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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #20 - 02.12.2022

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Kontrazeption bei Jugendlichen

 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit: FRAU PROFESSOR PATRICIA OPPELT

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Meine Gesprächspartnerin heute ist Frau Professor Oppelt. Sie ist stellvertretende Oberärztin der Uni-Frauenklinik in Erlangen. Sie hat den Forschungsschwerpunkt und auch klinischen Versorgungsschwerpunkt Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, und sie hat als Besonderheit auch noch eine eigene Praxis. Das heißt, sie hat ein Bein in der Uniklinik und ein anderes Bein in ihrer eigenen Praxis. Insofern ist sie die ideale Gesprächspartnerin, um heute mit uns über Empfängnisverhütung bei Jugendlichen zu sprechen. Herzlich willkommen, Frau Oppelt.

 

Patricia Oppelt: Hallo, ich freue mich, mit Ihnen, Herr Enninger, heute über Kontrazeption bei Jugendlichen zu sprechen.

 

Axel Enninger: Also, wir haben gesagt, Empfängnisverhütung ist aus unserer Sicht ein großes Thema, mit dem sich auch Kinder- und Jugendärzte beschäftigen und wie wir im Vorgespräch gedacht haben, vielleicht auch noch intensiver beschäftigen sollten. Denn wir sagen ja, wir sind Kinder- und Jugendmediziner, und da gehört es natürlich dazu. Thema „Sexualverhalten“, da ist es ja sehr unterschiedlich, wo man seine Informationen herholt. Ich bin eindeutig „Generation Bravo, Dr. Sommer“. Da gab es sonst nicht viele Informationen. Mittlerweile gibt es im Netz alles, was man wissen und manchmal vielleicht auch gar nicht wissen will. Stichwort „Sexualisierung“ unserer Generation. Ich erinnere mich an Zahlen, die zeigten, dass das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs immer weiter runtergeht. Ist denn dieser Trend immer noch so oder wie ist da momentan die Informationsquelle und wie ist das Verhalten der Jugendlichen?

 

Der Trend „immer jünger beim ersten Mal“ hat sich gewandelt

Patricia Oppelt: Tatsächlich hat sich das mit der Informationsquelle geändert und wir haben ganz gute Umfragen dazu, dass eben nicht mehr die Ärzte an erster Stelle sind, wenn es um Verhütung geht, sondern die sozialen Medien, in denen sich die Jugendlichen Informationen zur Verhütung holen. Aber der Trend, wiederum, zum Sexualverhalten ist eher rückläufig. Die Jugendlichen werden – und da muss man ja, denke ich auch, sagen – zum Glück nicht immer jünger. Ich hatte vor vielen Jahren tatsächlich gar nicht selten 13-jährige Mädchen bei mir sitzen zur Verhütungsberatung und dieser Trend geht zurück. Und das nicht nur gefühlt in meiner Praxis, sondern, es zeigen auch Daten. Es gibt vom RKI eine gute neue Auswertung aus der KIGGS-Welle, dass es rückläufig ist und dass ein Großteil der Jugendlichen teilweise mittlerweile 16, 17 und älter ist, bis sie den ersten Geschlechtsverkehr aufnehmen. Zu den Verhütungsmethoden ist es aber so, dass die sozialen Medien genutzt werden und nicht immer positiv genutzt werden, weil hier die Hormonphobie grassiert und wir deshalb eher eine rückläufige Nutzung der sicheren Verhütungsmethoden haben. Also das heißt, wir haben zum Glück nicht mehr immer frühere Aufnahme des Geschlechtsverkehrs, aber auch werden sichere Verhütungsmethoden nicht mehr so gut genommen, wie es noch vor vielen Jahren war. Immerhin nehmen mittlerweile nur 9 % der Jugendlichen beim ersten Geschlechtsverkehr gar keine Verhütungsmittel. Das Verhütungsmittel ist mittlerweile das Kondom, aber eben alleine nur das Kondom. Das hat sich verändert.

Soziale Medien – der „Dr. Sommer“ von heute

Axel Enninger: Das ist ja in der Tat spannend. Die große Sorge war ja, die Kinder mit 10, 11, 12 zeigen sich irgendwelche Videos, wo Sexualpraktiken vorgeführt werden. Die große Sorge war ja, das machen alle nach, alle wollen es nachmachen. Das Gegenteil ist der Fall. Das finde ich eine interessante Beobachtung. Umgekehrt wissen wir aus ganz vielen Bereichen – ich kann es als Kinder-Gastroenterologe sagen für das Thema Ernährung – dass sie ganz wesentlich beeinflusst werden durch Influencer, durch soziale Medien. Unsere Rolle als Ärzte ist da eher auf dem Rückzug. Insofern, glaube ich, gilt das nicht nur für das Thema Empfängnisverhütung, über das wir heute reden, sondern für ganz viele Themen. Aber starten wir einfach mal mit einem konstruierten Fall. Da kommt eine 15-Jährige zu Ihnen in die Praxis. Wir machen mal den Idealfall. Sie bringt ihren Partner mit. Das ist ein 16-jähriger Bursche und die beiden sitzen vor Ihnen und sagen: ‚Wir würden uns gerne beraten lassen zum Thema Empfängnisverhütung. Wir haben eine Weile darüber nachgedacht. Wir haben es bis jetzt nicht getan, aber wir würden gerne.‘ Wie beraten Sie dieses junge Paar oder die junge Frau?

Beteiligung bei der Wahl der Kontrazeption

Patricia Oppelt: Genau. Zum einen ist es natürlich wichtig, die Anamnese zu erheben. Außerhalb der gynäkologischen Anamnese geht es da vor allem um die Thromboseneigung bei den Jugendlichen, dann eben auch Thromboseneigung der Eltern, das ist wesentlich für die eigentliche Thromboseneigung. Dann natürlich fragen nach Rauchen. Das Gewicht sehen wir zwar, aber den BMI zu erheben. Dann kann man durch diese Anamnese schon aus allen vorhandenen Verhütungsmethoden die möglichen Verhütungsmethoden heraussuchen. Jetzt ist es extrem wichtig – und auch das hat sich in den letzten Jahren zunehmend geändert – die Patientinnen möchten mit einbezogen werden. Das ist, denke ich, nicht nur wichtig, sondern sollte selbstverständlich sein. Das war aber früher wahrscheinlich nicht immer so. Wir wissen aus unseren Umfragen, dass es einfach gewünscht ist und dass sie das Gefühl haben wollen, dass sie mitbestimmen und mit auswählen dürfen. Deshalb ist es natürlich auch wichtig, nicht nur die Anamnese an sich zu erheben, sondern auch mit dem Mädchen, aber auch dem Partner, die tatsächlich in letzter Zeit häufiger mitkommen, einfach zu besprechen: ‚Was hast du schon gehört, was stellst du dir vor, was möchtest du gern nehmen, was weißt du schon darüber? Was hast du vielleicht für Vor- oder Nachteile zu den einzelnen Verhütungsmethoden?‘ Ich nutze dann auch gerne Flyer, auf denen die Verhütungsmethoden aufgezeigt sind. Ich denke, wenn man die Verhütungsmethoden visualisiert, kann man sich noch besser etwas darunter vorstellen und man kann aufgrund der Anamnese diejenigen Verhütungsmethoden, die nicht möglich sind, schon einmal herausnehmen. Dann bespreche ich tatsächlich alle möglichen Verhütungsmethoden, die das Mädchen nehmen kann.

 

Axel Enninger: Würden Sie bei dieser Anamneseerhebung… Sie haben vorhin gesagt, Adipositas, Rauchen – und ich nehme jetzt mal eine Blutgerinnungsstörung oder Blutgerinnungsneigung in der Familie – würden Sie als Risikofaktor bezeichnen. Sind damit bestimmte Methoden primär raus oder nur in Modifikationen raus?

 

Patricia Oppelt: Nein, also wenn ein Thromboserisiko besteht oder die Patientin adipös ist oder mehr als 15 Zigaretten am Tag raucht, dann sind östrogenhaltige Präparate per se raus, weil wir dadurch das Thromboserisiko erhöhen und das eben nicht nur bei älteren Frauen, sondern auch schon bei den Jugendlichen.

 

Axel Enninger: Okay. Sagen wir jetzt mal, dieses Paar und diese junge Frau, die vor Ihnen sitzt, hat keine Risikofaktoren. Sie ist eigentlich relativ ergebnisoffen. Sie hat zwar hin oder her gegoogelt und hat ganz viel geguckt, aber eigentlich hat sie gesagt: ‚Nee, ich gehe da jetzt mal hin und lass mir mal sagen, was denn Frau Oppelt denkt.‘ Was denkt denn Frau Oppelt?

Nutzen und Zusatznutzen der Pille

Patricia Oppelt: Dann würde ich bei der gesunden, jungen 15-Jährigen ganz klar natürlich in die Wahl einer Kombinationspille gehen. Wir wissen, dass es nach wie vor a) eine sichere Verhütungsmethode ist, b) aber auch eine gute Zyklusstabilität hat und allem voran auch Zusatznutzen bietet. Zusatznutzen wie die, dass Blutungen schwächer werden, Blutungen werden weniger schmerzhaft und deshalb ist es nach wie vor Mittel der ersten Wahl, immer in Besprechung in Kombination mit einem Kondom, um eben auch vor STI zu schützen. Die Kombinationspillen unterscheiden sich in den Östrogenen. Wir haben zunehmend mehr Zusammensetzungen mit natürlichen Östrogenen, die sicherlich dann auch physiologischer wirken, und für die Jugendlichen haben wir auch gute Daten bezüglich Thromboserisiko. Sie unterscheiden sich innerhalb der Gestagene. Hier ist man angehalten, Gestagene zu nutzen mit dem niedrigsten Thromboserisiko. Das ist allen voran Levonorgestrel. Aber wir brauchen manchmal aufgrund der Zusatznutzen, Dysmenorrhoen, also Schmerzen zur Blutung, natürlich auch die anderen Gestagene. Deshalb sollte man es tatsächlich individuell für die Patientin, in dem Fall für die Jugendliche, aussuchen.

Am Anfang immer mit Kondom kombinieren

Axel Enninger: Jetzt haben Sie gesagt, Sie würden eine Pille empfehlen in Kombination mit dem Kondom, aber das würden Sie ja eigentlich nur tun bei einer Jugendlichen, die sagt, sie hat möglicherweise wechselnde Sexualpartner. Also unsere „konstruierte“ Jugendliche, der Fall, den ich mir überlegt habe, die jetzt mit ihrem Partner dasitzt, da würden Sie doch sagen, ein Kondom muss nicht zusätzlich sein, oder doch?

 

Patricia Oppelt: Na ja, am Anfang würden wir das immer beraten. A) wissen wir nicht, wie stabil und wie lange die Beziehung ist und b) wissen wir nicht, was in der Vorgeschichte ist. Wenn klar ist, dass sie wirklich beide das erste Mal zusammen Geschlechtsverkehr hätten und nicht nur eben zusammen, sondern, dass es für beide das erste Mal ist, dann könnte man sagen, gut, dann ist die Wahrscheinlichkeit STI zu haben, eher gering. Aber eigentlich gehört das Kondom immer mit dazu, auch wenn angegeben wird, dass es eine feste Partnerschaft ist. Wir wissen, dass es bei Jugendlichen nicht unbedingt eine lange und feste Partnerschaft sein muss und dass nicht auch ein Partner schon etwas mitbringen könnte. Deshalb würde ich das immer mit besprechen, aber ganz klar, und das ist ganz nett, man hat Patientinnen, die sind 3, 4, 5 Jahre mit ihren Partnern zusammen und nutzen immer noch Kondome. Da kann man dann vielleicht mal sagen: ‚Mensch, komm und jetzt lass das Kondom vielleicht mal weg, denn ihr schützt euch ja durch die Verhütungsmethoden.‘ Das ist auch manchmal interessant, dass es tatsächlich Mädchen gibt, die die Pille nutzen und auch konsequent einnehmen, aber sich trotzdem nicht so sicher fühlen und immer das Kondom zusätzlich nutzen, weil sie denken, sie bräuchten es für einen Verhütungsschutz.

 

 

Axel Enninger: Okay, aber das finde ich tatsächlich einen spannenden Punkt. Eigentlich liest man ja immer, dass die Pille bezüglich des Verhütungsschutzes so sicher ist, dass man keine zweite Methode braucht. Sie sagen primär Kondom wegen möglicherweise doch wechselnder Sexualpartner und zum Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen. Das heißt, Ihr Rat ist schon Pille plus Kondom. Und wenn man dann in eine, wie soll ich sagen, stabilere Phase der Beziehung eingetreten ist, dann zu überlegen, das Kondom wegzulassen. Finde ich interessant und es ist, glaube ich, für den einen oder anderen Jugendarzt auch ein neuer Aspekt.

 

Patricia Oppelt: Ja, das ist sicherlich wichtig. Zum anderen erhöht man die Verhütungssicherheit natürlich, wenn Kondome genutzt werden, wenn es dann doch zu Fehleinnahmen der Pille kommt, und das ist je jünger das Mädchen, umso wichtiger.

 

Axel Enninger: Ist denn nach Ihrer Erfahrung… Sie empfehlen es… Wie würden Sie es denn einschätzen, dass Menschen, die bei Ihnen in der Beratung waren, dass sie dann sagen: ‚Okay, das klingt alles plausibel, finde ich gut, machen wir jetzt!‘ Oder wie häufig ernten Sie Widerstand und man sagt: ‚Also hören Sie mal, dieser ganze Chemiekram da, das ist doch irgendwie nix für mich!‘

Mythen zur Pille zerstreuen

Patricia Oppelt: Diesen Widerstand gegenüber Hormonen haben wir in den letzten Jahren zunehmend, und das konnten wir auch mit unseren Umfragen nachweisen. Wir wissen mittlerweile, wir haben 2015 über 18.000 Frauen, darunter auch 3.000 Jugendliche, befragt und damals waren es bei den Jugendlichen noch 86 % mit Pilleneinnahme. 2019 haben wir eine Umfrage gestartet und nur noch knapp 40 % nahmen die Pille. Sie gehen eben nicht zu den anderen sicheren Verhütungsmethoden, sondern es geht tatsächlich zum Kondom. Deshalb sitzen die Frauen und Jugendlichen vor uns und es ist oft schon zu Beginn des Gesprächs, wenn Sie über Verhütung sprechen wollen, dass sie sagen, sie wollen eigentlich die Pille nicht mehr nehmen. Deshalb muss man natürlich a) sattelfest sein, um das Wissen der einzelnen Verhütungsmethoden, vor allem auch um das Wissen der einzelnen Pillenzusammensetzungen, um hier gerade die Bedenken zu adressieren, die Mythen, muss man ja fast sagen. Es geht um Stimmungsschwankungen, Libidoverlust, was immer wieder angeführt wird, oder auch, dass man nach Pilleneinnahmen nicht mehr schwanger wird. Dass man einfach in der Beratung den Jugendlichen gut klar machen kann, dass diese Bedenken eigentlich keine Bedenken sein sollten, weil es auch nie in Studien nachweisbar ist, dass diese Symptome auch wirklich kommen.

 

Axel Enninger: Können wir das vielleicht noch mal kurz aufdröseln? Was sind Bedenken, die Sie häufig hören und wo Sie dann sagen: ‚Also das ist eher ein Mythos!‘ Zählen Sie doch mal die drei, vier Topscorer der Bedenken auf.

 

Patricia Oppelt: Top sind Stimmungsschwankungen, sich nicht gut in seinem Körper zu fühlen, also dass sie das Gefühl haben, fremdgesteuert zu sein durch die Hormone und eben der Libidoverlust. Und ganz interessant, wenn man dann nachfragt, wie sich das denn wirklich bei ihnen äußert, gibt es Jugendliche oder junge Erwachsene, die sagen, sie selber hätten es gar nicht, aber sie haben’s gelesen, dass es das macht. Also da spielen die sozialen Medien so eine große Rolle und es sind diese Mythen, die über viele Jahre hochgehalten werden und wo wir, denke ich, nur durch eine gute Beratung dazu kommen können, dass wir das klar machen. Natürlich muss nicht jede Jugendliche die Pille einnehmen und auch nicht unbedingt die Kombinationspille. Wir haben mittlerweile viele gute andere Verhütungsmethoden. Gerade aber aufgrund des häufigen Zusatznutzens – wir dürfen auch unreine Haut nicht vergessen, die viele Mädchen haben und als störend empfinden – dass man den mit ausschöpfen kann, wenn es eh um eine Verhütung geht.

 

Axel Enninger: Und langfristig, also dass man sagt: ‚Na ja, ich habe da mal eine Phase in meinem Leben gehabt, wo ich 5, 6, 10, 20 Jahre lang die Pille eingenommen habe.‘ Muss ich mir da Sorgen machen bezüglich irgendwelcher langfristigen Geschichten, Osteoporose oder solche Dinge?

 

Patricia Oppelt: Vor Osteoporose gar nicht. Die Daten, die wir haben, sind sehr gut für die Östrogenhaltigen. Klar, man würde sowieso denken, da ist ja eh Östrogen mit drin, aber was wir nie vergessen dürfen, unter jeder systemischen Verhütung, das heißt also jede Art von Pille, in Kombi, aber in reinen Gestagenpillen auch, hat der Eierstock selbst eine gewisse Östrogenproduktion. Die Studien, die wir haben, zeigen, dass die Knochendichte gleich, fast gleich gut ist wie bei Mädchen, die nichts genommen haben. Aber der Endpunkt, und hier geht es ja um das Frakturrisiko, ist sehr gut, so dass wir hier keine Sorgen haben müssen. Auch bei jungen Mädchen, also mit 12, 13, 14, die dann tatsächlich Verhütung wünschen oder manchmal aus ganz anderen Gründen etwas nehmen müssen, machen wir aufgrund des Risikos für Knochendichte da nichts falsch, selbst bei den östrogenfreien Präparaten. Andere Langzeitrisiken, die wir ja auch immer wieder hören, dass die Fertilität gestört wird, das ist ganz und gar überhaupt kein Grund und ist nie bewiesen und gibt es eben auch nicht.

 

Axel Enninger: Jetzt haben Sie gesagt, in den letzten Jahren ist die Rate der Pilleneinnahme tatsächlich deutlich gesunken und Sie haben gesagt, Kondom ist dann Nummer 1. Aber es gibt ja noch mehr. Wie beraten Sie denn bei den anderen Methoden?

 

Patricia Oppelt: Genau. Also, ich versuche tatsächlich alle Methoden zu beraten. Zum einen versuche ich aber schon dieser Hormonphobie etwas entgegenzuwirken und klarzumachen, was wir wissen, was passieren kann, welche Nach- und Vorteile die Östrogene haben. Aber ich berate dann eben auch über die östrogenfreie Pille oder eben auch über intrauterine Verhütung, das heißt, das sind die Spiralen, die es einmal als Kupferspiralen, aber auch als Hormonspiralen gibt, die selbstverständlich auch für Jugendliche denkbar sind. Also hier waren vor vielen Jahren, vor 10, 15 Jahren die Gynäkologen immer sehr zurückhaltend bei Frauen, die noch nicht geboren hatten, Spiralen zu legen oder anzubieten, zu empfehlen. Auch das kann natürlich besprochen werden und man muss dann mit der Patientin zusammen besprechen, was sinnvoll ist und was gut ist. Häufig sind aber die Zusatznutzen, die benötigt werden, wie zum Beispiel Stimmungsschwankungen vor der Blutung, also eben nicht Stimmungsschwankungen durch die Hormone, sondern die, welche der eigene Zyklus mitbringt, manchmal ein Grund, doch eher in Richtung systemische Verhütung – also dann Pille, egal ob mit oder ohne Östrogen – zu beraten und nicht unbedingt intrauterin.

 

Axel Enninger: Okay. Spirale als eine Option. Welche Optionen bieten Sie noch an?

 

Patricia Oppelt: Genau. Dann gibt es die Pille in Form eines Rings. Der wird in die Scheide eingeführt, der Vaginalring. Hier denken ganz viele Jugendliche oder auch junge Erwachsene, die den nutzen, sie haben jetzt ein Schnäppchen damit geschlagen, weil er lokal wirkt. Gerade erst vor ein paar Tagen habe ich wieder eine Patientin gehabt, die gesagt hat: ‚Ja, der Ring da hat ja lokal gewirkt, das war ja eigentlich auch gut.‘ Das ist ganz klar nicht der Fall, sondern wir haben die gleiche systemische Wirkung wie mit der Pille, nur dass die Aufnahme eben nicht über die Darmschleimhaut passiert, sondern über die Vaginalschleimhaut. Aber die gleiche Wirkung und die gleichen Vor- und Nachteile wie bei Kombinationspillen. Wir haben auch ein Pflaster auf dem Markt, was aber leider etwas zu hoch dosiert ist, sodass es eigentlich eher sehr selten bis gar nicht genutzt wird und auch besprochen wird. Also wenn es um die Frage geht, vielleicht die Pille nicht regelmäßig einzunehmen, dann ist der Ring eigentlich eine optimale Alternative. Ansonsten haben wir noch als östrogenfreie Präparate neben den Pillen, die oral angewandt werden und der gestagenhaltigen Spirale das Hormonstäbchen, das in den Oberarm eingelegt wird. Und wir haben die Dreimonatsspritze, die leider häufig genutzt wird, wo wir aber wissen, dass sie mehr Nebenwirkungen bringt als alle anderen Verhütungsmethoden.

 

Axel Enninger: Bei all dieser Beratung sagen Sie aber trotzdem, ist mit weitem Abstand bei den Alternativen zur Pille die Kondombenutzung jetzt das, was momentan angesagt ist.

 

 

 

 

 

Patricia Oppelt: Genau. Also, es ist ja gar nicht so, dass es nach der Beratung genutzt wird, sondern dass wir die Mädchen einfach da so ein bisschen abholen, wenn sie zu uns kommen, einfach aus ganz anderen Gründen, dass sie dann längst die Pille abgesetzt haben, weil sie eben gelesen und gehört haben, dass Pille und Hormone so schlecht für den Körper sind und dann zum Kondom gewechselt haben. Oder dass man einfach im Gespräch, ohne dass sie jetzt wirklich zur Verhütungsberatung gekommen sind, einfach herausfindet, dass sie die Pille nicht für gut empfinden aufgrund dieser Hormonphobie. Also es ist nicht nach der Beratung, dass sie zum Kondom wechseln, sondern da haben wir sogar durch unsere Umfrage gezeigt, unsere KROCO-Studie, die wir 2019 gemacht haben, dass die Jugendlichen und jungen Frauen gerade nach der Beratung gewillt sind, sichere Verhütungsmethoden und auch hormonelle Verhütungsmethoden zu nutzen. Anders als vor der Beratung, wo ein Großteil und bis über 20 % der Frauen Kondome genutzt haben und die Kondomanwenderinnen zu 50 % gesagt haben, sie wünschen eigentlich keine Beratung, also es passt soweit alles. Aber 79 % der Kondomanwenderinnen sind dann zu sicheren Verhütungsmethoden gewechselt, was zeigt, und das wissen wir auch aus unserer TANCO-Studie, dass das Wissen um Verhütungsmethoden einfach nicht gut ist. Dass aus viel Unwissen und schlechtem Wissen und viel Angst eben zum Kondom gewechselt wird, dass aber die Frauen nach einer ausführlichen Beratung doch zu sicheren Verhütungsmethoden wechseln.

 

Axel Enninger: Und können wir da noch einmal festhalten, wie sicher denn tatsächlich der Schutz ist? Ich erinnere mich aus dem Studium, da war immer vom Pearl-Index die Rede. Macht man das noch?

Hormonelle Verhütung mit hoher Sicherheit, Kondom allein für Jugendliche ungeeignet

Patricia Oppelt: Genau, genau. Also der Pearl-Index ist immer noch das Maß der Sicherheit. Je niedriger der Pearl-Index, umso höher die Sicherheit. Wir haben bei allen hormonellen Verhütungsmethoden eine hohe Sicherheit. Die Kupferspirale ist schon etwas schlechter angegeben, ein Pearl-Index bis drei. Die hormonellen Verhütungsmethoden haben Pearl-Indizes bis maximal 1,5 und kleiner, also eine sehr hohe Sicherheit. Beim Kondom ist es natürlich immer abhängig von der Anwendung. Wir wissen, dass es Compliance-abhängig ist. Da gibt es die Angaben von Pearl-Index 3 bis 20. Klar, wenn man es immer perfekt anwenden würde, wäre es auch noch eine einigermaßen sichere Verhütungsmethode. Aber wir wissen, dass es nicht immer sicher angewendet wird und es deshalb einfach für Frauen, die aktuell keinen Kinderwunsch haben, als alleinige Verhütungsmethode für Jugendliche definitiv nicht optimal ist.

 

Axel Enninger: Spannend, wie das so wellenförmig verläuft, der Hype der Kondome. Wir erinnern uns alle an die anfangs große Sorge vor HIV, wo in den Medien die Kondome beworben wurden. Viele von uns erinnern sich an den berühmten Hella-von-Sinnen-Sketch, der im Fernsehen lief [schmunzeln]. Dann ebbte es wieder ab, und momentan scheint es wieder eine gewisse Rückkehr zu geben. Immer wieder interessant, wenn man es historisch anguckt. Sie hatten vorhin schon einmal kurz erwähnt, dass die Dreimonatsspritze etwas ist, das relativ viel angewendet wird, wo Sie aber sagen: ‚Eigentlich finde ich es blöd, dass sie angewendet wird.‘ Ich finde, darüber sollten wir ein bisschen reden, weil wir Kinder- und Jugendärzte ja auch manchmal mit Patientengruppen zu tun haben, die einfach anders betrachtet werden. Ich sage jetzt mal der Teenager, das Teenagermädchen mit einer Trisomie 21, die natürlich auch ein Recht auf eine Sexualität hat, wo aber die Sorge der Betreuungspersonen des Umfeldes, dass eine Schwangerschaft entstehen könnte, besonders groß ist und wo man dann auf Methoden wie diese zurückgreift wie diese, wo Sie sagen: ‚Na ja, vielleicht gibt es doch eine Alternative.‘ Darüber, finde ich, sollten wir ein bisschen reden.

Dreimonatsspritze schlechter als ihr Ruf

Patricia Oppelt: Ja, das ist ein ganz gutes Thema. Das ist auch mein Reizthema, weil es mich einfach nach wie vor ärgert, dass die Dreimonatsspritze noch viel zu häufig genutzt wird, nachdem wir so viele gute Alternativen haben. Vor 20 Jahren war das sicherlich anders. Da gab es viele Alternativen nicht. Da musste man sich entscheiden Pille oder eben Dreimonatsspritze und Kupferspirale. So viel mehr gab es da nicht, aber mittlerweile haben wir ein riesiges Portfolio!

Was muss man zur Dreimonatsspritze wissen? Natürlich ist es auch eine legitime Verhütungsmethode, aber wir wissen, dass es zum einen zur Gewichtszunahme führt und wenn wir jetzt mal in unserem Kollektiv nachschauen oder nachdenken, wer es bekommt, sind es häufig adipöse Mädchen, die diese Dreimonatsspritze bekommen. Dann wissen wir auch noch, dass die Dreimonatsspritze den Eierstock tatsächlich so herunterreguliert, dass er keine eigenen Östrogene mehr bildet. Wir wissen, dass wenn länger als 24 Monate die Dreimonatsspitze gegeben wird, der Knochen, die Knochendichte, darunter leidet, es zum Rückgang der Knochendichte kommt oder bei den Jugendlichen eben nicht zum Aufbau der Knochendichte. Wenn wir uns dann noch überlegen, dass es zwar eine östrogenfreie Verhütung ist und wir wissen, Gestagene erhöhen nicht das Thromboserisiko, so ist es aber leider bei der Dreimonatsspritze so, dass sie tatsächlich das Thromboserisiko erhöht. Also drei Faktoren Knochendichte, Gewichtszunahme, Thromboserisiko. Wenn wir jetzt in das Kollektiv schauen: Welche Mädchen bekommen das? Mädchen, die in Heimen leben, die vielleicht Raucherinnen sind, die stark übergewichtig sind, die sich selber nicht entscheiden können, was sie bekommen. Die Adipösen haben noch Glück für ihren Knochen, weil sie aufgrund des Fettgewebes ausreichend Östrogene bilden, aber die schlanken Raucherinnen oder die Mädchen mit geistigen Handicaps haben eben nicht das Problem und bilden keine Östrogene. Da muss ich ganz ehrlich sagen, ist das eine Methode, die meiner Meinung nach nicht mehr so häufig anzuwenden wäre. Kurzfristig, wenn man sagt, man braucht jetzt schnell etwas, um zu einer anderen Verhütungsmethode zu kommen, dann ja. Ich ärgere mich immer – ich sage immer, wenn dieses Mädchen Bluthochdruck hat, dann bekommt sie doch abends auch ihr Medikament, egal ob sie es alleine einnehmen kann oder es dann von Betreuern kriegen muss. Warum kann man diesem Mädchen nicht die Pille auch wie ein Medikament jeden Abend verabreichen, wenn sie es tatsächlich selber von alleine vielleicht nicht nehmen würde? Auch die intrauterine Verhütung ist ein Thema. Auch hier gibt es Mädchen, denen man sicherlich diese Methoden legen kann. Man könnte hier noch viel mehr für diese jungen Mädchen tun und sie eben nicht mit einer Dreimonatsspitze abspeisen und sie im Endeffekt mit 10 oder 20 Kilo mehr durch die Gegend laufen lassen. So muss man es leider sagen.

 

Axel Enninger: Das ist ein Appell von Ihnen, die geübte Praxis in Wohneinrichtungen vielleicht doch noch einmal zu überdenken und darüber nachzudenken, ob für diese manchmal nicht einwilligungsfähigen Patientinnen nebenwirkungsärmere Methoden zur Verfügung stehen.

 

Patricia Oppelt: Ja. Definitiv.

Risikofaktoren, zu Unrecht schlechter Ruf der Pille, Alternativen

Axel Enninger: Ein sehr, sehr nachvollziehbaren Appell und Blickpunkt Ihrerseits. Jetzt haben wir schon eine Gruppe angeschaut, wo man einfach speziell hingucken muss. Aber es gibt ja noch andere Patientengruppen, wo man auch besonders hingucken muss. Nehmen wir jetzt zum Beispiel die adipösen Mädchen. Da wissen wir, dass die Adipositasrate leider in den letzten Jahren weiter deutlich gestiegen ist. Ich nehme an, das spiegelt sich auch in Ihrer Praxis wider. Auf die müssen wir auch besonders aufpassen. Wie beraten Sie da? Dass Sie die normale Standardpille nicht empfehlen, hatten Sie ganz am Anfang schon gesagt. Worauf müssen wir da achten, also bei Patientinnen mit bestimmten Risiken: Raucherinnen, Adipositas, positive Familienanamnese für Thromboseneigung?

 

Patricia Oppelt: Genau. Man sieht es den Mädchen manchmal nicht unbedingt auf den ersten Blick an. Bei Adipositas ja, aber bei Raucherinnen oder positiver Anamnese fürs Thromboserisiko bei den Eltern? Deshalb ist die Anamnese, wie ich sagte, ja so wichtig. Zum Beispiel haben wir aber auch die Migräne mit Aura, die dazu führt, dass wir östrogenhaltige Präparate nicht verschreiben sollten. Aufgrund der verschiedenen Risiken bei Migräne mit Aura gibt es ein Schlaganfallrisiko bei der Pilleneinnahme.

 

Axel Enninger: Das ist für mich völlig neu, höre ich zum ersten Mal. Es ist jetzt auch nicht mein Spezialgebiet. Ein kleines Engramm hier: Migräne mit Aura heißt Standardpille ist No-Go.

 

 

Patricia Oppelt: Genau. Und aber auch ganz interessant: Bei mir in der Praxis führen die Helferinnen die Anamnese per se durch. Sie haben Vorlagen, was sie alles abfragen, das dann schon im Computer eingegeben ist. Ich gehe das dann noch einmal zusammen mit den Patientinnen durch. Und was haben wir ganz häufig? Migräne mit Aura wird nicht angegeben, aber man findet in der Medikamentenanamnese immer wieder Migränemittel bei Bedarf. Dann muss man da wirklich nachfragen. Das kennen Sie wahrscheinlich auch aus der Praxis, dass nicht alle Medikamente angegeben werden oder eben nicht alle Vorerkrankungen. Bei den Jugendlichen ist das nicht anders als bei den Erwachsenen, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, dass es uns als Gynäkologen interessieren könnte. Bei östrogenfreien Verhütungsmethoden sind wir mittlerweile auch sehr gut aufgestellt. Das war vor gut 20 Jahren, als ich angefangen habe, eben nicht der Fall. Wir haben zwei östrogenfreie Pillen. Der Nachteil der östrogenfreien Methoden sind häufig die Blutungsstörungen, die immer in den Vordergrund gestellt werden, die sicherlich auch einen Teil mit der Compliance zu tun haben. Das heißt, wenn Frauen oder Jugendliche immer wieder bluten, also unerwartet bluten unter ihren Verhütungsmethoden, dass sie dann nicht gewillt sind, sie regelmäßig zu nehmen. Aber wir wissen bei den östrogenfreien Pillen, dass diese Blutungsstörungen mit Dauer der Einnahme abnehmen und lediglich am Ende, und da sprechen wir von zwölf Monaten, noch 10 bis 12 % mit Blutungsstörungen zu kämpfen haben. Das heißt, auch hier ist eigentlich der Ruf schlechter als das, was die Pillen können. Das neuere Präparat, das wir auf dem Markt haben, macht tatsächlich noch weniger Blutungsstörungen. Und wir haben das Hormonstäbchen, das in den Oberarm eingelegt wird. Was nicht zu vergessen ist, was auch eine gute Möglichkeit für Jugendliche ist und nach wie vor wahrscheinlich zu wenig angesprochen wird, sind die intrauterinen Verhütungen, also die Spiralen. Ganz klar, eine Spirale bei einem Mädchen, das noch keinen Geschlechtsverkehr hatte, ist sicherlich keine Option bezüglich der Einlage. Die Mädchen, die bereits Geschlechtsverkehr hatten, vielleicht auch schon eine gewisse Erfahrung mit Pilleneinnahmen hatten, sei es auch eine östrogenfreie Pille, dann ist hier sehr wohl auch immer wieder neu zu überlegen und zu überdenken, ob nicht auch eine intrauterine Verhütung gerade bei den Mädchen mit Kontraindikation für Östrogene eine Option ist. Interessanterweise ist die Nachfrage oder der Wille der Patientinnen wirklich eine intrauterine Verhütung zu nutzen, altersunabhängig größer als wir Ärzte das zeitweise denken.

 

Axel Enninger: Das mit dem mit dem Stäbchen unter die Haut klingt praktisch. Sagen Sie da noch mal etwas dazu?

 

Patricia Oppelt: Genau. Es ist auch zum einen praktisch, nur haben wir auch hier aufgrund der östrogenfreien Verhütungsmethode häufiger Blutungsstörungen zu erwarten. Auch die können sich mit der Zeit bessern. Wenn sie es aber nicht tun, dann müssen wir das Stäbchen auch wieder entfernen. Damit tut man sich natürlich, wenn man jetzt, sagen wir einmal, eine orale Therapie erst genutzt und ausprobiert hat, natürlich etwas leichter. Deshalb wird das Stäbchen eigentlich eher gern als Pendant zur Depot-, also zur Dreimonatsspritze genommen, wäre aber wesentlich sinnvoller als die Dreimonatsspritze. Es wird weniger als Alternative für die Mädchen genommen, die sonst eine Pille nehmen können, dann geht man hier eigentlich eher in die östrogenfreie Pille.

 

Axel Enninger: Wie oft sehen Sie es, dass Sie eine Anamnese erheben und dann beim Thema Rauchen sehen: ‚Rauchen?‘ Dass die Mädchen es sozusagen als Motivation nehmen zu sagen: ‚Okay, dann überlege ich das nochmal mit dem Rauchen, wenn dann das Verhüten einfacher wird durch die Einnahme einer Standardpille.‘ Ist das eine Motivation oder nicht?

 

Patricia Oppelt: Ja, also ich würde ja mal sagen, dadurch, dass ich alle anderen Verhütungsmethoden auch gut finde, dass es ja nicht unbedingt einfacher wird, nur weil man keine Kombipille nehmen kann. Aber tatsächlich doch, ich denke, dass einige schon anfangen zu überlegen und zu überdenken, was sie eigentlich mit dem Rauchen wirklich tun. Wenn man dann sagt: ‚Also die Pille, die deine Freundin nimmt, die kann ich dir jetzt nicht geben.‘ Oder: ‚Den Zusatznutzen, den wir vielleicht ausschöpfen könnten, den wir mit den Kombipillen vielleicht etwas besser ausschöpfen könnten als mit dem, was wir jetzt besprechen müssen… aufgrund des Rauchens wäre es besser.‘

Da habe ich schon die eine oder andere Patientin, die dann meine Praxis verlässt mit dem Gedanken: ‚Mensch, dann höre ich das Rauchen auf.‘ Aber ob sie das alles wirklich so umsetzen? Ich habe jetzt keine Patientin im Kopf habe, wo ich das wirklich sagen könnte. Ich glaube nicht, dass es dazu führen würde, aber es ist auf jeden Fall einmal ein ganz guter Punkt, es wenigstens anzusprechen.

An sexuell übertragbare Krankheiten denken

Axel Enninger: Jetzt hatten wir im Laufe des Gesprächs immer wieder über Kondome gesprochen und im Nebensatz auch über sexuell übertragbare Erkrankungen gesprochen. Das ist ja, wenn man sich die Zahlen aus den USA anguckt, wirklich ein Thema, das tatsächlich virulenter wird. Ist das in Deutschland auch so?

 

Patricia Oppelt: Die Zahlen bezüglich der Zunahme kann ich jetzt aktuell von den letzten Jahren nicht unbedingt sagen, aber wir wissen, dass wir schon zunehmend mehr sexuell übertragbare Erkrankungen haben. Und es ist immer wieder ein Thema, das zu besprechen ist, das ist einfach ganz wichtig. Was aber auch zum Beispiel wichtig zu wissen ist, dass wir ein Chlamydien-Screening in Deutschland haben, das leider nicht so groß angenommen wird, wie man es eigentlich erwarten würde. Es wird jeder jungen Frau oder Jugendlichen angeboten bis 25, weil es einfach ein sinnvolles Screening ist und es auch eine gute Therapie gibt. Aber dass man die Zunahme an Erkrankungen hat, dazu fehlen mir die Daten.

 

Axel Enninger: Okay. Das ist in unserer Notaufnahme auch immer häufiger ein Thema, gerade Chlamydien, oder dass wir tatsächlich immer wieder über klassische Geschlechts­krankheiten nachdenken. Da sind Syphilis und Gonorrhoe immer wieder einmal Thema. Und das ist auch etwas, was wir Kinder- und Jugendärzte nicht so unbedingt im Fokus haben, was aber wahrscheinlich kein Fehler wäre, wenn wir daran immer mal wieder denken. Das sollte natürlich auch in unsere Beratungen eingehen.

 

Patricia Oppelt: Definitiv. Also klar, als Gynäkologe denken Sie immer an Gonorrhoe und Syphilis. Gerade auch in Kombination mit einer Chlamydien-Infektion sollten Sie immer auch in diese Richtung weiterdenken. Aber auch generell bei vaginalen Infektionen sollte man als Gynäkologe in die Richtung denken und wir tun das, glaube ich, auch. Sie als Pädiater sollten das auch tun, genau. Sie sehen die Jugendlichen genauso und sehen Sie vielleicht manchmal vor uns mit ihren Beschwerden.

 

Axel Enninger: Genau. Also Appell an die KollegInnen, da zu gucken. Und ich glaube, da gilt weiterhin die Regel, wo eine sexuell übertragbare Erkrankung ist, muss man zumindest nach den anderen suchen oder auch danach schauen. Oder? Das haben wir auch alle mal so gelernt.

 

Patricia Oppelt: Genau. Ja.

Mit oder ohne Mama?

Axel Enninger: Frau Oppelt, eine Frage, die ich einfach gerne wissen möchte, weil das auch in meiner Ambulanztätigkeit immer wieder ein Thema ist: alleine oder in Begleitung der Eltern mit den Jugendlichen sprechen? Also ich sage einmal, wie ich das in meiner Gastrosprechstunde mache: Ich mache es altersabhängig. Ich betreue meine PatientInnen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen viele Jahre, und ich versuche sie Schritt für Schritt daran zu gewöhnen, dass die Eltern irgendwann nicht mehr mitkommen. Bei so einem Thema wie Empfängnisverhütung: Wie machen Sie es denn da?

 

Patricia Oppelt: Also ich empfange meistens meine Patienten tatsächlich im Wartezimmer oder ich hole sie selber ab und dann sitzen ja beide, Mutter und Tochter, dort. Es ist bei uns tatsächlich noch relativ häufig, dass die Mütter dabei sind. Manchmal kriegt man dann schon ganz gut einen Blick mit, wenn man sagt: ‚So, Anna, du kannst jetzt kommen und soll die Mama mitkommen?‘ Entweder sagt Anna ganz entspannt: ‚Ja, die Mama soll mit rein.‘ Oder es gibt Mädchen, die sagen schon: ‚Nö, ich komme alleine.‘ Und diejenigen, die sagen: ‚Egal!‘ – egal ist immer so ein „Holla“ – sie möchten eigentlich alleine zu mir reinkommen, aber sie trauen sich nicht, ihrer Mutter zu sagen, sie wollen nicht.

Ich meine, Helikoptermütter, das ist ja wahrscheinlich auch ein Thema, das Pädiater kennen. Dann sage ich: ‚Ja, dann magst du vielleicht erst allein reinkommen und später holen wir dann noch die Mama dazu.‘ Dann klappt es eigentlich immer ganz gut. Dann trauen sie sich eigentlich zu sagen, sie kommen alleine, und ich finde es auch immer angenehmer, wenn die Mädchen erst alleine mit mir reinkommen. Jetzt könnte man vielleicht sagen, sie haben mehr Angst und die Mama soll erst rein. Aber die Mütter dann irgendwann zwischendurch wieder rauszuschicken, empfinde ich als schwieriger, als erst das Mädchen bei mir zu haben und dann die Mutter dazuzuholen, immer dann natürlich, wenn die Mädchen es möchten. Was hier auch ganz wichtig ist, was gerade auch für Sie Pädiater wichtig ist: Was machen wir Gynäkologen eigentlich mit den Mädchen, wenn sie sich bei uns vorstellen zur Verhütung? Wir müssen eigentlich gar nichts mit ihnen machen außer sprechen, das heißt, wenn ein Mädchen keine Beschwerden hat, keine Beschwerden angibt und auch selbst nicht unbedingt angibt, ob sie untersucht werden möchte. Ich frage die Mädchen immer. Da sind auch immer wieder welche darunter, die ganz froh sind, dass man eine Untersuchung gemacht hat, weil sie dann sagen: ‚Okay, jetzt weiß ich, wie das ist.‘ Untersuchung heißt nicht immer gleich eine komplette gynäkologische Untersuchung, sondern dann heißt es zum Beispiel, das äußere Genital nur einmal anschauen, Ultraschall vom Bauch machen. All diese Diagnostik müssen wir nicht durchführen, wenn wir über Verhütung beraten, aber auch wenn wir sie verordnen, brauchen wir keine Untersuchung. Das ist, denke ich, auch ganz, ganz wichtig, weil auch manche Mädchen – dafür kriegt man mit der Zeit ein Gefühl – eher reinkommen und man weiß: ‚Oh, sie hat jetzt Angst, wann geht es jetzt los mit der Untersuchung?‘ Dann sage ich immer sofort: ‚Wir müssen keine Untersuchung machen, Du kannst das selbst entscheiden. Wir können jetzt erst einmal nur sprechen und unterhalten uns.‘ Dann sind sie auch schon mal wesentlich entspannter.

Verhütungsmittel ab wann?

Axel Enninger: Wie häufig erleben Sie es, dass Jugendliche bei Ihnen aufschlagen und sagen: ‚Ich möchte gerne a) beraten werden, b) ein Rezept haben, aber meine Eltern sollen es nicht wissen‘?

 

Patricia Oppelt: Ja, ich komme ja aus Erlangen – oder ich selber komme gar nicht aus Erlangen, aber ich bin in Erlangen tätig – da haben wir es gar nicht so häufig. Aber die Fälle kenne ich natürlich und natürlich sind auch solche Fälle bei mir in der Praxis, aber seltener, als ich es von Kollegen und Kolleginnen kenne. Dann sind Sie als Arzt gefordert ein bisschen über die rechtliche Situation Bescheid zu wissen. Hier geht es um die Einwilligungsfähigkeit, die wir dann bestätigen müssen, ob das Mädchen die Tragweite einer Verhütung versteht. Dann sollten wir auch wissen, dass es zwar den Passus rechtlich gibt, dass man Beihilfe zum sexuellen Missbrauch damit fördern würde, wenn man eine Verhütung verschreibt. Andererseits sind die Gerichte da aber auch sehr großzügig, weil wir ja auch eine ungewollte Schwangerschaft damit verhindern. In dem Falle ist eigentlich bei einem 13-jährigen Mädchen die Einwilligungsfähigkeit fraglich. Bei 15-, 16-, 17-Jährigen sollte man es zwar auch noch dokumentieren, aber da kann man die Einwilligungsfähigkeit voraussetzen oder sehen. Bei dem 13-jährigen Mädchen, das von alleine in die Praxis kommt und eigentlich sagt: ‚Ich will verhüten, weil ich Geschlechtsverkehr habe, aber meine Eltern dürfen es nicht wissen‘, dann ist man einfach gefordert, gut zu dokumentieren, gut zu beraten, aber sollte tunlichst diesem Mädchen eher eine Verhütung verordnen, empfehlen, als es nicht zu tun aus Angst vor rechtlichen Schritten. Dann kann man immer noch schauen: Was sind die Gründe? Das ist vor allem wichtig: Was sind eigentlich die Gründe, warum die Eltern es nicht wissen dürfen? Das sind ja völlig unterschiedliche Gründe. Es können kulturelle Gründe sein. Dann muss man noch einmal überlegen, gibt es vielleicht die Möglichkeit, dass das Mädchen doch mit den Eltern spricht oder tatsächlich auch überlegen, ob es so weit gehen könnte, dass man im schlimmsten Fall auch das Jugendamt mit einschalten müsste. Aber diese Fälle sehen wir zum Glück nicht. Also wichtig ist, denke ich, eine gute Dokumentation, eine gute Beratung des Kindes und lieber pro Schwangerschaft verhindern, als keine Verhütung zu verordnen.

 

Axel Enninger: Es gilt auch für Jugendliche eindeutig die ärztliche Schweigepflicht. Das ist bei uns in der Notaufnahme auch immer wieder das Thema. Da kommt eine 16-Jährige mit Unterbauchschmerzen und wir stellen eine Schwangerschaft fest. Und dann ist ganz klar, erst einmal wird die Jugendliche gefragt: ‚Dürfen wir mit deinen Betreuungspersonen, deinen Eltern darüber reden oder nicht?‘

Und wenn die Jugendliche sagt: ‚Nein, das will ich nicht‘, dann haben wir eine ärztliche Schweigepflicht auch den Eltern gegenüber. Das, denke ich, muss man auch immer wieder betonen. Es ist manchmal schwer zu verstehen, aber eigentlich im Sinne der Jugendlichen. Sie sollen selber entscheiden, wer die Informationen über ihren Gesundheitsstatus und auch über Schwangerschaftsstatus, über Einnahme der Pille, wer die Informationen bekommt.

 

Patricia Oppelt: Ja.

 

Axel Enninger: Vielen Dank, Frau Oppelt. Es gibt ein Standardelement in unserem Podcast und dieses Standardelement heißt Dos & Don‘ts. Sie dürfen ein oder zwei positive oder negative Nachrichten loswerden. Also Dont’s, da gibt es manchmal Dinge, über die man genervt ist und die man gerne als Nachricht an die KollegInnen loswerden will. Und bei den Dos genauso. Sie dürfen die Reihenfolge selbst entscheiden und ich bin sehr gespannt.

Ausführlich beraten im Sinne des shared decision making, ggf. an Gynäkologen überweisen, alte Verhütungsmethoden neu überdenken

Patricia Oppelt: Tja. Dos & Don’ts. Zu den Dos gehört ganz klar die Verhütungsberatung. Ich denke, es ist extrem wichtig, die Jugendlichen in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und vor allem auch ihre Ängste und Sorgen, Stichwort „Hormonphobie“, wahrzunehmen. Diese Verhütungsberatung im Sinne von shared decision making. Als weiteres Do sind Sie als Pädiater gefordert. Sie müssen bei der J1 / J2 ein stückweit gynäkologisch beraten. Sie sollen über Sexualität und Verhütung sprechen. Deshalb denke ich, ist es sinnvoll, dass auch Fachgruppen, die mit Jugendlichen arbeiten, diese betreuen, ein Basiswissen zur Verhütung haben. Aber noch wesentlicher ist: Sie können den Weg der Mädchen zu uns Gynäkologen bahnen, wenn Sie bei der J1 / J2 das Gefühl haben, der Bedarf an Verhütungsberatung ist da. Was haben wir an Don‘ts? Ein Don’t ist vor allem, dass man sich nicht zurücklehnt, wenn das Mädchen kommt und sagt: ‚Ich hätte gern die Pille verschrieben.‘ Das heißt zurücklehnt in Form von: ‚Ich muss gar nicht viel beraten. Sie weiß ja schon, was sie will.‘ Wenn sie sagt, sie will die Pille, dann ist es so, wie wenn ich zu Ihnen, Herr Enninger, sage: ‚Ich hätte jetzt gern ein Tempo.‘ Ich möchte nämlich ein Taschentuch. Und wenn das Mädchen eine Pille möchte, dann möchte sie etwas zum Verhüten und eben nicht die Pille. „Die Pille“ gibt es gar nicht. Wir haben mittlerweile eine Vielzahl von unterschiedlichen Zusammensetzungen. Auch diesem Mädchen sollte man eine ausführliche Beratung zukommen lassen. Und ein weiteres Don’t ist, dass man alt eingefahrene Verhütungsmethoden neu überdenken sollte. Hier sind wir vor allem bei der Dreimonatsspritze, die sicherlich vor 25 Jahren ihre Berechtigung hatte, aber heute aufgrund der Vielfalt von Verhütungsmethoden, auch aufgrund der unterschiedlichen Applikationsformen, nicht mehr in dem Maße ihre Berechtigung hat.

 

Axel Enninger: Sehr gut. Vielen, vielen Dank. Ich finde, das, was Sie zur Beratung gesagt haben, gilt natürlich für alle ärztlichen Kolleginnen und Kollegen. Wenn ich das so sagen darf, Ihnen merkt man nicht nur die Erfahrung an, sondern auch, dass Sie Spaß und Interesse an Ihren Patientinnen haben. Ich glaube, das merkt man 1 : 1. Das ist sicher auch für uns alle, die wir in einem anderen medizinischen Bereich tätig sind, hilfreich, dass wir uns das immer wieder einmal vor Augen führen. Vielen, vielen Dank für dieses Gespräch und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, danke ich fürs Zuhören. Wenn Sie noch nicht Abonnent sind, würden wir uns freuen, wenn Sie Abonnent werden könnten oder werden würden. Das können Sie auf den üblichen Plattformen tun. Und wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, freuen wir uns über eine positive Bewertung, entweder als Stern oder als Kommentar. Auch das ist für uns hilfreich. Wenn Sie noch Anregungen haben, Themenideen, Referentenideen, also Gesprächspartnerideen, dann hören wir das auch sehr gerne. Frau Oppelt, das haben wir noch gar nicht besprochen: Die wesentlichen Tipps, die Sie gegeben haben, auch in Form von einer Leitlinie, die würden wir wahrscheinlich auf den Shownotes auch noch hinterlegen wollen, oder? Damit die KollegInnen das nachlesen können.

 

Patricia Oppelt: Ja, sehr gerne. Auf jeden Fall.

 

Axel Enninger: Ja, also vielen Dank und bis zur nächsten Folge.

Sprecherin: Das war consilium, der Pädiatrie-Podcast. Vielen Dank, dass Sie reingehört haben. Wir hoffen, es hat Ihnen gefallen und dass Sie das nächste Mal wieder dabei sind. Bitte bewerten Sie diesen Podcast und vor allem empfehlen Sie ihn Ihren Kollegen. Schreiben Sie uns gerne bei Anmerkung und Rückmeldung an die E-Mail-Adresse consilium@infectopharm.com. Die E-Mail-Adresse finden Sie auch noch in den Shownotes. Vielen Dank fürs Zuhören und bis zur nächsten Folge!

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