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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #45 - 10.05.2024

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Politik und Kinderernährung: Gesundheit, Zukunft-Chancen und Win-win

 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit:

Mein besonderer Gast heute ist der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft
Cem Özdemir.

 

 

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.Kardiologie in der pädiatrischen Praxis

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Unsere heutige Folge ist eine ganz besondere Folge, denn mein Gast ist erstmalig kein Arzt, sondern unser Minister für Ernährung und Landwirtschaft Cem Özdemir.

Cem Özdemir: Danke sehr! Ist mir eine große Ehre teilnehmen zu dürfen.

Axel Enninger: Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer mögen sich fragen, ob ich jetzt vielleicht den falschen Minister eingeladen habe. Aber wenn man genauer drüber nachdenkt, ist einem schnell klar, dass eines der zentralen Probleme der Kinder- und Jugendmedizin das Adipositas ist, und dass Adipositas und Ernährung etwas miteinander zu tun haben, ist natürlich auf der Hand liegend. Und deswegen ist es mir eine ganz besondere Freude, dass der zuständige Minister der Einladung zu unserem Podcast gefolgt ist und diese Einladungen angenommen hat. Beim Thema Adipositas und Ernährung gibt es ja zwei ganz besonders wichtige Themen. Erstes die Einschränkung der Werbung für ungesunde Kinderlebensmittel und zweitens die im Januar veröffentlichte neue Ernährungsstrategie der Bundesregierung. Wollen wir beim Thema Adipositas und Werbung für Kinderlebensmittel starten? Adipositas hat ja eine Vielzahl von Gründen. Wie kam es denn dazu, dass Sie entschieden haben, dass das Thema Werbung für Kinderlebensmittel eines der Themen ist, um die Sie sich kümmern wollen?

 

Werben für „zu viel Zucker, zu viel Salz, zu viel Fett“?

Cem Özdemir: Ja, wie Sie schon gesagt haben, es hat viele Ursachen. Dazu gehört Bewegungsmangel, der leider nicht besser wird, sondern eher schlimmer wird. Dazu gehört sicherlich auch das Thema Information. Dazu gehört das Thema „Was ist an unseren Schulen, in unseren Kitas?“ – was das Thema Verfügbarkeit von Essen angeht. Viele, viele Faktoren spielen eine Rolle, aber eben auch das Thema Werbung für Lebensmittel, die sich an Kinder richten und zu viel Zucker, zu viel Salz, zu viel Fett enthalten. Und da hat die Koalition sich Gott sei Dank in der Koalitionsvereinbarung darauf geeinigt, dass sie das Thema angehen möchte, und ich bin damit beschäftigt das umzusetzen. Sie merken daran, dass schon eine gewisse Zeit ins Land verstrichen ist, dass es nicht ganz einfach ist.

Axel Enninger: Genau. Das Thema ist ja gefühlte anderthalb Jahre oder so etwa mindestens schon raus. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet. Wenn man solch einen Gesetzentwurf schreibt, muss man ja irgendwann mal an die Öffentlichkeit geht, muss man sagen: ‚Das sind unsere Ideen!‘ Dann, ahne ich, gehen die Aufschreie los. Dann sagt die Nahrungsmittelindustrie: ‚Die Welt geht unter, wenn ich nicht für Haribo werben kann.‘, oder die Werbewirtschaft sagt: ‚Wir gehen zugrunde, weil wir kein Geld mehr verdienen.‘ Und umgekehrt sagen die Kinder- und Jugendärzte: ‚Das muss viel strenger werden!‘ Ist das immer so bei allen Gesetzentwürfen oder bei diesem jetzt ganz besonders?

Cem Özdemir: Sie haben es eigentlich ganz gut beschrieben, die Bandbreite an Reaktionen. Erst einmal ist es in der Demokratie normal, dass der Prozess so läuft. So ist es eigentlich auch vorgesehen. Deshalb gibt es ja eine Verbändeanhörung, eine Länderanhörung. Deshalb gibt es in der Koalition Frühabstimmung, und dann werden auch die Koalitionspartner einbezogen. Soweit alles normal. Jetzt muss man allerdings unterscheiden. Es gibt die Art von Rückmeldungen, die sind beispielsweise jetzt aus der Koalition, dass man schaut, passt das rechtlich? Dafür gibt es das Justizministerium. Das schaut, sind wir überhaupt zuständig als Bund? Ist es nicht eigentlich Länderzuständigkeit oder ist es eine europäische Zuständigkeit? Hat das zuständige Ministerium das rechtlich korrekt gemacht? Da geht es jetzt gar nicht so sehr um eine inhaltliche Bewertung, sondern um die juristische Bewertung. Andere Ministerien schauen drauf: Sind da vielleicht Interessen betroffen, auf die man Rücksicht nehmen muss? Muss man vielleicht hier und da einen Ausgleich formulieren? Alles fein. Die betroffenen Verbände schauen drauf. Ist da vielleicht eine Härte drin, die gar nicht unbedingt im Sinne des Gesetzes ist? Auch das ist völlig legitim, dass sie da ihre Interessen formulieren und das einbringen. Womit wir es hier allerdings zu tun haben, das ist eben etwas, das manche es gar nicht wollen, weil sie der Meinung sind, die Werbung hat gar keinen Einfluss. Es gibt ja welche, die sagen: ‚Wir werben zwar ganz viel, geben ein Schweinegeld dafür aus, aber die hat gar keine Wirkung.‘ Da fragt man sich ja: ‚Warum werbt ihr denn dann?‘

Axel Enninger: Ja, klar. Das habe ich auch gelesen, die Werbewirtschaft sagt: ‚Hat ja keinen Effekt.‘ Da denkt man sich: ‚Hey, Leute, warum macht ihr es denn dann eigentlich?‘

 

Gesundheit und Ernährung als Querschnittsaufgabe

Cem Özdemir: Oder ein anderes Argument, wenn ich das noch kurz sagen darf, ist das Schwarze-Peter-Spiel. Auch sehr beliebt. Bewegung ist doch viel wichtiger! Oder die Eltern informieren ist doch viel wichtiger! Dazu zwei Sachen: Erstens, ich kann laufen, und ich kann gleichzeitig Kaugummi kauen. Ich muss mich nicht entscheiden, tu ich heute Kaugummi kauen oder laufe ich heute? Also, ich schaff beides, und ich glaube, das kann man unserer Bevölkerung zumuten. Die ist nicht so dumm wie manche glauben, dass sie sei. Also insofern ist es nicht ein Entweder-oder, sondern ich brauche beides. Ich brauche mehr Bewegung oder sogar mehr als zwei Sachen. Ich muss die gesundheitliche Aufklärung verbessern. Das sollte eine Querschnittsaufgabe in der ganzen Gesellschaft sein, damit auch in der Schule, in den Lehrplänen. Aber es geht eben auch darum, dass eine Missinformation nicht stattfinden darf und dass bestimmte Produkte, insbesondere beispielsweise über Influencer, in den sozialen Medien dort beworben werden mit Falschinformationen. Viele sind halt überfordert damit. Und was da eben komplett übersehen wird, ist, ich will es mal so erklären: Wenn man den Stadtplan einer durchschnittlichen deutschen Stadt nimmt und sich mal anschaut, wo sind diejenigen, die schlechtere Bildungsabschlüsse haben? Wo sind diejenigen vielleicht auch häufiger mit Migrationshintergrund? Wo sind diejenigen, denen es sozial schlechter geht? Und dann lege ich eine zweite Karte drüber, nämlich diejenigen, die häufiger mit Adipositas, mit Übergewicht zu tun haben, mit ernährungsbedingten Krankheiten zu tun haben. Dann sehe ich eine gewisse Übereinstimmung. Das heißt, es hat auch eine sozialpolitische Komponente.

Axel Enninger: Genau. Bei uns Kinder- und Jugendärzten, ganz klar. In den Praxen sieht man ganz klar, genau in diesen Vierteln haben wir natürlich eine viel höhere Rate von Adipositas. Nun ist ja Diskussion erst einmal in Ordnung, so gehört es ja, das hat unsere Demokratie so vorgesehen. Was ich schon spannend finde, ist, es wird ja wahnsinnig emotional, und es wird ja zum Teil auch, sag ich mal, sehr unter der Gürtellinie argumentiert. Die sozialen Medien laufen heiß. Sie werden zum Teil, sag ich mal, fast beschimpft.

Cem Özdemir: Ja, es gab schon NS-Vergleiche und so.

Axel Enninger: Genau. Menschen, die Sie unterstützen – ich hatte mal auf @X einen positiven Kommentar geschrieben – auch ich wurde dann quasi ins Lächerliche gezogen. Da dachte ich: ‚Okay, das ist ja eine neue Art der Auseinandersetzung.‘ Wie gehen Sie damit um? Nervt Sie das oder perlt es irgendwie an Ihnen ab?

 

Gegen lebenslange Adipositas: Zukunfts-Chancen nicht vorenthalten

Cem Özdemir: Also, ein gewisses dickes Fell ist nicht von Schaden in dem Beruf, und meine Mitarbeiter sagen im Zweifelsfall immer: ‚Augen auf bei der Berufswahl!‘ Also, das muss man sportlich nehmen. Aber es ist in der Sache halt schade, weil man wertvolle Zeit verliert und eigentlich – ich will es mal so sagen: Es liegt eigentlich in unser aller Interesse. Es ist ein nationales Interesse. Ich formuliere das mal etwas pathetischer. Wir werden weniger, wir haben weniger Kinder. Wenn von den weniger Kindern ein zunehmender Teil – und Corona hat da sicherlich nicht geholfen, hat das nochmal verschärft – mit gesundheitlichen Problemen zu tun haben… Jetzt rechnen Sie das mal hoch, auf die Volkswirtschaft bezogen. Wir haben sowieso, wenn jetzt hier der Kollege Karl Lauterbach sitzen würde und eine Zukunftsprognose abgeben würde über die Kosten des Gesundheitswesens, da müssten wir alle die Tempotaschentücher auspacken angesichts der Perspektive, was es heißt: ernährungsbedingte Krankheiten auf die Lebensspanne, die ja länger wird. Also macht es ja unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten gar keinen Sinn. Aber vergessen wir das mal, was die Kosten angeht. Hier geht’s ja auch um Lebens-Chancen. Hier geht’s ja auch darum, dass wir den Menschen Zukunfts-Chancen vorenthalten. 80 % der Kinder, die Adipositas haben, behalten das ihr Leben lang. Das heißt, welche Zukunfts-Chancen denen da vorenthalten werden! Wenn man dann noch mal das Argument von vorhin von mir dazu zieht, dann ist es auch unter dem Aspekt Gerechtigkeit eine Sauerei, weil das bedeutet ja, ich habe Glück, ich habe ein Elternhaus, das kann mich informieren, das ist aufgeklärt, das liest Artikel in den Zeitungen über gesundheitliche Aufklärung und so weiter, kauft bewusst ein.

Axel Enninger: Zum Teil ganz krass. Ich sage immer, das ist zum Teil sehr extrem. Die einen sind extrem gut aufgeklärt, die haben Angst vor jedem Gramm Zucker.

Cem Özdemir: So ist es.

Axel Enninger: Und die anderen haben überhaupt keine Ahnung, wo überhaupt Zucker und Fett drin ist.

Cem Özdemir: Genau. Und über die anderen sagt man halt auf gut Deutsch – sagt natürlich niemand so, aber darauf läuft es hinaus – Pech gehabt! Pech gehabt! Und ich bin gelernter Erzieher und Sozialpädagoge. Der Satz „Pech gehabt!“, der geht bei uns nicht, der ist einfach inakzeptabel. Kein Kind hat „Pech gehabt“, weil das Elternhaus sich nicht auskennt, weil das Elternhaus die Sprache nicht spricht, weil das Elternhaus sich nicht gut auskennt, weil das Elternhaus das glaubt, was einem in der Werbung erzählt wird. Dafür kann das Kind nichts und darf dafür nicht die Quittung bezahlen. Das geht schlicht nicht. Und alle sollten sich daran beteiligen. Jetzt will ich aber auch etwas Positives sagen. Viele tun es ja auch. Schauen Sie, ich war jetzt bei der Grünen Woche, da habe ich immer so einen Messe-Rundgang, und dann war ich bei einem Großen im Lebensmitteleinzelhandel – tut jetzt nichts zur Sache, welcher. Aber meistens ist es ja so, wenn einer vorangeht, folgen die anderen mit einer gewissen Verzögerung. Und die haben mir gesagt: ‚Wissen Sie was, Herr Özdemir, Sie diskutieren noch in der Politik drüber. Wir haben das umgesetzt. Wir werden ab dem Zeitpunkt X, die an Kinder gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel aus dem Sortiment rausnehmen. Bei uns wird das nicht mehr passieren. Mit wenigen Ausnahmen – Weihnachten, Ostern und Schuljahresbeginn – machen wir das unterm Jahr nicht mehr.‘ Das heißt, es gehen auch welche schon voran. Oder nehmen Sie das Thema Rezepturen.

Axel Enninger: Wenn es umgesetzt wird. Ich erinnere mich lebhaft an einen Prospekt einer der großen Lebensmittelhändler. Da war genau ein einziges gesundes Lebensmittel, das war der Apfel und das Butterbrot, oben links abgebildet. Der Rest war lauter Unsinn.

 

Diskussion bewegt etwas, gesellschaftliche Mehrheiten ändern sich

Cem Özdemir: Ja, aber gerade, weil Sie das sagen, weil das damals eben solch einen öffentlichen Aufschrei und natürlich auch ein bisschen Häme ausgelöst hat, sorgt es auch für Diskussion. Das zeigt ja, dass wir Gott sei Dank, eben auch eine gewisse Verbrauchermacht haben, dass wir durch solche Formate wie Ihres – insofern will ich auch ein bisschen Hoffnung machen – da können wir eben auch etwas gestalten. Schauen Sie, dass ich jetzt noch nicht aufgegeben hab, sondern an dem Gesetzentwurf weiter arbeite, zeigt ja auch… Das kann ich ja nur machen, weil es auch einen gesellschaftlichen Rückhalt dafür gibt, es in allen Umfragen gesellschaftliche Mehrheiten gibt, die sagen: „Bleiben Sie dran! Lassen Sie sich da nicht irre machen von Leuten, die viel Geld haben, aber – ja – nicht verstanden haben, dass die Zeit sich geändert hat!“ Mich erinnert die eine oder andere Debatte an Debatten aus meiner Kindheit. Früher, wenn ich mit meinen Eltern in die Türkei gefahren bin – und zwar gar nicht, weil es meinen Eltern egal war, sondern sie wussten es einfach nicht – da hat man im Auto geraucht. Das war früher normal. Oder denken Sie an Dinge, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann: Sicherheitsgurt. Ich bin im Auto rumgeturnt. Heute völlig unvorstellbar, Gott sei Dank! Also, da ändert sich ja auch etwas in der Wahrnehmung, in der Gesellschaft. Ich bin mir ganz sicher, wir werden auf diese Debatte in einigen Jahren zurückblicken und schauen: ‚Wow, darüber haben wir ernsthaft gestritten, ob es in Ordnung ist, dass in Frühstückscerealien bis zu 50 % Zucker ist?‘ Das ist doch nicht normal! Das braucht kein Mensch! Dass es anders geht und man trotzdem gutes Geld verdienen kann. Ich bin Baden-Württemberger. Wir Baden-Württemberger finden es gut, wenn die Wirtschaft erfolgreich ist. Wir sind sehr mittelstandsbewusst. Ich will, dass unsere Wirtschaft gutes Geld verdient. Ich will, dass die sehr erfolgreich sind, aber ich will, dass sie ihren Erfolg verbinden mit großartigen Produkten. Das können sie, das machen sie ja auch überwiegend, und jetzt gibt es eben noch ein paar, da müssen wir jetzt noch Überzeugungsarbeit leisten, dass es eigentlich auch in ihrem Interesse dauerhaft ist.

 

Zwei Wege: Zuckersteuer drauf oder Mehrwertsteuer runter

Axel Enninger: Wissen wir aus anderen Ländern, ob so ein Werbeverbot tatsächlich effektiv ist? Bringt das was oder ist das, jetzt mal plakativ gesagt „Grünen-Verbotspolitik“? Und jetzt machen die Grünen… verbieten jetzt wieder irgendetwas, und eigentlich ist es gar nicht effektiv?

Cem Özdemir: Verbieten tun wir erscht mal gar nix. Man darf ja weiterhin werben. Es geht ja nur um die gezielte Werbung an Kinder unter 14 Jahren, und auch da dürfen sie weiterhin werben. Sie können ja die Rezeptur entsprechend anpassen. Auch dafür gibt es Beispiele aus anderen Ländern. Es gibt sogar Länder, die sind einen anderen Weg gegangen: die Zuckersteuer, Großbritannien.

Axel Enninger: Zuckersteuer in England zum Beispiel, genau.

Cem Özdemir: Und kriegen damit sogar noch Einnahmen für den Staat, die man dann auch wieder zum Beispiel in gesundheitliche Aufklärung investieren kann. Da habe ich gar nichts dagegen. Das ist halt nur nicht die Beschlusslage in der Koalition. Aber Sie hören ja aus meinen Bemerkungen heraus, auch das könnte ein Weg sein, wie man das Thema angeht. Ich glaube, es muss eine Mischung sein, eben aus einem rechtlichen Rahmen – da bin ich jetzt gerade dran, ich bleib da auch dran – dann geht es sicherlich auch darum, dass man im Gespräch mit der Wirtschaft Wege findet, wie sie selber auch ihre Rezepturen anpassen können. Und ich will das nochmal ausdrücklich sagen: Das machen ganz viele! Schauen Sie, ich bin zum Beispiel mit der Deutschen Bäcker-Innung sehr gut im Gespräch. Ich war ja auch mal „Botschafter des deutschen Brotes“. Das ist sehr beeindruckend, wenn sie erzählen, was sie schon alles selber gemacht haben. Also da passiert ja auch etwas. Und nochmal zurück zu Ihrer Ausgangsfrage: Ich führe ja die Gespräche, und es ist auch nicht jedes Argument von der Hand zu weisen. Wir sind ja auch nicht beratungsresistent. Zum Beispiel der Sport hat uns gesagt: ‚Mensch, du bist doch ein Sportsfreund. Du machst selber Sport, du bist Fußballfan, Handballfan etc. und jetzt müssen wir gucken, dass das Gesetz nicht an einer Stelle Schaden anrichtet, wo es gar nicht unsere Absicht ist: beim Sponsoring beispielsweise. Also passen wir das jetzt an, logischerweise. So ist es, glaube ich, ein ständiger, guter Austausch, und am Ende kommt hoffentlich ein gutes Gesetz, das nicht jedes Problem lösen wird, aber hilft, noch mal voranzugehen. Und so läuft es in der Politik.

Axel Enninger: Dann machen wir jetzt die Abstimmungen, irgendwann fertig werden, und dass das Gesetz dann tatsächlich irgendwann mal verabschiedet wird.

Cem Özdemir: Und dass „irgendwann“ nicht so fern liegt, sondern gerne bald sein darf!

Axel Enninger: Sie hatten vorhin das Stichwort „Zuckersteuer“ erwähnt. Man könnte ja auch den anderen Ansatz wählen und damit vielleicht gleich auch zu unserem zweiten Thema überleiten. Man könnte auch sagen, ich kann mir überlegen, ob ich nicht die Steuer auf Äpfel, Birnen, Bananen, sonst wie Dinge, die ich gerne propagiert hätte und sagen: Mach ich die doch mehrwertsteuerfrei. Wäre das auch noch ein Weg?

Cem Özdemir: Hab ich ja vorgeschlagen, ziemlich zu Beginn meiner Amtszeit als Minister, und freue mich jetzt, das dauert manchmal, aber, dass die Idee jetzt auch immer mehr Freunde findet. Vor Kurzem hat die „Zukunftskommission Landwirtschaft“, die ja noch die alte Regierung von Frau Merkel eingesetzt hatte, wo quasi das gesamte Who-is-Who drin sitzt von allen, die mit Landwirtschaft und Ernährung zu tun haben in ganz Deutschland, also vom deutschen Bauernverband über die wichtigste Konkurrenzorganisation „Land Schafft Verbindung“, von der Verbraucherzentrale bis zum Bio-Landbau. Die Wirtschaft sitzt drin, die Wissenschaft sitzt drin, also wirklich alle. Und die haben jetzt gesagt, das ist ihr Vorschlag: Auf der einen Seite zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer schrittweise beim Fleisch, damit man Einnahmen generiert, um die Tierhaltung umzubauen, damit die Bauern Geld bekommen, wenn sie weniger Tieren mehr Platz geben – auch ein sehr vernünftiger Vorschlag. Und auf der anderen Seite eben für Obst und Gemüse, man könnte auch Hülsenfrüchte hinzufügen aus gesundheitlichen Gründen, den Mehrwertsteuersatz auf null setzen. Das hätte auch eine sozialpolitische Komponente. Ich finde das einen sehr schlauen Vorschlag.

Axel Enninger: Okay, da kommen wir gleich dazu, auch zu den Hülsenfrüchten nochmal. Irgendwie muss man gucken, dass man den Apfel im Kindergarten auch wieder sexy kriegt.

Cem Özdemir: „An apple a day keeps the doctor stay away.“

Axel Enninger: Genau, und es gab ja schon vor vielen Jahren diese EU-Initiative Förderung von Obst und Gemüse. Also Äpfel wurden gesponsert für Kitas, gerade in sozialen Brennpunkten.

Cem Özdemir: Da würde noch ein Wasser dazugehören, meines Erachtens. Dass man Wasserspender hat in der Schule. Das fördern wir auch vom Bund aus. Also erstmal sind natürlich die Länder zuständig und die Kommunen. Bei uns in Deutschland ist ja der Bund nicht zuständig für die Bildungspolitik, aber der Bund kann helfen. Wir versuchen das über die Ernährungsstrategie. Da gehört es auch mit hinein. Und ein ganz wesentlicher Hebel, wo der Bund etwas machen kann, das ist die Außer-Haus-Verpflegung. Das sind in Deutschland 16, 17 Millionen Menschen, allein 6 Millionen in Kitas und Schulen. Stellen Sie sich mal vor, wir würden den Hebel nutzen!

 

Ernährungsstrategie – und Superfood aus Deutschland

Axel Enninger: Genau, da gibt es ja sicher noch Luft nach oben, aber das ist vielleicht ein guter Link zu der neuen Ernährungsstrategie. Also ich fasse es mal zusammen: mehr pflanzenbasierte Ernährung, Hülsenfrüchte als gute Eiweißquelle.

Cem Özdemir: Und übrigens auch als gute Einnahmequelle für unsere Landwirte. Ich bin ja nicht nur Ernährungs-, sondern auch Landwirtschaftsminister und freue mich natürlich immer, wenn Wertschöpfung, gerne im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, in der Region bleibt und Landwirte ihre Produkte an Schulen, an Kitas, in der Kantine der Fabrik, den Krankenhäusern in den Senioreneinrichtungen loswerden und darüber, wenn Win-win entsteht. Landwirte haben Wertschöpfung, haben Einnahmen und auf der anderen Seite ist es ein Beitrag zu Gesundheitsförderung; ist doch klasse!

Axel Enninger: Das ist ja auch das Besondere an der Ernährungsstrategie, wie ich finde. Und das ist auch das, was viele Leute vielleicht nicht so ganz im Fokus haben. Wir kommen ja so ein bisschen weg von der individuellen Sichtweise „Was ist gut für den Einzelnen?“ hin zu „Was ist gut für die Landwirtschaft, für unseren Planeten?“ Stichwort Lancet-Studie, EAT-Lancet 2019. Wie müssen wir unsere Welt ernähren? Und da gibt es eine ganze Reihe von guten Vorschlägen, die auch zum Teil, glaube ich, in Ihren Vorschlag übernommen wurde. Aber der Weg ist weit, oder? Wir haben da… das ist ein dickes Brett, das wir da bohren müssen. Nehmen wir da mal die Hülsenfrüchte. Wir essen, glaube ich, aktuell gerade zwei Kilo im Jahr, pro Person und Jahr, und ich glaube, wir müssten auf 26 kommen oder so ähnlich?

Cem Özdemir: Ja, alles beginnt mit dem ersten Schritt. Es ist wie mit den Neujahrsvorsätzen. Wenn Sie sich zu viele Neujahrsvorsätze machen, dann scheitern Sie dran, sind nachher enttäuscht und kriegen gar nichts hin, während, wenn Sie sagen: ‚Ich fange an, ich mache erste Schritte‘, das hilft ja schon, das ist ja schon mal… Darüber können Sie sich motivieren, haben ein Erfolgserlebnis, und dann kommt der zweite, der dritte, der vierte Schritt. So muss man sich das, glaube ich, vorstellen. Ich bin da gar nicht so pessimistisch. Einer meiner ersten Termine war auf dem Hof von Herrn Rukwied, das ist der Präsident des Deutschen Bauernverbands. Da habe ich mir angeschaut, was sie machen. Da ging es gerade um die Weizenernte. Trockenheit war ein ganz großes Thema, die Klimakrise, die man natürlich auch auf unseren Höfen merkt. Aber ganz spannend war eben auch, dass sie jetzt auch Hülsenfrüchte anbauen. Warum? Weil das eben auch eine Pflanze ist, die mit Klimastress besser klarkommt. Kichererbsen in dem Fall, und es ist eine weitere Einnahmequelle. Da schließt sich ein Kreis.

Axel Enninger: Genau, da wird ja immer mehr getan. Hülsenfrüchte – ist ja super hier in Schwaben, immerhin Linsen und Spätzle.

Cem Özdemir: Die Alb-Leisa!

Axel Enninger: Genau, die Alb-Leisa.

Cem Özdemir: Also schauen Sie, wenn ich auf der Schwäbischen Alb bin, kriege ich als Landwirtschaftsminister oft immer ein kleines Geschenk auf dem Hof, und da ist fast immer eine kleine Packung Alb-Leisa dabei, also die berühmten Linsen, die wieder zurückkommen.

Axel Enninger: Genau, wir müssen da vielleicht für die Nicht-Schwaben kurz erklären: Das ist eine alte Sorte, die seit ein paar Jahren hier wieder vor allem auf der Schwäbischen Alb angebaut wird und die mittlerweile hier extrem populär ist. Wer etwas auf sich hält, kauft für seine Linsen mit Spätzle, Klammer auf, schwäbisches Nationalgericht, Klammer zu, Alb-Leisa.

Cem Özdemir: Ja, und das führt ja auch zu einem gewissen Stolz. Neulich habe ich von einer Bäuerin Lupinen geschenkt bekommen. Ich wusste am Anfang nicht, was mache ich damit, bis ich dann gesehen hab, Mensch, das war mal ein Kaffee-Ersatz. Für jemanden wie ich, der leider manchmal zu wenig schläft und manchmal doch einen sehr vollen Terminkalender hat, von Termin zu Termin hetzt – und immer Kaffee ist jetzt auch nicht die beste Alternative – da trink ich gern einen Lupinenkaffee. Das schmeckt klasse und ist auch wiederum ein Produkt, das wiederentdeckt wird und auch das Sortiment erweitert und hoffentlich Wertschöpfung für unsere deutschen Landwirte schafft.

Axel Enninger: Auf der Schwäbischen Alb werden jetzt neuerdings auch Chia angebaut, groß vermarktet so ein bisschen als Superfood. Ich habe lange dagegen argumentiert, habe gesagt: ‚Leute, Chia aus Bolivien müssen wir echt nicht importieren, wenn wir Leinsamen auf der Schwäbischen Alb haben!‘

Cem Özdemir: So isch des. Wir haben doch Superfood aus Deutschland, da muss man gar nicht so weit weggehen.

Axel Enninger: Aber immerhin, Chia wird jetzt auch auf der Schwäbischen Alb angebaut. Aber kommen wir noch mal aus dem kinder- und jugendärztlichen Aspekt zum Thema Gemeinschaftsverpflegung, Stichwort „Ernährung in der Kita“. Vor, weiß nicht genau, einem halben bis dreiviertel Jahr hat Freiburg beschlossen, es gibt ausschließlich vegetarische Ernährung in den Freiburger Kitas und Schulen. Auch da ein Aufschrei nach dem Motto: „Ihr klaut unseren Kindern das Fleisch!“ Ich habe immer gesagt: ‚Hört mal, Leute, das ist, wenn man drei Hauptmahlzeiten am Tag nimmt, 21 Mahlzeiten in der Woche, sind es fünf Mahlzeiten und da kein Fleisch zu essen kann, kann nicht so ein Riesenfehler sein.‘ Aber erwarten Sie nicht auch mit Ihrer Ernährungsstrategie genau solche Widerstände?

 

Fleischreduktion, weniger Milchprodukte – wissenschaftlich fundiert

Cem Özdemir: Also, wir sagen ja nicht: kein Fleisch! Das darf natürlich die Kommune sagen. Es hat mich auch gar nicht anzugehen. Das entscheiden die Leute ja vor Ort. Wir sind ein föderatives Land. Der Bundeslandwirtschafts- und Ernährungsminister sagt den Leuten nicht: ‚esst das!‘ oder ‚esst das nicht!‘, sondern das entscheiden alle selber, dementsprechend auch Freiburg für sich. Aber unsere Empfehlungen fußen auf dem, was die Deutsche Gesellschaft für Ernährung sagt, und die schreiben das ja laufend fort, auf den wissenschaftlichen Stand. Der verändert sich auch mit der Zeit. Das ist Wissenschaft. Neue Erkenntnisse kommen dazu, internationale Studien werden einbezogen etc. Da ist die Empfehlung ja nicht „kein Fleisch“, sondern es ist „weniger Fleisch“ und beim Fleisch, dass man auch schaut, welches Fleisch. Das ist ja auch prinzipiell richtig. Ähnliches gilt genauso für Milchprodukte. Die Empfehlung ist nicht „keine“. Das ist mir sehr wichtig als Landwirtschaftsminister. Ich sage ausdrücklich, dass Tierhaltung im Regelfall zur Kreislaufwirtschaft dazugehört. Gerade wenn man Dünger möchte, sind wir eben auf die Produkte, die unsere Tiere hinterlassen, angewiesen für die Kreislaufwirtschaft. Auch da, wenn man ein bisschen zurückgeht, vielleicht auch mit den Großeltern mal spricht, wird man sich dran erinnern, wie das früher mal war. Da war Fleisch eben etwas, worauf man sich gefreut hat, wo man sich versammelt hat, am Tisch gemeinsam Fleisch gegessen hat. Wir haben es heute zum Teil damit zu tun, dass wir halt glauben, dass wir morgens, mittags, abends Fleisch essen müssen. Nochmal: Das darf jeder gerne so halten. Aber es hat natürlich gesundheitliche Konsequenzen. Das wissen wir, das ist wissenschaftlich belegt. Es hat planetare Konsequenzen, weil wir natürlich dementsprechend Fläche brauchen für Futtermittel. Das hat Konsequenzen für den Regenwald, weil die Futtermittel nicht alle von hier kommen. Sie kommen zum Teil aus Flächen, wo früher mal in Brasilien Regenwald war. Also macht es auch Sinn unter dem Aspekt Gesundheit und der planetaren Grenzen, die berühmte „planetare Diät“ zumindest im Kopf zu haben. Und auch da wäre meine Empfehlung, und das deckt sich ja mit dem, was die Wissenschaft macht, dass man sich mal anschaut, was sagt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Nur, um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich wünschte, wir würden das ein bisschen losgelöst von Parteipolitik machen, von Ideologie machen, einfach wieder sachlicher diskutieren. Nehme Sie den Freistaat Bayern. Der Freistaat Bayern setzt die DGE vorbildlich um. Ganz toll! Die machen das in ihren Schulen, aber wenn Sie den Ministerpräsidenten hören, der erzählt das Gegenteil! Das heißt, wenn ich das, was Bayern macht, lobe und sage, dann geht er auf Distanz dazu. Warum? Ist doch völlig irrsinnig! Er könnte doch sagen: ‚Ja, das ist doch super, des mach mer.‘ Und dann gibt’s genug Themen, wo wir uns streiten können, aber man muss sich nicht künstlich um Themen streiten, wo es eigentlich gar keine Rechtfertigung dafür gibt. Also, ich sage doch nicht, dass der Herr Söder kein Fleisch essen soll, und umgekehrt braucht sich doch Herr Söder nicht zu echauffieren, wenn Leute sagen: ‚Ich will weniger Fleisch essen!‘

Axel Enninger: Ich habe auch den Eindruck, dass viele Verbraucher tatsächlich von sich aus schon deutlich vernünftiger sind. Also, wenn ich mir unsere jungen Assistenzärztinnen und Assistenzärzte bei uns im Krankenhaus angucke, zum Beispiel: Viele bringen ihre Mittagessen mit. Das ist irgendwie wieder ganz modern. Sie bereiten sich abends ihre Mahlzeiten zu, das ist fast immer pflanzenbasiert, und sie essen das bei uns mittags im Krankenhaus, was wunderbar ist. Noch besser, und ich glaube, der nächste Schritt muss halt sein, dass wir im Krankenhaus ein so gutes Angebot machen, dass eben auch die junge ernährungs- und gesundheitsbewusste Generation da mit einsteigt.

 

Saisonal, regional, stärker pflanzenbetont, mit höherem Bioanteil

Cem Özdemir: Und zwar gerne auch für die Patienten. Ich meine, es entbehrt ja nicht einer gewissen Ironie. Ich gehe ins Krankenhaus, um gesund zu werden, werd von tollen Ärztinnen, Ärzten, Krankenschwestern und so weiter versorgt. Aber am Essen wird gespart. Das geht nicht! Und das gilt in noch verschärftem Maße für das Wertvollste, das wir haben: unsere Kinder. Es ist einfach unerträglich, dass wir da nicht dafür sorgen, dass sie das bestmögliche Essen bekommen. Das heißt eben saisonal, regional, stärker pflanzenbetont, mit höherem Bioanteil.

 

Das Preisargument

Axel Enninger: Und pflanzenbetont ist ja häufig tatsächlich auch günstiger am Ende. Auch da, das Preisargument ist ja…

Cem Özdemir: Man kann das in Dänemark sehen, die das ja machen, und da sind die Preise nicht sehr hochgegangen. Und dann, wenn man nachfragt – wir fragen ja nach, ich red ja mit meinem dänischen Kollegen immer – dann sagen die: ‚Ja, das haben wir zum Beispiel dadurch gemacht, dass wir weniger Fleisch haben. Nicht gar kein Fleisch, aber weniger Fleisch. Dadurch sparen wir Geld.‘ Man spart übrigens auch Geld, wenn man nicht glaubt, dass man Erdbeeren im Winter essen muss. Auch das spart Geld.

Axel Enninger: Sehr gut, und wenn wir Geld sparen, vielleicht auch das noch einmal als positives Beispiel: Einer meiner Söhne arbeitet bei einem der großen Discounter. Auch die haben es ja zum Teil verstanden, dass sie eben sagen: ‚Also ab dem Jahr XYZ gibt es bei uns Schweinefleisch nur noch Haltungsformen 3 und 4. Sozusagen dieses in Anführungszeichen „Billigfleisch“ wollen wir nicht mehr.‘ Das ist ja auch gut, wenn die es erkannt haben und es dadurch möglicherweise auch mehr in die Masse getragen wird. Insofern finde ich, es gibt ja durchaus positive Ansätze, wo es eben eigentlich ohne großes Verbot gegangen ist.

Cem Özdemir: Ja, das ist ein Beispiel dafür, was ich immer sage. Viele sagen ja: ‚Mensch, warum kümmerst du dich um die zukunftsfähige Tierhaltung mit dem Tierhaltungskennzeichnungsgesetz?‘ Dass eben höhere Haltungsformen unterstützt und gefördert werden, damit die Bauern begleitet werden, wenn sie ihre Ställe umbauen. Schulden, sicher, viele müssen Darlehen aufnehmen über eine Laufzeit von 10, manchmal bis zu 20 Jahren. Kostet sehr, sehr viel Geld, und das überlegt man sich gut, ob man da auf die Bank geht und Schulden macht. Und wir wollen ihnen eben dabei helfen. Und was ich immer sage, ist: ‚Glaubt nicht, dass, wenn wir es nicht machen, dass es dann nicht passiert.‘ Und Ihr Beispiel zeigt, der Handel macht Druck. Warum macht der Druck? Die machen das ja nicht, weil sie jetzt alle, was weiß ich, karitative Unternehmen geworden sind.

Axel Enninger: Gute Menschen sein wollen.

Cem Özdemir: Die machen das, weil der Verbraucher und die Verbraucherin sich in die Richtung entwickeln und die Nachfrage in die Richtung geht. Wir prüfen das jedes Jahr ab, und die Ergebnisse sind einfach über Jahre hinweg, auch bevor Cem Özdemir Agrarminister wurde und – ich wage mal die steile These – auch nachdem Cem Özdemir nicht mehr Landwirtschaftsminister ist: Der Fleischkonsum geht Schritt für Schritt zurück. Das Verbraucherverhalten verändert sich, und wir müssen jetzt schauen, dass wir die Tierbestände und den Fleischkonsum miteinander in Übereinstimmung bringen. Und das ist das, was wir versuchen in der Politik. Ich sage allen: ‚Wenn ihr mir nicht glaubt, schaut euch die Anzeigen an vom Lebensmitteleinzelhandel.‘ Die sind strikt, die sagen: ‚Das müsst ihr machen. Wenn ihr das nicht macht, werdet ihr ausgelistet.‘ Ich dagegen sage: ‚Ich will das mit euch zusammen, ich will euch dabei helfen, ich will euch dabei begleiten, ich will euch dabei nicht alleine lassen.‘ Und ich will übrigens auch nicht die Verbraucherinnen und Verbraucher, uns alle nicht aus der Verantwortung entlassen. Da muss man auch mal ein ernsthaftes Wort reden. Wir sind Weltmeister, wenn es drum geht, bei allen Umfragen: Wir sind für Tierwohl, wir sind für faire Produkte, wir sind für Klimaschutz, wir sind für Artenvielfalt, und wenn man dann anschließend guckt, was ist im Einkaufswagen und im Einkaufskorb, dann stimmt es nicht ganz überein mit dem, was man gesagt hat am Anfang. Da, glaube ich, können wir selber auch… Natürlich gibt es welche, die müssen jeden Cent umdrehen, aber das trifft ja nicht alle. Also, wenn wir auch ein bisschen bei unserem Einkaufsverhalten darauf achten, dass wir es honorieren, wenn eben Fleisch aus artgerechter Tierhaltung kommt, dass wir es honorieren, wenn Produkte so angebaut werden, dass sie die Natur entsprechend achten, die Artenvielfalt, dann haben wir darüber auch einen Einfluss darauf, wohin die Landwirtschaft sich entwickelt und – kleiner Werbeblock – gerne auch Produkte aus Deutschland. Die Tierhaltung ist anderswo garantiert nicht artgerechter.

Axel Enninger: Sehr gut, es gibt ein traditionelles Abschlusselement in unserem Podcast. Da weiß ich jetzt gar nicht, ob das so richtig gut passt, aber wir können es ja mal versuchen. Dieses Abschlusselement heißt Dos & Don’ts. Da darf üblicherweise mein medizinischer Gesprächspartner seinen Kollegen sagen: ‚Bitte hört auf, das und das zu machen!‘, oder: ‚Bitte macht unbedingt das!‘ Haben Sie schlagwortartig zwei Dos und zwei Dont’s zum Abschluss?

 

In Ruhe und gemeinsam essen, fragen: ‚Wie war dein Tag?‘

Cem Özdemir: Ich bin ja kein Mediziner, deshalb: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Aber, wenn es jetzt um Essen und Ernährung geht, würde ich sagen, ich würde mir manchmal wünschen, dass… Also ich spreche selber aus der Praxis, ich habe ja zwei Kinder, war oft in der Praxis, dass man das ruhig auch noch mal ein bisschen erklärt, weil das Wissen verlorengeht. Essen ist etwas, wo man sich Zeit nimmt. Essen ist etwas, wo man sich hinsetzt. Essen ist etwas, wo man das Mobiltelefon bitte weglegt. Essen ist etwas, wo man sich gegenseitig anschaut, gerne sich fragt: ‚Wie war dein Tag? Was hast du gemacht? Wie war es in der Schule? Worüber hast du dich geärgert?‘ Also das Gemeinschaftserlebnis. Und Essen darf auch gerne etwas sein, das man vielleicht gemeinsam erstellt, wo auch Jungs mit anpacken dürfen. Das müssen nicht nur die Frauen und die Mädchen im Haushalt machen. Und Essen ist auch etwas, wo man drauf achtet, dass man zu Ende isst und guckt, dass man nur so viel auf den Teller tut, wie man auch essen kann. Sie merken, Lebensmittelverschwendung ist mir auch ein wichtiges Anliegen. Die Technik des Kochens, es ist ja auch eine Kulturtechnik, geht verloren. Dass man eben nicht schnellschnell isst, sondern gemeinsam sich Zeit nimmt und wenigstens einmal alle sich versammeln, und das, finde ich, darf man gerne auch wieder ein bisschen vermitteln.

Axel Enninger: Super, vielen herzlichen Dank, vielen herzlichen Dank für das Gespräch und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank fürs Zuhören bei dieser ganz besonderen Folge, und wir freuen uns, wenn Sie beim nächsten Mal wieder zuhören. Und bleiben Sie uns gewogen!

 

 

 

 

Hilfreiche Informationen:

Willett W, Rockström J, Loken B et al. (2019) Food in the Anthropocene: the EAT–Lancet Commission on healthy diets from sustainable food systems. The Lancet 393(10170) 447–492.

 

Kölch M (2020) Soziokulturelle Risikofaktoren der kindlichen Entwicklung. In: Sozialpädiatrischer Nachmittag, Kongressbericht consilium live online, 22./23. Mai 2020. InfectoPharm Arzneimittel und Consilium GmbH. ISSN 1849-4799. S. 14–22. Erhältlich über die Lernplattform „Wissen wirkt.“ www.infectopharm.com.

 

 

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Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

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