, einen GCS [Glasgow Coma Scale] von 15 hat, keine psychopathologischen Auffälligkeiten hat, die Eltern nicht beschreiben: ‚Mensch, der tut jetzt schon seit Wochen und Monaten rum mit morgens immer Kopfschmerzen und Übelkeit‘, oder irgendwelche weiteren Red Flags Ihnen schildert, dann, denke ich, kann es vertretbar sein unter Neuromonitoring – das heißt, er bleibt stationär, er wird regelmäßig überwacht, der ist sowieso an der zentralen Überwachung, die Schwester macht regelmäßig einen GCS-Check – dann kann man wahrscheinlich warten bis zum nächsten Tag und dann die Bildgebung initiieren.

Axel Enninger: Okay, aber ich höre raus, im Zweifelsfall eher machen als nicht machen.

Michaela Bonfert: Auf jeden Fall.

Kein Migräne-typisches EEG
Axel Enninger: Dann war früher, also ich bin schon lange im Beruf, da gab’s erstens gar keinen Kernspin, zweitens war das dann ganz furchtbar kompliziert, und da hatte das EEG einen wahnsinnig hohen Stellenwert bei der Differenzierung Spannungskopfschmerz/Migräne. Also EEG war irgendwie immer und dann auch im Verlauf. Wie ist denn da jetzt der Stellenwert?

Michaela Bonfert: Das EEG hat selber aktuell keinen wirklich hohen Stellenwert in der Diagnostik. Was man sehen kann, ist in der akuten Migräneattacke oder auch in einem gewissen Zeitraum nach der akuten Migräneattacke eine regionale Verlangsamung der Hirnaktivität. Aber das alleine beweist Ihnen noch nicht, dass Sie es mit der Migräne zu tun haben. Es gibt ja auch andere Gründe für eine regionale Hirnfunktionsstörung. Es dient auf gar keinen Fall dazu, die Migräne zu beweisen oder zu widerlegen, und es hat keinen Stellenwert in der Differenzierung gegenüber dem Spannungskopfschmerz, vor allen Dingen eben nicht im Intervall.

Axel Enninger: Das heißt, das typische Migräne-EEG gibt’s gar nicht?

Michaela Bonfert: Nein.

Axel Enninger: Okay, also an all die Kolleginnen und Kollegen, die meine Generation sind: Streichen Sie das einfach aus Ihrem Hirn. Frau Dr. Bonfert vom von Haunerschen Kinderspital sagt, es gibt kein typisches Migräne-EEG. Wenn ich jetzt die Bemerkung mache, stehst du dazu?

Michaela Bonfert: Ich stehe dazu, wenn wir ergänzen: nicht im Intervall.

Axel Enninger: Okay. Nicht im Intervall. Also bei der akuten Migräne, da müsste man was sehen.

Michaela Bonfert: Bei der Akuten könnte ich eine regionale Hirnfunktionsstörung sehen, im Sinne einer regionalen Verlangsamung der Aktivität. Aber auch die ist dann ja nie spezifisch. Sie komplettiert vielleicht nur mein klinisches Bild, das ich vorher schon gesammelt habe.

Axel Enninger: Okay, und das andere Old-School-Verfahren war immer Augenhintergrund, Augenarzt, wie ist da der Stellenwert?

Augenhintergrund zu untersuchen, macht Sinn
Michaela Bonfert: Sehr hoch, nach wie vor. Jedes Kind, das sich entweder mit akuten, stärksten Kopfschmerzen vorstellt oder mit wiederkehrenden Kopfschmerzen, sollte regelmäßig eine augenärztliche Untersuchung erhalten. Zum einen wissen wir, dass natürlich oft im Schulalter, gerade wenn viel gelesen wird, viel gelernt wird, schon die Refraktionsfehler eine Rolle spielen können für Kopfschmerzen, für Konzentrationsprobleme, und zum anderen gilt es ja immer auch, über dieses Tool zusätzlich den Augenhintergrund zu spiegeln, um eben den erhöhten intrakraniellen Druck doch, zumindest in gewissem Maße, auszuschließen.

Axel Enninger: Wie bringt ihr es denn euren Assistenten bei? Ich frage nur. Ganz, ganz praktisch. Ich wüsste nicht, ob bei uns – selbst die Fachärzte – ob die das alle könnten. Und wenn ich mich selber kritisch frage: Ich könnte das nicht mehr. Das heißt, wir sagen es immer, aber wer kann es denn noch und von wem lernt er es?

Michaela Bonfert: Tatsächlich hatten wir erst neulich eine Schulung von den AugenärztInnen, die bei uns ganz nahe sind, die uns da noch mal für den klinischen Alltag gebrieft haben. Generell ist es so, dass man immer an den Kollegen in der Augenklinik, in der Augenpraxis überweisen wird, um eben auch einen sicheren Befund zu haben. Es gibt allerdings doch die eine oder andere neuere Gerätschaft, die einem da auch sehr helfen kann, sich mit dem Augenhintergrund mittlerweile besser vertraut zu machen. Also große Augenhintergrund-Kameras, die sehr schöne Bilder sehr einfach produzieren und die einem zumindest im Verlauf dann helfen, die Augenhintergründe auch zu einem gewissen Stück alleine zu monitoren, wobei wir auch das immer in Zusammenarbeit mit den KollegInnen aus der Augenklinik tun.

Axel Enninger: Man liest das immer so: Augenhintergrund gucken, Stauungspapille, und im wahren Leben ist das zum Beispiel ein echtes Problem. EEG haben wir, Augenarzt haben wir. Jetzt kommt das Labor. Kann mir das Labor helfen, zwischen dem Kopfschmerz A und dem Kopfschmerz B irgendwie zu differenzieren?

Wie hilft das Labor?
Michaela Bonfert: Es gibt wie beim EEG kein spezifisches Migräne- oder Spannungskopfschmerz-Labor, aber es hilft natürlich bei dem einen oder anderen Kind doch eine sekundäre Ursache zu detektieren, weshalb wir ein kleineres Standardlabor in der Regel schon empfehlen, um zum Beispiel gängige Dinge wie Anämie, gerade bei Mädchen im menstruierenden Alter, auszuschließen oder bei Familien mit anderem kulturellen Background, auch Ernährungshintergrund zum Beispiel. Wir würden zudem immer empfehlen, auch einmal die Schilddrüsenfunktion mit anzuschauen, da die Hypothyreose ja auch nicht so unbedingt selten ist. Und darüber hinaus kann man drüber streiten, ob man Vitamin D3 bestimmt und dann entsprechend auch substituiert. Wir machen es mit, weil wir auch die Substitution dann für sinnvoll halten, wenn sich ein Mangel zeigt. Aus ganz unterschiedlichen gesundheitlichen Gründen kann das ja nicht schaden.

Axel Enninger: Spannendes Thema! Wir haben schon eine Podcastfolge zum Thema Vitamin D gemacht. Da haben wir allerdings mehr auf den Knochen fokussiert, und ich kann schon mal spoilern, wir planen eine weitere Vitamin-D-Folge, wo wir über die nicht-ossären Folgen reden. Aber interessant: Ihr Neurologen sagt, hoher Vitamin-D-Spiegel, ausreichender Vitamin-D-Spiegel ist wichtig für was?

Michaela Bonfert: Generell würde ich sagen, dass wir eben schauen, dass zumindest kein Mangel vorliegen sollte. Wir substituieren jetzt nicht über, aber wenn wir sehen, dass ein Mangel vorliegt, dann substituieren wir, weil wir generell schon davon ausgehen, dass es ein wichtiges Hormon, ein wichtiger Metabolit im gesamten Stoffwechsel ist – auch für Entwicklung, Gehirnfunktion und so weiter – wie viele andere auch.

Axel Enninger: Aber es gibt keine Korrelation: niedriger Vitamin-D-Spiegel, hohes Migränerisiko.

Michaela Bonfert: Keine, die ich kennen würde.

Lumbalpunktion und idiopathische intrakranielle Hypertension
Axel Enninger: Okay, aber im Zweifelsfall… Irgendwann kriegen wir das vielleicht auch heraus. Spannend! Okay, und jetzt hast du über Laborwerte im Blut gesprochen. Wie ist denn der Stellenwert der Lumbalpunktion?

Michaela Bonfert: Die Lumbalpunktion würde ich natürlich immer empfehlen, wenn wir in der Akutphase sind, wenn irgendetwas für eine akute, zentralnervöse Infektion spricht. Das ist klar, das steht für sich. Also wenn Meningitiszeichen vorliegen, hohes Fieber, Schlappheit, Benommenheit, Bewusstseinsveränderung etc., dann ist es ja sowieso ganz klar, dass ich einen Status erhebe, dass ich Infektionsparameter suche, Bakteriologie und Virologie untersuche und eventuell eben auch so weit gehe: Autoimmunenzephalitis-Antikörper und diese Dinge, je nachdem, wie die Situation ist. Wenn es sich um Kinder mit wiederkehrenden Kopfschmerzen handelt, dann ist es insofern wichtig, in einigen Situationen an den sogenannten Pseudotumor cerebri zu denken. Wir sagen ja heute idiopathische intrakranielle Hypertension zu der Erkrankung, weil ich eben dann, wenn ich bei der Nervenwasserpunktion den Liquor-Eröffnungsdruck messe und der erhöht ist, ein relativ einfaches therapeutisches Tool habe, nämlich Nervenwasser buchstäblich zu entlasten, abzulassen und damit den Innendruck zu senken. Und das Wichtige hier ist ja, diese Maßnahme zu unternehmen und dann eventuell auch durch medikamentöse Maßnahmen zu ergänzen, um letztlich den Sehnerv zu schützen vor einer Hypotrophie / Atrophie durch den erhöhten Druck.

Axel Enninger: Okay, das ist sozusagen eine weitere Differenzialdiagnose. Wir hatten vorhin gesagt: Spannungskopfschmerz, wir hatten gesagt Migräne, aber jetzt wäre Pseudotumor cerebri Klammer auf (2024 sagt man intrakranielle idiopathische Hypertension), Klammer wieder zu. Mal gucken, wann ihr Neurologen dafür wieder ein neues Wort erfindet. Das ändert sich ja in manchen Fachbereichen. Okay, aber wichtig: Wenn Lumbalpunktion, dann immer mit Druckmessung. Das wollen wir unbedingt loswerden.

Michaela Bonfert: Das würde ich empfehlen. Wenn ich bei Kindern wegen wiederkehrender Kopfschmerzen mich zu Lumbalpunktion entscheide, dann würde ich immer den Liquoreröffnungsdruck messen, insbesondere wenn es sich um Kinder handelt, die in letzter Zeit viel Gewicht zugenommen haben oder schon eine Adipositas, ein Übergewicht, mit in die Sprechstunde gebracht haben, weil diese Kinder ein nicht niedriges Risiko haben, eine solche IIH zu entwickeln.

Körpermaße, Blutdruck bei Kopfschmerzpatienten regelmäßig erfassen
Axel Enninger: Da können wir vielleicht noch eine Klammer aufmachen: Adipositas hast du gerade schon gesagt. Was wir noch gar nicht besprochen hatten, war das Thema Blutdruckmessen. Es gibt ja die hypertensive Krise mit Kopfschmerzen, oder?

Michaela Bonfert: Auch nicht selten und gerade bei den adipösen Kindern eine wichtige Differentialdiagnose, sodass neben dem insgesamt Körpermaße-Erfassen für eine Sprechstunde, die sich mit Kopfschmerzen beschäftigt, aber auch der Blutdruck eine ganz wichtige Rolle spielt, regelmäßig zu untersuchen.

Stationär oder nachhause?
Axel Enninger: Okay, jetzt haben wir ja ein Szenario gehabt: akute Kopfschmerzen in der Sprechstunde / in der Notaufnahme. Da ist es ja für den niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt manchmal schwierig zu unterscheiden, und manchmal schickt er sie dann eben doch in die Klinik, weil er sagt: ‚Na, ich bin mir nicht so richtig sicher.‘ Gibt’s da von euch aus Kriterien, wo du sagen würdest, ja den müssen wir stationär hierbehalten. Also bei einigen ist es wahrscheinlich ganz klar. Da wird es ja auch Grauzonen geben oder Patienten, wo du sagst: ‚Den könntet ihr wieder heimschicken.‘ Was sind denn da Unterscheidungspunkte?

Michaela Bonfert: Wenn ich mich darauf geeinigt habe, mit mir, dem Patienten und den Eltern und den weiteren betreuenden Kollegen, dass es sich um die akute Migräne gehandelt hat, die sich letztlich klassisch im Verlauf zeigt, indem, wenn neurologische Symptome außer Kopfschmerz bestanden, diese wieder abgenommen haben, bis fast verschwunden sind oder ganz verschwunden sind und vor allen Dingen der Kopfschmerz gut auf eine hochdosierte Analgetika-Therapie oder sogar eine spezifische Migräne-Triptan-Therapie angesprochen hat, dann würde ich den Patienten noch eine Weile überwachen, sagen wir mal noch zwei bis vier Stunden, je nach Alter und je nach Medikament, das ich vorher gegeben habe und dann aber, wenn der Verlauf sich so zeigt, wie wir es erwarten, nämlich alles besser wird, den Patienten nicht unbedingt die Nacht dabehalten, sondern ihn nach Hause schicken, dass er sich wirklich ausschlafen kann von der ja dann doch beeindruckenden Episode, die ihn ins Krankenhaus geführt hat.

Axel Enninger: Okay, also, das heißt Besserung der Symptomatik unter adäquater Analgesie – und das leitet vielleicht gleich zu unserem nächsten Thema – welche Analgesie empfiehlst du – und dann würdest du aber sagen, okay, wenn nach ein paar Stunden alles wieder gut ist, machen wir einen Haken hinter die Episode und schicken den Patienten wieder heim. Genauso könnte ja auch ein Niedergelassener in seiner Praxis verfahren, wenn er sagt: ‚Okay, ich hab jetzt hier die Valenzen, das Kind eine Weile zu beobachten, ordentlich Analgesie machen, gucken, was passiert, und, wenn es besser ist, heimschicken.

Michaela Bonfert: Unbedingt.

Analgesie ausreichend früh und hoch dosiert
Axel Enninger: Okay, ja, kommen wir zur Analgesie. Was sind denn sozusagen deine „Taschenspielertricks“ beim Thema Analgesie Kopfschmerz?

Michaela Bonfert: Also generell ist es ganz wichtig, wenn ich bei einem Kind von einer Migräne ausgehe, dass ich mich traue und auch die Kinder und Jugendlichen und die Eltern bevollmächtige, ausreichend hoch und ausreichend früh ein Analgetikum zu geben, und sie da auch anlerne, das dann auch richtig zu machen. Der häufigste Fehler ist, dass entweder zu spät das Medikament gegeben wird und dann diese inflammatorischen Prozesse, die die Migräne dann so richtig hochkochen lassen, nicht mehr eingefangen werden können, oder eben zu niedrig dosiert wird. Dann kann man es sozusagen mehr oder weniger gleich lassen, weil dann gar kein Effekt eintritt oder nur ein sehr geringer, kurzer Effekt eintritt.

Axel Enninger: Also „hit hard and early“. Draufhauen und ordentlich.

Michaela Bonfert: Exactly.

Axel Enninger: Okay, womit hauen wir drauf?

Michaela Bonfert: Am besten und am liebsten nutzen wir Ibuprofen, und zwar 15 mg/kg als Einzeldosis.

Axel Enninger: Okay, gibt’s da ein max. nach oben?

Michaela Bonfert: Da gibt’s ein max. nach oben. Wenn wir natürlich eine jugendliche Patientin mit 60 kg vor uns sitzen haben, dann würden wir derjenigen 800 mg empfehlen zu nehmen.

Axel Enninger: Okay, können wir nochmal wiederholen: Ibu 15 mg/kg, max. 800 mg. Aber oral ist okay?

Michaela Bonfert: Oral ist okay, ist fein.

Axel Enninger: Okay, und das empfiehlst du auch Patienten zu Hause zu machen?

Michaela Bonfert: Unbedingt zu Hause zu machen, und jedes Kind, jeder Jugendliche mit Migräne sollte auch etwas in der Schultasche haben, im Rucksack dabei haben, ein kleines Notfallpäckchen. Da gibt’s zum Beispiel Ibuprofen-Schmelztabletten, die sehr gut angenommen werden, oder jetzt auch so Granulate, wie es auch ASS-Granulat gibt. Also da sollte man auf jeden Fall verschiedene Dinge ausprobieren, dass jedes Kind und jeder Jugendliche sich dann auf sein Medikament verlassen kann.

Axel Enninger: Und Ibu ist sozusagen tatsächlich das, da gibt’s Vorteile gegenüber Aspirin, Naproxen, Paracetamol, oder nicht?

Michaela Bonfert: Ibuprofen ist das Firstline-Medikament.

Axel Enninger: Okay, prima, und das machen wir oral. Und für all die von Kopfschmerzen betroffenen Kolleginnen und Kollegen kann man auch sagen: 800 Ibu ist schon mal wunderbar! Okay, das machen wir oral. Und jetzt in der Notaufnahme müssen wir ja manchmal noch mehr machen, haben wir schon gemacht und ist immer noch nicht besser. Was machen wir dann?

Michaela Bonfert: Dann könnte ich Metamizol i. V. geben, 500 mg zum Beispiel, je nach Alter des Kindes, nach Gewicht des Kindes. Ich könnte aber auch, wenn Kinder über 12 Jahre alt sind, ohne Probleme Aspirin geben, und das ist eben in der Migräneattacke extrem effizient – i. v. Aspirin 500 bis 1000 mg als Kurzinfusion und danach das Kind noch ein bisschen überwachen, ist unfassbar potent!

Axel Enninger: Dann muss ich jetzt doch noch mal nachfragen. Aspirin i. v. ist sehr potent. Trotzdem empfiehlst du oral vorher nicht Aspirin?

Michaela Bonfert: Nein, oral ist tatsächlich Ibuprofen Firstline-Medikament, zumal wir ja nach wie vor sagen, dass Kinder unter 12 Aspirin nicht einnehmen sollen.

Axel Enninger: Okay, also Metamizol i. v. oder ASS i. v. Okay, dann gibt’s Migräneprofis, die sagen, ich brauche ein Triptan. Wer braucht wann Triptan und warum?

Wer braucht Triptane, warum und wie?
Michaela Bonfert: Triptane sind den nicht-steroidalen Analgetika insofern überlegen, dass sie spezifischer angreifen an diesen inflammatorischen Mechanismen, die die Migräne auslösen und unterhalten, und deswegen für Kinder und Jugendliche, bei denen die Migräne gesichert ist, auf jeden Fall eine wichtige Option, diese zu erproben, ob man mit Triptan nicht noch besser als mit Ibuprofen eine Attacke unterbinden kann und beenden kann. Insbesondere dann, wenn wir sehen, dass Ibuprofen hierfür nicht ausreicht. In der Notaufnahme könnte ich bei einem Kind / Jugendlichen, das noch nie ein Triptan bekommen hat, zum Beispiel Rizatriptan sublingual ausprobieren, 5–10 mg. Das wirkt unserer Erfahrung nach sehr gut und ist unser Firstline-Triptan auch für zu Hause. Dabei hat es sich etabliert, da Rizatriptan sublingual sehr schnell anflutet, aber dann nicht ganz so lange anhält, dass man zeitgleich mit dem Rizatriptan eine Tablette Naproxen gibt. Es ist ja eine Schwester vom Ibuprofen, aber doch für manche, weil sie einfach naiv darauf sind, dann potenter und hat eine sehr lange Halbwertszeit. So ist die Kombination aus Rizatriptan und Naproxen besonders gut wirksam bei vielen Kindern und Jugendlichen. Wenn ich in der Notaufnahme ganz der Profi sein will, dann könnte ich auch Sumatriptan subkutan geben, 6 mg. Da gibt’s ja jetzt eine relativ neue Formulierung, ein nadelfreier Pen, der auch verschreibbar ist. Da kann man auch Kinder, Jugendliche und deren Eltern schulen, den zu Hause als Notfallmedikament anzuwenden [*siehe Ergänzung am Textende].

Axel Enninger: Okay, spannend habe ich noch nie gehört: Sumatriptan i. v. nadelfrei.

Michaela Bonfert: Subkutan.

Eine Episode überstehen lernen und aktiv bleiben
Axel Enninger: Entschuldigung, subkutan, nadelfrei. Sehr spannend. Das leitet auch wiederum über in das Thema Dauertherapie. Da hast du schon gesagt, die Triptane haben da einen hohen Stellenwert. Was ist denn eure Empfehlung? Erstens für die Bedarfsmedikation und zweitens, wann denkt ihr darüber nach, dass ihr bei einem Migränepatienten von der Bedarfsmedikation auf irgendeine Art der Dauertherapie umstellt?

Michaela Bonfert: Die Empfehlung für die Bedarfsmedikation ist eben Analgetikum, also Ibuprofen oder Triptan plus eventuell Naproxen dazu für die einzelne akute Migräneepisode, neben, natürlich immer für die akute Episode auch, Allgemeinmaßnahmen. Also das kennt man vielleicht selber, oder wenn man auch Freunde, Verwandte hat, die Migräne kennen, dann weiß man, dass diese Personen es bevorzugen, sich hinzulegen, sich auszuruhen, einfach einen Rückzug gerne nutzen würden, und diese Allgemeinmaßnahmen immer zu kombinieren mit der Medikation ist ganz wichtig. Den Kindern auch generell die Angst vor der Attacke zu nehmen, sie selbstwirksam auszustatten mit der Medikation, aber vielleicht auch mit Akupressur oder mit einer Atem- und Entspannungsübung oder einfach tatsächlich ihrem Lieblingshörbuch im dunklen Zimmer. Das hilft dann in der Regel so gut, dass die Kinder im besten Fall nach kurzer Zeit bis zu wenigen Stunden wieder voll fit sein sollten und den Nachmittag dann so nutzen können sollten, wie sie es eigentlich geplant hätten, und eben trotz der Migräneattacke, die vormittags oder mittags bestand, nicht auf ihr Hobby, ihre Freundinnen, ihre Party oder sonstige andere schöne Aktivitäten verzichten müssen. Das steht oben drüber.

Axel Enninger: Das heißt, da gilt das, was bei der Schmerztherapie häufig gilt: auf die Schmerzen reagieren, das tun, was man effektiv findet, dann aber weitermachen, also Aktivierungen, nicht unbedingt schonen. Wie du gesagt hast, nachmittags, wenn man sich danach fühlt, ruhig wieder raus, Sport machen und so etwas.

Michaela Bonfert: Wir wünschen uns für jedes Kind und Jugendlichen die Akutmedikation zu finden, die dazu führt, dass es nach einer kurzen Zeit bis zu wenigen Stunden wieder voll aktiv sein kann, und dann soll es auch alles wieder machen. Dann muss es sich nicht weiter einschränken.

Axel Enninger: Okay, tatsächlich ist wahrscheinlich auch Elternedukation ein Teil dabei nach dem Motto: ‚Du warst heute Morgen so schlimm krank, bleib doch lieber nochmal auf dem Sofa!‘, oder?

Michaela Bonfert: Auf jeden Fall.

Axel Enninger: Wollen wir nicht hören, oder?

Michaela Bonfert: Unsere Arbeit ist ganz viel Psychoedukation, für die ganze Familie in der Regel.

Individueller Weg zu möglichst seltenen Attacken
Axel Enninger: Okay. Beim Thema Psychoedukation ist ja vielleicht auch noch so ein Thema: „Was könntet ihr denn empfehlen zum Thema Senkung der Migränefrequenz“? Gibt’s da Dinge, die man tun kann oder die ihr empfehlen würdet?

Michaela Bonfert: Um die Migränefrequenz generell zu senken, ist es ganz gut, die Kinder, die Jugendlichen und die Eltern über Faktoren aufzuklären, die eher Migräneattacken auslösen können, und da wirklich mit jedem Patienten einzeln herauszuarbeiten, welcher Faktor eventuell eine Rolle spielen kann. Es sind überhaupt nicht alle über einen Kamm zu scheren, und das ist bei jedem Kind sehr individuell. Wichtig ist regelmäßiges Essen, tatsächlich ein ganz großes Thema, insbesondere ein Frühstück einzunehmen, bevor man sich dem langen, harten Schulalltag stellt, der ja Höchstleistung erfordert, in jeglicher Hinsicht, nicht nur im Lernen, sondern auch sozial. Dann ausreichend zu trinken, das ist auch ein großes Thema für viele Kinder und Jugendliche. Der nächste Punkt, den wir häufig diskutieren, ist Schlaf, wobei es gar nicht so sehr darauf ankommt, dass ein Kind jetzt immer 8 Stunden schläft oder immer 10 Stunden schläft. Das kann man so nicht über alle Kinder hinweg sagen. Aber wichtig ist, einen regelmäßigen Schlafrhythmus einzuhalten und nicht die eine Nacht bis 3 Uhr zu lernen, wie es Jugendliche manchmal gerne machen, am nächsten Abend um 9 ins Bett zu gehen und dann wieder andersherum. Das wissen wir, dass das eher Migräne fördert. Das heißt, am Schlaf zu arbeiten. Viele Jugendliche haben auch Einschlafschwierigkeiten, gar nicht so ungravierende. Das heißt, da gilt es auch, einfach an der Schlafsituation, den Einschlafritualen, auch im Jugendalter noch mal zu arbeiten, was dann aber wiederum als sehr hilfreich empfunden wird. Und ein ganz, ganz wichtiger Faktor ist Sport. Körperliche Aktivität, Bewegung, sei es nur morgens zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule zu gehen und nicht mit dem Auto gefahren zu werden, da fängt es schon an. Aber dann auch wirklich diese berühmten 2–3x pro Woche mindestens eine halbe Stunde auch Cardiosport zu machen, in welcher Art auch immer Kinder das tun. Aber das ist ein ganz wichtiger Faktor.

Keine primären Einschränkungen bei Nahrungsmitteln
Axel Enninger: Der Kinder-Gastroenterologe möchte noch etwas zum Thema Ernährung hören, weil ich natürlich immer wieder konfrontiert werde mit Ausschlussdiät A, B, C: ‚Mein Kind darf dies nicht essen, darf jenes nicht essen, weil es Migräne hat.‘ Du hast gesagt, regelmäßig Essen ist wichtig, regelmäßig Trinken ist wichtig. Wir reden sicher über eine ausgewogene Mischkost mit Gemüse und Obst. Sonst irgendwelche Einschränkungen, für die es Evidenz gibt?

Michaela Bonfert: Keine primären.

Axel Enninger: Okay, aber du sagst, wenn einer sagen kann: ‚Ich kriege immer nach‘… was weiß ich… ‚Knoblauch eine Migräneattacke!‘, dann lässt man natürlich Knoblauch.

Michaela Bonfert: Das wäre dann wahrscheinlich sinnvoll, außer, man mag ihn so unfassbar gerne, dass man dann die Migräneattacke lieber in Kauf nimmt, als auf den Knoblauch zu verzichten, ein paarmal pro Woche oder pro Monat. Und genau, um solche Trigger dann doch nochmal individuell rauszufinden, bewährt es sich, für eine gewisse Zeit einen Kalender zu führen, wo solche Besonderheiten auch aufgeschrieben werden und man dann ein bisschen rückverfolgen kann. Das Kind hat immer davor das gegessen oder immer davor das gemacht oder das nicht gemacht, und das war mal ein ganz anderes Wochenende als sonst. Dann kam die Migräne. Das hilft dann sehr, um so etwas aufzudecken. Aber es ist sehr selten im Kindes- und Jugendalter, dass es eine reine Nahrungsmittelabhängigkeit gibt.

Axel Enninger: Genau. Unser hohes Kausalitätsbedürfnis ist verständlich, aber viele dieser Tagebücher… da muss man dann auch sagen, okay, es ist einfach Schicksal. Es kommt, wie es kommt. Gerade bei vielen chronischen Erkrankungen ist ja der Wunsch immer danach: ‚Gibt’s nicht noch was anderes?‘ Also Stichwort „Komplementärmedizin“. Gibt’s denn da Dinge, wo du auch als universitäre Oberärztin sagen würdest: ‚Ja, da ist was dran, das kann man versuchen‘, oder ‚Nein, da lasst besser mal die Finger davon!‘?

Multimodale Therapie, nicht-medikamentös und medikamentös
Michaela Bonfert: Generell ist es so, dass wir im Kindes- und Jugendalter immer den nicht-medikamentösen Maßnahmen einen Vorzug geben wollen, weil wir eben auch wissen, dass die medikamentösen Maßnahmen, die es für die Prophylaxe der Migräne, also das Runterdrücken der Migränefrequenz, sehr wenig Evidenz gibt und auch kein gutes Nutzen-Risikoprofil. Das heißt, wir verstehen dieses Ansinnen der Familien und der PatientInnen, auf der Suche zu sein nach Ansätzen, die nicht-medikamentös sind, und unterstützen die auch, und sie sind sogar eine ganz, ganz wichtige Säule in der multimodalen Therapie, um eben die Migränefrequenz möglichst gering zu halten und damit unser oberstes Ziel, nämlich Teilhabefähigkeit und Lebensqualität, möglichst hochzuhalten. Wir legen einen Fokus ganz extrem auf physiotherapeutische Ansätze, weil wir wissen, dass viele Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene mit Migräne Nackenschmerzen haben und auch auffällige Befunde in der Untersuchung der kurzen Nackenmuskeln und des Trapezmuskels, sodass wir wissen, auch aus eigener langjähriger Erfahrung, wenn wir hier therapeutisch ansetzen, durch Eigenübungen, die die Kinder angeleitet von uns bekommen, zu Hause regelmäßig machen sollen, durch Physiotherapie ambulant oder bei uns im Zentrum oder auch durch apparative Behandlungsmaßnahmen in diesem Bereich, sehr positive Effekte erzielen können. Weil natürlich auch dieser Nackenmuskulatur-Apparat, den die Kinder selber immer spüren – und gerade viele sagen ja schon: ‚Ich bin da immer verspannt‘, oder; ‚Es tut mir immer weh‘, und ‚Die Massage tut auch so gut‘, wie die Kinder das dann benennen – ein Zugang ist, der sehr gut funktioniert und sehr gut verstanden wird und nicht ganz so abstrakt ist wie dieses Gehirn, was da im Schädel drin sitzt, was ich gar nicht sehen kann und gar nicht irgendwie anfassen kann und nicht direkt irgendwie beeinflussen kann.

Axel Enninger: Bringt aber auch wieder den Umkehrschluss für dein Plädoyer für den Sport.

Michaela Bonfert: Auf jeden Fall, für Sport ist das ein ganz wichtiger Punkt, und so arbeiten unsere PhysiotherapeutInnen auch, dass sie nicht nur Schulter/Nacken-bezogen arbeiten, sondern Gesamt-Haltungsapparat-bezogen arbeiten, viel Alltagsberatung auch machen. Wenn ich immer auf mein Handy gucke und sozusagen in mich zusammengesunken sitze, dann ist es nicht gut. Ich muss mich zwischendurch aktivieren und anders fokussieren, den Blick in die Ferne richten, und ich muss mich eben auch bewegen. Das sind ganz zentrale Bestandteile in der Beratung durch die PhysiotherapeutInnen.
Axel Enninger: Wenn das alles nicht reicht und ihr über eine medikamentöse Dauertherapie nachdenkt, dann ist mir so im Kopf „Betablocker“. Spielt das noch eine Rolle, oder eigentlich nicht?

Chronische Migräne
Michaela Bonfert: Wenn wir in diese Situation kommen, dass wir über ein Medikament nachdenken, was ja immer dann der Fall ist, wenn sich eine Chronifizierung bezogen auf die Migräne abzeichnet, die ja dadurch definiert ist, dass ich extrem viele Kopfschmerztage über einen relativ langen Zeitraum entwickelt habe, dann würden wir immer mit dem Betablocker anfangen, außer es liegt irgendeine Kontraindikation gegen den Betablocker vor.

Axel Enninger: Und gibt es feste Zahlen? Du hast gerade gesagt: Schulfehltage, so und so viele. Gibt es da eine Hausnummer?

Michaela Bonfert: Nach den Diagnosekriterien ist die chronische Migräne definiert, wenn ich über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten oder länger mehr als 15 Kopfschmerztage pro Monat habe, also in drei Monaten 45 oder mehr Kopfschmerztage.

Axel Enninger: Okay, das ist aber eine knackig hohe Zahl.

Michaela Bonfert: Genau, das Wichtige ist aber, und das ist mir tatsächlich auch eine Keymessage, dass ich dann von chronischer Migräne spreche, auch wenn nur acht von diesen mehr als 15 Tagen pro Monat migräneartig sind, weil unser Gehirn dann irgendwann gar nicht mehr unterscheiden kann. Dann ist es eine Mischung aus Spannungskopfschmerzen, Dauerkopfschmerz, migräneartigen Kopfschmerzen, und da müssen natürlich – wie du auch schon sagst – alle Alarmglocken läuten. Wenn sich so etwas abzeichnet, dann muss ich Vollgas multimodal reingehen, und wenn ich eben nicht gute Effekte erziele durch die nicht-pharmakologischen intensiven Maßnahmen, dann auch den Betablocker in Erwägung ziehen, wobei er auch nicht des Rätsels letzter Schluss ist, weil er nicht immer wirkt. Aber wenn er wirkt, dann wirkt er oft gut.

Axel Enninger: Okay, bei solchen Schulfehltagen oder solchen Frequenzen würde man dann ja auch denken, da sind wahrscheinlich Kinder-Schmerzzentren ganz gut, um den Kindern wahrscheinlich auch den Umgang beizubringen. Da könnte ich mir vorstellen, dass sie profitieren. Habt ihr Spezialisten noch andere Dinge in eurer Trickkiste, wenn es nicht der Betablocker ist?

Michaela Bonfert: Es gibt nach wie vor die Möglichkeit, Topiramat oder Amitriptylin zu versuchen, in einzelnen individuellen Fällen. Ich sage extra „zu versuchen“, weil es ja nicht mehr – jetzt nach dem GBA-Beschluss von 2019 – in dieser Indikation offiziell erstattungsfähig ist. Aber mit einer individuellen Kostenübernahme, mit ausführlicher Begründung, was nicht wenig Arbeit ist, aber in der Regel funktioniert, kann man auch diese Medikamente noch mal erproben.

Axel Enninger: Aber das ist tatsächlich etwas, das euch dann überlassen wird. Das ist nichts für den niedergelassenen Kinder- und Jugendarzt. Okay, vielen herzlichen Dank. Es gibt ein traditionelles Element in diesem Podcast, und das sind die Dos und die Don’ts. Ist egal, mit was du anfängst, außer dass ich rate, fang mit den Don‘ts an, denn man hört lieber mit positiven Nachrichten auf. Aber dennoch, trotz meiner Vorrede, du hat die freie Wahl.

Kopfschmerz ernst nehmen, Verlaufskontrollen, realistische Therapieziele, keine Therapie „für alle“, Diagnose mitteilen, „hit hard and early“, Spezialisten hinzu- und Nacken einbeziehen, Zeit nehmen
Michaela Bonfert: So würde ich es auch machen, also Don‘ts in Bezug auf Kopfschmerzen generell und insbesondere auch bei Migräneschmerzen: Es nicht ernst zu nehmen geht gar nicht, sondern wenn ein Kind über Kopfschmerzen klagt, dann ist es immer ein Signal, das ich ernst nehmen sollte als betreuende Kinderärztin und der Sache auf den Grund gehen muss. Ein weiteres Don’t ist: Bei Kindern, bei denen ich die Diagnose Migräne gestellt habe, sollte ich immer weitere Verlaufskontrollen vorsehen. Das heißt, ein Don‘t ist, keine Verlaufskontrollen vorzusehen, und damit nicht zu gucken, bestätigt sich meine Verdachtsdiagnose oder Diagnose Migräne auch über die Zeit, und vor allen Dingen kann ich dann nicht die Therapieziele überprüfen, wenn ich nicht das Kind wieder sehe. Ein weiteres Don‘t ist, auch in dieser multimodalen Therapie, zu anspruchsvolle Therapieziele zu formulieren, und ein weiteres Don‘t ist: Es gibt kein starres Behandlungsprogramm, das für alle gleich funktioniert. Die Dos sind ganz klar: sich trauen zu sagen, dieses Kind hat eine Migräne. Damit beende ich eine endlose Diagnostikschleife. Ein weiteres Do ist, die Analgetika ausreichend zu dosieren und sie frühzeitig zu geben, und mich auch zu trauen, die Triptane im Kindes- und Jugendalter als sehr potente Medikamente anzuwenden und sie den Kindern nicht vorzuenthalten. Ein weiteres Do ist, dann an den Spezialisten zu überweisen, wo ich in der Praxis eben nicht mehr weiterkomme, insbesondere, wenn sich eine solche chronifizierte Situation abzeichnet. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, sich Zeit nehmen für die Beratung. Es braucht viele Termine, mehrere Gespräche, um diese Lebensstilthemen, die wir besprochen haben, aber auch Themen wie Selbstwirksamkeit, Ressourcenmanagement, Leistungsdruckabbau in Ruhe zu besprechen, so dass sie auch ankommen und angenommen werden können. Und ein weiteres Do haben wir, glaube ich, auch ausführlich besprochen: den Nackenmuskelbereich immer mit einzubeziehen in die Untersuchung und eventuell dann auch therapeutisch.

Axel Enninger: Okay, vielen herzlichen Dank. Ich glaube, wir haben jetzt wirklich umfassend über dieses Thema gesprochen, obwohl wir wahrscheinlich auch noch eine weitere Stunde darüber reden könnten. Weil das Thema so umfassend ist, haben wir relativ viele Empfehlungen, Leitlinien in die Shownotes verlinkt, sodass man da auch problemlos nachlesen kann. Vielen herzlichen Dank für deinen Besuch und vielen Dank für das Gespräch. Und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank fürs Zuhören. Wir freuen uns wie immer über Rückmeldungen. Wir freuen uns über Lob, wir freuen uns über Likes auf den verschiedenen Plattformen, und wir freuen uns auch über Themenvorschläge und Vorschläge für Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner. Auf Wiederhören bis zum nächsten Mal. Bleiben Sie uns gewogen!

 

* Ergänzung zu Sumatriptan subkutan:
Nadelfreie Applikatoren sind in Deutschland nicht mehr verfügbar. Genutzt werden alternativ Sumatriptan-Fertigpens, die den eventuell besser bekannten Adrenalin-Pens sehr ähnlich sind. Die Injektion von Sumatriptan wird durch Drücken eines Knopfes ausgelöst und ist durch die Technik sehr schnell und schmerzfrei. Die Applikation erfolgt in der Regel in den Oberschenkel. Im Kindes- und Jugendalter ist die Anwendung off-label und erfordert daher eine entsprechende Aufklärung der Familien. Die Dosis des Pens beträgt 6 mg, vor Verschreibung/Applikation bitte die Dosierung für den individuellen Patient:in überprüfen. Die empfohlene Subkutan-Dosis für Kinder und Jugendliche beträgt 0,05 bis 0,2 mg/kg Körpergewicht pro Einzeldosis, die Maximaldosis beträgt 6 mg pro Einzeldosis.

Hilfreiche Informationen:
Übersichtsartikel:
Bonfert MV, Börner C, Gerstl L et al. (2020) Migräne im Kindes- und Jugendalter – Ausblick auf innovative Behandlungsansätze im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte. Bundesgesundheitsbl 63, 872–880. https://doi.org/10.1007/s00103-020-03169-w
Bonfert MV, Landgraf MN, Mathonia N et al. (2019) Primäre Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen – Update 2019. Pädiatrie up2date 14(01) 71–85. DOI: 10.1055/s-0043-115285. https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/s-0043-115285

Leitlinie:
AWMF (2022) Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. Registernummer 030-057. https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/030-057.

US-Empfehlungen Akuttherapie:
Oskoui M, Pringsheim T, Holler-Managan Y et al. (2019) Practice guideline update summary: Acute treatment of migraine in children and adolescents: Report of the Guideline Development, Dissemination, and Implementation Subcommittee of the American Academy of Neurology and the American Headache Society. Neurology 93(11) 487– 499. doi: 10.1212/WNL.0000000000008095. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31413171/

US-Empfehlungen Pharmakoprophylaxe:
Oskoui M, Pringsheim T, Billinghurst L et al. (2019) Practice guideline update summary: Pharmacologic treatment for pediatric migraine prevention: Report of the Guideline Development, Dissemination, and Implementation Subcommittee of the American Academy of Neurology and the American Headache Society. Neurology 93(11) 500–509. doi: 10.1212/WNL.0000000000008105. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31413170/

Klassifikationskriterien:
International Headache Society (IHS) Klassifikation. https://ichd-3.org/de/klassifikation/

Links:
Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. (DMKG): https://www.dmkg.de/startseite

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Verantwortlich für den Inhalt: Dr. Markus Rudolph

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

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