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consilium - DER PÄDIATRIE-PODCAST - Folge #39 - 05.01.2024

 

consilium – der Pädiatrie-Podcast

mit Dr. Axel Enninger

consilium Podcast mit Dr. Axel Enninger

 

Angeborene Lungenfehlbildungen
 

Axel Enninger: Heute spreche ich mit:

Dr.
Nicolaus Schwerk.

 

 


DR. AXEL ENNINGER…

… ist Kinder- und Jugendarzt aus Überzeugung und mit Leib und Seele. Er ist ärztlicher Direktor der Allgemeinen und Speziellen Pädiatrie am Klinikum Stuttgart, besser bekannt als das Olgahospital – in Stuttgart „das Olgäle“ genannt.

Axel Enninger: Herzlich willkommen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, zu einer neuen Folge von consilium, dem Pädiatrie-Podcast. Wir reden heute über angeborene Lungenfehlbildungen, und mein Gast dazu ist Privatdozent Dr. Nicolaus Schwerk. Er ist Kinder- und Jugendarzt. Er ist pädiatrischer Pneumologe und Allergologe und er ist Oberarzt in der pädiatrischen Pneumologie, Allergologie und dem Bereich Lungentransplantation an der medizinischen Hochschule in Hannover. Herzlich willkommen, Herr Schwerk!

 

Nicolaus Schwerk: Vielen Dank!

 

Axel Enninger: Sie sind zusätzlich auch noch Vorstandsmitglied in der Atemwegsliga und haben einen Großteil des zurückliegenden Jahres mit der Organisation der DGKJ-Jahrestagung zugebracht. Nochmal herzlichen Glückwunsch zu dieser gelungenen Tagung! Da ist ja der Kongress-Sekretär immer hoch eingebunden, und ich ahne, dass Sie wahrscheinlich ziemlich froh sind, dass es so wunderbar geklappt hat und gut funktioniert hat. Nochmals Gratulation dazu!

 

Nicolaus Schwerk: Vielen Dank, ja, das bin ich.

 

Nicht so selten wie angenommen

Axel Enninger: Angeborene Lungenfehlbildungen ist ja jetzt nicht so ein Thema, wo man als Niedergelassener oder auch als Klinikarzt denkt: ‚Das ist jetzt etwas, das mich jeden Tag unmittelbar beschäftigt.‘ Wir hatten aber im Vorfeld ein paar Dinge herausgefunden, warum Sie finden, dass das besonders wichtig ist. Was liegt Ihnen denn so am Herzen an diesem Thema?

 

Nicolaus Schwerk: Also, es liegt mir insofern am Herzen, als dass es, glaube ich, gar nicht so selten ist. Ich glaube, es gibt keine Kinderärztin oder keinen Kinderarzt, der nicht irgendwo einmal ein Kind mit einem Lungensequester, mit einer zystischen Lungenfehlbildung oder einer vermuteten Lungenfehlbildung gesehen hat. Also, das heißt, ich glaube, es ist häufiger als angenommen. Und das Zweite ist, dass es meiner Erfahrung nach doch eine sehr große Unsicherheit in diesem Bereich gibt, beziehungsweise eine gewisse Pauschalisierung, die zum Teil in meinen Augen zu falschen oder schwierigen Therapieentscheidungen führen, die letztendlich die betroffenen Kinder mehr belasten, als dass sie sie gesund machen oder gesund erhalten. Das sind zum Teil durchaus langfristige Folgen, wenn ein Kind zum Beispiel einen Lungenlappen entfernt bekommt, obwohl es vielleicht gar nicht hätte sein müssen. Das ist jetzt mal ein Extrem. In meiner täglichen Sprechstunde und der klinischen Erfahrung bekomme ich sehr häufig Anfragen, auch teilweise von Eltern, deren Kinder schon operiert worden sind, und erlebe da manchmal Sachen, wo ich meine, es wäre wichtig, dass die Leute mehr darüber Bescheid wissen und differenzierter damit umgehen und auch nicht so eine Angst vor der Lungenfehlbildung haben.

 

Axel Enninger: Können Sie mir ein Beispiel nennen für irgendetwas, wo Sie denken: ‚Hey, das ist aber jetzt ganz schön „in die Grütze“ gegangen‘?

 

Nicolaus Schwerk: Also, es ist fast jede Woche. Letzte oder vorletzte Woche hatte ich ein Kind bei mir in der Sprechstunde, bei dem vor der Geburt eine zystische Lungenfehlbildung diagnostiziert worden ist, die im Nachhinein – ich hatte dann die CT-Bilder bekommen – auch eher als kleinzystisch anzusehen ist, das asymptomatisch auf die Welt gekommen ist und wo sogar auch im Röntgenbild noch nicht einmal eine Zyste gesehen worden ist. Die Ärzte in der dortigen Kinderklinik haben völlig richtig den Eltern empfohlen, nichts tun zu lassen, abzuwarten und sich dann nochmal bei uns beraten zu lassen. Und die Eltern waren unsicher und haben sich eine zweite Meinung eingeholt. Und das führte dann letztendlich dazu, dass ein Kind, welches ein unauffälliges Röntgenbild hatte, in einer anderen großen Klinik, das war in dem Fall im Ausland, eine Unterlappenresektion durchmachen musste, ohne dass es irgendwelche Beschwerden hatte. Und die Eltern haben sich dann bei mir zur Verlaufskontrolle vorgestellt, glaube ich. Ich weiß gar nicht ganz genau warum, um sich noch mal die Sicherheit zu holen, das war alles richtig, aber auch, weil das Kind seit der Operation eben doch Beschwerden hat. Es ging ihm schlechter, er ist nicht mehr so ausdauernd und solche Dinge. Das ist so ein Beispiel, wo man dann denkt: Mensch, hätte man da nicht vielleicht vorher sprechen können, ob es sein muss, oder hätte man nicht da vorher die Eltern vielleicht etwas ausführlicher beraten können über den Nutzen, aber auch die Risiken von Operationen oder abwartendem Verhalten?

 

Axel Enninger: Okay, das könnte doch ein gutes Ziel unseres heutigen Gespräches sein, zu sagen, wenn wir ein paar Kinder vor unnötigen Operationen bewahren könnten, dann hätten wir das Ziel unseres Gesprächs heute schon erfüllt. Könnten wir das als Ziel mal versuchen zu definieren?

 

Nicolaus Schwerk: Das können wir als Ziel versuchen zu definieren, wobei man natürlich schon auch sagen muss, andererseits gibt es durchaus klare Indikationen, und ich glaube, unser Ziel sollte sein, ein bisschen hellhörig zu machen, ein bisschen zu erfahren über unterschiedliche Fehlbildungen und vielleicht so einen Vorschlag zu hören, wie man vorgehen könnte, optimalerweise.

 

Axel Enninger: Okay, jetzt haben Sie gesagt, jeder Kinder- und Jugendarzt hat wahrscheinlich schon mal ein Kind mit einer Lungenfehlbildung gesehen. Über welche Häufigkeit reden wir denn da?

 

Nicolaus Schwerk: Da gibt es nach meinem Wissen leider Gottes keine wirklich zuverlässigen Zahlen. Es gibt keine guten Register, die flächendeckend die Inzidenz von unterschiedlichsten Lungenfehlbildungen erheben. Mir ist in Europa die sogenannte EUROCAT-Datenbasis oder die EUROCAT-Plattform bekannt. Das ist ein Register, welches auf Freiwilligenbasis angeborene Fehlbildungen unterschiedlichster Organe erfasst, und da kann jeder über die Homepage umsonst mal reinsehen. Und wenn man da genauer hinschaut, dann sieht man aber, dass zum Beispiel in Deutschland, soweit ich das verstanden habe, nur eine Stadt, nämlich Magdeburg, ein meldendes Zentrum ist. Das heißt, das ist nicht der Nabel der Welt, und das repräsentiert sicherlich nicht die Häufigkeit. Und was man aber aus dieser Datenbank schon erkennen kann, dass es einen Trend zu einer höheren Inzidenz gibt. Also wenn man die letzten 20 Jahre einmal zurückschaut, haben sich die Meldungen nach diesem Register verdreifacht.

 

Axel Enninger: Wobei bei freiwilligen Registern, wenn man freiwillig meldet, die Zahlen wirklich nur mäßig verlässlich ausfallen.

 

Nicolaus Schwerk: Absolut.

 

Axel Enninger: Gruß geht raus nach Magdeburg, immerhin melden sie dort. Das darf man schon sagen, jede Meldung ist irgendwie immer Arbeit. Unter welchen Diagnosen meldet man denn? Also über welche medizinischen Diagnosen reden wir, wenn wir über angeborene Lungenfehlbildungen reden?

 

Nicolaus Schwerk: Also, gemeldet im EUROCAT sind es die zystischen Lungenfehlbildungen. Letztendlich, wenn wir über angeborene Lungenfehlbildung im Ganzen sprechen, dann reicht es von der bronchogenen Zyste bis hin zu den unterschiedlichen zystischen thorakalen Malformationen, bis hin zu dem kongenitalen lobären Emphysem, den Lungensequestrationen, den Hybridläsionen. Das wäre wären die häufigsten. Es gibt noch ganz viele andere.

 

Axel Enninger: Okay, und die laufen alle – nur dass ich das als Nicht-Pneumologe verstehe – die laufen alle unter dem Oberbegriff „CPAM“, kongenitale pulmonale Atemwegsmalformation. Ist das der Oberbegriff, oder wie muss ich mir das vorstellen?

 

CPAM, CCAM ist schon histologisch – zunächst beschreibend beginnen

Nicolaus Schwerk: Also letztendlich glaube ich, und das ist auch häufig ein Fehler, der gemacht wird, CPAM ist letztendlich schon eine histologische Diagnose. Man sollte sich frei machen von den histologischen Diagnosen, pränatal und postnatal, wenn man nur die Bildgebung und nicht die Histologie hat, sondern beschreiben. Man kann, glaube ich, allgemein sagen, man spricht von „angeborenen thorakalen Malformationen“. Es ist irgendwie etwas anders, als es sein soll. Und das, was man letztendlich in der Bildgebung sagen kann – ob im Ultraschall, MRT oder CT – ist es eine solide angeborene Fehlbildung, oder ist es ist eine zystische? Und wenn es eine zystische ist: Sind es kleine Zysten oder große Zysten, oder ist es gemischt? Und gibt es eine atypische Gefäßversorgung, ja oder nein? Oder gibt es einen überblähten Lungenlappen, ja oder nein? Das ist sozusagen die erste Stufe. Man identifiziert eine thorakale Malformation, man beschreibt sie: kleinzystisch, großzystisch oder mit einer einseitigen Überblähung. Dann bekommt man natürlich schon eine Idee, was differenzialdiagnostisch dahinterstecken könnte. Und die CPAMs, also die kongenitalen pulmonalen Atemwegsmalformationen, dahinter verbirgt sich die häufigste Gruppe, die auch früher als CCAM von Herrn Stocker 1977 beschrieben worden sind, also die zystischen Atemwegsmalformationen.

 

Axel Enninger: Okay, also, das ist nur eine Untergruppe, anders als ich es am Anfang gesagt habe. Das ist nicht der Oberbegriff, sondern es ist nur eine Untergruppe der Malformationen.

 

Nicolaus Schwerk: Ja.

 

Zunahme der Lungenfehlbildungen – vermutlich ein Artefakt

Axel Enninger: Okay, und jetzt haben Sie gesagt, wir haben keine guten Zahlen, wir haben nur dieses freiwillige Melderegister, aber wir haben natürlich auch eine Bildgebung, die viel besser geworden ist. Es gibt viel mehr pränatale Bildgebung, mehr postnatale Bildgebung. Kann es nicht auch daran liegen, dass wir einfach mehr sehen?

 

Nicolaus Schwerk: Absolut! Deshalb hatte ich jetzt auch diese EUROCAT mitgebracht, dass uns nichts über wirkliche Inzidenzen und Zahlen nennt, aber vielleicht Trends anzeigen kann. Da ist es halt so, dass es sich verdreifacht hat in den letzten 20 Jahren, ich glaube, noch mehr. In den 80er Jahren des letzten Jahrtausends war die Welt irgendwie noch ganz einfach. Da hat man Kinder identifiziert mit angeborenen thorakalen Fehlbildungen, weil sie Symptome hatten, und hat aufgrund der Symptome eine Diagnostik gemacht. Dann war natürlich die Entscheidung relativ klar. Ein Kind mit Symptomen muss behandelt werden, in dem Fall operiert werden. Jetzt haben wir den Ultraschall, der mit einer unglaublichen Qualität ja in der 20. Schwangerschaftswoche wirklich kleinste Fehlbildungen sieht, und wir sehen halt viel, viel mehr. Und das Problem, womit wir uns jetzt konfrontiert sehen, ist, dass der Großteil der Kinder, bei denen man pränatal aufgrund der guten Bildqualität irgendeine Anomalie hat sehen können, überhaupt keine Symptome hat, also letztendlich überhaupt nicht diesem Klientel entsprechen, welches es damals, als es noch nicht möglich war, gegeben hat. Somit, und das, glaube ich, wäre die erste Message, muss sich auch unsere Sichtweise auf die Notwendigkeit einer Operation oder Therapie ändern. Wir haben es mit anderen Patienten zu tun, im Großteil zumindest, im Vergleich zu der Historie vor 30 oder 40 Jahren.

 

Wer muss behandelt werden? Risikostratifizierung

Axel Enninger: Okay, nur, dass ich noch mal zusammenfasse: Früher waren sie alle symptomatisch und kriegten deswegen Diagnostik. Jetzt kriegen sie Diagnostik, und nur ein Teil von denen hat ein klinisches Problem. Dann kommen wir wieder zurück zu der alten, guten kinderärztlichen Tugend: Wir kümmern uns um Symptome und um kranke Patienten und nicht so sehr um kranke Bilder.

 

Nicolaus Schwerk: Genauso ist es, aber, dass man eben trotzdem mit diesen Kindern gar nicht so ganz genau umzugehen weiß, liegt auch daran, dass mit diesen unterschiedlichen Fehlbildungen, wir sprechen jetzt mal von den zystischen, weil das die häufigsten sind, auch gewisse Komplikationen oder auch Risiken im Hinblick darauf, wird es vielleicht ein Krebs werden oder so etwas, verbunden sind. Das ist, glaube ich, auch der Grund der Unsicherheit, auch bei einem asymptomatischen Kind. Ich habe jetzt hier in der Bildgebung Hinweise, und wenn ich das Kind jetzt nicht operiere, könnte es dann vielleicht sein, dass es mittel- bis langfristig zu Schaden kommt, der viel größer ist als eine Operation. Da ist es wichtig, mehr in die Tiefe zu gehen. Wenn man es differenziert sieht, kann man durchaus heutzutage eine gewisse Risikostratifizierung machen und die Eltern besser beraten.

 

Axel Enninger: Okay, nehmen wir mal das Kind, das Sie vorhin genannt haben. Da ist also ein pränataler Ultraschall gemacht worden. In der 20. Schwangerschaftswoche sieht man eine Veränderung im Bereich des Thorax. Sagen wir, es ist in der Lunge, und dann kommt dieses Kind auf die Welt. Alle denken: ‚Ah, der könnte etwas an der Lunge haben.‘ Da geht ein Kinderarzt zumindest mal hin zur Geburt. Das Kind kommt. Das Kind ist puppenlustig und gesund. So. Wann mache ich welche Diagnostik?

 

Nicolaus Schwerk: Also, das Wichtigste ist, dass man sich am besten die Pränatal-Ultraschallbilder mal selber anschaut und guckt. Was ist denn da beschrieben worden, wie groß ist das? Was für einen Aspekt hat es? Häufig werden die Kinder, bei denen das gesehen wird, dann ja auch nachverfolgt bis zum Zeitpunkt der Geburt. Also auch die anderen Bilder danach anschauen. Nimmt diese Fehlbildung an Größe zu oder nimmt sie ab, was eben bei bis zu 30 % aller Patienten der Fall ist. Und wenn das im Rahmen der Schwangerschaft bis hin zur Geburt schon abgenommen hat und das Kind asymptomatisch auf die Welt kommt, dann würde ich zumindest sagen: Man macht einmal eine Röntgen-Thoraxaufnahme, und wenn es sich eben gerade um eine vorbeschriebene zystische Fehlbildung handelt, und man sieht aber in dem Röntgenbild gar keine Zyste mehr, dann muss sie klein sein. Dann wiederum, und das ist wichtig, wenn sie wirklich sehr, sehr klein ist, dann sind diese ganzen Risiken hinsichtlich Entartung oder Infektionen so minimal, dass man dann ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit den Eltern führen sollte, sie über die Art oder die Möglichkeit, was könnte dahinterstecken, aufklären und ihnen halt faire Angebote gemacht, das Kind zum Beispiel über die ersten zwei, drei, vier Jahre mitzubegleiten, aber ohne wirklich großartige Diagnostik. Das wäre ein mögliches Vorgehen.

 

Axel Enninger: Okay, und wenn Sie das vorschlagen, wir machen ein Röntgenbild, heißt das aber, wir werden nicht hektisch in der ersten Stunde nach der Geburt, sondern wir machen das irgendwie geplanterweise in den ersten Lebenstagen, in der ersten Lebenswoche. Oder wann machen wir das?

 

Nicolaus Schwerk: Also, wenn das Kind asymptomatisch ist, kann man sich da Zeit lassen. Man kann es auch in der 3. Woche machen, und wenn man jetzt aber da etwas sehen würde, also schon einen Hinweis für eine Verdichtung oder eine zystische Fehlbildung, die man dann ja auch noch ausmessen kann, und man ist der Meinung, es könnte sich um eine sogenannte großzystische thorakale Malformation handeln, das wäre dann die CPAM-Typ 1 oder 4, dann würden wir schon den Eltern noch einmal eine Schichtbildgebung empfehlen, aber frühstens im Alter von sechs Monaten. Und ihnen aber natürlich sagen: ‚Wenn Ihr Kind durch eine angestrengte Atmung auffällt, wenn bei Ihrem Kind eine Lungenentzündung vermutet wird, wenn Ihr Kind nicht gedeiht, dann melden Sie sich bitte und dann sehen wir uns früher.‘

 

Bildgebung: das „Wie“ ist entscheidend

Axel Enninger: Asymptomatisches Kind, ich sehe im Röntgenbild nix, muss ich wahrscheinlich erst mal gar nichts tun. Ich sehe im Röntgenbild doch etwas, ich sehe große Zysten, dann brauche ich eine Schnittbildgebung. Schnittbildgebung heißt ja bei den „Pneumos“ immer noch CT, oder?

 

Nicolaus Schwerk: So ist es tatsächlich. Wir sind leider Gottes mit der MRT noch nicht so weit, als dass wir das Lungenparenchym ausreichend bewerten können, zumindest bei dieser Fragestellung. Das MRT kann uns schon gute Informationen über das Vorhandensein von Bronchiektasen geben, von Infiltraten, Konsolidierungen, Atelektasen, aber wirklich die hohe Auflösung, wo es schon auch darum geht, mikrozystische Läsionen oder klein- von großzystischen zu unterscheiden, das kann das MRT in meinen Augen nicht und wird deshalb bei dieser Fragestellung nicht empfohlen.

 

Axel Enninger: Und der Zeitpunkt war asymptomatisch, Gedeihen gut, keine Infekte, keine sonstigen Probleme, sechs Monate ungefähr. Da würde ich jetzt mal gerne eine Lanze für die Kinderradiologen brechen. Das sollte eine CT-Einrichtung sein, wo ein Kinderradiologe etwas versteht von den Sequenzen, die man da fährt, von der Strahlenbelastung. Da sollte man also nicht – dafür muss ich jetzt vielleicht Schelte kassieren – nicht in irgendeine Praxis fahren, die ein CT hat, was gerade betrieben werden muss.

 

Nicolaus Schwerk: Absolut, Herr Enninger, da kann ich Sie wirklich nur nochmal unterstützen. Generell, bei jeder Schichtbildaufnahme oder die mit Strahlenbelastung einhergeht, sollte das auch in einem Zentrum erfolgen, wo eine Radiologie mit entsprechender Expertise ist. Aber auch selbst da, wo das so ist, ist es, glaube ich, schon wichtig, klar zu definieren, was möchte ich ungefähr haben. Also: Ich möchte ein CT in kontrollierter Inspiration haben, weil Sie sonst teilweise Diagnosen machen, nur weil das Kind ausgeatmet hat. Das impliziert, dass das Kind –sechs Monate – Sie brauchen eine Anästhesie dafür, im inspiratory hold. Ich möchte ein CT haben, das wirklich auch im Atemstillstand ist, damit ich keine Wackel-Artefakte habe, und ich möchte auch dünne Schichten, also 1-Milimeter-Schichten haben, um das gut beurteilen zu können. Also Fazit: unbedingt in einem Zentrum mit Kinderradiologie, und am besten dann auch in dem Zentrum, wo das Kind aufgrund der diagnostizierten Fehlbildung betreut, und gegebenenfalls auch später operiert wird.

 

Axel Enninger: Also, ich glaube, das ist für uns Kinder- und Jugendärzte klar. Aber das sollte man schon noch mal sagen. Also CT ist nicht gleich CT, und das Gleiche gilt, auch wenn es nicht Ihr Lungenthema ist, für die MRs genauso. Da sind wir auch manchmal erstaunt, was wir da für Bilder von Bäuchen kriegen, wo man sich fragt, warum haben wir das jetzt eigentlich gemacht, und was ist der Informationsmehrwert? Aber gut, also, wir wollen möglichst etwas kinderradiologisch Hochqualitatives, CT möglichst in Absprache mit dem Pneumologen, der sagt: ‚Die Sequenzen hätte ich gerne, und das ist mir wichtig.‘ Dann erfolgt die Interpretation, wahrscheinlich gemeinsam mit dem Kinderradiologen und dem Pneumologen. Und wann kommt der Kinderchirurg mit ins Boot?

 

Nicolaus Schwerk: Das ist natürlich in jedem Haus unterschiedlich. Ich muss hier vielleicht auch noch einmal sagen, wir sprechen ja schon über ultraseltene Erkrankungen, auch wenn ich sage, es ist nicht ganz so selten wie angenommen. Es gibt letztendlich keine Evidenz, sozusagen, für Handlungswege, die durch Studien belegt ist. Das hat zur Folge, dass jedes Zentrum es ein bisschen anders macht. Ich kann nur schildern, wie wir das machen. Ob das jetzt wirklich der Goldweg ist, das weiß ich nicht. Bei uns ist es so, dass wir von Anfang an mit den Kinderchirurgen primär zusammenarbeiten. Also, wenn wir zum Beispiel ein Kind zugewiesen bekommen bei pränatal diagnostizierter, thorakaler Malformation, dann würden wir prinzipiell ohnehin empfehlen, dass das Kind zumindest in einer Frauenklinik mit Kinderklinik im Anschluss geboren wird. Also bei uns ist in dem Fall Prof. Dingemann der Kinderchirurg, der primär für solche thorakalen Fehlbildungen in unserer Klinik zuständig ist. Er wird informiert, genauso wie ich, beziehungsweise, wenn man an mich herantritt, informiere ich Herrn Dingemann und vice versa, und wir diskutieren selber und gemeinsam mit den Radiologen das Kind, die Bilder. Auch wenn es dann auf die Welt gekommen ist, haben wir alle zwei Monate eine Thoraxkonferenz, wo ganz genau solche Kinder auch besprochen werden und dann diskutiert wird, ob man hier eine Operationsindikation sieht oder nicht oder ob weitere Diagnostik erfolgen soll. In der gleichen Thoraxkonferenz, im Übrigen, werden auch die operierten Kinder besprochen, zusammen mit dem Pathologen, der uns sagt, was letztendlich herausgekommen ist. Das ist für uns extrem wichtig, um zu lernen. Natürlich auch über Probleme und den Zustand des Kindes, ob es davon profitiert hat. Also, es ist eigentlich von Anfang an eine gemeinsame Betreuung. Auch die Beratung der Eltern erfolgt bei uns in der Ambulanz immer gemeinsam: Kinderchirurg und Kinderpneumologe.

 

Differenzierte Leitlinie am Horizont

Axel Enninger: Also ja, jeder Kinder- und Jugendarzt sieht solche Kinder, aber trotzdem ist es selten, und deswegen lohnt sich auch der Weg in spezialisierte Zentren. Das habe ich richtig verstanden, es ist aber so selten, dass es keine AWMF-Leitlinie gibt?

 

Nicolaus Schwerk: Nein, also es gibt eine Leitlinie, mir ist eine S1-Leitlinie von der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie bekannt, und das war ein wichtiger und guter Anfang, da überhaupt erst einmal eine gewisse Systematik hineinzubringen. Aber das Problem ist, es gibt viel Literatur dazu, aber diese Literatur ist eben nicht so, wie unser Anspruch heute für gute klinische Studien ist. Dann gibt es dann natürlich auch unterschiedliche Lager, unterschiedliche Meinungen, und sagen wir mal so, die Leitlinie ist sicherlich noch ausbaufähig. Ich glaube, das ist etwas, das ganz, ganz wichtig ist, dass eben nicht nur die Kinderchirurgen, sondern auch wir uns da besser einbringen müssen und im Gespräch miteinander vielleicht wirklich eine sehr differenzierte, aber auch praxisfreundliche Leitlinie erstellen. Das ist auch geplant in den nächsten Jahren. Wir sprechen schon seit zehn Jahren darüber.

 

Axel Enninger: Okay, für die Zuhörerinnen und Zuhörer, die sich nicht so häufig mit Leitlinien beschäftigen, eine S1-Leitlinie ist tatsächlich eher so etwas wie „eminenzbasierte“ Medizin und nicht eine Konsensuskonferenz, die dahinter steht, nicht eine systematische Datenanalyse. Deswegen sind die immer als „erster Aufschlag“ zu nehmen. Aber man kann sicher auch drüber diskutieren. Deswegen ist es sicherlich gut, wir machen es irgendwann. Aber das sagt jeder immer: ‚Wir brauchen eine Leitlinie!‘ Und wenn man dann mal anfängt, dann ist es unendlich viel Arbeit, bis man alle beieinander hat, und dass es dann keine gibt, darf man den Leuten, die sowieso beschäftigt sind, nicht vorwerfen. Jetzt haben Sie vorhin schon gesagt, der Pathologe spielt auch manchmal eine Rolle, und Sie haben ganz am Anfang auch schon mal gesagt, wir reden häufig über histologische Diagnosen. Um eine Histologie zu kriegen, muss ich ja irgendwie invasiv werden. Was sind denn meine Kriterien dafür? Wenn also der Kinderchirurg und Sie vor dem CT sitzen, wann sagen Sie denn: ‚Da muss ich mehr machen‘? Eine Bronchoskopie, eine Biopsie? Wie nähern Sie sich dieser Fragestellung?

 

Stocker-Typ und Risikofaktoren

Nicolaus Schwerk: Also, wir würden jetzt erst einmal bei den zystischen Fehlbildungen bleiben, und wenn wir da eine Schichtbildgebung zum Beispiel haben, die schauen dann der Chirurg und ich mir zusammen an, und es ist definitionsgemäß eine großzystische, angeborene thorakale Fehlbildung definiert als ein Durchmesser von größer als zwei Zentimetern. Das ist deshalb so wichtig, weil das jetzt wieder in diese sogenannte Stocker-Klassifikation hineinkommt, der anfangs drei, zum Schluss dann fünf Typen klassifiziert hat von 0 bis 4, und der Typ 0 ist, dass überhaupt gar kein Lungengewebe angelegt ist. Das ist die sogenannte azinäre Dysplasie. Da sind meistens die Kinder auch nicht lebensfähig, wenn das eben auf beiden Seiten ist, verständlicherweise. Dann kommt eine Großzystische – die Typ-1, und dann kommt eine Kleinzystische – Typ-2. Die Typ-3 hat eigentlich überhaupt keine Zysten, und Typ-4 hat wiederum Zysten. Die häufigste Form, 50–75 % ist die Typ-1-CPAM, gefolgt von der Typ-4 mit etwa 10 %.

 

Axel Enninger: Da sind Sie sich mittlerweile aber so sicher, dass Sie das auch übers CT sagen können, obwohl es eigentlich eine histologische Diagnose ist?

 

Nicolaus Schwerk: Ja, natürlich kann man nicht sagen, bis zwei Zentimeter ist es klein, und danach… da gibt’s histologische Arbeiten von Herrn Stocker, der sagt 1,5–10 ist groß, und klein ist null. Es gibt natürlich Überschneidungen. Aber bei den Großzystischen hat man dann Zysten von vier oder fünf oder sechs Zentimeter. Man kann aber eine Typ-1- nicht wirklich sicher von einer Typ-4-CPAM unterscheiden. Also große Zyste – große Zyste. Und das zweite Problem, und jetzt kommt die Krebsgeschichte ins Spiel, bei der Typ-4-CPAM, die eher selten auftritt, in 10 %, sind Assoziationen mit einem pleuropulmonalen Blastom beschrieben worden, welches sich im Stadium 1 radiologisch überhaupt nicht unterscheidet von einer Zyste, während es bei der Typ-1 – ich glaube, es sind nicht mehr als 30 Fälle überhaupt bisher berichtet – das Auftreten eines bronchioalveolären Karzinoms ist. Da kommt diese ganze Krebsgeschichte her. Und das ist dann die Basis für Empfehlungen ‚Muss man immer alles operieren?‘ Da ist vielleicht noch wichtig zu sagen, dass man sowohl Pulmoblastome als auch bronchioalveoläre Karzinome bei Patienten diagnostizierte, die bereits schon operiert worden sind. Also da hat man auch keine 100%ige Sicherheit. Da käme jetzt die Frage, können wir da vielleicht vorher eine Biopsie machen, um zu wissen, ob es sich hier vielleicht gar nicht um eine Zyste, sondern um ein Karzinom handelt? Das Problem beim Pulmoblastom ist, das prozentual häufiger in der selteneren Gruppe CPAM-4 auftritt: Es ist nicht homogen ausgekleidet mit atypischen Zellen, sondern es sind teilweise Inselchen. Das heißt, selbst wenn wir eine Biopsie machen würden, haben Sie keine Sicherheit.

 

Axel Enninger: Das heißt jetzt, der „Banal-Pädiater“ würde sagen: ‚Dann macht das Ding doch raus!‘

 

Nicolaus Schwerk: Nein, also ich würde sagen, eine Biopsie macht bei dieser Fragestellung keinen Sinn. Aber es gibt ein Pulmoblastom-Register in Kanada, wo man regelmäßig nicht nur histologische Auswertungen macht, sondern auch klinische Korrelationen, und da hat man zum Beispiel klare Risikofaktoren für das Vorliegen eines Pulmoblastoms gesehen. Das ist zum Beispiel, wenn die Zysten nach der Geburt aufgetreten sind und die Kinder meistens symptomatisch sind, wo man sowieso operieren würde, und/oder die Zystengröße > 6 cm ist und auf beiden Seiten, und/oder wenn ein Kind mit solch einer Zyste und einem Pneumothorax auffällt, und wenn in der Familie ein vermehrtes Krebsaufkommen beschrieben ist, von ganz bestimmten Krebsarten: Schilddrüsenkarzinom, endokrinologische Tumoren, und das Kind im Blut – und jetzt kommen wir sogar schon zur genetischen Diagnostik – eine Mutation im sogenannten DICER1-Gen aufweist. Das sind alles Risikofaktoren, wo man sagen würde, bei solchen Konstellationen würde ich, würden wir den Eltern auch zu einer Operation im Alter von neun bis zwölf Monaten raten, wenn das Kind asymptomatisch ist.

 

Axel Enninger: Reicht da ein Haken hinter einem dieser Kriterien, oder muss ich „Punkte sammeln“?

 

Nicolaus Schwerk: Also bei einer nachgewiesenen pathogenen DICER1-Variante, da reicht der eine Punkt. Da ist praktisch zu fast 100 % sicher, dass es keine Zyste ist, sondern ein Pulmoblastom. Im Übrigen ist es auch mittlerweile nach unserem Wissen ein Irrglaube, dass sich aus einer großzystischen CPAM ein Karzinom entwickelt, sondern viel wahrscheinlicher ist, dass es sich von Anfang an, Entschuldigung um eine Pulmoblastom oder Karzinom handelt. Es sieht bloß am Anfang aus wie eine zystische Fehlbildung. Wenn ich jetzt eine große Zyste von nur fünf oder sechs Zentimetern hätte und das Kind aber asymptomatisch wäre, sonst keine Risikofaktoren, dann ist es ein Ding der individuellen Aufklärung. Im Prinzip machen wir gar nichts anderes als das, was wir im Gespräch machen mit den Eltern. Wir versuchen ihnen verständlich zu beschreiben, warum wir hier überhaupt sitzen, warum wir überhaupt über Operation oder Abwarten sprechen. Wir zählen ihnen Risikofaktoren oder Faktoren auf, die vielleicht für eine Operation sprechen, aber auch Faktoren, die dagegen sprechen. Wir geben ihnen am Anfang aber schon eine Sicherheit, zum Beispiel zu sagen, wenn wir uns einig sind: Hier kann man auf jeden Fall auch abwarten. Hier muss man nicht operieren. Dann spielen aber auch die Ängste der Familien eine Rolle. Man hat dem Kind und den Eltern ja nicht geholfen, wenn sie jetzt die ganze Zeit nicht mehr schlafen können, weil sie denken, mein Kind könnte vielleicht einen Krebs bekommen, und dann vielleicht dann doch irgendwo anders hingehen, wo sie operiert werden. Also, ich denke, auch solche psychologischen Aspekte müssen und dürfen wir hier auch noch mit hineinnehmen, gerade da, wo wir eben noch nicht von uns sagen können, dass wir die Weisheit mit Löffeln gegessen haben.

 

Schniefen, Husten – was ist mehr als „normale Infekte“?

Axel Enninger: Jetzt haben Sie gesagt, symptomatisch, asymptomatisch. Das ist für einen Säugling im ersten Lebensjahr und auch für ein Kleinkind… sie sind ja praktisch nie asymptomatisch, was die Atemwege anbelangt. Sie haben alle irgendwie immer ein Schniefen, Husten, irgendetwas. Was ist denn eine Symptomatik, wo Sie sagen würden, das ist jetzt schon irgendwie mehr, oder das gehört noch zu den normalen Infekten? Da ist einer geboren, er hat ein auffälliges Röntgenbild, ist als Neugeborener asymptomatisch, ist zu Hause und hat zwei ältere Geschwisterkinder. Und natürlich hustet der irgendwie mit vier Monaten und mit sechs Monaten und mit acht Monaten, weil er halt die Infekte seiner älteren Geschwisterkinder kriegt. Der hat aber das Problem, dass er ein irgendwie auffälliges Röntgenbild hat. Gibt es da Kriterien, wo der niedergelassene Kinder- und Jugendarzt sagen kann: ‚Das ist jetzt aber doch ein bisschen viel.‘

 

Nicolaus Schwerk: Das ist eine super Frage. Vielen Dank. Also ich glaube, das Allerwichtigste ist zu sagen, diese Kinder mit den Fehlbildungen, die keine Symptome haben, die können und werden natürlich genau solche Infekte entwickeln wie andere Kinder auch. Sie können und dürfen auch eine obstruktive Bronchitis haben, oder sie können auch, wie man das so schön sagt, eine Bronchopneumonie haben, wo das CRP nicht erhöht ist oder solche Geschichten. Und die dürfen auch über eine angemessene Zeit husten. Und das hat alles nichts mit der Fehlbildung zu tun. Wovor wir Sorgen haben, ist eine Superinfektion einer großen oder einer kleineren Zyste. Das heißt, da ist Eiter, den man auch schön im Röntgenbild mit einer Spiegelbildung sieht. Wir würden den Eltern sagen, hier würden wir doch eher großzügiger eine Röntgenaufnahme machen, wenn man den klinischen Verdacht auf eine Pneumonie, sprich hohes Fieber und eine Tachypnoe hat, wo man ja bei einem sonst gesunden Kind das nicht tun würde. Aber da würde ich hier sagen, da würde ich ein Röntgen machen, denn wenn ich dann eine Spiegelbildung in der vorbekannten zystischen Läsion sehe, dann weiß ich, dann sollte man es operieren. Hat aber überhaupt nichts zu tun mit rezidivierenden infektgetriggerten Obstruktionen, auch nicht mit wheeze. Das gab es früher. Tatsächlich wurde es alles immer darauf zurückgeführt, und es das wurde bei manchen auch als Indikation für Operationen gesehen. Es gibt eine Arbeit, soweit ich weiß aus Frankreich, die zeigen konnte, dass eben genau diese Symptome erwartungsgemäß bei den Kindern, die operiert worden sind, nicht weniger wurden im Vergleich zu denen, die nicht operiert wurden. Und was übrigens auch ganz interessant ist, ein weiteres Argument für die Operation, eine große Zyste hemmt doch die Lunge vom Wachstum, und dann wirkt sich das auch später negativ auf die Lungenfunktion aus. Nichts ist. Auch in dieser Arbeit konnte man zeigen, die operierten Kinder hatten im Vergleich zu den nicht operierten keine schlechtere Lungenfunktion im Verlauf.

 

Axel Enninger: Muss ich als Kinder- und Jugendarzt diese Kinder bezüglich der Indikation zur antibiotischen Therapie bei pulmonalen Infekten anders betrachten? Hängt meine Latte da niedriger ein?

 

Antibiotic Stewardship auch bei diesen Kindern

Nicolaus Schwerk: Nein, also, ich würde sie genauso behandeln wie gesunde Kinder auch, mit der Ausnahme, dass ich der Leitlinie folgend, die noch da ist, aber bald kommt und sich dahingehend nicht ändern wird: Eine ambulant erworbene Pneumonie erfordert keine Röntgenaufnahme zur Sicherung, zumindest die Erste. Die Zweite sollte, glaube ich, bei jedem Kind radiologisch gesichert sein. Hier würde ich sagen: Wenn wirklich klinisch der Verdacht auf eine Pneumonie ist, da würde ich doch mal ein Röntgen machen. Aber sonst würde ich sie genauso behandeln wie alle anderen Kinder auch, also meistens nicht.

 

Axel Enninger: Genau. Das, was wir in den letzten Jahren gelernt haben, ist, dass wir viel weniger Kinder antibiotisch behandeln müssen, als wir es früher getan haben, als Sie und ich noch Assistenzärzte waren. Das brauchen wir viel seltener, und das gilt für diese Kinder auch. Das finde ich schon eine wichtige Nachricht. Aber Röntgenbild machen und dann, das habe ich jetzt auch verstanden, wenn ich da einen Abszess sehe, dann ist klar, dann ist sozusagen die Indikation, dass man den Chirurgen schon mal wieder fragen darf.

 

Nicolaus Schwerk: Sollte man auf jeden Fall. Abszess oder ein Infiltrat in dem Bereich, und insbesondere, wenn das wiederholt so ist, oder beim Sequester, der ja gerne mal links unten hinter dem Herzen ist, da würde ich genau hinschauen. Wobei ich da auch sagen muss, bei uns stellt der Sequester prinzipiell schon eine Operationsindikation dar, ob mit oder ohne Infektion, aufgrund der doch nicht auszuschließenden Volumenbelastung durch die atypische Gefäßversorgung. Also das sind Kinder, bei denen wir schon prinzipiell zu einer Operation raten. Ich sag mal: noch. Das wird sicherlich auch später noch einmal auf die Diskussionsliste kommen.

 

Axel Enninger: Okay, das ist ja spannend. Wir hatten das mit den Zysten, das habe ich verstanden. Große Zysten grundsätzlich eher kritischer betrachten als kleine. Komplikationen Atemwegsinfekte habe ich auch verstanden, und jetzt kommen wir mal zu den anderen. Also da gibt es zum Beispiel den Lungensequester. Mit dem mache ich was?

 

Lungensequester und bronchogene Zysten

Nicolaus Schwerk: Also der Lungensequester, den gibt’s ja als intra- und extralobäre Form, wobei die extralobäre Form häufiger ist und der im Übrigen häufig als sogenannte Hybridläsion auftritt, also histologisch dann eine kleinzystische CPAM-Typ-2 mit atypischer Gefäßversorgung. Da ist es halt einfach so: Man hat ja letztendlich einen funktionellen Links-Rechts-Stand, also durch diese feeding vessel, die ja sozusagen von der Lunge kommt, zur Lunge zurückgeht, mit einer gewissen Volumenbelastung des rechten Herzens und der Sorge, dass es dann über die Dauer zur einer Rechtsherzbelastung oder zur Entwicklung einer pulmonalen Hypertonie kommt. Neben dem Risiko von Infektionen und – ein Argument der Kinderchirurgen – wenn sich irgendwann mal so eine Fehlbildung wirklich infiziert hat, die Komplikationsrate nach einer Operation höher ist. Jetzt können Sie sagen: ‚Ja, warum machen wir es dann bei Typ­ 1 nicht?‘ Da wiederum, wissen wir bei der differenzierten Betrachtungsweise, schaut man sich diese Manuskripte an, wird man sehen, dass die einzige Komplikationsrate die Konversionsrate von minimal-invasiv, auch offen-chirurgisch ist. Aber es hat keinen Einfluss auf Mortalität, Hospitalisation und so weiter, in den allermeisten Studien. Na gut, das ist nur so nebenbei gesagt.

 

Axel Enninger: Okay, aber das heißt, der Lungensequester ist etwas, wo ganz klar die OP-Indikation frühzeitiger gegeben ist, aus den vorhin erwähnten Gründen: Rechtsherzbelastung, Sorge vor pulmonaler Hypertension.

 

Nicolaus Schwerk: Genau. Das ist das Hauptproblem, und er liegt halt häufig extralobär, das heißt, Sie müssen nicht gesundes Lungengewebe herausschneiden. Bei den Intralobären ist das natürlich etwas anders. Und deshalb ist das – bei uns zumindest – wird das noch als eine Indikation gewertet, nicht früher, sondern als generelle. Solche Kinder sind in der Regel asymptomatisch, und auch die würden wir, wenn sie so im Alter von neun bis zwölf Monaten sind, also wenn sie schon ein bisschen größer geworden sind, operieren. Vorher nur dann, wenn wir eine Komplikation durch diese Fehlbildung vermuten, Infektionen oder sonst etwas. Eine Volumenbelastung oder eine pulmonale Hypertonie im ersten Lebensjahr durch Sequester sehen Sie eigentlich nie. Die Kinder, die so etwas haben, haben meistens noch ganz andere Probleme.

 

Axel Enninger: Okay! Jetzt haben wir die Zysten, haben Sequester. Was gibt’s noch für Fehlbildungen, die wir auf dem Schirm haben müssen, obwohl wir jetzt wahrscheinlich in einen Bereich kommen, der dann noch so richtig selten wird?

 

Nicolaus Schwerk: Es gibt dann noch die sogenannten bronchogenen Zysten, die wiederum nicht immer einfach zu unterscheiden sind von den Ösophagusduplikaturen oder den enterogenen Zysten, die in der Regel aber erst jenseits der Säuglingszeit anfangen Probleme zu machen, weil, häufig im Bereich der Luftröhre oder der großen Atemwege gelegen und dem Vorhandensein von muzinösen Drüsen, diese Zysten nach und nach immer größer werden und dann irgendwann auf die Bronchien drücken und die Kinder dann durch einen Stridor oder Sonstiges auffallen und dann zu einem kommen. Und weil sie mit der Zeit erst wachsen, sieht man sie auch pränatal seltener.

 

Malignomthema deutlich runterpushen

Axel Enninger: Also, das sind sozusagen die, wo es immer noch so ist, wie es früher war. Du wirst erst symptomatisch, kriegst dann Diagnostik, dann wirst du diagnostiziert.

 

Nicolaus Schwerk: Genau, in den allermeisten Fällen. Es gibt natürlich schon welche, die man pränatal sieht, und die kann man ein bisschen von den intrapulmonalen oder den anderen großzystischen PAMs unterscheiden aufgrund ihrer Lokalisation. Da ist im Übrigen auch das MRT eine hervorragende diagnostische Möglichkeit, wenn man wirklich schon aufgrund von Ultraschall oder Röntgen hier oben so eine Raumforderung sieht und meint, das könnte eine Zyste sein, ist ein MRT viel besser als ein CT. Da die meisten dieser Kinder aber ohnehin mit Symptomen dazu einem kommen, dann ist wieder die Frage, was man da machen muss relativ einfach. Symptomatisch muss man immer operieren, asymptomatisch kommen auch hier wieder die Argumentationen des Chirurgen, sag ich mal: Infektionsrisiko – gibt es, habe ich auch erlebt – und Malignitätsrisiko. Unterschiedlichste Krebsarten wurden mal in solchen Zysten beschrieben, aber auch hier im Übrigen nach Resektion derselben und in ihrer Gesamtheit auch nur eine Handvoll. Also, ich glaube, generell muss man dieses Malignomthema deutlich, deutlich runterpushen. Aber weil, wie gesagt, häufig symptomatisch, stellt sich da die Frage nicht, und da würden wir auch prinzipiell dazu raten, sie zu operieren zu lassen.

 

Ist Bronchoskopie zielführend?

Axel Enninger: Bronchogene Zyste, das würde ich jetzt mal als Stichwort nehmen: Bronchoskopie bei diesem Gesamtbild. Wir haben vorhin gesagt, Röntgenbild klassischerweise, CT haben wir auch gesagt. Wann brauche ich eine Bronchoskopie in diesem Kontext, oder brauche ich die gar nicht?

 

Nicolaus Schwerk: Also in diesem Kontext im Prinzip nicht, weil Sie eine intrapulmonale Zyste oder Sequester nicht sehen werden. Eine bronchogene Zyste, wenn das zur Frage steht und man wissen möchte, wie doll sie ist, dann kann man sich das angucken, um zu sagen, wie doll sie ist, aber letztendlich: ein Kind, das keine Luft bekommt und einen Stridor hat… ob die Luftröhre noch ein Restvolumen von 20 % hat oder von 40 %… Also, es ist keine klare Indikation dafür. Die Einzige wäre da schon eine sogenannte angeborene hyperluzide Lunge – sollte man besser sagen als ein kongeniales lobäres Emphysem – wo sozusagen meistens eine Überblähung…

 

Axel Enninger: Nochmal, wie heißt das? Angeborene hyperluzide…?

 

Nicolaus Schwerk: Kongenitale hyperluzide Lunge, also Hyperluzidität, die ist sozusagen einfach nur schwarz – das hat zumindest der Andy Bush vorgeschlagen – und eben nicht zu sagen, es ist ein kongeniales lobäres Emphysem. Weil wir da schon wieder bei einer histologischen Diagnose sind, Emphysem. Und ein Emphysem haben die meisten histologisch nämlich eigentlich gar nicht. Es gibt noch den sogenannten polialveolären Lappen, der auch größer ist. Also insofern lieber wieder vorsichtig. Wenn es dann darum geht, ist es das so, oder gibt es eine Kompression durch ein Gefäß, welches sozusagen einen Bronchus zudrückt und zu einem Ventilmechanismus führt, sodass die Luft hineingeht, aber nicht mehr herauskommt, dann wäre das zum Beispiel so etwas, wo man über eine Bronchoskopie nachdenken könnte. Wir haben das in den letzten Jahren deshalb gemacht, weil wir auch da eine Alternative zur Operation uns überlegt haben, weil auch die natürlich mit Komplikationen einhergehen, und wir haben uns das bronchoskopisch angeguckt und gelernt, dass das klassische kongenitale lobäre Emphysem – jetzt sage ich es selber – sich auszeichnet durch eine sehr kurzstreckige, aber hochgradige Malazie eines Lappenbronchus meistens oder Segmentbronchus, der bei der Exspiration komplett kollabiert, die Luft sozusagen „trapt“ und die Kinder sich aufpumpen. Wir haben da als Alternative zum Beispiel eine Okklusion gemacht, also diesen malazischen Bronchus okkludiert nach 100%iger Sauerstoffbeatmung. Dann fällt der Lappen oder der Anteil des Lappens innerhalb weniger Minuten zusammen, und die Kinder sind in der Regel dann nach der Bronchoskopie auf einmal asymptomatisch, denn hier sind die meistens Kinder tatsächlich symptomatisch.

 

Axel Enninger: Okay, aber das ist nichts, was wir hier generell für die Breite empfehlen, sondern das ist MHH „single center experience“.

 

Nicolaus Schwerk: Genau, da sind klassischerweise, würde ich sagen, über 90 % der Kinder spätestens bis zum 3. Lebensmonat symptomatisch, und deshalb sollten sie meiner Meinung nach operiert werden. Das ist die Therapie der ersten Wahl. Es gibt noch andere Zentren, die ich kenne, zum Beispiel in Toronto. Da hat man sich mit mir mal drüber unterhalten, und da konnte man gar nicht verstehen, warum man denn den Kindern, die dann auch irgendwann eine Hyperkapnie entwickeln, nicht eine nicht-invasive Atemunterstützung zugutekommen lässt. Aber da, finde ich, muss man ehrlich sagen, muss man die Kirche mal im Dorf lassen. Also, wenn ich jetzt aussuchen dürfte oder müsste, für die nächsten ein, zwei, drei Jahre kontinuierlich so ein Ding auf der Nase zu haben mit einem brummenden Gerät, nicht raus zu können, nicht in die Luft zu sehen, ständig Luft habe, aber so stabil gehalten werde, dass ich nicht irgendwie ins CO2-Koma falle – ich übertreibe jetzt mal – da würde ich mir definitiv eine Operation durch einen guten Operateur wünschen und eine Woche später nach Hause gehen, und dann wär das Thema gegessen.

 

Axel Enninger: Herr Schwerk, es gibt eine Tradition in diesem Podcast, und diese Tradition heißt: Dos & Don’ ts. Sie dürfen an die Zuhörerinnen und Zuhörer Nachrichten loswerden, die sie unbedingt negativ sagen: ‚Bitte lasst das sein!‘, oder aber: ‚Bitte, bitte denkt dran und tut unbedingt!‘ Die Reihenfolge dürfen Sie festlegen.

 

Bitte einbringen, nicht ohne guten Grund operieren, aber OPs auch nicht vorenthalten, bange machen gilt nicht, lieber neutral aufklären

Nicolaus Schwerk: Also dann würde ich mal mit den Dos beginnen. Dos heißt: In Bezug auf Kinder mit angeborenen Lungenfehlbildungen sollten und müssen wir Pädiater uns auch einmischen und den Mut haben, uns in das Feld der Chirurgie einzubringen, und eben halt auch konservative Möglichkeiten aufzeigen, auf der Basis einer guten Literaturrecherche und eines guten Wissens. Don’ ts ist: Jedes Kind, nur weil da eine angeborene Fehlbildung steht, sofort irgendwo in ein Zentrum zu schicken für eine Operation, was nicht gerechtfertigt ist. Don‘ ts dann den Eltern nicht gerechtfertigt Angst zu machen, sondern – jetzt wieder Do – es neutral aufzuklären. Don‘ ts aber auch, Kindern, die symptomatisch sind, eine chirurgische Therapie vorzuenthalten.

 

Axel Enninger: Super, das waren klare Statements, und in der Tat, glaube ich, haben Sie gut klar gemacht, dass, auch wenn wir nicht so viele Kinder sehen und wenn in den Praxen nicht so viele Kinder gesehen werden, dass man einiges richtig machen kann und vielleicht ein bisschen was falsch machen kann. Wenn wir das klarer machen konnten mit diesem Gespräch, dann hat es sich schon gelohnt. Vielen, vielen Dank, Herr Schwerk, und Ihnen, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, vielen Dank fürs Zuhören. Wir freuen uns über Rückmeldungen, wir freuen uns über Positives, aber natürlich auch über Kritik, und Sie dürfen uns in den üblichen Foren bewerten, Punkte geben, Sterne geben, was auch immer. Wir freuen uns, wenn Sie auch beim nächsten Mal zuhören, und bleiben Sie uns gewogen! Bis zum nächsten Mal! Tschüss!

 

 

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Datenbasis:

EUROCAT European network of population-based registries for the epidemiological surveillance of congenital anomalies. Europäische Kommission. https://eu-rd-platform.jrc.ec.europa.eu/ Zuletzt besucht: 30.11.2023.

 

 

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